Der Bademeister ohne Himmel: Roman
Die 15-jährige Linda wohnt zwei Etagen über Hubert Raichl. Hubert ist voll dement und wird von Ewa, der polnischen Pflegekraft vierundzwanzig Stunden betreut. Kevin wohnt bei Linda um die Ecke und ist voll intelligent. Seit Lindas Eltern sich getrennt haben, mag Linda Kevin. Davor musste sie ihn wie ihr Päckchen mit zur Schule schleppen. Seine alleinerziehende Mutter fand, dass der Schulweg zu gefährlich sei.
Linda plant seit einiger Zeit ihren Abgang aus dieser Welt, das macht sie im Stillen mit sich aus.
Es ist dieser Zustand zwischen Schlafen und Wachwerden. Es dämmert einem, dass man wach wird und die Sorgen vom Vortag vermischen sich mit der Vorschau auf noch mehr Unglück. S. 204
Linda trägt den grauen Vorhang, der alles trübt, nicht grundlos. Zu oft hat sie mit ihrer Mutter im dunklen Kleiderschrank gesessen, die Herzen um die Wette rasend, weil der rasende Vater: „Komm da raus!“, schrie.
Linda verbringt die Nachmittage meistens bei Hubert. Die gottgläubige Ewa, die den Kamillentee dreißig Minuten ziehen lässt, weil er Farbe braucht, mit der selbst gemachten Ringelblütensalbe und dem Freund ohne Körperlichkeiten, muss auch mal einkaufen. Und Mittwochs verschwindet Ewa für zwei Stunden zu ihren polnischen Freundinnen. Linda hat Hubert im Griff. Wenn er auf seine Frau wartet, die er beim Einkauf vermutet, lenkt Linda ihn ab. Seine rechte Hosentasche enthält immer Walnusshälften und die linke immer ein Stofftaschentuch, darauf kann man sich verlassen. Linda erzählt Hubert vom Schwimmbad, dem Drei-Meter Brett, den warmen Sonnenstrahlen auf der Haut und dem erfrischenden Wasser, in das sie eingetaucht ist, auch wenn es nicht stimmt. Hubert gefällt es.
Nach viel Dunkelheit sind da die Tage, an denen Linda ein Liebespaar an der Bushaltestelle beobachtet und es nicht kitschig findet. Eine Frau, die mit einem Efeublatt eine Biene aus dem Brunnen fischt und wartet, bis sie weggeflogen ist und sie fragt sich, ob das immer da ist? Aber dann braucht Ewa eine Pause und fährt für Wochen nach Hause.
Fazit: Mit großem Feingefühl hat Petra Pellini ein junges Mädchen gezeichnet, das sich überflüssig findet. Wirklich gelungen lässt die Autorin ihre Ich-Erzählerin aus der Sicht einer coolen Jugendlichen erzählen, mit starkem Charakter und wenig Selbstwert. Die Geschichte ist wunderbar verwoben mit Lindas Schicksal, Huberts Demenz und Ewas Überforderung. Die Stimme der Autorin ist humorvoll und selbstironisch. Obwohl Lindas Weg immer wieder von unerwarteter Tragik gekreuzt wird, wächst sie über sich hinaus und findet ein Licht am Ende des Tunnels, das hell und vielversprechend strahlt. Ein gelungenes, bewegendes Debüt, das mich sehr berührt hat.
... einen dementen Rentner und es entsteht die allerschönste Beziehung
[TW: Demenz, Suizid(-gedanken), Unfall, Tod]
Zum Hörbuch: Das war die bislang beste Sprechperson für mich! Marie-Isabel Walke ist unfassbar talentiert darin, ihre Stimme für die einzelnen Charaktere zu verändern. Ob der polnische Akzent Ewas oder der etwas knurrige Tonfall Huberts - alle kann sie perfekt einfangen, was das Hören zu einem so angenehmen Erlebnis macht. Ich hatte nur bei den erwachsenen Frauen wie Lindas Mutter, dem Nachtfalter oder Kevins Mutter manchmal Schwierigkeiten, sie auseinanderzuhalten. Sie spielen ja aber auch keine so große Rolle. Die Übergänge zwischen den Kapiteln waren flüssig, allerdings hätte es mir geholfen, wenn die Kapitel auch sprachlich benannt worden wären, um organisch Hörpausen einlegen zu können. Alles in allem aber ein echter Hörgenuss und ich muss als Vielleserin zugeben, dass das Erlebnis beim Lesen weniger gut gewesen wäre, weil ich die Stimmen selbst nicht variiert hätte.
Zum Buch selbst: „Der Bademeister ohne Himmel“ ist ein Wohlfühlroman, obwohl er so viele traurige Elemente in sich trägt.
Die fünfzehnjährige Linda hat konkrete Suizidgedanken, doch Hubert und Kevin halten sie im Leben. Hubert ist dement und wird zuhause von Ewa gepflegt. Die Polin hat ein großes Herz und kümmert sich mit viel Hingabe um ihn. Manchmal scheint sie jedoch Huberts Bedürfnissen in einer Welt, die ihm zunehmend fremd wird, mit ihrer direkten Art nicht ganz nachkommen zu können. Hier kommt Linda ins Spiel, die mit ganz viel Herz, Ernsthaftigkeit und Respekt eine enge Bindung zu ihm aufbaut. Ihr Freund Kevin wiederum leidet unter Weltschmerz und verbringt sehr viel Zeit zurückgezogen vor dem PC.
Petra Pellini hat hier eine so feinfühlige Erzählung geschaffen, die Würde in der Pflege sowie ganz besondere Verbindungen in den Fokus nimmt. Ewa ist bereits eine tolle Pflegerin und wirklich absolut herzliche Figur. Linda hat aber einfach einen so ehrlichen Kontakt auf Augenhöhe zu Hubert, dass ich immer wieder den Eindruck hatte, sie kann auf diesem Wege mehr zu ihm durchdringen. Wenn Hubert sich nicht mehr an seine Hochzeit erinnert, ändert Linda die Strategie und führt ihn mit eigenen Erzählungen wieder auf sicheres Terrain. Befindet sich Hubert wieder in seiner Zeit als Bademeister, bläst sie eben mit ihm Schwimmflügel auf. Nie vermittelt sie ihm das Gefühl, schockiert zu sein über seine Gedächtnislücken und genau das gibt ihm wohl ein Maximum an Sicherheit in dieser für ihn so beängstigenden Welt.
Nebenbei passiert aber auch noch viel mehr. Kevin hat zu kämpfen mit all den immer größer werdenden Krisen. Lindas Mutter hat einen neuen Partner, mit dem diese so gar nichts anfangen kann. Ewa lernt endlich ihre „zweite Hälfte“ kennen. Und Linda läuft tatsächlich vor ein Auto, doch am Ende kommt alles ganz anders als erwartet..
Der Schluss hat mich schockiert, weil ich ihn nicht habe kommen sehen. Dann geht auch alles recht schnell, während die Geschichte vorher deutlich langsamer war. Das passt für mich aber sehr gut, denn die intensive Zeit mit Hubert bewegte sich eben irgendwie in einer anderen Dimension.
Ein wirklich liebevolles Buch zu so schmerzhaften Themen, die von einer Autorin mit viel Erfahrung auf diesem Feld aber hervorragend eingepackt werden. Es hat mich viele Emotionen fühlen lassen und mir wieder bewusst gemacht, wie wichtig menschliche Verbindungen sind.
„Wir gleichzeitig Lebenden sind füreinander von geheimnisvoller Bedeutung.“ <3
REZENSION - „Ich brauchte nicht viel zu recherchieren, da ich erlebt habe, was es bedeutet, wenn Betroffene sich selbst verlieren, Angehörige Unterstützung brauchen und Pflegende überfordert sind. Das alles hat das Schreiben über Demenz bestimmt erleichtert“, erzählt die österreichische Autorin Petra Pellini (54), die als diplomierte Krankenschwester selbst viele Jahre in der Pflege demenzkranker Menschen tätig war, im Interview zu ihrem im Juli beim Kindler Verlag veröffentlichten Debütroman „Der Bademeister ohne Himmel“. Für einen ersten Auszug daraus war sie bereits 2021 völlig zu Recht mit dem Vorarlberger Literaturpreis ausgezeichnet worden.
Dank ihrer fachlichen Erfahrung sowie ihren vielfältigen Erlebnissen mit Demenzkranken und deren Angehörigen ist es Pellini gelungen, einen herzerwärmenden Roman zu schreiben, der es trotz dieses schwierigen Themas in seinem lockeren und humorvollen Stil seinen Lesern erleichtert, sich mit der in unserer zunehmend alternden Gesellschaft immer häufiger verbreiteten Krankheit zu beschäftigen. Im Roman erleben wir die ungewöhnliche Freundschaft und fürsorgliche Hingabe der 15-jährigen Schülerin Linda zu dem 86-jährigen an Demenz erkrankten Hubert.
Die pubertierende Linda kommt mit ihrer Mutter nicht klar, leidet unter dem Fehlen ihres Vaters, der die beiden nach vielen Streitigkeiten vor acht Jahren verließ, hat die gerade in der Pubertät häufigen Sorgen in der Schule und denkt deshalb darüber nach, „vor ein Auto zu laufen“. Hubert, der in seiner jetzigen geistigen Verfassung schon mal Karotten toastet und oft auf seine Frau wartet, die vor sieben Jahren gestorben ist, war sein Leben lang als Bademeister im nahen Strandbad unter freiem Himmel tätig. Seit seiner zunehmenden Demenz ist sein Lebensraum auf seine Wohnung – im Haus zwei Etagen über Lindas Wohnung – beschränkt, ganztägig umsorgt von der polnischen Pflegerin Ewa. Dreimal wöchentlich verbringt Linda nun den Nachmittag bei Hubert, um die Pflegerin zu entlasten, und leistet dem Senior Gesellschaft.
Pellini gelingt es nicht nur meisterhaft, die fortschreitende Erkrankung und das für Außenstehende unverständliche Handeln des 86-Jährigen in einzelnen Situationen beispielhaft, plausibel und berührend zu schildern, sondern auch die Reaktionen der in seinem und Lindas Umfeld lebenden Personen. So ist Huberts Tochter – neben ihrer beruflichen Tätigkeit und ihrer eigenen Familie – mit der zusätzlichen Belastung der Pflegebedürftigkeit ihres Vaters in ihrem Verantwortungsbewusstsein emotional und nervlich überfordert. Überfordert, wenn auch auf ganz andere Art, ist auch Ewa, die in ihrer fachkundigen Pflege und liebevollen Fürsorge für den 86-Jährigen aufgeht, dabei aber ihr eigenes Privatleben und ihre persönlichen Bedürfnisse vernachlässigt.
Die interessanteste Figur des Romans ist die erst 15-jährigen Linda, die durch ihre regelmäßige Begleitung des 86-Jährigen, den sie unbedingt im Leben halten will, und ihre Beobachtung seines langsamen Entgleitens die wahren Werte des Leben erkennt und zu schätzen lernt und ihre eigenen Probleme im Vergleich dazu als unwichtig verdrängt. Sie lernt Verantwortung zu übernehmen – nicht nur für andere, sondern auch für sich selbst.
Die Meinung über Pellinis Debütroman „Bademeister ohne Himmel“ mag unterschiedlich ausfallen: Betroffenen, die einen an Demenz Erkrankten zu umsorgen haben, mag der leichte, oft humorvolle Erzählton vielleicht dem ernsten Thema unangepasst erscheinen. Doch ist es genau die Absicht der als Krankenschwester erfahrenen Autorin, die Notwendigkeit zu zeigen, mit dem zu pflegenden Angehörigen nicht ständig wie mit einem Kranken und Siechen umzugehen, sondern seine „Macken“ gelassener hinzunehmen, ihn dennoch als vollwertigen Menschen zu akzeptieren und ihm vor allem seine Würde zu wahren. Genau dies schafft im Roman die 15-Jährige, die – frei von jeder persönlichen Verantwortung und anderweitigen Verpflichtung – dem Senior die notwendige Zuneigung geben und ihre Stunden mit ihm seinen Bedürfnissen anpassen kann. Die Autorin schildert nicht die Begegnung einer Minderjährigen mit einem Senior, sondern eine enge Beziehung zweier Menschen auf Augenhöhe.
Die 15-jährige Linda spricht mit dem 86-Jährigen in ihrem Alter angepassten, stellenweise schnoddrigem, manchmal witzigem Ton. Genau dieser lockere, unbeschwerte Umgang mit dem Kranken beschert nicht nur ihm kleine Glücksmomente. Dieser humorvolle Ton ist es auch, der diesen empathischen Roman über den Umgang mit Demenz-Kranken von psychischer Last befreit, ihn trotz aller Problematik so leicht und warmherzig erscheinen lässt und deshalb so lesenswert macht. Dieses Buch wird auch noch nach der Lektüre seine Leserinnen und Leser beschäftigen, ohne sie aber emotional zu bedrücken.
Generationenübergreifende Freundschaftsgeschichte
Gestaltung:
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Obwohl das Bild mit einer Person im Schwimmbecken passend zum Titel ist, wirkt es auf mich eher unscheinbar, ich hätte das Buch im Regal unbeachtet gelassen. Als Hardcover mit Lesebändchen ist es sehr hochwertig gestaltet.
Inhalt:
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Linda ist 15 Jahre alt und lebt mit ihrer Mutter alleine in einer Wohnung, seit der Vater die Familie verlassen hat.Ihr Leben scheint perspektivlos, vor allem die Schule bereitet ihr Probleme. Daher spielt sie häufig mit dem Gedanken, sich das Leben zu nehmen, indem sie vor ein Auto läuft. Die einzigen, die sie davon abhalten, sind ihre Freunde Kevin und Hubert.
Kevin ist etwas jünger als Linda, lebt ebenfalls alleine mit seiner Mutter. Er ist sehr intelligent und macht sich über die Zukunft der Welt Gedanken. Darüber, dass ihn seine Klassenkameraden nicht verstehen, verzweifelt er oft. Aber in Linda findet er eine verständnisvolle Zuhörerin.
Hubert ist ein älterer Herr, der im gleichen Haus lebt und an Demenz erkrankt ist. Linda wird von dessen Tochter beauftragt, jeden Tag für ein paar Stunden nach ihm zu sehen, damit seine polnische Pflegerin entlastet ist. Hubert war früher Bademeister und in Gedanken ist er dies häufig immer noch. Wider Erwarten freundet sich Linda mit dem alten Mann an und findet dadurch eine neue Perspektive für ihr eigenes Leben. Und dann passiert etwas, mit dem niemand gerechnet hätte...
Mein Eindruck:
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"Hubert, Ewa und ich, wie soll ich das erklären? Ich kann nicht sagen, dass wir beste Freunde sind, das wäre übertrieben. Wir spüren einander. Wir sind wie Wellen, die ineinander- oder zumindest zueinanderfließen, oder wie dieses Kinderspiel mit den Händen. Die eine Hand wird auf die oberste Hand gelegt, die unterste Hand wird weggezogen und wieder auf die oberste gelegt und so weiter. Gefühle, Stimmungen, Gesten stapeln sich. Mal liegt Huberts Knurren obenauf, mal Ewas Landeshymne, mal mein Humor." (S. 98)
Offen gestanden hätte ich den Roman aufgrund des Titelbildes und dem Klappentext nie gelesen. Die angesprochenen Themen ließen mich vermuten, dass das Buch meine Stimmung in den Keller ziehen würde. Aber per Zufall hörte ich hierzu eine Kritik im Radio und wurde neugierig.
Und dann hat das Buch von der ersten Zeile an in seinen Bann gezogen und bis zum Ende nicht mehr losgelassen. Ich habe es in einem Rutsch verschlungen und war nachdenklich, aber nicht traurig. Man merkt, dass die Autorin sich mit demenzkranken Menschen beschäftigt, aber auch in die Gefühlslage von Teenagern kann sie sich gut hineinversetzen. Die Geschichte wird aus der Ich-Perspektive von Linda erzählt und ich mochte ihren trockenen, manchmal makaberen Humor. Sie fühlt sich unverstanden, wie so viele Teenager, aber bei Hubert kann sie so sein, wie sie ist. Durch Huberts eigene Realität lernt sie, die Welt und ihre Lebensmomente neu zu bewerten und zu schätzen. Sie kümmert sich sehr liebevoll um Hubert, das habe ich an ihr bewundert. Auch Ewa, die polnische Pflegekraft, ist mir mit ihren Backkünsten und ihrer mütterlichen Art beim Lesen sehr ans Herz gewachsen.
Das Leben spielt so, wie es spielt, und ab der Hälfte des Buches hatte ich eine leichte Ahnung, worauf das Ganze hinauslaufen würde. Und sie wurde größtenteils bestätigt. Dennoch oder gerade deswegen ist das Buch ab der zweiten Hälfte nicht langweilig gewesen, denn schließlich wollte ich die konkrete Lösung wissen. Und letztendlich genoss ich bis zum Ende die Sprache und die Entwicklung der Personen. Ich habe nur ungern das Buch beendet, gerne hätte ich weitergelesen und wäre in Lindas Gedankenwelt verblieben. Ich bin positiv überrascht vom Roman-Debüt der Autorin und hoffe, dass sie noch weitere Geschichten in diesem Stil schreibt.
Fazit:
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Eine poetische Geschichte - mal nachdenklich, mal mit Humor - über Freundschaft, Demenz und die Herausforderungen des Älterwerdens.