Den Teufel im Leib: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Den Teufel im Leib: Roman' von Raymond Radiguet
3.7
3.7 von 5 (7 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Den Teufel im Leib: Roman"

Der fünfzehnjährige François verliebt sich in die achtzehnjährige Marthe, deren Ehemann im Ersten Weltkrieg kämpft. Trotz der Aussichtslosigkeit ihrer Beziehung und gegen jeden Widerstand geraten die beiden in einen heftigen Strudel aus Begehren und Leidenschaft. Dass ihre Affäre zum Scheitern verurteilt ist, wissen sie, aber voneinander lassen können sie nicht. Mit siebzehn Jahren vollendete Raymond Radiguet dieses Meisterwerk, das von der skandalösen Liebe zwischen einem Minderjährigen und einer verheiraten Frau erzählt. Der Roman verschaffte Radiguet glühende Bewunderer wie Jean Cocteau, Max Jacob oder Paul Valery und besticht bis heute durch seine Radikalität und seinen psychologischen Scharfblick. +++ Mit erstmals auf Deutsch veröffentlichten ­Erinnerungen von Jean Cocteau sowie Gedichten und Briefen von ­Raymond Radiguet. +++ Hinrich Schmidt-Henkel, hoch gelobt für seine Neuübersetzung von Célines »Reise ans Ende der Nacht«, hat den 1923 veröffentlichten Roman von Raymond Radiguet in einem neuen Ton in die heutige Zeit übertragen.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:208
Verlag: Pendragon
EAN:9783865328335

Rezensionen zu "Den Teufel im Leib: Roman"

  1. Alter Klassiker im neuen Gewand

    Raymond Radiguet galt schon in seiner Zeit als gefeiertes Wunderkind und wurde für seinen Roman "Den Teufel im Leib" , den er mit 17 Jahren veröffentlichte viel gefeiert. Der Roman galt damals aber auch als Skandalwerk. Anlässlich des 100. Geburtstages brachte der Pendragon Verlag das Werk nun in neuer Übersetzung von Hinrich Schmidt Henkel und mit Zeichnungen von Jean Cocteau heraus. Der Band beinhaltet zudem Gedichte und Briefe sowie ein erhellendes Nachwort des Übersetzers. Insgesamt wirkt die Ausgabe sehr hochwertig.

    Eventuell bietet es sich an, das Nachwort vor der Lektüre des Romans zu lesen, ist es doch wichtig, das Werk vor der damaligen Zeit und den vorherrschenden Umständen zu lesen und einzuordnen. Es war die Zeit des Erstes Weltkrieges, wo viele Männer ihre Ehefrauen zurück ließen, um für ihr Vaterland in den Krieg zu ziehen.

    Im Mittelpunkt des Kurzromans steht die verbotene Liebe zwischen dem 15 jährigen Francois, der im Buch selbst nie namentlich genannt wird, und der drei Jahre älteren Marthe. Der Primaner hat es faustdick hinter den Ohren. Hinter dem Rücken von Marthes Verlobten beginnt er mit Marthe eine Affaire. Ob er jemals ein wahrhaftes Interesse an ihr hatte, bleibt unklar. Umso klarer wird schnell, dass er die Situation zu jedem Zeitpunkt kontrollieren und manipulieren will. So hat er offenbar ein besonderes Vergnügen daran, beispielsweise die Möbel für das angehende Ehepaar auszusuchen. Warum Marthe sich von ihm um den Finger wickeln lässt, bleibt vage. Liegt es an der Zeit und den damit verbundenen Unsicherheiten wie auch Freiheiten? Sie tut nichts dagegen, sich mit dem jungen Liebhaber in aller Öffentlichkeit zu zeigen, überhaupt scheint das Umfeld, das natürlich von dem Ganzen Wind bekommen hat, weg. Francois nutzt schonungslos die Abwesenheit des Verlobten Jacques aus. Mitunter scheint es ein wenig, dass Marthe für ihn etwas an Reiz verliert, wenn sie für ihn tatsächlich greifbar erscheint. Es kommt, wie es kommen muss: Die Lage verkompliziert sich durch unüberlegtes Handeln und Ausleben der Liebesbeziehung. Irgendwann steht Jacques wieder vor der Tür. Wie die Geschichte endet, sei an dieser Stelle natürlich nicht verraten.

    Unter Berücksichtigung, dass Radiguet das Werk etwa im Alter des zentralen Protagonisten schrieb, kann ich verstehen, dass das Werk von der Kritik damals gefeiert wurrde. Der Autor hat sicher besonderen Mut bewiesen, dies gleich in zweierlei Hinsicht: Zum einen, indem er Sexualität enttabuisiert und offen thematisiert hat. Zum anderen auch, indem er hier dem verlobten Soldaten Jacques, der sein Leben für das Vaterland riskiert, die sprichwörtlichen Hörner des Betrogenen aufsetzt. Auch Marthes Handeln ist sicher in dieser Zeit, untypisch: Sie nutzt die Freiheiten, die der Krieg mit sich bringt. Während ich den jugendlichen Liebhaber recht authentisch geschildert finde, was sicherlich auch am jugendlichen Alter von Radiguet selbst liegt, fand ich Marthe als Charakter recht blass. Insgesamt habe ich das Buch gerne gelesen. Die Briefe im Anhang sowie das Nachwort von Schmidt-Henkel halfen mir dabei, das Werk und dessen Leistung besser einzuordnen.

    Vielleicht wäre von Radiguet tatsächlich noch Einiges an literarischen Meisterwerken zu erwarten gewesen, wäre er nicht bereits im jungen Alter von nur zwanzig Jahren verstorben. Ich kann es mir gut vorstellen. In jedem Fall fand ich die Auseinandersetzung mit diem Werk sehr bereichernd und kann gerade diese hochwertig gestaltete Ausgabe sehr empfehlen.

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  1. Teufel ohne rechte Raffinesse

    „Den Teufel im Leib“ hat der sehr von sich eingenommene Ich-Erzähler des als skandalös geltenden Klassikers zwar meiner Meinung nach nicht, sympathisch ist er aber keinesfalls. Mit einiger Berechnung, gepaart mit einem verständlichen Maß an Unreife, beginnt der pubertierende 15-jährige Protagonist eine Affäre mit der drei Jahre älteren verheirateten Marthe, die in ihrer Darstellung so blass und unscheinbar bleibt, dass man als Leser nur zu dem Schluss kommen kann, dass die Liaison hauptsächlich der Verfügbarkeit und Naivität der jungen Frau und den Hormonen des jungen Manns geschuldet sein kann. Wer in dieser Beziehung den Ton angibt, wird schnell klar. Trotz des Altersunterschieds übernimmt der junge Mann die Kontrolle, dominiert die Beziehung, manipuliert Marthe, seine Eltern und das gesamte Umfeld und lebt seine Begierden. So teuflisch und clever sich das zusammengefasst hier anhören mag, so wenig raffiniert ist leider weder sein Vorgehen noch die Handlung des Romans selbst.

    Von Zeitgenossen gepriesen, kann „das Werk heute doch nicht mehr so recht begeistern. Dem Protagonisten fehlt es schlussendlich ganz simpel an List und Tücke. So ist er bei allem Einfallsreichtum weder ausgekocht, noch erhaben genug über die Gefühlswelt, die ihm dann und wann doch einen Strich durch die Rechnung macht.

    Der Roman hätte deutlich durch eine stärkeres Zusammen- und Gegenspiel aus erzählendem und erlebendem Ich gewinnen können, die reiferen retrospektiven Kommentare sind jedoch viel zu rar gesät. Als Figur erscheint der Protagonist so unausgereift (nicht nur vom Lebensalter auch von der Charakterzeichnung insgesamt her) und er trifft auf nicht minder vage ausgestaltete Nebenfiguren. So begegnet der Leser der Geschichte eher mit mildem Interesse, denn mit Marthe kann man nicht mitleiden und mit dem Ich-Erzähler nicht mithoffen, weil es ihm einfach an den illustren und begeisternden Facetten eines gewitzten Bösewichts fehlt.

    Die Handlung rückt die erotische Beziehung zwischen Marthe und der Hauptfigur in den Fokus, gibt sich Eifersüchteleien und Traumgebilden hin, kann aber weder schockieren (dafür ist sie doch recht zahm) noch berühren und auch sprachlich ist der Roman kein großer Wurf.

    Interessant am Autor des Textes ist sicherlich dessen kurze Lebensspanne und seine innige Freundschaft mit Jean Cocteau, Umstände, die vom recht umfangreichen Anhang aufgegriffen werden, aber zur Aussagekraft des Textes nichts beitragen. So sehr mir die Ausgabe inklusive des Nachworts auch gefällt: Raymond Radiguets Text löst bei mir leider keine Begeisterungsstürme aus. Ich hatte mir einfach etwas mehr Raffinesse und Einzigartigkeit erhofft.

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  1. Ein Klassiker, der damals für Furore sorgte

    " Den Teufel im Leib" schrieb Raymond Radiguet mit gerade einmal 17 Jahren, im Jahr 1923, er befand sich demnach etwa im selben Alter wie der Protagonist seines Romans. Zufall, oder wusste er genau deshalb so gut, wie sich ein Jungspund fühlt, der sich verbotenerweise in eine schon vergebene Frau verliebt? Tragischerweise erlebte der junge Autor nicht, dass sein Buch noch viele Jahre Anklang finden sollte, denn er verstarb bereits mit 23 Jahren.
    Fakt ist, dass der Autor damals sehr schockierte mit diesem Roman, in dem ein Jugendlicher ein Verhältnis mit einer wenig älteren, verheirateten Frau eingeht. Er setzte sich vor dieser Liebelei schon über alles hinweg, kümmerte sich nicht um seine schulischen Pflichten, bog sich die Wahrheit zurecht, und kam bei den Eltern auch noch mit allem durch. Der Vater schien teilweise sogar stolz darauf, dass sein Sohn so schlau war, mit allem durchkam. Angefeuert durch diese Umstände suchte der Sohn immer wieder neuen Nervenkitzel, wie weit kann man es treiben, wenn man ein Verhältnis hat? Sehr weit, wenn man dem Roman glauben schenkt. Er setzt mit seiner Liaison allen Hörnern auf, beim lesen wunderte mich ständig, wieso das doch so offensichtliche tun des Paares nicht auffliegt. Oft wirkte es so, als ob der Reiz des verbotenen für den jugendlichen Liebhaber größer war, als die Liebe selbst. Es war ein Garant gegen die Langweile, so sah es aus.

    Der Autor beschreibt die Gefühle des Protas recht anschaulich, hineindenken oder es nachvollziehen konnte ich das meiste jedoch nicht. Seine Ränkespielchen, in denen er beispielsweise den Ehemann, einen Soldaten, der sogst wie nie zu Hause ist, ärgern will, fand ich persönlich eher deplatziert und nicht dem normalen Verhalten eines 15 jährigen angemessen. Im Großen und Ganzen ärgerte ich mich mehr über ihn, als dass ich sein handeln wirklich hätte nachvollziehen können.

    Natürlich muss man immer bedenken, dass es damals, als der Roman erschien, natürlich ein großer Aufreger war, kaum jemand war so mutig und erzählte von so einer Verbindung. Ich verstehe daher, warum dieser Roman als Klassiker Einzug fand, und sicher nicht nur deshalb weil Größen wie Jean Cocteau ihn lobten. Gefallen hat er mir leider dennoch nicht, der Bezug zu den Liebenden baute sich nicht auf, und mein Unwillen beim lesen überwog.

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  1. Die Leiden des jungen F.

    Frankreich, während des Ersten Weltkriegs: Der 15-jährige François verliebt sich in die drei Jahre ältere Marthe. Doch nicht nur der Altersunterschied ist heikel, denn Marthes Ehemann Jacques kämpft für sein Vaterland an der Front. Mit Leichtigkeit wickelt der Junge die verheiratete Frau um den Finger. Als Marthe schwanger wird, steht sie vor einem Dilemma. Wie soll sie es ihrer Familie und ihrem Mann erklären, der immer mal wieder auf Heimaturlaub ist? Doch trotz der dramatischen Zuspitzung können die beiden einfach nicht voneinander lassen...

    Raymond Radiguets "Den Teufel im Leib" erschien im Original erstmals 1923 - und damit nur kurz vor dem viel zu frühen Typhus-Tod des damals 20-jährigen Autors, der sein Werk bereits drei Jahre zuvor, also mit gerade einmal 17 Jahren, beendete. 100 Jahre später ist das Skandalpotenzial mit Sicherheit nicht mehr so hoch wie damals. Dennoch sollte es dem Pendragon Verlag gelingen, mit seiner liebevoll gestalteten Neuausgabe und -übersetzung für Aufmerksamkeit zu sorgen.

    Denn der Verlag mit dem freundlichen kleinen Drachen im Logo gönnt dem Klassiker zu seinem 100-jährigen Bestehen nicht nur eine Neuübersetzung durch Hinrich Schmidt-Henkel, sondern versieht seine Ausgabe mit umfangreichen Anhängen wie Zeichnungen des Radiguet-Freundes Jean Cocteau, erstmals in deutscher Sprache veröffentlichten Texten Cocteaus sowie Gedichten und Briefen von Raymond Radiguet.

    Ich-Erzähler François, dessen Name im gesamten Roman nie erwähnt wird, präsentiert sich gleich zu Beginn als zwölfjähriger Don Juan, dessen Liebesbrief an die Klassenkameradin allerdings noch nicht zum Erfolg führt. Der Ton für den Rest des Romans ist damit gleich gesetzt, denn nahezu alles dreht sich in "Den Teufel im Leib" im Folgenden um die Liebe zu Marthe. Das ist vor allem zu Beginn aufregend und zeigt deutlich die Gefühle und Verwirrungen der Jugend. Denn Radiguet schreibt so, wie sein Protagonist liebt. Wild und ohne Rücksicht auf Verluste. Manchmal lamentierend und wehleidig. "Meine Tränen brannten. Wenn eine davon auf ihre Hand fiel, war ich immer darauf gefasst, dass sie aufschrie", heißt es beispielsweise auf S. 55. Große Emotionen, die solche Liebesklassiker schon immer auszeichnete. Marthe selbst bleibt als Figur ein wenig blass, auch wenn sie, die Ehebrecherin, die noch dazu einen Soldaten betrügt, durchaus auch etwas Rebellisches an sich hat. Dennoch ist die Figur des Ich-Erzählers so dominant, dass Marthe es in ihrem Schatten schwer hat.

    Zugegebenermaßen verliert sich der Roman mit der Zeit ein wenig in seinem immer gleichen Duktus. François präsentiert sich zunehmend unsympathisch, die beiden können ihre Beziehung trotz aller Widrigkeiten nicht beenden. Ein tragischer Ausgang ist früh zu erkennen. Und auch sprachlich sitzt nicht unbedingt jeder Vergleich, jede Stilblüte.

    Man sollte das Ganze daher im historischen Kontext sehen und das Alter Radiguets berücksichtigen. Er war 17, als er diesen Roman schrieb. Mit 15 Jahren ging er von der Schule ab. Und "Den Teufel im Leib" schrieb er 1920, als es noch keine Popliteratur gab, keine Beat-Generation. Nur kurz nach dem Ersten Weltkrieg wagte es dieser Junge, die moralischen und gesellschaftlichen Normen und Werte einfach über den Haufen zu werfen. Das Buch ist Rebellion, Aufbegehren, Aufregung. Also alles, was die Literatur oft so gern sein möchte und es doch recht selten ist. Betrachtet man das Werk unter diesen Gesichtspunkten, ist es etwas Besonderes.

    Mit "Den Teufel im Leib" beweist der Pendragon Verlag jedenfalls einmal mehr sein Herz für in Vergessenheit geratene und viel zu früh verstorbene Autoren, wie er es zuletzt durch mehrere Stephen Crane-Veröffentlichungen schon getan hat. Es ist dem Verlag und Raymond Radiguet zu wünschen, dass ein Funken seines Rebellentums auch auf die Leserschaft überspringen wird.

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  1. Text eines altklugen Wunderkinds

    Raymond Radiguet – Wunderkind, in Frankreich seinerzeit als literarisches Genie gefeiert und auch heute noch Forschungsgegenstand, von Picasso gezeichnet, von Modigliani gemalt, von Man Ray fotografiert, von Cocteau protegiert. Dieser frühreife junge Mann hat mit nur 17 Jahren seinen ersten Roman geschrieben und aufgrund seines frühen Todes mit 20 Jahren auch nur einen zweiten verfasst. Den Teufel im Leib (im französischen Original Le diable au corps) erschien vor hundert Jahren und ist jetzt in Neuübersetzung neu aufgelegt worden.

    Der Protagonist ist erst 15 Jahre alt, als er sich – wie er anfangs versichert, erst zum zweiten Mal – verliebt. Das Objekt seiner ungestümen Begierde ist die drei Jahre ältere Marthe, die kleine Aquarelle malt, die in der Ausstellung einer gemeinnützigen Einrichtung gezeigt werden. Sie ist mit dem Soldaten Jacques verlobt, der im ersten Weltkrieg kämpft. Der Einfachheit halber nennen wir den Protagonisten François, obwohl sein Name im ganzen Buch nicht vorkommt, nur auf der Buchrückseite. Er kostet die Kriegswirren voll aus: „Die Freiheit wurde rasch meine Droge.“ (S. 45)

    Schon bald gehen Marthe und François gemeinsam in Paris für die bevorstehende Hochzeit und die Einrichtung der ehelichen Wohnung einkaufen. Dabei versucht François, möglichst oft seinen eigenen Geschmack gegen den der künftigen Eheleute durchzusetzen. Zunächst gehen die beiden nur spazieren, dann entwickelt sich langsam eine Affäre, von der die Eltern von Marthe und Jacques als letzte erfahren. François‘ Vater hingegen ermutigt seinen Sohn:
    „Übrigens war mein Vater unbewusst ein Komplize meiner ersten Liebe. Er ermunterte mich geradezu, freute sich, dass meine Frühreife sich irgendwie äußerte.“ (S. 80)
    Die Mutter hingegen ist eifersüchtig, und die Kleinstadt zerreißt sich das Maul.

    Es ist müßig, nach autobiografischen Elementen zu suchen oder die einseitige Darstellung eines jungen Mannes zu kritisieren, ich denke, man muss den Text so lesen, wie er nun mal ist: etwas wirr, zerrissen, überspannt, überschwenglich, schockverliebt und vor allem der Zeit geschuldet. Das Buch war seinerzeit ein großer Erfolg und Radiguet ein gefeiertes Mitglied der Pariser Künstler-Bohème.

    Ich gebe 3,5 Sterne und runde wegen der schönen Aufmachung des Bandes auf 4 Sterne auf. Ich hätte mir nur gewünscht, dass Radiguets Gedichte zweisprachig erschienen wären.

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  1. Maskuline Perspektive, die ihrer Zeit voraus war

    Der Schriftsteller und Journalist Raymond Radiguet (1903 – 1923) wurde als eine Art Wunderkind gehandelt. Bereits mit 15 Jahren verließ er die Schule, um sich ganz dem Schreiben zu widmen. Zahlreiche Pariser Künstler zählten zu seinem Freundeskreis. Eine besonders enge Freundschaft verband ihn mit dem Künstler Jean Cocteau (1889 – 1963), von dem in diesem Band nicht nur die anregenden Illustrationen stammen, sondern auch weitere Texte im Anhang.

    Den Roman selbst schrieb Radiguet mit nur 17 Jahren, die Erstveröffentlichung vor genau 100 Jahren, die ein Skandalerfolg war, sollte er schon nicht mehr erleben. Der Autor beschreibt darin (autobiografisch?) die Passion des 15-jährigen namenlosen Ich-Erzählers mit einer verheirateten Frau während des Ersten Weltkrieges. Der betrogene Ehemann kämpft an der Front auf Seiten der Französischen Armee, so dass sich für das Paar reichliche Gelegenheiten bieten, die Affäre auszuleben. Möglicherweise auch den Kriegswirren geschuldet dürften die großen Freiheiten sein, die sich der Protagonist nehmen darf, ohne von einer Erziehungsinstanz zur Rechenschaft gezogen zu werden.

    Der Erzähler schildert die außereheliche Beziehung, die im April 1917 ihren Anfang nimmt, bis zu ihrem tragischen Ende knapp zwei Jahre später. Deutlich werden dabei die jugendliche Frühreife des Helden, seine immensen Gefühlsschwankungen und sein kolossaler Übermut. Schnell verdreht er der vier Jahre älteren Marthe den Kopf. Er versucht sie immer stärker zu beeinflussen, ihr Verhalten zu steuern und zu dominieren. Das geht so weit, dass er später die Feldpost des Gatten beantwortet. Für den Protagonisten scheint die ganze Affäre nur ein großer Spaß zu sein, deren Risiko andere tragen. Die beiden Verliebten machen Ausflüge an öffentlichen Plätzen oder treffen sich zum Stelldichein, schließlich bleibt der Erzähler sogar wenig diskret über Nacht in der ehelichen Wohnung. Nachbarn und Vermieter horchen auf, Marthe wird allgemein geächtet - Gerüchte dringen aber wie durch ein Wunder nicht an die Familien von Braut und Bräutigam heran, so dass das unmoralische Treiben immer ungehemmter ausgelebt werden kann.
    Radiguet lässt uns nur an der männlichen Perspektive teilhaben, die für ihre Zeit allein deshalb revolutionär gewesen sein dürfte, weil über Sex und Körperlichkeit relativ freizügig und anregend reflektiert wird. Ich hatte insgesamt ein persönliches Problem mit dem Protagonisten, der uns tief in seine chauvinistische Gedankenwelt blicken lässt. Wenn man sich vom feministischen Standpunkt löst, wird man dem Roman wahrscheinlich deutlich mehr positive Seiten abgewinnen können.

    Der Schreibstil wirkt absolut authentisch für einen jungen Erzähler, der stolz auf seine unermessliche Libido ist. Radiguet baut zudem zahlreiche Metaphern in seinen Text ein, deren Ton ich eher als jugendlich-lässig denn als poetisch charakterisieren würde. Er kann aber die extremen Gefühlswallungen, Zweifel und Bedürfnisse des Jungverliebten sehr differenziert ausdrücken. Marthes Perspektive bleibt leider nur ein Schatten im Hintergrund, wir erfahren wenig über sie. Insbesondere hätte mich interessiert, was sie außer der kriegsbedingten Einsamkeit an dem Verhältnis reizt.

    Der Übersetzung von Hinrich Schmidt-Henkel, dem es offenbar gelungen ist, diesen besonderen, hoch gelobten Ton Radiguets in die deutsche Sprache zu übertragen, muss man große Anerkennung zollen. Auch Anmerkungen und Nachwort des Übersetzers bieten interessante Informationen, die zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit dem Klassiker einladen. Die Neuauflage des Bielefelder Pendragon Verlages ist ein wahrer Schatz für Buchliebhaber. Neben der haptisch ansprechenden Gestaltung des Hardcovers (mit Illustrationen und Lesebändchen) gehören auch Gedichte, Erinnerungen und Briefe dazu, die einladen, den früh verstorbenen Autor besser kennenzulernen.

    Ein Buch, das man unbedingt vor dem Hintergrund seiner Entstehungszeit rezipieren muss und das Literaturkritiker als Meisterwerk einordnen.

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  1. Von einem, der zu früh auszog

    Zugegeben, die Gestaltung dieses Romans, der posthum 1923 das erst Mal erschien und nun im Pendragon Verlag zu lesen ist, zeugt von liebevoller Gestaltung. Die Zeichnungen des einstigen Weggefährten Jean Cocteau liegen wie kleine Versöhnungspausen im Text, der mit Briefen und Gedichten einen tröstenden und erklärenden Abschluss findet. Hinrich Schmidt-Henkel hat hier all sein Können mit einer gut lesbaren Neuübersetzung unter Beweis gestellt. So weit, so gut.

    Was uns aber der jung verstorbene Autor, er wurde nur 21 Jahre, hier für eine Geschichte vorlegt, testet, selbst mit unseren heutigen liberaleren Vortsellungen, die Grenzen des Laissez-Faire aus und ließ mich den Weg vom verzeihungswürdigem Jungspundtum, über das kritische Kopfschütteln angesichts von menschenverachtenden Überschreitungen, bis hin zu erschrockenem Wegschauen, in allen bemerkenswerten Schritten gehen. Umso mehr, weil im Nachwort klar wird, dass der Autor diesen Roman im Alter von nur 17 Jahren verfasste und starke autobiografische Züge aufweist. Es bleibt natürlich reine Spekulation, ob es diese Liebe auch im wirklichen Leben des Radiguet gegeben hat, doch sicherlich dürfen wir dahinter zumindest eine Wunschvorstellung vermuten.

    Nun, der 15jährige Francois beginnt eine Liebesbeziehung mit der 18jährigen Marthe. Der Skandal liegt nicht im Altersunterschied, sondern darin, dass Marthe bereits verheiratet ist. Ihr Gatte kämpft an der Front im 1. Weltkrieg. Der Jüngling weiß was er will, aber auch die ältere Geliebte ist nicht abgeneigt und bereitet ihrem Seitensprung den Weg. Nachbarn und Vermieter, die von der Beziehung Wind bekommen, werden getäuscht, oder ignoriert. Vor den Eltern wird alles geheim gehalten, doch auch sie erfahren bald von den Abenteuern ihres Sprößlings. Stolz und Gelassenheit kennzeichnen zunächst ihre Reaktionen, doch als es zum Äußersten kommt, versucht man dem jungen Heißsporn ins Gewissen zu reden.

    Wegweisend für den Handlungslauf sind allerdings Francois Aufs und Abs seiner Gefühle, seine bis ins Absurde gesteigerte Gedanken, die ihm sogar einflüstern wollen, er wäre ermächtigt, Marthes Mann aufzufordern, ihren gemeinsamen Schatz besser zu hüten. Er schafft es erstaunlicherweise doch nur zum Diktat der Briefe, die Marthe an die Front schickt. Seine teuflischen Einmischungen wurden schon in seiner letzten Schule deutlich, doch mit diesem Husarenstück meint er endgültig die Macht über sein Schicksal zu haben, bis ihm das wahre Leben dazwischenfunkt.

    Sich keiner Schuld bewusst, schiebt er die besonderen Zeiten des Krieges, seine jugendlichen Triebe, seine überlegene Intelligenz und seinen außerordentlichen Mut, der durch keine elterlichen Erziehungsmaßnahmen Einhalt geboten wurde, diesem Abenteuer vor. Die Perspektiven seiner Opfer fehlen in diesem Roman gänzlich, dem Ende gehen Einsicht und Lehre ab.

    Der juvenile, hormondurchströmte Plot lässt vielleicht erahnen, wozu Raymond Radiguet noch imstande gewesen wäre, wenn ihm die Zeit vergönnt gewesen wäre, so aber bleibt dieser Roman Zeuge für die Vorlieben der Skandalhungrigen jener Zeit und Schaustück für ein jäh geendetes Künstlerleben.

    Ich vergebe dreieinhalb Sterne, weil der Verlag es echt schön gemacht hat.

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