Das Licht der letzten Tage: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Das Licht der letzten Tage: Roman' von Emily St. John Mandel
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4 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das Licht der letzten Tage: Roman"

Format:Taschenbuch
Seiten:416
EAN:9783492310239

Rezensionen zu "Das Licht der letzten Tage: Roman"

  1. 4
    02. Mai 2018 

    Vor und nach einer Pandemie

    „Das Licht der letzten Tage“ von der jungen US-amerikanischen Autorin Emily St. John Mandel erschien unter dem Titel „Station Eleven“ (Mal wieder ein vollkommen anders übersetzter Titel) im Jahr 2014 und wurde in Deutschland 2015 vom PIPER Verlag herausgegeben.
    In ihm schildert die Autorin das Leben einer Gruppe von lose zusammenhängenden Personen in zwei sehr unterschiedlichen Zeiten. Zunächst in dem, was wir als die „Normalzeit“ unserer ungefähren Gegenwart bezeichnen, und dann in einer Zeit, nachdem die Menschheit zu ca. 99 % durch eine Pandemie und damit auch weitestgehend alle Spuren der Zivilisation ausgelöscht wurden. Er spielt im 20. nachpandemischenJahr. Und damit erklärt sich auch, warum ich oben das Wort Normalzeit ganz bewusst in Anführungszeichen gesetzt habe, denn normal erscheint den Betrachtern aus der zusammengebrochenen Zukunft in unserer Zeit gar nichts mehr. Sie ist vielmehr voller technischer Möglichkeiten des Reisens, der Kommunikation, der Produktion, die den wenigen verbliebenen Menschen im Jahr 20(nach) alle nicht mehr offen stehen.
    Der Roman beginnt mit dem Tod des Schauspielers Arthur, der am Vorabend des Ausbruchs der Pandemie einer Herzattacke auf der Bühne erliegt. Dieser Arthur ist über den Roman hinweg das lose Verbindungsglied der Personen, die die Autorin in der „Normalzeit“ und in der „nachpandemischen Zeit“ begleitet und beschreibt.
    Dabei liegt bei den Beschreibungen der Normalzeit der Reiz und das Besondere beim Lesen darin, dass der Leser um die Zerbrechlichkeit des Daseins dieser Menschen, um die Relativität ihrer Probleme und um den heranbrechenden Bruch weiß. Das wirft ein ganz besonderes Bild auf diese Menschen und ihre Leben.
    Viel interessanter war für mich aber der andere Teil des Romans, in dem die Autorin uns eine Theatertruppe (die Symphonie) vorstellt, die in nachpandemischen Zeiten durch die Lande zieht. Sie ist damit die große Ausnahme, denn der nachpandemische Mensch, lebt, so er denn durch große Zufälle überlebt hat, sehr stationär. Kleine Gruppen von Menschen haben sich zu Minisiedlungen zusammengeschlossen und leben in ehemaligen Fabrikgebäuden, Supermärkten, Flughäfen. Lange Zeit warten sie dort auf Hilfe von außen, auf die Nothilfetrupps, die sie aus ihrem bisherigen Leben kennen. Lange Zeit können sie nicht glauben, dass das Leben und die Zivilisation, wie sie es/sie kannten, wirklich komplett zusammengebrochen ist. Sie klammern sich lange an den Glauben an das Weiter-So und an Rückkehr in die „Normalität“. Aber die Erkenntnis kommt langsam aber sicher: Die Pandemie hat nicht nur 99 % der Menschen ausgerottet, sondern auch der über Jahrhunderte aufgebauten Zivilisation ein Ende bereitet. Fortbewegung findet statt mit von allem Ballast ausgeräumten (Kraft-)Fahrzeugen, die von Pferden gezogen werden. Denn Kraftstoff steht nicht mehr zur Verfügung. Die verfügbaren Mengen wurden nach der Pandemie zunächst aufgebraucht bzw. sind dann nach ca 3 Jahren unbrauchbar geworden. Alles, was alte Behausungen und Gebäude an Brauchbarem hergeben, wird ausgeräumt und mitgenommen. Neue Produktionsmittel und -methoden hat diese verbliebene Gesellschaft nicht mehr / noch nicht (?) entwickelt. Aber, immerhin: die Kultur und das Interesse daran hat überlebt, und so bringt die Theatertruppe zu diesen Siedlungen Shakespeare- und Musik-Aufführungen. Shakespeare erscheint dabei auf den ersten Blick als ein Antagonismus. Aber es gibt auch eine vielleicht überzeugende Einpassung in die Zeit, wie zwei Mitglieder der Symphonie diskutieren:
    „Dieter hatte seine üblichen Argumente vorgebracht, dass Shakespeare in einer pestgeschüttelten Gesellschaft ohne Elektrizität lebte, genauso wie die fahrende Symphonie. Aber schau, hatte sie erwidert, der Unterschied war doch der, dass sie die Elektrizität erlebt hatten, sie hatten alles erlebt, sie hatten gesehen, wie eine Zivilisation zusammenbrach, und das hatte Shakespeare eben nicht. Zu Shakespeares Zeiten hatte man die Wunder der Technik noch vor sich, nicht hinter sich, und man hatte in jenen Krisenzeiten viel weniger verloren.“
    Aber auch das Machtstreben der Menschen hat überlebt. Und so muss die Truppe beängstigende Veränderungen in einer Siedlung, in der sie im Vorjahr zwei Mitglieder der Truppe (wegen Schwangerschaft) zurückgelassen haben, feststellen, die ihnen Angst machen und zum schnellen Wiederaufbruch veranlassen: eine sektenähnliche Gemeinschaft hat sich gebildet, streng und grausam angeführt vom Propheten. Ihre beiden Kollegen sind nicht mehr da. Auf der Suche nach ihrem Verbleib zieht die Gruppe danach abseits ihrer normalen und einigermaßen verlässlichen Route durch das Land, das so gar nicht mehr dem Osten der USA gleicht, wie wir ihn kennen, und das doch noch so viele Spuren von ihm aufweist.
    FAZIT:
    Der Roman lebt von der Spannung des Vorher und Nachher. Manchmal allerdings hätte ich mir eine klarere Konzentration auf eine der beiden Zeiten gewünscht. Die Geschichte fasert manchmal aus, insbesondere wenn es um das „Licht der letzten Tage“ geht, ein Bild, das einem Comic entsprungen ist, den eine der handelnden Figuren in der „Normalzeit“ geschrieben hat und der in nachpandemischer Zeit in wenigen Exemplaren wieder gelesen wird.
    Deshalb bekommt der Roman mit einer Klassestory von mir 4 Sterne.

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