Das verborgene Wort

Buchseite und Rezensionen zu 'Das verborgene Wort' von Ulla Hahn
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das verborgene Wort"

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:608
EAN:9783328105404

Rezensionen zu "Das verborgene Wort"

  1. 5
    31. Jan 2022 

    Kath. Niederrhein trifft auf verdammt intelligentes Mädchen

    Ulla Hahns “Das verborgene Wort” ist ein Roman mit unverkennbar autobiografischen Zügen, der es vermag, die LeserInnen mitzunehmen in die Welt, von der er erzählt. In dieser Welt wächst Hildegard Palm in den 50er/60er Jahren es 20. Jahrhunderts auf in einer Familie, mit der sie sehr wenige Gemeinsamkeiten teilen kann. Der Vater, nicht immer ganz friedlich, ist stolzer Prolet und weit davon entfernt, etwas anderes sein zu wollen. Die Familie baut ihr Leben auf den Regeln und den Traditionen des Katholizismus auf. Die Sprache, die gesprochen wird, ist der Dialekt der Gegend: das Kölsche. Es ist auch zu einem großen Teil die Sprache des Buches, so dass der Leser sich oft etwas mühsam durch diese ungewohnten Worte kämpfen muss. Das aber trägt ganz wesentlich auch zum authentischen Charakter des Geschriebenen bei.
    Hildegards Liebe zu den Worten erwacht schon im frühen Kindesalter, gefördert allein durch den etwas freigeistigeren Großvater, der sie mit Buchsteinen aus dem Rhein zu Neugier auf Geschriebenes erzieht. Hildegard pflegt diese Liebe auch in der Schulzeit mit Heften, in denen sie akribisch schöne Worte und Ausdrücke sammelt. Und mühsamst und akribisch lernt sie, sich hochdeutsch auszudrücken, sich innerlich dabei immer weiter entfernend von ihrer Familie und Familientradition.

    „Das, wovon ich hoffte, es würde mir ihre Anerkennung, womöglich gar ihre Liebe eintragen, die Leistung, entfernte mich von ihnen; was mich ihnen näherbringen sollte, brachte mich immer weiter von ihnen weg.“

    Dass sie sich damit innerlich immer weiter von ihrer Familie entfernt, ändert nichts daran, dass das Familienleben und die kleinstädtische Gemeinschaft mit ihren Klassenkameraden und Nachbarn weiterhin ihr Leben komplett dominieren und sie in einer Enge festhalten, der sie nur in Gedanken und in der Einsamkeit kleiner Auszeiten hinter der Scheune oder am Ufer des Rheins entfliehen kann.
    Gegen die Widerstände der Eltern und mit Hilfe weniger einsichtsfähiger Lehrer schafft sie es, eine ansehnliche Schulausbildung zu bekommen. In der erwachenden Pubertät findet sie einige Jungen, die zeitweise zu einem Partner werden, aber immer gibt es das Problem, dass Hildegard für diese eigentlich zu klug und nicht engstirnig genug ist, um dem gewünschten Frauenbild zu entsprechen.
    In der Ausbildung als Sekretärin arbeitet sich Hildegard schließlich ab am Einzwängen der Wörter und Sprache in Geschäftsbriefe und -akten. Und immer merkt der Leser: Hier ist jemand am falschen Ort und muss unbedingt noch einen Ausweg aus diesem Umfeld finden.
    Ulla Hahn hat in drei weiteren Romanen das Schicksal Hildegards weiter beschrieben. Die Reise geht also weiter
    Mein Fazit:
    Selten hat mich ein Buch so vollständig in seine Welt abholen können. Ulla Hahn entführte mich hier in eine Welt, die einerseits meiner eigenen in so Vielem ähnelte (Räumlich und zeitlich wuchs ich nicht so arg weit entfernt von Hildegard, ebenfalls streng katholisch auf.), die mir aber gleichzeitig so ungemein exotisch und fremdartig erschien. In diesem Einerseits-Andererseits liegt vieles vom Reiz des Romans für mich verborgen. Ich konnte sehr intensiv mit Hildegard mitleiden an der Engstirnigkeit des deutschen/niederrheinischen Alltags in der frühen 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts.
    Dieses Buch sollte man gelesen haben! Natürlich 5 Sterne!

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