Das Schweigen meiner Freundin: Roman
Der Roman beginnt sehr stimmungsvoll: Giulia, 60 Jahre, muss sich mit ihrem baldigen Tod arrangieren und ihre Dinge regeln. Dazu reist sie an einen besonderen Ort ihrer Kindheit, um dort Frieden mit der Liebe ihres Lebens zu schließen – was nicht gelingt. Aber sie erzählt uns ihre Geschichte.
Dazu geht sie 50 Jahre in die Vergangenheit zurück und erzählt von ihrem ersten Zusammentreffen mit Cristi, der Enkelin einer Nachbarin, und der scheuen Liebesbeziehung, die sich entwickelt. Mattia, Sohn einer Aushilfsarbeiterin, kommt dazu, und in dem spannungsvollen Gefüge dieser drei Menschen spielt sich die Handlung ab.
Cristi übt eine merkwürdige, irrationale Faszination auf Giulia aus. Im Unterschied zu Giulia kommt sie aus eher ungeordneten Verhältnissen, sie ist ungepflegt, vernachlässigt, unterernährt, eigensinnig. Sie ist eine Einzelgängerin, die sich vergeblich nach der Liebe ihrer Mutter sehnt, und bis zum Ende der Handlung verweigert sie sich jeder Rücksichtnahme und jeder Bindung. Sie lügt, ist unzuverlässig, sie nutzt Giulias Liebe und andere Menschen aus, verschwindet und taucht plötzlich wieder auf. Giulia beendet trotz dieser belastenden Liebesgeschichte zielstrebig und pragmatisch ihr Jura-Studium, aber sie leidet unter der Dreiecks-Situation. Diese Dreiecks-Beziehung eskaliert durch die Tatsache, dass alle drei aus unterschiedlichen Gründen wieder in das Dorf ihrer Kindheit zurückziehen.
Das dramatische Grundgerüst des Romans besteht aus der lebenslangen Liebe von Giulia und Mattia zu Cristi. Als Leser fragt man sich allerdings, wieso die beiden ihr Leben nicht auch ohne diese irrlichternde Cristi auf die Reihe gebracht haben. Wäre das nicht realistischer gewesen als diese lebenslange Obsession? Wird das Motiv der einzigen großen Liebe nicht etwas überstrapaziert?
Der Roman besticht durch den ruhigen und wohlüberlegten Erzählton, in dem die Handlung dahinfließt. Giulia Badelli erzählt chronologisch und verzichtet auf literarische Experimente. Sie entscheidet sich für eine traditionelle chronologische Erzählweise, wobei sie ihre Namensvetterin Giulia zur Erzählinstanz macht und damit die Handlung sehr nahe an den Leser heranrückt. Der Leser mitempfindet Giulias Zweifel und ihre Ängste, kann ihre widersprüchlichen Gefühle nachvollziehen und er hat teil an ihrer bitteren Erkenntnis, in bester Absicht eine falsche Entscheidung getroffen zu haben. Dazu kommt Baldellis immer klare und unaufgeregte Sprache, die von der Übersetzerin sehr schön ins Deutsche übertragen wurde.
Ein lesenswerter Roman, ein erstaunliches Debut. Ich freue mich auf den nächsten Roman der Autorin.
4,5/5*
Eine wahre Achterbahn an Empfindungen
Klappentext:
In einem Sommer lernen Giulia und Cristina sich als Kinder kennen. Die pragmatische und rationale Giulia ist schnell fasziniert von Cristi, die fragil wirkt und kaum redet. Das jüngere Mädchen löst in ihr Gefühle aus, von denen sie nichts ahnte. Umso entsetzter ist sie, als ein fremder Junge, Mattia, Cristis Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ebenso eifersüchtig wie verzweifelt beobachtet sie die Annäherung zwischen den beiden. Die Beziehung zu Cristi bleibt ein Balanceakt. Auch als junge Frau verschwindet sie immer wieder aus Giulias Leben – und schweigt. Längst weiß Giulia, dass ihre Freundin die größere Verbundenheit zu Mattia empfindet. Um sie nicht ganz zu verlieren, lässt sie zu, dass Cristi in einer bedrohlichen Situation eine ebenso einsame wie fatale Entscheidung fällt. Erst Jahre später, als alle in dem Ort ihrer Kindheit wieder aufeinandertreffen, erkennt Giulia ihren Fehler.
Meine persönlichen Leseerlebnisse
Schon ab den ersten Seiten denke ich, oh je, was ist das denn für eine Geschichte! Ich hätte den Roman auch abgebrochen, wenn ich diesen nicht gewonnen hätte. Die überaus positiven Rezensionen waren dann ein weiterer Grund nicht aufzugeben, und das Lesen wurde ein Wechselbad aus Ablehnung und Hoffnung, dass das Buch doch noch was hergibt.
Meine anfängliche Ablehnung hat sich mit der Zeit etwas gelegt. Die Langeweile der ersten 150 Seiten wird dann durch rasante, aufeinanderfolgende Momente abgelöst. Es geht zu wie auf einer Passstraße mit tauschend Kehren. Eine besondere Wendung jagt die andere, ich habe gar keine Zeit mich auf die Neuigkeit einzustellen, schon rauscht die nächste daher. Das ist mir eindeutig zu viel und kommt mir schon grotesk vor. Dennoch liegt es im Ermessen der Autorin ihr Buch so zu gestalten, wie sie es für die Handlung sinnvoll hält und die vielen Superbewertungen geben ihr recht.
Für mich tritt wieder einmal jene Situation ein, in der ich mich frage, wie ich mit meinen Lesevorstellungen so komplett daneben liegen kann. Die Handlung trieft vor Gefühlsbeschreibungen, eine wahre Achterbahn an Empfindungen, die für mich aber nicht mit dem Begriff Freundschaft vereinbar sind. Die Handlung empfinde ich total überladen und sie wirkt auf mich vollkommen unrealistisch. Obwohl Giulia dauernd redet, bleibt mir eine verständliche Erklärung der Romanfigur verwehrt. Sie scheint selbst nicht zu wissen, warum sie einen derartigen Drang nach Nähe zu Cristi verspürt. Soll es Liebe sein oder reduziert es sich auf sexuelles Verlangen oder ist das Obsession? Ist das alles normal? Als rationell denkende, erfolgreiche Anwältin müsste und dürfte sie durchaus in der Lage sein, den von Cristi gewünschten Abstand zu akzeptieren. Denn so interpretiere ich Cristis Schweigen, nur so macht ihr Verhalten irgendwie Sinn und umso sinnloser ist Giulias verzweifelte Illusion einer „Freundschaft“.
Ich lese also tapfer weiter und endlich, etwas mehr als die Hälfte des Romans habe ich hinter mir, fühle ich mich etwas versöhnt und bin zuversichtlich, den überaus positiven Bewertungen irgendetwas abgewinnen zu können. Doch die letzten 50 Seiten des Romans toppen wirklich alles was man an Herz-Schmerz, Drama und Kitsch nur übertreffen kann. Oh mein Gott! 2,5 Sterne