Das Krähennest

Buchseite und Rezensionen zu 'Das Krähennest' von Evelyne Polt-Heinzl
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Inhaltsangabe zu "Das Krähennest"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:480
EAN:9783990650509

Rezensionen zu "Das Krähennest"

  1. Österreichische Exilliteratur

    „Niemand könnte einsamer sein, als ich es bin, keiner der alten Freunde – soweit sie noch erreichbar wären – kennt meinen Aufenthalt und wer hier mit mir umgeht, weiß nicht, wer ich war, wer ich bin: eine Sprachlehrerin, die ihr Fach leidlich versteht.“ (Zitat Seite 73)

    Inhalt
    Madeleine de la Tour verlässt ihren langjährigen Partner Ernest Mathieu Le Sieutre und gibt ihre erfolgreiche Tätigkeit als Kunsthistorikerin in Paris auf, als sie aus dem von den Nationalsozialisten besetzten Paris nach England flieht. Anders als Ernest ist sie nicht bereit, sich mit den Besatzern zu arrangieren, obwohl sie sich immer wieder fragt, ob es nicht mutiger und wichtiger gewesen wäre, zu bleiben und in Paris Widerstand zu leisten. Als Tochter eines französischen Vaters und einer österreichischen Mutter ist sie in der Lage, in England als Sprachlehrerin zu arbeiten. Aus den zahlreichen Angeboten wählt sie die Télème-Abtei-Schule, ein Londoner Privatinternat, das nun jedoch auf dem weitläufigen Lavendelhof in einer abgeschiedenen, vor den deutschen Bomben sicheren, ländlichen Gegend beheimatet ist. Der liberale Erziehungsstil in Koedukation spricht sie an, doch beginnt sie bald zu erkennen, warum alle hier die Schule nur „Krähennest“ nennen, denn nicht einmal in diesem geschützten Umfeld verläuft das Leben so friedlich, wie Leontes, der Prinzipal, es vorgibt.

    Thema und Genre
    Die Autorin lebte selbst von 1939 bis 1947 im Exil in Großbritannien und war dort als Mittelschullehrerin tätig. Begonnen hat sie diesen Roman 1944, beendet 1948. 1947 lehrt sie nach Österreich zurück, doch erst Ende 1951 findet sich ein Verleger für diesen Roman, in dem es um alle Aspekte eines Lebens im Exil geht, um Entwurzelung, Selbstzweifel und als Gegensatz Anpassung aus Bequemlichkeit geht. „Es ist unser Verhängnis – ist ein Attribut unseres Exils, daß wir immer im Vergangenen leben.“ (Zitat Seite 276).

    Charaktere
    Die Autorin wählt einzelne Figuren, denen sie durch die gesamte Handlung folgt und zeigt an ihnen die steten, zunächst kaum bemerkbaren Veränderungen, im kleinen, geschätzten Bereich der Schule und in der besetzten Großstadt Paris. Es geht um die vielen Formen von menschlichen Beziehungen, die Konflikte zwischen Abhängigkeit, Stillschweigen, Heuchelei, Selbsttäuschung, Enttäuschung, Freundschaft, Liebe und Verrat.

    Handlung und Schreibstil
    Die Autorin wechselt wiederholt zwischen den Erzähl- und Handlungsebenen. Sie wählt unterschiedliche Erzählformen, indem sie die Geschichte teilweise als Briefe, Zeitungsmeldungen, Rundfunkberichte, innere Monologe, Träume erzählt, dann wieder als allwissende Erzählerin berichtet und sogar mit ihren Figuren diskutiert. Die Sprache entspricht der Zeit, in der dieser Roman geschrieben wurde und ich hatte zunächst Mühe, mich in diese ausufernden, teilweise überschäumenden Schilderungen und langatmigen inneren Monologe einzulesen. Doch die Vielfalt der Themen und das weite Spektrum der Fragen im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung mit dieser Zeit, metaphorisch und direkt, machen diesen Roman zu einer eindrücklichen, interessanten Lektüre, die zum intensiven Nachdenken anregt.

    Fazit
    Dieser lange vergessene Roman wurde 2021 von dem Wiener Verlag Edition Atelier neu herausgegeben und ist ein interessanter, wichtiger Beitrag der österreichischen Exilliteratur, nicht einfach zu lesen, doch es lohnt sich.

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