Der dunkle Fluss: Roman

Rezensionen zu "Der dunkle Fluss: Roman"

  1. Nigerianische Familientragödie

    In Akure, einer nigerianischen Stadt, unweit des verfluchten Flusses Omi-Ala, wohnt der 10-jährige Benjamin mit seinen Eltern und fünf weiteren Geschwistern. Familienvater Eme plant ein besseres Leben für seine Söhne, sieht sie als zukünftige Ärzte, Richter, Professoren und Ingenieure. Als der Vater aus beruflichen Gründen in eine andere Stadt zieht, vernachlässigen Ikenna, Boja, Benjamin und Obembe die Schule und gehen regelmäßig zum verbotenen Fluss, um dort zu angeln. Ihre Mutter ahnt nichts davon. An einem schicksalsträchtigen Tag begegnen die vier Brüder dem verrückten Obdachlosen Abulu, der bereits in der Vergangenheit Unglücke voraussagte. Er prophezeit Ikenna, dem ältesten Bruder, einen gewaltsamen Tod. Von diesem Tag an beginnt Ikenna sich negativ zu verändern und eine Familientragödie, die alles zerstört, nimmt ihren Lauf.

    Bis zur Mitte hat mir der Roman gut gefallen. Die Geschehnisse sind spannend, die Alltagsbeschreibungen bildhaft, so dass ich mir das Alltagsleben und das Wohnumfeld der Familie, die einer ethnischen Minderheit angehört, gut vorstellen konnte. Immer wieder gibt es auch Bezüge zur Mythologie und zur politischen Situation in den 1990er Jahren. Politische Unruhen sind an der Tagesordnung, das Leben gefährlich. In den Text verwoben sind Reime, Sprichwörter und Liedtexte in den Sprachen Ibo (Igbo) und Yoruba. Neben diesen afrikanischen Sprachen gibt es Einschübe in Pidgin English. Diese Sprachenvielfalt hat die Geschichte für mich sehr authentisch gemacht und mir gut gefallen.
    Ab der Hälfte verlor die Geschichte aus meiner Sicht an Dynamik und sie zog sich in die Länge. Die letzten Kapitel habe ich dann wieder mit Spannung gelesen.
    Insgesamt ein geteiltes Lesevergnügen mit starkem Anfang, schwachem Mittelteil und intensivem Ende. Ich schwanke zwischen 3,5 und 4 Sternen.
    Chigozie Obioma wurde in Nigeria geboren und lebt heute in den USA. Sein Debüt „Der dunkle Fluss“ wurde in mehr als 20 Sprachen übersetzt.

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  1. 4
    08. Jul 2015 

    Die Fischer

    Eines Morgens sagt der Vater, er müsse in die nächste Stadt ziehen, um seine Arbeit zu behalten. Zwar ist die Mutter, die die fünf Söhne und die kleine Tochter dann alleine hüten muss, nicht einverstanden, aber es hilft nichts. Und ohne die gerechte Strenge des Vaters kommen die Jungen, die zwischen 16 und neun Jahren alt sind, auf dumme Gedanken, wie es in diesem Alter schon mal sein kann. Sie fangen an im Fluss, zu angeln, die Älteren fangen, an zu streiten, der Älteste fängt an, sich gegen die Mutter, den Vater und auch die Geschwister aufzulehnen.

    Aus hiesiger Sicht eine ganz normale Geschichte könnte man meinen, denn wer kennt es nicht, das Alter, in dem man gegen alles rebelliert, rebellieren muss. Doch im Nigeria des Jahres 1996 entwickelt sich der Weggang des Vaters aus der wirtschaftlichen Not geboren zur Katastrophe. In einem Lebensabschnitt wo die jungen Rebellen eine Reibungsfläche brauchen, um sich zu formen, kann die Mutter alleine dies nicht bietet. Die Jungen, für die der Vater hochfliegende Träume von akademischen Berufen hegt, fangen an, im naheliegenden Fluss zu fischen. Schon nach kurzer Zeit werden sie erwischt und vom Vater während seines Wochenendbesuchs bestraft. In seiner Enttäuschung über die vermeintliche Wahl dieses einfachen und traditionellen Berufs fällt die Strafe etwas hart aus. Zu spät erkennt der Vater das, denn der Älteste Sohn hat sich nun gegen die Familie gewandt.

    Ein eher harmloses Ereignis, durch welches letztlich ein Unheil nach dem anderen heraufbeschworen wird. Westliche Werte vermischen sich mit ursprünglichem Aberglauben an Flüche und Prophezeiungen, wobei letztlich nicht von beiden Welten das Beste bleibt, sondern eher im Gegenteil der Kampf der Traditionen zu großem Unglück führt. Alle Träume sind zerplatzt, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft liegt in Scherben. Die Geschichte einer Familie, die wie ein Gleichnis auf eine Gesellschaft wirkt, in der ein Umbruch zunächst einmal in eine dunkle Epoche mündet. Eine Story, die verstört und schwer zu ertragen ist, aber die dennoch fesselt.

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