Der Friede im Osten, 1. Buch: Am Fluß

Buchseite und Rezensionen zu 'Der Friede im Osten, 1. Buch: Am Fluß' von Erik Neutsch

Inhaltsangabe zu "Der Friede im Osten, 1. Buch: Am Fluß"

Ein Apriltag des Jahres 1945. An einer Panzersperre erleben Achim Steinhauer und Frank Lutter als Hitlerjungen das Ende des Krieges. Aber war wirklich zu Ende, was sie mit Blut beschworen hatten?
Achim Steinhauer wird es nicht leicht haben, seinen Weg aus den Verstrickungen der geschlagenen Welt des Faschismus in eine neue Zeit zu finden. Er begegnet schwierigen Situationen, er erkennt seine künftigen Freunde nur schwer, etwa Matthias Münz, den Kommunisten, der aus dem KZ kommt. Auch Franks Weg, der sich bald den antifaschistischen Kräften anschließt, versteht er zunächst nicht. Und schwierig wird für ihn die Zeit im Gefängnis, wo ihm schließlich der sowjetische Oberst Koschkin zu sich selbst und zur Freiheit verhilft.
Bewähren und bestehen muss er die Station der Schule, wo man ihn, den Arbeiterjungen, anfeindet und vor allem wird ihn seine Liebe zu Ulrike Jaro in konfliktreiche Situationen führen. Wie wird er das alles meistern, und wie werden es seine Freunde schaffen?
Davon erzählt Erik Neutsch in außerordentlich bewegenden und packenden Menschenschicksalen im ersten Buch seines Romans "Der Friede im Osten", der erstmals 1974 beim Mitteldeutschen Verlag Halle/Saale erschien und in mehr als 10 Auflagen erschien.
LESEPROBE:
Das Haus, mit Fichten und Kiefern im Hintergrund, lag am Hange der Wachwitzer Höhen. Er sah eine Frau im Garten, mittleren Alters, hoch in einem Baum, auf einer Leiter. Sie pflückte Äpfel, ihr Kopftuch leuchtete, und so er sich recht erinnerte, war sie Elisas Mutter. Freude überkam ihn. Also hatte der Krieg sie verschont, waren die Bombennächte an ihnen vorübergegangen. Doch er rührte sich nicht, stand am Zaun, scheute das erste Wort. Er verfolgte ihre Bewegungen, sah, wie sie die Äpfel behutsam von den Zweigen brach und in einen Korb legte, und er hoffte auf irgendein Zeichen, das ihm Auskunft geben würde, wie sie, die Eltern und ihre Tochter, während der letzten zwölf Jahre gelebt hatten. Von Elisas Vater, einem Gelehrten der Ingenieurwissenschaften, wußte er, daß er sich einst, zum Verdruß seiner Fachkollegen, der Sozialdemokratie angeschlossen und sofort nach Hitlers Machtantritt Berufsverbot erhalten hatte.
Plötzlich wandte die Mutter ihm ihr Gesicht zu. Es war, als habe sie seine Blicke gespürt. Ihre Augen waren so groß und so klar wie die Elisas, klarer, empfand er, was aber wohl daran lag, daß sie sich hell von dunkler Sonnenbräune abhoben. Doch sie begriffen nichts. Sie sahen nur, daß da ein Mann stand und wortlos wartete.
»Ich bin ...«, begann er, beinahe flüsternd. »Ich bin ...« Er wollte seinen Namen nennen. Aber seine Zunge war wie wund.
Elisas Mutter stieg von der Leiter. Er bemerkte, daß sie beunruhigt und erstaunt zugleich sein Gesicht absuchte. Sie ahnt etwas, dachte er, doch sie erkennt mich nicht. Die Brille, das schüttere Haar, Spuren der Qual im Stollen, der Auspeitschungen und der Dunkelzellen, alt mußt du geworden sein, Matti. Er riß die Brille von seinen Augen, schloß die Lider.
Da stieß sie einen kleinen Schrei aus. »Matthias, Matthias, du bist es? Du lebst?«
»Ja«, sagte er und versuchte ein Lächeln. »Wie Sie sehen ... Und ich suche Lies.«
Nachdem er seine Brille wieder aufgesetzt hatte, entdeckte er in ihren Augen den Schimmer nur schwer unterdrückter Tränen. Sie klinkte die Gartentür auf, nahm seine Hand und lud ihn ein, über Nacht zu bleiben. Ihr Mann und auch Lies würden bald kommen. Er unterrichtete Lehreranwärter, und sie teilte in irgendeiner Küche Mahlzeiten an Obdachlose aus.
Auf der Veranda stand ein Kinderwagen. Ein Säugling lag darin, dem sie aus einer Flasche zu trinken gab. Gierig saugten die Lippen.
»Ich kümmere mich um das Kleine«, sagte sie. »Diesmal ist es ein Junge.«
»Ist sie ... Sie ist ...«, stammelte er.
»Ja.« Sie beugte sich über den Wagen und sah nicht, wie sein Gesicht versteinerte. »Sie hat lange auf deine Rückkehr gewartet. Aber dann ... Dann gab sie die Hoffnung auf.«
Ein zweites Mal schloß er die Augen.

Autor:
Format:Kindle Edition
Seiten:422
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