Das Haus der verschwundenen Kinder: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Das Haus der verschwundenen Kinder: Roman' von Claire Legrand
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3 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das Haus der verschwundenen Kinder: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:320
Verlag: Heyne Verlag
EAN:9783453267787

Rezensionen zu "Das Haus der verschwundenen Kinder: Roman"

  1. Die ersten zwei Drittel sind großartig, danach wird es eklig...

    Das gelungene Cover hat mich direkt neugierig gemacht und angesprochen, und auch der Klappentext klang nach einem vielversprechenden Jugendbuch mit einer starken, ungewöhnlichen Heldin und vielleicht ein bisschen gepflegtem Grusel.

    Und zuerst hat mich das Buch tatsächlich unglaublich begeistert und jede dieser Erwartungen erfüllt! Eine Stadt, in der Ordnung und Perfektion so übertrieben werden, dass es schon ins Krankhafte ausartet... Ein Waisenhaus, hinter dem sich das Böse verbirgt... Diese Grundideen sind vielleicht nicht ganz neu, werden aber sehr originell und mit bitterbösem Humor umgesetzt, und die Autorin bringt eine Vielzahl wirklich neuer, witzig abstruser, interessanter Ideen ein. Oberflächlich gesehen ist alles idyllisch und friedlich und ordentlich und langweilig, aber Claire Legrand baut geschickt immer mehr Spannung und unterschwellige Bedrohung auf, immer mehr Gänsehaut und angstvolle Erwartung - und das ganz ohne Gemetzel und unnötige Brutalität. (Jedenfalls in den ersten zwei Dritteln des Buches, aber dazu später.) Das fand ich großartig und auch sehr kindgerecht! Die Geschichte verläuft eher langsam, aber mir gefiel gerade dieses Ruhige, Bedächtige,das sich schleichend zum Albtraum entwickelt...

    Aber vor allem habe ich mich schnell in Victoria verliebt, auch wenn die auf den ersten Blick kein sehr liebenswertes Kind ist. Ihr Ziel im Leben ist es, perfekt zu sein - in allem, was sie tut. Perfekte Noten, perfektes Aussehen, perfekte Manieren. Sie liebt es, besser zu sein als andere und weidet sich daran, wenn sie ihre größte Konkurrentin demütigen kann. Freunde macht sie sich so nicht, aber Freunde will sie ohnehin nicht haben, das ist ihr viel zu viel Durcheinander, mit diesen lästigen, unbequemen Gefühlen, die sie lieber vermeidet. Auch mit Lawrence freundet sie sich nicht etwa an, weil sie ihn gernhat, sondern weil sie ihn als Projekt sieht: sie will den chaotischen Tagträumer, der sich nie das Hemd in die Hose steckt und lieber seine alberne Musik macht, statt nützliche Dinge zu lernen, umerziehen, bis er so perfekt ist wie sie... Damit die Leute sie dafür bewundern.

    Auch wenn ihre Art erstmal nicht sehr sympathisch ist, fand ich sie doch oft urkomisch, denn Victoria merkt gar nicht, wie skurill sie sich eigentlich verhält. Sie ist ein bisschen wie Hermine Granger, nur tausendmal selbstherrlicher. Im Laufe des Buches muss sie erst lernen, dass es wichtigere Dinge gibt als Manieren, und dass es durchaus gute Gründe gibt, Regeln zu brechen oder zumindest zu hinterfragen. Der Leser sieht ihr dabei zu, wie sie den Wert der Freundschaft und ihre eigene Individualität entdeckt, wie sie zu mehr wird als nur zu Victoria, der Musterschülerin. Und für ein Kinderbuch fand ich das eine sehr passende, schöne Botschaft.

    Lawrence, der arme Kerl, kann einem erst nur leid tun. Erst wird er von Victoria gezwungen, ihr Freund zu werden, ob er will oder nicht, dann muss er sich tagein und tagaus ihre Ermahnungen anhören. Und auch seine Eltern lassen an ihm kein gutes Haar. Er ist ein musikalisches Wunderkind, aber in Belleville zählen nur Dinge, die nützlich und einfach sind und klare Regeln haben. Und die Kinder, die nicht in das Schema passen, verschwinden... So auch Lawrence, der sich einem wahren Horror stellen muss!

    Die Erwachsenen sind hölzerne, beinahe roboterhafte Gestalten, die sklavisch den Regeln folgen, die in Belleville gelten - dafür gibt es allerdings gegen Ende des Buches eine gute Erklärung, es ist also durchaus gewollt! Denn wenn die Erwachsenen nur schattenhafte, oft sogar bedrohliche Gestalten im Hintergrund sind, dann liegt es an den Kindern, sich selber zu retten, was die Geschichte für junge Leser sicher noch gruseliger und unheimlicher macht. Außerdem bringt auch das die Botschaft rüber, dass man Regeln und Authoritätspersonen nicht blind vertrauen muss oder soll, sondern den Mut haben muss, seine eigene Wahrheit zu finden. Dennoch fand ich es manchmal schade, wie blass beinahe alle Charaktere außer Victoria blieben.

    Den Schreibstil fand ich wunderbar, vor allem den staubtrockenen, bösen Humor, der aus beinahe jeder Seite klingt und doch spurlos an Victoria vorübergeht. Die Autorin beschreibt die Dinge eher klar und einfach, aber doch eindringlich, vor allem die bedrohlichen Geschehnisse - wie die unzähligen Schaben, die auf einmal in der ganzen Stadt herumwuseln, oder die dunklen Schemen, die gegen trübe Glasscheiben hämmern...

    Tja.

    Nach den ersten zwei Dritteln des Buches war ich überzeugt, ein neues Lieblingsbuch in der Hand zu haben. Aber! Aber, ab einen gewissen Punkt wurde die Geschichte nicht nur skuriller, sondern leider auch ekliger und verstörender und in meinen Augen zu grausam für Kinder. Das Buch wird für junge Leser ab 12 empfohlen, aber ich war als erwachsene Leserin manchmal schockiert. Ok, wäre das Buch ein Thriller oder Horrorroman für Erwachsene, hätte ich vielleicht über dieselben Dinge nur müde gelächelt, aber es ist ein Kinderbuch, und eines, das mit so einem schönen, harmlosen Grusel und kindgerechten Botschaften anfängt! Da kam manches unerwartet wie ein heftiger Schlag ins Gesicht. Was gegen Schluss passiert, ist einfach bizarr und grausam, und als Kind hätte ich davon wahrscheinlich Albträume bekommen!

    Das Ende fand ich für ein Kinderbuch extremst verstörend, und es bietet meiner Meinung nach auch keine kindgerechte Lösung, die es dem jungen Leser erlauben würde, mit der Geschichte abzuschließen und klarzukommen.

    Außerdem blieb für meinem Geschmack zu vieles unerklärt, und eine Sache ganz am Schluss erschien mir sehr aufgesetzt und klischeehaft.

    Fazit:
    Die ersten zwei Drittel des Buches habe ich mit sehr viel Vergnügen am bösen Humor und gepflegten Grusel gelesen. Auch die pedantische, besserwisserische junge Heldin fand ich großartig, und der Roman enthält durchaus positive Botschaften für jugendliche Leser. Mein erster Eindruck war, dass ich dem Buch wahrscheinlich 4 oder sogar 5 Sterne geben würde.

    Ab einem gewissen Punkt driftet dieser Roman, der für Kinder ab 12 Jahre gedacht ist, aber ins Bizarre und sogar Ekelhafte ab, mit einem Level an Horror, den ich wirklich nicht für das Alter empfehlen würde. Für ältere Kinder und Erwachsene ist andererseits der Schreibstil vielleicht etwas zu einfach und kindgerecht! Das letzte Drittel hat mir den Roman leider so verdorben, dass ich ihm im Ganzen nur noch 2,5 Sterne geben kann.

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  1. Tolle Idee, aber es mangelt and er Umsetzung

    Die zwölfjährige Victoria lebt im beschaulichen Belleville in dem alles höflich und ordentlich zugeht. Das ist Victoria ganz recht, denn sie liebt alles was ordentlich ist und hasst das Chaos. Ihr Zimmer ist der Traum aller Eltern, alles hat seinen Platz. Eine 2 im Zeugnis wäre absolut inakzeptabel und alles muss sauber und geregelt sein. Darum ist es um so verwunderlicher, dass sie sich mit dem totalen Chaoten Lawrence abgibt, der von den anderen Kindern, wegen einer weißen Haarsträhne Skunk genannt wird und der von allen gehänselt wird. Und dann ist Lawrence plötzlich verschwunden und die Erwachsenen in Belleville spielen total verrückt. Hat da Miss Cavendish, die ein Kinderheim leitet, ihre Finger im Spiel? Victoria beginnt Nachforschungen anzustellen und befindet sich plötzlich in Gefahr. Denn nichts ist mehr wie es scheint.

    Das Buch wird ab 12 Jahren empfohlen, das ist auch das Alter der Protagonistin aber ich muss ganz ehrlich sagen, mein Zwölfjähriges Kind würde das Buch nicht lesen dürfen. Es ist teilweise schon recht blutig und auch manchmal eklig. Ich könnte mir die Geschichte als eine Tim Burton-Verfilmung vorstellen. Ich bin sicher, dass einige davon Alpträume bekommen würden. Andererseits geht es aber auch um Themen wie Freundschaft und Zusammenhalt und das ist natürlich für dieses Alter perfekt. Ich denke, Eltern wissen am Besten was sie ihren Kindern zumuten können und was nicht.

    Mit dem Schreibstil hatte ich so meine Probleme. Er ist zwar einfach gehalten, aber mir kam er sehr kalt und trocken vor. Nein trocken trifft es nicht ganz. Er war irgendwie unpersönlich. Auch gab es immer wieder Längen. Ich kann das natürlich nur aus der Sicht eines "Erwachsenen" sehen und weiß nicht, wie es Jugendlichen dabei geht. Auch blieben teilweise Fragen offen was mich schon sehr gestört hat. Keine Frage, das Buch ist zeitweise sehr spannend aber im Prinzip war es mir vollkommen egal was mit Victoria passiert.

    Was ich noch erwähnen möchte sind die wirklich schönen Illustrationen im Buch.
    Ich vergebe für dieses Jugendbuch 3 von 5 Punkten, weil die Idee richtig gut war, aber sie nicht konsequent umgesetzt wurde und doch einiges offen blieb.

    © Beate Senft

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