Das russische Testament: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Das russische Testament: Roman' von Shumona Sinha
4.5
4.5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das russische Testament: Roman"

Tania wächst in den 1980er Jahren in Kalkutta auf. Ihren russischen Vornamen hat sie von ihrem Vater, der eine kleine Buchhandlung betreibt. Von ihrer Mutter ungeliebt und auch von ihm nicht beschützt, findet sie Zuflucht in Büchern. Im kommunistischen Westbengalen ist die russische Kultur überall, und so verschlingt Tania erst russische Kinderbücher und träumt später von der Welt Tschechows und Gorkis. Erst als Studentin gelingt es Tania, sich von ihrer Familie zu befreien und ihrer Sehnsucht nach der fremden Kultur zu folgen: Fasziniert spürt sie dem Schicksal des jüdischen Journalisten und Verlegers Lew Kljatschko nach, der seinen Verlag Raduga in der Stalinzeit schließen musste und nur dank einer Intervention Maxim Gorkis dem Todesurteil entging. Bei Raduga waren in den 1920er Jahren surrealistische, unideologische Bücher für Kinder und Erwachsene erschienen, übersetzt in die ganze Welt, so auch ins Bengalische. Kljatschko starb schon 1933, doch Tania nimmt Kontakt zu seiner inzwischen über achtzigjährigen Tochter auf, die in einem Altenheim in Sankt Petersburg lebt, und die beiden ungleichen Frauen, die doch ähnliche Kämpfe durchlebt haben, nähern sich einander an. Kraftvoll, poetisch und farbenreich erzählt Shumona Sinha von drei Menschen im Bann der Literatur, die für sie nichts weniger als Freiheit bedeutet.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:184
EAN:9783960542605

Rezensionen zu "Das russische Testament: Roman"

  1. Zwei Frauen, zwei Länder und die Kraft der Literatur

    „Sie entdeckte die aufregende Grenze zwischen Wirklichkeit und Erfindung, zwischen dem, was geschrieben steht und dem, was noch geschrieben werden wird, die Lust am Unvollendeten.“ (Zitat Seite 33)

    Inhalt
    Tanias Vater ist Buchhändler in Kalkutta und verkauft internationale Literatur, die ins Bengali übersetzt worden war. Da ihre Mutter sie ablehnt, zieht sich Tania schon in ihrer Kindheit in die Welt der Bücher zurück. Immer wieder sind es Bücher von russischen Autoren und in jedem der Bücher findet sie die Adresse der Verlage Raduga und Progress, Subowski Bulvar, Moskau. Als Studentin beginnt Tania mit genauen Recherchen auf den Spuren des Raduga Verlages und des Verlegers und Schriftstellers Lew Kljatschko. Am Institut für russische Sprache und Literatur lernt sie Russisch und schreibt einen Brief an die Adresse des Verlages. Doch der Verlag musste schon 1930 unter Stalin schließen, Lew Kljatschko starb nur wenige Jahre später. Der Brief jedoch gelangt nach Boston, zur Enkelin des Verlegers. Diese schickt den Brief weiter an ihre Großmutter Adel, die in einem Altersheim in St. Petersburg lebt. „Ich weiß nicht, wie mich diese junge Frau ausfindig gemacht hat. Ich bin erstaunt über die Entschlossenheit, mit der sie über drei Kontinente hinweg die unsichtbaren und meist längst vergessenen Punkte verbunden hat.“ (Zitat Seite 11, 12)

    Thema und Genre
    In diesem Roman geht es um Unterdrückung, Politik und den Wunsch nach Freiheit gegen alle Widerstände. Vor allem jedoch geht es um Bücher und die Kraft der Literatur.

    Charaktere
    Zwei Frauen und ein Mann: was sie trennt ist mehr als ein halbes Jahrhundert und mehr als sechstausend Kilometer Luftlinie. Auch die unterschiedlichen, persönlichen Erfahrungen mit der Ideologie des Kommunismus trennen die Welten dieser Menschen, denn Adels freidenkender Vater riskierte unter der Zensur und den Bespitzelungen der Stalinzeit sein Leben, Tania dagegen schloss sich als junge Studentin in Kalkutta den Aktivisten der kommunistischen Studentenbewegung an. Was sie eint, sind Bücher, die Liebe zur Literatur, Maxim Gorki und die Suche nach einem freien, selbstbestimmten Leben.

    Handlung und Schreibstil
    Dieser Roman erzählt zwei voneinander unabhängige Geschichten. Eine Geschichte schildert die Kindheit und Jugend Tanias in den 1980er Jahren in Kalkutta, die personale Erzählform stellt Tania in den Mittelpunkt. In der zweiten Geschichte schildert die Russin Adel Kljatschko als Ich-Erzählerin ihr Leben, vor allem jedoch ihre Erinnerungen, in deren Mittelpunkt die Geschichte ihres Vaters steht. Die Sprache der Autorin ist lebhaft, eindrucksvoll und präzise.

    Fazit
    Eine ungewöhnliche Geschichte, getrennt durch ein halbes Jahrhundert und mehr als sechstausend Kilometer, verbunden durch die Liebe zur Literatur und den Wunsch nach persönlicher Freiheit.

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  1. 4
    03. Okt 2021 

    Zwei Kulturen und die Literatur

    Mit „Das russische Testament“, hat die französische Autorin Shumona Sinha ein interessantes Stück multikultureller Literatur geschrieben. Die Autorin ist in Kalkutta geboren, lebt sei 20 Jahren in Frankreich, ist Herausgeberin mehrerer Lyrikbände auf Bengalisch und Französisch und erzählt in ihrem aktuellen Roman über russische Literatur und einem russischen Verlag im Besonderen, eingebunden in die Geschichten zweier Frauen: einer Inderin und einer Russin.

    Tania, ein junges Mädchen, wächst in den 80er Jahren in Kalkutta auf. Ihr Vater betreibt eine kleine Buchhandlung, die auf russische Literatur spezialisiert ist. Tania hat das Pech, als Mädchen geboren zu sein und keinen Bruder zu haben. Grund genug für die Mutter, ihr das Leben unerträglich zu machen. Tanias Zuflucht vor ihrem Leben zuhause sind die russischen Bücher, in denen sie sich in dem Laden ihres Vaters verliert.

    Nach der Schule beginnt Tania ein Literaturstudium und wird sich dabei politisch engagieren. Eine kommunistische Studentenbewegung bietet ihr zunächst die Familie, die sie bisher nicht hatte. Sie führt ein Leben, das ihren Eltern unbekannt bleibt, was natürlich auf Dauer in einem Land mit einer Kultur, die Frauen ein selbstbestimmtes Leben verweigert, nicht gut ausgehen kann.

    Die einzige Zuflucht vor der Realität ist und bleibt für Tania die Literatur.

    Während ihres Studiums lernt Tania die Bücher eines kleinen russischen Verlages - Raduga - kennen und schätzen. Die Geschichte des Verlages, der in den 20er Jahren Bücher veröffentlicht hat, die weder ideologisch noch realitätsbezogen waren und somit auf Dauer gegen die Vorgaben der Stalin Regierung verstießen, fasziniert Tania. Sie verbringt viel Zeit damit, Nachforschungen über den Verlag und seinen Verleger, der 1933 starb, anzustellen. Sie nimmt Kontakt zu der inzwischen über 80-jährigen Tochter (Adel) des Verlegers auf, die in einem Altenheim in Sankt Petersburg lebt und bittet sie um Unterstützung bei ihren Recherchen.

    Adel erinnert sich an ihre Kindheit und das Schicksal ihres Vaters Lew Kljatschko, Journalist und Verlagsgründer des russischen Verlages Raduga. Kljatschko kämpfte zeitlebens darum, die Unabhängigkeit seines Verlages in einem Land zu bewahren, dessen damalige Ideologie jegliche Phantasie und Schönheit ersticken wollte. Am Ende verlor er diesen Kampf.
    Adel spinnt den Erzählfaden weiter. Denn die Geschichte des Verlages und ihres Vaters ist auch ihre eigene Geschichte, die sich nach seinem Tod 1933 fortsetzt, eingebettet in einen historischen Rahmen: vom Stalinismus bis hin zur heutigen Zeit.

    "In meiner Kindheit habe auch ich meinen Körper unter den farbenfrohen Büchern versteckt. Ich will nicht, dass man die alte Decke aus kunstvoll gewebten Lügen lüftet. Es gibt nichts Schlimmeres, als eine zarte Seele dieser zerstörten, eisigen Welt auszusetzen, die kein Strahl eines Traums mehr wärmt."

    "Das russische Testament" ist ein wundervolles Stück Literatur, das in einem poetischen und bildhaften Sprachstil erzählt wird. Die Autorin lässt den Leser in fremde Kulturen eintauchen und erzählt dabei in separaten Handlungssträngen die Geschichte von zwei Frauen, deren einzige Verbindung die Literatur zu sein scheint. Einziger Makel an diesem Buch: Die Motivation der Protagonistin Tania für ihr Interesse an dem russischen Verlag und seinem Verleger bleibt vage. Dennoch sind die beiden Handlungsstränge - jeder für sich genommen - unglaublich faszinierend, so dass ich diesen Roman sehr gern gelesen habe.

    Leseempfehlung!

    © Renie

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