Das Rätsel der Schamanin

Rezensionen zu "Das Rätsel der Schamanin"

  1. Spannend, informativ!

    Zu den Autoren (Quelle: Verlag)::
    Harald Meller, geboren 1960 in Olching, ist Direktor des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle an der Saale und Landesarchäologe von Sachsen-Anhalt. Meller gehört zu den prominentesten Archäologen Europas und den international profiliertesten Ausstellungsmachern und berät weltweit Museen.

    Kai Michel, geboren 1967 in Hamburg, ist Historiker und Literaturwissenschaftler. Er hat von GEO über Die Zeit bis zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung für die großen deutsch- sprachigen Medien geschrieben. Gemeinsam mit dem Archäologen Harald Meller legte Kai Michel den Bestseller Die Himmelsscheibe von Nebra vor. Er lebt als Buchautor in Zürich und im Schwarzwald.

    Mein Lese-/Höreindruck:

    Eigentlich sind die Landesgartenschau in Bad Dürrenberg, geplant für 2024, und die Umgestaltung des Kurparks schuld. Im Bereich dieses Kurparks liegt nämlich ein 9000 Jahre altes, steinzeitliches Grab, das bereits 1934 ausgegraben wurde und schon damals wegen seiner überreichen Grabbeigaben für Aufsehen sorgte. Wegen der geplanten Neugestaltung des Kurparks fand nun eine Nachgrabung statt, und deren Ergebnisse legt das Autorenduo Meller und Michel vor. Dazu nutzen sie die Elemente des Kriminalromans: sie sprechen von einem „cold case“ gehen investigativ vor, stellen Hypothesen auf und verwerfen sie wieder, und der Leser verfolgt gespannt den Gang der Entdeckungen.

    Es ist tatsächlich eine außerordentliche Geschichte, die der Leser erfährt. Die Archäologen von 1934 hielten aufgrund der damals üblichen patriarchalischen Sichtweise ein reich ausgestattetes Grab stets für das eines Mannes. Und dieser Fund wurde nun eingepasst in das völkische Geschichtskonstrukt: dieser Mann war ihrer Meinung nach weiß und blond und diente daher als Beweis für eine Art Ur-Arier, der nicht durch Migration nach Mitteldeutschland fand, sondern der sich hier bodenständig entwickelt habe. Ein Beweis für die völkische Ideologie der Nationalsozialisten. Sehr umfassend wird der Leser informiert, wie diese ideologisch verblendeten (und zudem unwissenschaftlich arbeitenden) Prähistoriker ihre üble Rolle als „Vordenker der Vernichtung“, wie Götz Aly sie nennt, spielen.

    Was hätten diese Archäologen zu der Tatsache gesagt, dass ihr „Mann“ nicht nur eine Frau war, sondern zudem dunkelhäutig? Eine Person of Colour? So wie auch der noch ältere Fund, der sog. Neuessinger Mann aus dem Altmühltal?

    Die Ergebnisse der Nachgrabung und ihre umfangreichen Auswertungen werden dem Leser umfassend und auch für archäologische Laien immer verständlich vorgestellt. Die beiden Autoren nehmen ihren Leser mit an die Schnittstelle zwischen Mesolithikum und Neolithikum. Nachdem unsere Ahnen jahrtausendelang als Jäger und Sammler gelebt hatten- immerhin die längste Zeit der Menschheitsgeschichte! - wandelt sich allmählich ihre Lebensweise: sie werden sesshafte Ackerbauern und Viehzüchter. Und sie spezialisieren sich, und dafür sprechen die reichen Grabfunde: hier wurde eine Heilerin bestattet, eine spirituelle Expertin, eine charismatische, reiche und äußerst angesehene Frau, deren Grab noch Jahrhunderte nach ihrem Tod Besucher an sich zog, quasi ein „Lourdes der Steinzeit“.

    Da drängt sich der Begriff „Schamane“ auf. Auch hier holen die Autoren weit und differenziert aus. Sie informieren nicht nur über die Geschichte des Schamanentums, das vom Christentum verteufelt wurde und Opfer ideologischer Anschauungen wurde, sondern stellen auch die angewendeten bewusstseinserweiternde Praktiken vor. Ebenso umfassend und reflektiert sind die Darstellungen der animistischen, d. h. allbeseelten Sichtweise der Welt.

    Sehr spannend fand ich die Darstellung der sozialen Konsequenzen, die die veränderte Lebensweise nach sich zog. Die Sesshaftwerdung führte zu kleinräumigeren sozialen Netzen und es entstehen neue soziale Hierarchien. Aber immer noch betrachtet sich der einzelne Mensch als Knotenpunkt eines Netzes unterschiedlicher Lebewesen – und der Verlust dieser Netzwerke quält den modernen Menschen.

    Aber: Muss ich eine Grabbeigabe „fancy“ nennen und eine Persönlichkeit „sparkling“? Ab und zu eine Streichung einiger Redundanzen hätte dem Buch auch gutgetan.

    Das Hörbuch wird eingelesen von Helge Heynold: eine angenehme Stimme, sauber artikuliert, sinngerecht betont, perfekt!

    Fazit: Ein kluges, faktenreiches, informationsreiches, immer reflektierendes Buch, das die ferne Steinzeit heranrückt und zudem Auskunft gibt über die vielen wissenschaftliche Methoden des Erkenntnisgewinns.
    Absolute Lese- und Hörempfehlung.

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