Das synthetische Herz: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Das synthetische Herz: Roman' von Chloé Delaume
4.35
4.4 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das synthetische Herz: Roman"

Adélaïde Berthel ist sechsundvierzig und frisch geschieden. Ein längst überfälliger Schritt, ihr Eheleben war zuletzt eine Ödnis, sie braucht einen Neuanfang. Es wird sicher nicht lange dauern, bis sie wieder in festen Händen ist. Allerdings entpuppt sich der Beziehungsmarkt als brutales Schlachtfeld. Die meisten Männer sind verheiratet – oder sie suchen nach etwas Jüngerem. Adélaïde Berthel muss sich mit dem Gedanken auseinandersetzen, dass Frauen ihres Alters nicht mehr die besten Karten haben. Besessen von der Idee, möglichst schnell einen Partner zu finden, schlittert sie zielsicher von einer Katastrophe zur nächsten. Gleichzeitig macht sie sich Vorwürfe, dass sie mit ihrem Singlestatus nicht so souverän umgeht, wie man es eigentlich von einer modernen, unabhängigen Frau erwarten könnte. Aber die Statistiken sprechen gegen sie. Es gibt mehr Frauen als Männer, und Männer sterben zuerst …

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:160
Verlag: Liebeskind
EAN:9783954381432

Rezensionen zu "Das synthetische Herz: Roman"

  1. 3
    16. Okt 2022 

    Klischee statt Satire

    Gibt es für Hetero-Frauen eine Alternative zur Hetero-Partnerschaft bzw. -ehe? Das Feuilleton schwärmt und hält den Roman für "hochkomisch" und "beißend".

    Ich fand ihn eher deprimierend und war sehr befremdet über die Protagonistin , die sich obsessiv auf die Suche nach einem neuen Partner begibt, nachdem sie sich entschlossen hat, aus ihrer Ehe auszusteigen. Sie findet aber, obwohl erst 46 und attraktiv, keinen Partner, weil Männer angeblich nur jüngere Frauen wollen und wenn nicht, ansonsten bekanntlich sind wie Toiletten, entweder beschissen oder besetzt. Die konsumistischen Vokabeln, die die patriarchale Sichtweise abbilden sollen, wirkten auf mich nicht satirisch, sondern ärgerlich. Sie demaskiert diese Anschauung nicht, sondern übernimmt sie.

    Ziemlich treffend und humorig wird hingegen die grundlos positive Sicht übergewichtiger Männer auf ihren Körper beschrieben. Auch die Verlagswelt, in der die Protagonistin als Pressefrau arbeitet, kommt authentisch und interessant rüber; eine Welt, in der um Preise und Medienpräsenz gerungen wird und Qualität nachrangig ist. Sprachlich gefiel mir der Roman ebenfalls ganz gut, Delaume formuliert knapp und pointiert.

    Die Protagonistin erlebt drei Enttäuschungen und gibt bald die Suche auf, um sich eine Katze anzuschaffen und fortan in einer WG mit ihren Freundinnen zu leben. Und dort lebten sie glücklich bis an ihr Ende, denn das einzig Wahre ist die weibliche Solidarität.

    Das kommt mir so dermaßen naiv und klischeehaft vor, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll mit mich aufregen.

    Satire soll durch Überzeichnung entlarven – Delaume reproduziert lediglich Klischees. Am Ende wird sie sehr deutlich, für den Fall, dass frau noch nicht verstanden hat, was sie rüberbringen will: „Einzig Freundschaft und Schwesternschaft bewahren uns vor dem Abgrund.“

    Schön wär´s.

    Teilen
  1. Ironisch geschilderte Lebensrealität einer 46-jährigen Frau

    Adelaide hatte nie Schwierigkeiten, einen Mann zu finden. Seit der Pubertät war sie im Grunde eines nie: unbemannt. Die letzten 10 Jahre war sie sogar verheiratet. Doch dann wurde ihr Gatte Elias zu langweilig und zu gewohnt, so dass sie ihn verließ. Nun sitzt sie in einer kleinen, 35 Quadratmeter kleinen Wohnung in Paris und wundert sich, dass ihr Leben in diese übersichtliche Bleibe passt.

    Adelaide fühlt sich vom Ehejoch befreit und möchte schnell wieder ihren Jagdinstinkt ausleben, sie kann nicht alleine sein. Sie sehnt sich nach einem Begleiter, malt ihn sich in den schönsten Farben aus. Leider hält die Realität mit dem Fantasiemann nicht Schritt. Für die attraktiven Männer scheint sie unsichtbar und zu alt zu sein – diese Erkenntnis schmerzt. Im Verlauf der 156 Seiten muss Adelaide so manche Enttäuschung verkraften. Herrlich sind die Kommentare der allwissenden Erzählinstanz: „Dies ist die Geschichte einer Rose, die noch nicht weiß, dass sie zum Mauerblümchen wird. Adelaide Berthel ist eine Frau wie viele andere. Für die mit sechsundvierzig Jahren das Ende der Mädchenträume eingeläutet wird.“ (S. 12) Der Erzähler hat stets einen distanziert-ironischen Blick aufs Geschehen. Er verkündet harte Wahrheiten, überspitzt zuweilen oder schaut in die nahe Zukunft.

    Zum Glück kann Adelaide auf einen festen, treuen Stamm an alten Freundinnen zurückgreifen, die zwar ziemlich unterschiedliche Charaktere und eigene Marotten haben, aber dennoch fest zusammenhalten. Sie tun alles, was in ihrer Macht steht, um Adelaide wieder einen adäquaten Mann zu beschaffen.
    Eine weitere Freude sind die Einblicke, die man als Leser in den Literaturbetrieb erhält. Die Protagonistin ist nämlich in einem kleinen feinen Verlagshaus als Pressefrau beschäftigt. Sie betreut mehrere, im Temperament sehr unterschiedliche und mehr oder minder exzentrische Schriftsteller, denen sie zum Erfolg verhelfen soll. Zum Kugeln sind die Titel ihrer Werke: Das Wimmern des Küchenweckers, Das Monopoly der Schmerzen, Ich wohne in meinem Kühlschrank, Die Welt des Käses uvm. Diese Titel passen einfach perfekt in diese aufgeplusterte, wichtige Verlagsatmosphäre, in der Männer das Sagen haben – schallendes Gelächter!

    Chloe Delorme schreibt mit so viel Esprit, dass es eine Freude ist! Sie verpackt Adelaides Last mit dem Älterwerden originell und humoristisch, ohne dass ihr der Tiefgang abhandenkommt. Die Sätze sind kurz und schnittig, fast wie eine Echtzeit-Reportage verfasst. Die Erzählinstanz wirft auch kritische Fragen auf, lässt Raum zum Nachdenken. Ich habe das Buch regelrecht verschlungen. Ein rundum gelungener kleiner Roman! Neugierig werde ich das weitere Schaffen der Autorin verfolgen. Unbedingt lesen!

    Teilen
  1. 5
    22. Feb 2022 

    Frauen in der Gesellschaft

    Während ich vor Kurzem den Roman „Das synthetische Herz“ von Chloé Delaume gelesen habe, fiel mein Blick auf einen Kommentar der französischen Tagesszeitung Le Monde, der auf dem Buchumschlag dieses Romans zu finden ist.
    „Eine hochkomische Gesellschaftsposse, die einem noch lange nachgeht.“
    Mein spontaner Gedanke zu diesem Ausspruch: Das kann doch nur ein Mann von sich gegeben haben!

    Denn aus der Sicht einer Leserin ist dieser Roman definitiv nicht „hochkomisch“, was die Qualität dieses Buches keinesfalls schmälert. Sicherlich wird der Roman „(einem) einer noch lange nachgehen“, was aber nicht an der Komik liegt, sondern an der schwierigen Antwort auf die Frage: „Wie sieht ein erfülltes Frauenleben aus?“ Es ist also ein Buch, das Frau nachdenklich stimmt – den einen oder anderen Mann hoffentlich auch.

    Ein übergeordneter Erzähler erzählt die Geschichte von Adélaïde, zu Beginn des Buches 46 Jahre alt, frisch geschieden und soeben in eine eigene Wohnung in Paris gezogen. Sie lebt das erste Mal seit etlichen Jahren, diversen Beziehungen und Ehen allein. Adélaïde ist Pressemitarbeiterin eines Verlages – dieser Aspekt sorgt im Übrigen für ein gewisses Maß an Komik, denn Leser, die als Blogger, Journalist oder Verlagsmensch unterwegs sind, wird einiges am Berufsleben von Adélaïde bekannt vorkommen.
    Adélaïdes optimistische Aufbruchsstimmung nach ihrer Scheidung schlägt schnell ins Gegenteil um. Denn bereits nach wenigen Tagen stellt sie fest, dass sie mit 46 Jahren „unsichtbar“ geworden ist. Das Spiel der Partnersuche findet ohne sie statt. Fatal für eine Frau wie Adélaïde, die nicht allein leben kann und will. Denn
    „Adélaïde Berthel ist eine Frau wie viele andere. Sie braucht es, dass man sie liebt, um zu spüren, dass sie existiert.“
    Also versucht sie, sich wieder zurück ins Spiel zu bringen. Dabei erhält sie Unterstützung von ihren vier Freundinnen, die ihr mit Rat und Tat zur Seite stehen, sie trösten, sie aber auch kritisieren. Diese vier Frauen verkörpern die unterschiedlichsten Frauentypen: berufstätige Ehefrau und Mutter – exzentrische Single-Schriftstellerin – lesbische Kunstprofessorin – Tinder-affine Bankerin.
    Der Roman beschreibt den Entwicklungsprozess von Adélaïde. Anfangs steht ihre Angst vor dem Alleinsein und ihrer Besessenheit, einen Mann finden zu müssen im Mittelpunkt. Diese Angst macht sie kompromissbereit und sie trifft auf Männer, die sie sich schönredet. Und egal wie viele Frösche sie küsst, Frosch bleibt Frosch und den Prinzen gibt es nicht.
    Aber gibt es ihn vielleicht doch? Denn der auktoriale Erzähler lässt alle Möglichkeiten offen. Er erzählt Adélaïdes Geschichte als Chronik ihrer Entwicklung und erweist sich gleichzeitig als Visionär, der prophezeit, wie sich ihr Leben entwickeln wird oder entwickeln könnte. Dadurch zeigt er die unterschiedlichsten Möglichkeiten und Lebensentwürfe auf, die sich für eine Frau in unserer Gesellschaft ergeben und die am Ende zu einem erfüllten Leben beitragen könnten. Frau hat es selbst in der Hand.
    Auch wenn in meinem Text etliche Trigger auftauchen, die den Verdacht nahelegen, dass es sich hierbei um ein seichtes Frauenromänchen halten könnte, ist dem nicht so. Ich gebe zu, dass eine Protagonistin ihrer Altersklasse, die krampfhaft auf der Suche nach dem Prinzen ist und dabei von illustren Freundinnen unterstützt wird, eine Steilvorlage für die Einordnung in ein triviales Genre bietet. Doch „Das synthetische Herz“ ist alles andere als trivial.
    Es ist ein origineller, nachdenklich stimmender, manchmal auch komischer Roman, der einen wunden Punkt bei Frauen unserer Gesellschaft trifft. Denn die Angst vor dem Alleinsein und die Zweisamkeit als ultimative Lebensform anzustreben, ist uns Frauen anerzogen. Es bedarf Bücher wie diesem, die uns in dieser Gelähmtheit wachrütteln.
    Die Autorin hat für „Das synthetische Herz“ in 2020 den Prix Medicis erhalten, ein französischer Literaturpreis, der an junge vielversprechende und originelle Autoren sowohl französischer als auch fremdsprachiger Literatur vergeben wird. Zu Recht! Ich bin sicher, da geht noch mehr und freue mich auf das, was von Chloé Delaume noch kommen wird.

    © Renie

    Teilen