Das glückliche Geheimnis

Buchseite und Rezensionen zu 'Das glückliche Geheimnis' von Arno Geiger
3.75
3.8 von 5 (13 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das glückliche Geheimnis"

Frühmorgens bricht ein junger Mann mit dem Fahrrad in die Straßen der Stadt auf. Was er dort tut, bleibt sein Geheimnis. Zerschunden und müde kehrt er zurück. Und oft ist er glücklich. Jahrzehntelang hat Arno Geiger ein Doppelleben geführt. Jetzt erzählt er davon, pointiert, auch voller Witz und mit großer Offenheit. Wie er Dinge tat, die andere unterlassen. Wie gewunden, schmerzhaft und überraschend Lebenswege sein können, auch der Weg zur großen Liebe. Wie er als Schriftsteller gegen eine Mauer rannte, bevor der Erfolg kam. Und von der wachsenden Sorge um die Eltern. Ein Buch voller Lebens- und Straßenerfahrung, voller Menschenkenntnis, Liebe und Trauer.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:240
EAN:9783446276178

Rezensionen zu "Das glückliche Geheimnis"

  1. Auch im Abfall war der Umbruch im Zeitungswesen wahrnehmbar

    Wie ist man Schriftsteller und nicht mehr Schreiber? Wie findet man seinen Weg und schlägt die richtige Richtung ein? Arno Geiger gewährt autobiografische Einblicke auf seinen Werdegang mit all seinen kleinen und doch einschneidenden Erlebnissen.

    Arno Geigers Schreibstil fesselt selbst an Stellen, die nur Alltägliches beschreiben. Er legt mit einer Leichtigkeit den Finger in Wunden, die man gar nicht gesehen hat. Jahrzehntelang schaut man als Lesende dem Autor über die Schulter und nimmt selbst die leisesten Schwankungen wahr. Sein Leben ist nicht aufregend oder dramatisch. Vielmehr wirkt es teilweise langatmig und unspektakulär.

    Seine Unruhe kompensiert Geiger, indem er lange Streifzüge durch die Straßen Wiens unternimmt. Sein Blick wandert in Altpapiertonnen und abgestellte Kartons voller Briefe, Bücher, Postkarten und Aufzeichnungen. Besonders gut erhaltene Fundstücke verkauft er auf dem Flohmarkt und hält sich so über Wasser. Er rettet ab und an alte Schätze vor der Zerstörung und lässt das Herz eines Antiquars höher schlagen.

    Er liest Briefwechsel unbekannter Personen, blättert sich durch Tagebücher oder banale Aufzeichnungen und immer wirken diese Texte wie aus der Zeit gefallen, dauerhaft lebendig.

    "Der Mensch ist nicht frei, wenn er betrachtet, das ist mir klar. Aber mit Sicherheit freier, wenn er jemand Unbekannten betrachtet. Zu den Menschen deren Lebenszeugnisse ich lese, stehe ich in keiner persönlichen Beziehung. Deshalb gehe ich an die Lektüre so unvoreingenommen heran,...."

    Sehr interessant sind die Passagen, die zeigen, wie häufig Geigers Texte von Verlagen nicht erkannt oder verkannt werden. Nicht immer gelingt es nach einem Erfolg weitere Romane zu veröffentlichen. Ein vermeintlicher Selbstläufer wird einfach nicht veröffentlicht und eher unerwartet leichte Texte finden schnell Abnehmer.

    Viel Raum wird den Affären und Beziehungen des Autors gegeben, die eher zermürbend, langsam ohne Botschaft die anderen Zeilen begleiten. Viele Jahre scheint Geiger sich zu fragen, ob und wie eine Beziehung zu führen ist. In diesen Beschreibungen habe ich keine Botschaft gefunden, die den Sinn des Geschriebenen vermittelt hätte.

    Selbst als erfolgreicher Schriftsteller gibt er seine Altpapier-Suche nicht gänzlich auf, wird nur wählerischer und zieht seine Erkenntnis:
    "Auch im Abfall war der Umbruch im Zeitungswesen wahrnehmbar. Die Druckerschwärze wurde weniger. Die Pizzakartons wurden mehr. Handschriftlich Geschriebenes verschwand fast zur Gänze, ich wohnte dem allmählichen Untergang einer Kultur bei."
    Mich haben diese Abschnitte sehr nachdenklich gemacht. Was passiert mit uns, wenn Dinge nur noch digital festgehalten werden. Hat eine Kurznachricht den gleichen Wert wie ein liebevoll geschriebener Zettel, den man verknittert und befleckt im Portemonnaie aufbewahrt?

    Auch wenn mich dieser Roman durch viele Längen und für mich nicht greifbare Abschnitte nicht übermäßig begeistern konnte, habe ich die Kraft der Worte geschätzt.

    Teilen
  1. 5
    14. Mär 2023 

    Die glücklichen Geheimnisse des Arno Geiger

    Cover:
    ---------
    Das Titelbild mit den roten und gelben Farben wirkte auf mich anfangs sehr altmodisch und wenig anziehend. Wenn man es auf den Titel überträgt, dann passt es aber in gewissem Sinne. Es regt auf jeden Fall zum Nachdenken an.

    Inhalt:
    ---------

    Der Autor war Mitte zwanzig, als er mit seinem Geheimnis begann: Er fuhr regelmäßig morgens durch Wien und durchstöberte Altpapiertonnen. Das, was er fand, half ihm, einen andern Blick auf die Gesellschaft und das Menschsein zu werfen und dabei der Mensch und letztlich der Schriftsteller zu werden, der er heute ist.

    Mein Eindruck:
    ---------

    "Meine künstlerische Entwicklung wurde nicht nur von Weltliteratur vorangetrieben, sondern ganz wesentlich auch von Abfall, von Hingeschmiertem und Verworfenem. Es wäre ein Fehler, das eine gegen das andere auszuspielen, denn das eine ersetzt nicht das andere. Wichtig sind die vielen Wechselwirkungen zwischen Alltagsschreiben und Literatur. Festzuhalten ist aber auch: Ich habe ein besonderes Faible für das spontan Hingeschmierte, wohingegen das Konstruierte, das zu lange Überlegte mir oft unzureichend vorkommt." (S. 131f)

    Ich kannte den Autor nur dem Namen nach, aber die Beschreibung machte mich neugierig. Sein Geheimnis ist bereits nach den ersten Zeilen keins mehr, aber das ist auch nicht das Wesentliche des Buches. Wesentlich ist die Entwicklung des Autors, die er aufgrund seiner Funde durchlaufen hat und die er offenherzig und durch philosophische Anmerkungen angereichert dem Leser beschreibt. Er ist dabei sehr ehrlich zu sich selbst, beschreibt dabei sowohl die schlechten als auch seine guten Phasen.

    „Wegwerfen ist eine Kulturtechnik, die zum Führen eines Lebens dazugehört wie die Fähigkeit zu Ja und Nein. Es schafft Platz für Veränderung, für Verbesserung oder für nichts. Das Nichts ist erstrebenswerter als Berge von unnützem Kram. [...] Wenn ich mehr mit der Organisation als mit dem Gebrauch meines Besitzes zu tun habe, geht ein Zugewinn an Besitz mit einem Verlust an Lebensqualität einher. Ein bis zum Platzen angefülltes Leben kann niemals ein erfülltes Leben sein.“ (S. 143)

    Er lässt den Leser teilhaben an seinen Funden, seinen literarischen Erfolgen und Misserfolgen, aber auch an seinen Beziehungsgeschichten eingeschlossen der Partnerschaft mit seiner jetzigen Frau (im Buch "K." genannt), die sein zweites glückliches Geheimnis darstellt.
    Da ich selber im Sperrmüll oder im Altpapier schon einige glückliche Funde gemacht habe, konnte ich die Empfindungen des Autors gut nachvollziehen. Bei dem Thema Beziehung gelang mir dies nicht so ganz, aber letztendlich fand ich seine Gedanken hierzu inspirierend. Das gilt auch für das Thema Älterwerden und Demenz. Aufgrund der Krankheiten seiner Eltern und der seiner Partnerin nimmt dieses Thema ebenfalls Raum ein und der Umgang des Autors mit der Situation hat mich sehr beeindruckt.

    Ich habe dieses Buch sehr genossen, schon aufgrund seines Schreibstils und mir unzählige Stellen herausgeschrieben, weil Herr Geiger es schafft, die Sachen treffend in Bildern zu beschreiben und damit auf den Punkt zu bringen.

    Fazit:
    ---------
    Über das Leben, Schriftstellerei und wie aus Verlusten/ Weggeworfenem Neues entstehen kann - ehrlich, philosophisch, regt zum Nachdenken an

    Teilen
  1. Das wahre Leben

    Arno Geiger erzählt uns von einem jungen Mann, der zunächst in Wien ankommt und dort beginnt zu studieren. Sein Plan ist es ein erfolgreicher Schriftsteller zu werden. Doch zunächst muss er schauen, dass er als Student über die Runden kommt. So beginnt er in Altpapiercontainern nach „Schätzen“ zu suchen, um diese zu Geld zu machen. Dabei findet er natürlich alte Bücher, aber auch ältere Ausgaben von Auktionskatalogen, achtlos weggeworfenen Briefmarkensammlungen sowie Dokumente, die inzwischen antiquarischen Wert besitzen. Vieles kann er zu Geld machen und dadurch seinen Lebensunterhalt etwas aufbessern. Sein Leben geht weiter, das Studium ist irgendwann abgeschlossen, der Durchbruch als Schriftsteller will zunächst nicht wirklich gelingen und sowohl die Selbstzweifel als auch Zukunftsängste beginnen übermächtig zu werden.

    In seinem neuen Buch berichtet uns der Autor, in autobiografischen Anteilen, wie seine Karriere in der Literaturszene begann. Das Suchen im Allpapier steht dabei synonym für gesellschaftliche Ansichten, Vorurteile, dem Verfall an sich aber auch für gesellschaftlichen Wandel.
    Abgesehen von der „Vieldeutigkeit“ des Müllsammelns, verfolgte ich mit Spannung die „Beutezüge“ des jungen Protagonisten durch die Altpapiercontainer, bei denen er so manche Schätze zu Tage förderte. Leider bleiben diese Schilderungen bedauerlicherweise an der Oberfläche. Die jeweiligen Gegenstände werden nicht näher beschrieben.
    Was allerdings sehr ausufernd beschrieben wird, sind die gesellschaftlichen Vorurteile, die man einer, im Altpapiercontainer herum „wühlenden“, Person entgegenbringt. Der Protagonist bemitleidet sich, meiner Meinung nach, irgendwann nur noch selbst für sein Tun. Diese Passagen sind sehr langatmig.
    Aber auch der tiefere Sinn bzgl. der ausgiebigen Schilderungen seiner sexuellen Ausschweifungen erschließt sich mir nicht. Sie machen für mich den Protagonisten weder sympathischer noch hatte ich den Eindruck dadurch tiefgreifende Erkenntnisse über den Autor oder seinen Lebenslauf zu gewinnen.

    Fazit:
    Ein Roman mit autobiografischen Inhalten, einigen geglückten poetischen Formulierungen und einem großen Anteil an hohlen Phrasen.

    Teilen
  1. Ein empathisches, stellenweise tief berührendes Buch

    REZENSION – War es vielleicht doch der literarische Erfolg, der Arno Geiger (54) letztlich zwang, mit seiner im Januar bei Hanser Literaturverlage veröffentlichten autobiografischen Erzählung „Das glückliche Geheimnis“ sein über 25 Jahre geheimnisvolles „Doppelleben“ als unbeachteter Altpapiersammler in den Straßen Wiens und inzwischen mehrfach ausgezeichneter Autor preiszugeben? Freimütig und voller Selbstironie erzählt der österreichische Schriftsteller auf knapp 240 Seiten über seine schwierigen Anfangsjahre als schreibender Student und unbekannter Literat in Wien, über die damit einhergehenden Enttäuschungen und gelegentliche Hoffnungslosigkeit. „Diese Offenheit passiert mir nicht einfach, ich entscheide mich bewusst für sie, weil ich glaube, das sie das Leben sichtbar macht. Das ist es, worum es mir in der Literatur geht: das Leben sichtbar und dadurch verständlicher machen.“
    Vor 25 Jahren begann er auf den Straßen Wiens nicht nur, seinen Frust abzustrampeln, sondern in den Altpapiertonnen nach verwertbarem Material wie Bücher, Tagebücher, Postkarten und Briefen zu suchen. „Meine künstlerische Entwicklung wurde nicht nur von Weltliteratur vorangetrieben, sondern ganz wesentlich auch von Abfall. … Erfahrungen, die außerhalb meiner Reichweite lagen, wurden mir zugänglich.“ Geiger erzählt vom Suchen und Finden – nicht nur von weggeworfenen Briefen anderer Menschen, sondern auch von sich selbst. Als junger, noch erfolgloser Schreiber war er auf der Suche nach sich selbst, zweifelte oft an seiner Berufung. Die Erfolge des jungen Österreichers lagen damals eher auf anderem Gebiet: „Als ich im Herbst eingeklemmt war zwischen mehreren Frauen, bekam ich vom Nervenstress Hautausschlag. Ich war auf ein Bohèmeleben aus gewesen und musste mit großem Bedauern feststellen, dass ich dem nicht gewachsen war. Nicht mein Metier.“
    Er konzentriert sich doch lieber auf das Schreiben: „Man kann einige Jahre erfolgreich mit dem Rücken zu den Tatsachen leben, aber irgendwann gehen die Tatsachen um einen herum, und dann blickt man ihnen ins feindliche Gesicht.“ Endlich wendet sich sein Schicksal: Trotz Ablehnung seines Verlags reicht Geigers Lektor seinen Roman „Es geht uns gut“ zum Deutschen Buchpreis 2005 ein – und gewinnt ihn. Geigers Leben ändert sich. Überall wird er plötzlich herumgereicht und hofiert. Dennoch bleibt er bei seinen Runden zu den Altpapier-Containern. „Durch den sich nun einstellenden beruflichen Erfolg und den damit verbundenen gesellschaftlichen Aufstieg veränderte sich die Perspektive, veränderte sich das Sinnbild. Jetzt standen die Runden für Eigensinn, waren Ausdruck der Fähigkeit, unkonventionelle Wege zu gehen.“ Seine Altpapierfunde bleiben seine entscheidende Inspirationsquelle, „mein versteckter Eingang zu jener unterirdischen Welt, die der Gegenstand der Literatur ist.“
    Parallel zur amüsanten Schilderung seines anfangs noch hoffnungslosen Werdegangs schildert Geiger im Rückblick des inzwischen abgeklärten 54-Jährigen voller Selbstironie von seinem meist komplizierten Verhältnis zu Frauen, nicht zuletzt zu seiner heutigen Ehefrau K., die nach langjähriger Beziehung erst ein halbes Jahr nach Geigers Antrag diesem zustimmte. Ganz anders, tief berührend und schmerzend, offenbart Geiger auch das Schicksal seiner Eltern, die beide gleichzeitig im Rollstuhl sitzen, der Vater an Alzheimer erkrankt im Pflegeheim, die Mutter nach einem Schlaganfall gelähmt im Krankenhaus. Der Sohn begleitet seine Eltern bis zu deren Tod und schämt sich seiner Tränen nicht.
    „Ein glückliches Geheimnis ist gelüftet“, schließt Geiger seine Erzählung. „Ich schreibe ein letztes Kapitel. … es wäre zu wünschen, dass alle, die das Buch lesen, darin etwas für sie Wichtiges finden.“ Davon darf der Autor getrost ausgehen. Sein Buch ist ehrlich, lebenserfahren mit allen Höhen und Tiefen, mal beklemmend offen, mal im Rückblick ironisch über sich selbst schmunzelnd. Nach Lektüre seines empathischen, stellenweise tief berührenden Buches wünscht man Geiger den erhofften Erfolg. Dies mag sich auch darin zeigen, dass irgendwann ein zerlesenes Exemplar im Altpapier-Container zu finden sein wird, wie es Geiger einst selbst auf einer seiner geheimnisvollen Runden mit der Taschenbuchausgabe seines Romans „Es geht uns gut“ (2005) passiert ist.

    Teilen
  1. Die etwas andere Autobiografie...

    Das sehr auffällig gestaltete und fröhlich erscheinende Cover hat mich dazu gebracht meinen ersten Arno Geiger zu lesen.

    Im Buch erzählt der Autor über sich und seinen Werdegang als Schriftsteller und wie er durch seine Heimat streift und dabei im Müll anderer seine Entdeckungen macht.

    Richtig gut gefallen haben mir die Streifzüge durch die Stadt. Ich konnte mir richtig gut vorstellen wie befreiend es sein muss und wie entschleunigend mal einfach in den Tag hineinzuleben und zu schauen, was man so findet. Und auch wenn wahrscheinlich nicht oft ein Schatz dabei ist, so ist die Freude am größten, wenn man dann doch mal genau so einen findet.

    Gut und persönlich dargestellt ist das Leben eines Autors und was für Gefühle ausgelöst werden, wenn das Geschriebene Leser findet oder eben nicht.

    Auch wenn Affären und Co nichts Außergewöhnliches sind und wohl zum Menschen dazugehören, so habe ich die diversen Erwähnungen doch als eher unpassend empfunden. Meine Erwartungshaltung an das Buch war gänzlich eine andere. So wirkt Geiger etwas neurotisch und exzentrisch und genau solche Menschen sind mir dann eher unsympathisch, wenn sie so etwas erwähnen müssen. Es gibt doch Wichtigeres, was einen auszeichnet, als ausgerechnet das.

    Ansonsten hat sich das Geschriebene angenehm leicht und kurzweilig lesen lassen und nun weiß ich, dass ein Autorenleben alles andere als leicht und vielleicht auch nicht wirklich erstrebenswert ist.

    Fazit: Mal etwas anderes. So richtig abgeholt hat es mich allerdings nicht, daher nur bedingt eine Leseempfehlung.

    Teilen
  1. Kein Zeichen von Nähe...

    Ich mag in der Regel Geschichten mit autobiografischen Zügen und es ging auch richtig gut los, nur die Konstante fehlte mir leider. Oder ich verstehe Geiger als Neuling einfach nicht.

    Was ich sehr genossen habe war das kleine Geheimnis mit der Stöberei. So etwas wäre bei uns gar nicht möglich, da wir keine Papiertonnen für die Allgemeinheit haben in der Region, sondern jeder hat seine private Tonne. Ich kann mir nur zu gut vorstellen, dass aufgrund von Unkenntnis einige Schätze im Müll landen.

    Für mich wäre der größte Reiz wohl die Tagebücher anderer und so erging es dem Autor ja auch, so dass er daraus Ideen für Geschichten ziehen konnte.

    Was mir jedoch so gar nicht gefallen hat: durch die vielen Ausschweifungen ist mir der Autor selbst auf weiter Strecke sehr unsympathisch erschienen und ich hatte ihn zuvor anders wahrgenommen und nicht so neurotisch.

    Gut gefallen haben mir die Einblicke in das Leben eines Autors und wie sowohl Misserfolg als auch Erfolg belastend sein können.

    Fazit: Eher was für Fans des Autors als für Neulinge wie mich. Daher nur bedingt empfehlenswert.

    Teilen
  1. 5
    06. Feb 2023 

    Die Entwicklung eines Schriftstellers

    Das glückliche Geheimnis des Arno Geiger wird gleich in den ersten Sätzen enthüllt: Ein Vierteljahrhundert machte der Autor Streifzüge durch Wien, anfangs zu Fuß, später erweitert er seinen Radius mit dem Fahrrad. Dabei wühlte er kopfüber in Altpapiercontainern, immer auf der Suche nach Verwertbarem.
    Ausgelöst wurde diese Passion durch einen Zufallsfund, fünf große Kartons voller Bücher. Zu dieser Zeit war Arno Geiger ein mittelloser Student mit dem Berufswunsch Schriftsteller. Seine Funde verhalfen ihm zu Zufallslektüren, aber vor allem trugen sie zu seinem Lebensunterhalt bei. Geiger verkaufte seine „ Beute“ auf Flohmärkten und wertvollere Stücke, wie seltene Bücher, Briefmarkensammlungen oder Druckgrafiken, an Auktionshäuser. Ein Bündel lithografierter Postkarten der Wiener Werkstätten brachten ihm einmal ein halbes Jahresgehalt ein.

    Arno Geiger beschränkt sich in seiner autobiographischen Erzählung nicht nur darauf, sein Geheimnis zu lüften, sondern er lässt uns auch an seinem Privatleben teilnehmen. Wie in jedem menschlichen Leben spielen Liebesglück und Liebesleid, Krankheit und Tod auch in seinem Leben eine große Rolle.
    Wir lesen deshalb von seinen langjährigen Beziehungen zu M. und K. und den diversen Affären dazwischen. Einerseits diskret -er verwendet jeweils den Anfangsbuchstaben als Kürzel- andererseits sehr freimütig und offen schreibt er von Untreue, Streitereien und Beziehungskrisen. Dass seine Ehe mit K., einer Ärztin, heute so stabil und glücklich ist, liegt für den Autor in den gemeinsam durchgestandenen „ schlechten Jahren“. So vermag er auch darin etwas Positives sehen.
    Es geht im Buch ebenfalls um das Verhältnis des Autors zu seinen Eltern. Die Demenzerkrankung seines Vaters, die er sehr einfühlsam in seinem Buch „ Der alte König in seinem Exil“ geschildert hat, spielt eine wesentliche Rolle, genauso wie die Beziehung zur Mutter.

    Doch „ Das glückliche Geheimnis“ erzählt vor allem vom mühevollen Weg des Schriftstellers Arno Geiger, von Selbstzweifeln und einem Leben in prekären Verhältnissen und von seinen Erfahrungen im Literaturbetrieb. Seine ersten Bücher verkaufen sich schlecht; eine Lesung in Klagenfurt stößt auf wenig Resonanz. Erst mit seinem 2005 erschienenen Roman „ Es geht uns gut“ gelang ihm der Durchbruch. Das Buch erhält den erstmals verliehenen Deutschen Buchpreis. Doch der Erfolg fordert seinen Tribut, ein Burnout ist die Folge. Das „ Vater- Buch“ wird ebenfalls zu einem Bestseller; sein letzter Roman „ Unter der Drachenwand“ gilt vielen als sein bester.
    Wesentlich zu seiner Entwicklung als Schriftsteller beigetragen, haben seine Funde aus dem Müll, davon ist Arno Geiger überzeugt. Hat er anfangs überwiegend Verkaufbares aus den Containern gefischt, so suchte er später ganz gezielt nach Tagebüchern und Briefen. Hierin fand Geiger das wirkliche Leben; das habe ihm eine enorme Menschenkenntnis gegeben, ein notwendiges Wissen für einen der, „ vom Leben der Menschen erzählt.“ „ Ich kenne Glück und Kummer aus zwei Jahrhunderten,… Mir ist das eine Menschliche nicht fremder als das andere.“ so heißt es im Buch. Z. B. hat Arno Geiger als Vorbereitung für seinen Roman „ Die Drachenwand“ etwa 20.000 Briefe aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs gelesen, sehr viele davon im Abfall gefunden.
    Aus diesen authentischen Zeugnissen entwickelt Geiger eine Poetologie für sein Schreiben. „ Ein Künstler des Ungekünstelten“ will er sein. Und er habe, wie er überspitzt formuliert, aus Tagebüchern mehr gelernt als aus dem ganzen Proust. Doch ohne Kunst entsteht keine Literatur. Das weiß auch Arno Geiger. „Aber eine Katze, wenn sie auch zehn Kanarienvögel frisst, kann deshalb noch lange nicht singen. Es braucht eine literarische Verwandlung, eine Form, eine Sprache.“

    Scham über sein „ Doppelleben“ hat Geiger oftmals empfunden, deshalb wussten davon auch nur wenige. Sein Abtauchen in Altpapiercontainern ließ sich nicht mit seinem „ Selbstbild eines souveränen Künstlers“ vereinbaren. Dass er als gefeierter Autor nie dabei erkannt wurde, verwundert ihn wenig. Wer in Müll wühlt, hat kein Ansehen. „ Und wer kein Ansehen hat, der ist unsichtbar.“

    Etwaigen Vorwürfen, dass er durch das Lesen von persönlichen Briefen und Tagebüchern die Privatsphäre anderer verletzt, kommt Arno Geiger zuvor. Durch das Wegwerfen verwandelt sich das Private in Abfall und er macht daraus dann ein Dokument.

    Gleichzeitig ist das Buch eine kleine Kulturgeschichte des Abfalls. Im Müll findet sich das kulturelle Gedächtnis. „ Denn in den Müll kommt, was erledigt ist, und in diesem Erledigten gibt eine Gesellschaft Auskunft über sich selbst.“
    Im Verlaufe von Arno Geigers Sammlertätigkeit hat sich auch der Inhalt der Papiercontainer verändert. Fanden sich früher vermehrt Liebesromane, so sind heute die Krimis in der Überzahl, statt Zeitungen und Handschriftliches vermehrt Verpackungsmüll, statt Sexhefte Pizza- und Weinkartons.

    Arno Geiger hat mit „ Das glückliche Geheimnis“ ein sehr persönliches Buch vorgelegt. Mir gefiel die Mischung aus Privatem und Essayistischem und ich habe diese kluge, unterhaltsame und selbstironische Erzählung sehr genossen. Der Autor wünscht sich, „ dass alle, die das Buch lesen, darin etwas für sie Wichtiges finden.“ Das ist ihm auf jeden Fall gelungen.

    Teilen
  1. 3
    04. Feb 2023 

    Jäger und Sammler...

    Von Anläufen und Enttäuschungen, vom Finden und Wegwerfen. Und vom Glück des Gelingens. Das neue Buch von Arno GeigerFrühmorgens bricht ein junger Mann mit dem Fahrrad in die Straßen der Stadt auf. Was er dort tut, bleibt sein Geheimnis. Zerschunden und müde kehrt er zurück. Und oft ist er glücklich. Jahrzehntelang hat Arno Geiger ein Doppelleben geführt. Jetzt erzählt er davon, pointiert, auch voller Witz und mit großer Offenheit. Wie er Dinge tat, die andere unterlassen. Wie gewunden, schmerzhaft und überraschend Lebenswege sein können, auch der Weg zur großen Liebe. Wie er als Schriftsteller gegen eine Mauer rannte, bevor der Erfolg kam. Und von der wachsenden Sorge um die Eltern. Ein Buch voller Lebens- und Straßenerfahrung, voller Menschenkenntnis, Liebe und Trauer. (Klappentext)

    Kein neuer Roman des Autors erwartet die Lesenden hier, sondern eine autobiographische Erzählung. Das "glückliche Geheimnis" Arno Geigers zieht sich ebenso wie sein Schreiben wie ein roter Faden durch das Buch. Ein jahrzehntelanges Doppelleben nennt es der Klappentext - und ja, es gab im Leben des Autors fast ein Vierteljahrhundert lang einen Aspekt, den er vor (fast) allen Menschen geheim hielt. Nichts wirklich Anrüchiges, aber etwas befremdlich mutet es zunächst schon an. Während heutzutage das Containern bekannt ist als eine Möglichkeit, Lebensmittel aus Abfalltonnen zu retten, tauchte Arno Geiger einmal pro Woche in langen Streifzügen in Mülltonnen mit Altpapier.

    "Ich kann heute nicht mehr sagen, wie viele Seiten Papier (...) über meinen Schreibtisch flatterten, wie viel unwiederbringliche Zeit mir zwischen den Händen zerrann. Manchmal schlief ich nächtens am Fensterbrett der Küche ein. Und morgens schaute ich mich nervös nach den Jahren um, die ich vertan hatte. Im Umdrehen kam es mir vor als habe es in meinem Rücken Steine geregnet." (S. 25)

    Dort gab es allerlei Interessantes zu entdecken: alte Bücher, die als Zufallsfund gelesen des Autors Horizont erweitereten und nach Restaurierungsarbeiten zudem gewinnbringend auf einem Flohmarkt verkauft werden konnten; Konvolute von Briefen und Tagebüchern, die in fremde Leben katapultierten, oder auch Sammlungen von Postkarten, die ebenfalls Geld einbrachten. Im Laufe seines Lebens gewann dieses Tauchen nach Altpapier stetig andere Bedeutungen. Kostenloser Leseschatz zu Beginn ebenso wie das Bestreiten des Lebensunterhalts von einem, der immer nur Schriftsteller werden wollte und sonst nichts. Später dann das Erkennen der Bedeutung des Erfassens von anderer Menschen Erleben und Wahrnehmen, um allgemein menschlichen Themen nahezukommen ("Ich begriff, dass das echte Leben gewöhnlich ist und trotzdem vielschichtig..." - S. 57). Und schließlich auch die Auswirkungen des Gelesenen - gerade der Briefe und Tagebücher - auf sein eigenes Schreiben. Bücher wie "Unter der Drachenwand" wären ansonsten womöglich gar nicht entstanden.

    "In einem im Altpapier gefundenen Buch von Blaise Cendrars stieß ich auf die Verse: 'Und was ist denn schon ein altes Dokument? / (...) / Ein Trampolin. / Von dem man in die Höhe schnellt. / In die Wirklichkeit und in das Leben. / In das Herz der Sache.'" (S. 99)

    Neben dem Geheimnis ("Dass ich mich jetzt Teilzeit in die Gosse warf, empfand auch ich insgeheim als Grenzüberschreitung nach unten." - S. 20) gewährt Arno Geiger auch Einblicke in das Leben, das er abseits der Altpapiercontainer führte. Das Leben des jungen Mannes, der Schriftsteller werden möchte - mit all seinen Ängsten und Zweifeln, Rückschlägen und Einblicken in die Verlagskultur. Das nicht unkomplizierte Leben in wechselnden Partnerschaften (M., O., K.) mit einem intensiven Sexualleben, Untreue und Streitereien bis hin zur wahren Liebe. Und das Leben als Sohn mit der zunehmenden Sorge um seine Eltern. Diese autobiografischen Anteile haben mir sehr gefallen, wobei ich die großzügigen Einblicke in Geigers Sexualleben nicht unbedingt gebraucht hätte. Aber die von ihm in den gefundenen Briefen und Tagebüchern bewunderte Offenheit im Schreiben wollte der Autor in seinem Buch offenbar ebenfalls praktizieren.

    Es ist erstaunlich: wenn man sich darauf einlässt, erkennt man in jedem Schreiber und jeder Schreiberin eine Ähnlichkeit mit sich selbst, eine menschliche Familienähnlichkeit sozusagen. Beim Lesen war es, als unternähme ich eine Erkundungsreise auf der Suche nach Dingen, die in der Natur vorkommen, in der Natur des Menschen nämlich. (S. 224)

    Neben den autobiographischen Anteilen fügen sich immer wieder und im Verlauf zunehmend allgemeine Betrachtungen ein - über das Schreiben, das Leben, die Bedeutung des Wegwerfens, die Erkenntnisse über eine Gesellschaft und ihren allmählichen Wandel anhand der Betrachtung ihres Mülls u.v.m. Stellenweise fand ich das durchaus interessant zu lesen, immer wieder jedoch empfand ich diese Einschübe aber als zu ausführlich und fast schon essayhaft - und damit anstrengend und außerhalb des Leseflusses. Zudem wirkte Geigers Kritik gegenüber alternden Autoren im Allgemeinen und Philip Roth im Besonderen auf mich eher überheblich denn souverän. Der Anspruch, mit dem Schreiben aufzuhören bevor die Bücher leblos werden, den finde ich allerdings nachvollziehbar. Aber ob man diese Einsicht immer voraussetzen kann?

    Insgesamt habe ich das Buch mit gemischten Gefühlen gelesen. Ich habe definitiv lieber die autobiographischen Anteile gelesen - dieser Mischmasch aus Eckdaten seines Lebens und essayhaften allgemeingültigen Betrachtungen zu verschiedenen Aspekten hat mich leider nicht wirkich überzeugen können. Manche Gedankengänge waren ganz interessant, und schöne Sätze hätte ich mir zuhauf notieren können. Aber das reicht leider nicht für mehr Begeisterung für das Buch. Zum Glück empfindet das ja aber jede:r anders...

    © Parden

    Teilen
  1. Etwas enttäuschend

    Ich habe zwei Bücher von Arno Geiger mit großem Interesse und Gewinn gelesen: „Der alte König im Exil“ und „Unter der Drachenwand“. Deshalb war ich sehr gespannt auf sein neues Buch und nach dem Lesen enttäuscht. Die Leseprobe war vielversprechend: Ein angehender Schriftsteller wühlt im Altpapier nach brauchbaren Büchern und nach persönlichen Zeugnissen wie Tagebüchern und Briefen, um sie literarisch zu verwerten. Darüber hätte ich gerne mehr erfahren. Es folgt dann aber überwiegend eine Selbstbespiegelung, die ein Rezensent -vielleicht etwas überzeichnend - als „Nabelschau“ abqualifiziert. In der Tat ist aber das häufigste Wort in dem Bericht das Personalpronomen „ich“. Die Selbstbespiegelung fällt zum Teil m.E. recht unreflektiert aus. Seine Freundin macht dem Ich-Erzähler (ich weiß nicht, ob „erzählen“ der richtige Begriff ist) Vorwürfe, weil er mit einer anderen Frau ohne Kondom geschlafen hat. Doch auch in der Rückschau findet er keine selbstkritischen Worte.
    Die Beziehung zu seiner Freundin und späteren Frau nimmt einen breiten Raum in der Darstellung ein, bleibt aber trotzdem an der Oberfläche. Das gilt auch für die Darstellung der Beziehung zu seiner Geliebten. Da ist von stundenlangen Telefonaten die Rede, ich weiß aber nicht, worüber sie gesprochen haben könnten.
    Ähnliches gilt für die Darstellung seines schriftstellerischen Verfahrens. Gut, man erfährt, dass er seine Menschenkenntnis aus den vielen Briefen und Tagebüchern gewonnen hat. Aber konkretisiert wird das nicht. An einer Stelle ist von einem „Schwarzindien-Projekt“ die Rede, das in eine Ecke seines Schreibtisches verbannt ist und erst später ausgestaltet wird. Näheres erfährt man nicht. Der kundige Leser weiß, dass es sich bei diesem Projekt um den Roman „Unter der Drachenwand“ handelt, in dem Briefe unterschiedlicher Absender eine wichtige Rolle spielen. Über den Prozess der Entstehung des Romans hätte ich gerne mehr erfahren.
    Gelungen immerhin sind einige Reflexion zum „Müll“, dem durch die Verwendung in Literatur eine neuenFunktion zugewiesen wird, bevor er wieder Müll wird.
    Arno Geiger stellt an seine schriftstellerische Tätigkeit den Anspruch, ein „Kunstwerk“ zu schaffen. Mit „ Das glückliche Geheimnis“ ist das in meinen Augen nicht gelungen.

    Teilen
  1. Der Perlentaucher

    "Containern oder Mülltauchen (engl. dumpster diving, daher auch Dumpstern) bezeichnet die Mitnahme weggeworfener Waren (meistens Lebensmittel) aus Abfallcontainern." (aus: Wikipedia)

    Von ganz anderen Schätzen aus Mülltonnen erzählt der 1968 in Bregenz geborene Arno Geiger in "Das glückliche Geheimnis", einem autobiografischen Werk, auch wenn er einschränkt:

    "Mir ist klar, ein Buch über mich selbst, das ist schwierig, schwieriger als ein Roman. […] Das Erzählte ist nie wahr." (S. 194/195)

    Ein Vierteljahrhundert lang, von seiner Studentenzeit in den 1990er-Jahren bis ungefähr zu seinem 50. Geburtstag, drehte Arno Geiger in Wien regelmäßig seine „Runden“, tauchte in Räuberkleidung in Altpapiertonnen, holte sich Schrammen, blaue Flecken, gebrochene Rippen, Bänder- und Muskelverletzungen. Was mit dem Zufallsfund von fünf Bananenkartons voller Bücher begann, sicherte zunächst dem Studenten, später dem zunächst erfolglosen Autor auf Flohmärkten oder bisweilen im Auktionshaus ein Auskommen, befriedigte seine Abenteuerlust, bot einen körperlichen Ausgleich an der frischen Luft zur sitzenden Tätigkeit am Schreibtisch, half beim Frustabbau und wurde in Form von Tagebuch-, Brief- und anderen persönlichen Funden zur unerschöpflichen Quelle für seine Schriftstellerei. Das Individuelle, Zufällige, Authentische in Briefen und Alltagstexten, der unzensierte Sprachgebrauch und Erfahrungen außerhalb seiner Lebenswelt schärften seine Menschenkenntnis und sein Einfühlungsvermögen, für das ihn der Literaturkritiker Denis Scheck ein „Empathiemonster“ nannte. Mit den geretteten Büchern, Briefmarkensammlungen, lithografierten Postkarten, Druckgrafiken, Plakaten, alten Comics, historischen Wertpapieren und anderem ausrangierten Papiergut verband ihn „so etwas wie Zärtlichkeit“ (S. 96), eine Zuneigung, die wohl jeder Papierfan problemlos nachempfinden kann.

    Rückschläge und Erfolge
    Doch "Das glückliche Geheimnis" ist mehr als die Enthüllung einer überaus sympathischen Leidenschaft, die erst jetzt ans Licht kommt, wo sie aufgegeben ist, und für die er, das Mittelstandskind, sich anfangs als einer „Grenzüberschreitung nach unten“ (S. 20) schämte. Parallel erzählt Arno Geiger vom mühsamen Werden eines Schriftstellers, von Talent, Training, Sturheit, Fleiß und Frustrationstoleranz, von Konflikten mit dem Hanser Verlag, der nach ersten finanziellen Misserfolgen auf Abstand ging, von seinem treuen Lektor, von Stipendien, vom Durchbruch 2005 mit "Es geht uns gut", für das er den erstmals verliehenen Deutschen Buchpreises erhielt, vom darauf folgenden Burnout, von Bestsellern wie beispielsweise 2011 "Der alte König in seinem Exil" und zuletzt 2018 "Unter der Drachenwand", von der Demenzerkrankung seines Vaters, dem Schlaganfall der Mutter und weiteren Tragödien im Familien- und Freundeskreis, von seiner Liebe zu seiner Frau K., aber auch – und nur das für mich zu ehrlich und detailliert – von seinem lange chaotischen Beziehungsleben.

    Weiterschreiben!
    Im letzten Teil des Buches geht Arno Geiger dann über das Private hinaus, sinniert über die Bedeutung des Mülls für die Kulturwissenschaften, über Sammeln und Wegwerfen als Kulturtechnik, die sich verändernde Zusammensetzung des Papiermülls, alles in glasklar formulierten, gut nachvollziehbaren Gedankengängen, denen ich sehr gerne gefolgt bin:

    "Das ist es, worum es mir in der Literatur geht: das Leben sichtbar und dadurch verständlicher machen." (S. 97)

    Immer hatte ich dabei auch meine eigene Papiertonne vor Augen und versuchte, sie mit seinem kritischen Blick zu durchwühlen.

    Eine Überlegung allerdings wird für Arno Geiger hoffentlich noch lange nicht aktuell:

    "Wie mache ich das, mit der Kunst zu enden?" (S. 217)

    Wer so rundum gelungen, unterhaltsam, anregend, reflektiert, liebenswert, erfrischend offenherzig und selbstironisch zu schreiben versteht, bleibt dem Buchmarkt hoffentlich noch sehr lange erhalten.

    Teilen
  1. Selbstporträt mit Dame

    Kurzmeinung: Natürlich ist dieses Büchlein dann am interessantesten, wenn man mindestens schon einen Roman des Autors gelesen hat.

    Der österreichische Autor Arno Geiger hat zahlreiche Literaturpreise gewonnen, unter anderem mit „Es geht uns gut“ den Deutschen Buchpreis (2005). Natürlich habe ich diesen Roman gelesen, und er gefiel mir; „Unter der Drachenwand“ gefiel mir jedoch noch viel besser und ich habe vor, demnächst „Alles über Sally“ zu lesen. 

    „Was würde Arno Geiger in „Das glückliche Geheimnis“ verhandeln?

    Überraschung: es ist eine Autobiografie. Dabei ist der werte Herr Autor erst Mitte Fünfzig (geb. 1968). Das große Plus eines Schriftstellers und dieser Autobiografie, sie ist selbst geschrieben von A bis Z – no Ghostwriter was necessary. 

    Arno Geiger schreibt: „Durch Lesen verkürzen wir unsere Lebenszeit nicht, wir verlängern sie. In wenigen Stunden können wir die Erfahrungen nachvollziehen, die ein anderer Mensch in Jahren oder Jahrzehnten gemacht hat.“ So lässt er seine Leser daran teilhaben, wie er Schriftsteller wurde, welche Mittel er über die Jahre einsetzte, wie er arbeitet, wenn er sich erst einmal an einem Stoff festgebissen hat, ob ein Berufsschriftsteller überhaupt eine Chance auf dem Markt hat und mit welchen Ängsten er sich herumschlagen muss, solange er nicht etabliert ist. 

    Es ist nichts Neues, außer Talent braucht man Fleiß und Hartnäckigkeit, den Glauben an sich selbst, die Fähigkeit Niederlagen einzustecken und ein Quäntchen Glück. Und da man nie weiß, ob dieses Quäntchen Glück einem hold sein wird, lebt man im Ungewissen. 

    Wie Arno Geiger es gemacht hat, dass er gleich zu Anfang bei dem renommierten Verlag „Hanser“ einen Fuß in der Tür hatte, hat er allerdings nicht verraten und, obwohl er erstaunlich offen über Privates spricht, hält er sich dann auch wiederum da und dort bedeckt. Er meint, er hat trotz seines Erfolges, der in der Tat ein wenig auf sich warten ließ, die Bodenhaftung nicht verloren. Außer in einer relativ kurzen Zeitspanne nach dem Erhalt des Deutschen Buchpreises, als er auf einen Schlag bekannt, berühmt und wohlhabend wurde! 

     Der Kommentar: 
    Bei einer Autografie wählt der Autor himself aus, was er von sich preisgeben möchte und was nicht.
    Die Auswahl Geigers ist denn auch beliebig. Manchmal möchte man mehr wissen, wie war das an dem Abend als er den Deutschen Buchpreis erhielt? Saß er auf heißen Kohlen, konnte er es fassen? Geiger hat den Leser ein wenig desillusioniert. Weiß man es wirklich vorher, dass man den Preis bekommt? Ich dachte, dies sei ein äußerst glückliches Geheimnis. Und nun ist es nur eine Sache von Beziehungen, ob man es vorher erfährt oder nicht. 

    In Österreich ist manches anders als in Deutschland. Und die Uhren ticken dort anders. Ist Papierabfall eigentlich Müll? Ich habe nicht ganz verstanden, warum Arno Geiger sich früher schämte, seinen Lebensunterhalt durch den Verkauf von Papiermüllfunden zu verdienen. Er hatte immer andere Möglichkeiten durch sein Studium, auch wenn er diese Möglichkeit, sich eine „anständige“ Arbeit zu suchen, nie in Betracht zog.
    Die Berliner Zeit Geigers war ziemlich wild, darüber erfährt man wahrscheinlich aus gutem Grund, genug, jedoch auch nicht allzu viel.
    Arno Geiger ist erstaunlich offen, was sein Privatleben angeht – und dann doch wieder sehr zurückhaltend, nicht einmal den Vornamen seiner Ehefrau teilt er mit. 

    Fazit: Alles in allem liest man das Selbstporträt des Autors zügig, es ist ein kleines Buch, ein offenes, aber auch ein zurückhaltendes Statement eines, der auszog das Fürchten zu lernen, gemeinhin, ein Schriftsteller zu werden. „Das glückliche Geheimnis“ ist federleicht geschrieben, mit ansprechenden Zitaten versehen, keineswegs langweilig, aber natürlich nicht vergleichbar mit seinen großen Romanen, zum Beispiel „Der alte König in seinem Exil.“ Ob er noch einmal ein großes Werk schreiben wird? Ich traue es ihm zu. 

    Kategorie: Autobiografie.
    Verlag: Hanser, 2023

    Teilen
  1. 3
    11. Jan 2023 

    Rückblick auf das eigene Leben

    Arno Geiger erzählt von den bisherigen Jahrzehnten seines Lebens – von seiner Entwicklung als Schriftsteller, von Familie und von der Liebe, und von einem (wie er es nennt) glücklichen Geheimnis, das all dem zugrundeliegt.
    Von Arno Geiger hatte ich bislang nur „Der alte König in seinem Exil“ gelesen, welches ich sehr ergreifend und gleichzeitig wunderschön geschrieben fand. Auch in seinem neuen Buch konnte mich dieser Schreibstil erneut begeistern – hier liest es sich, als würde der Autor einfach aus dem Nähkästchen plaudern, und gleichzeitig gibt es viele Sätze, die man anstreichen und aufheben möchte.
    Es ist auf jeden Fall ein sehr ehrliches Buch, in dem sich der Autor sehr wohl auch der Problematik bewusst ist, die so ein Rückblick mit ausschließlichem Fokus auf das eigene Leben mit sich bringt. Gerade das hat mich am Ende versöhnt, denn zwischendurch – so muss ich zugeben – gab es für mich doch einige Längen, bei denen bei mir das Interesse etwas schwand.
    Wer den Schreibstil des Autors mag und gerne mehr über das Leben von Arno Geiger erfahren möchte, wird an diesem Buch auf jeden Fall seine Freude haben. Es ist aber ein eher leises, gemächliches Buch, ohne spektakuläre Offenbarungen, und somit eher Geschmackssache.

    Teilen
  1. Offene Biografie

    „Das glückliche Geheimnis“ wird gleich auf der ersten Seite, in den ersten beiden Sätzen gelüftet: der Autor wühlt sich seit 25 Jahren durch die Wiener Altpapiertonnen, bei Wind und Wetter, zu Fuß und mit dem Fahrrad. Dabei findet er all das, was Menschen entsorgen: Bücher, Plakate, persönliche Briefe, unbenutztes Firmenbriefpapier, Glückwunschkarten, Briefmarkensammlungen etc. Das setzt in ihm Überlegungen frei: welche Gründe haben Menschen, sich von Schriftlichem zu trennen? Ordnung? Nachlass-Sichtung? Desinteresse? Zu wenig Platz? Müll ist, so meint er, nicht nur eine gewaltige Rohstoff-Ressource, sondern ebenfalls eine kulturelle Ressource, ein Teil des kulturellen Gedächtnisses.

    Trotzdem schämt er sich für seine Müll-Touren, bis er den Film „Die Sammler und die Sammlerin“ von Agnes Varda sieht. Der Film bringt ihn zur Auffassung, dass das Sammeln ein menschliches Grundbedürfnis sei, und auch das Sammeln von Müll sei eine Kulturtechnik, bei der sich „auch im Wertlosen ein Reichtum“ (S. 36) finde.

    So erlebt es der Autor die ersten Jahre auch, und zwar wortwörtlich: er verkauft seine Funde auf dem Flohmarkt und finanziert damit seinen Lebensunterhalt. Der Fund und die Lektüre von Briefkonvoluten setzt allmählich aber einen schöpferischen Impuls bei ihm frei. So erzählt er z. B., wie ein gefundenes Konvolut von Briefen aus dem I. Weltkrieg in ihm die Grundidee für sein Buch „Unter der Drachenwand“ habe entstehen lassen.

    Das Müllsammeln strukturiert den Alltag des Schriftstellers, und es strukturiert auch verblüffend leichtfüßig das Buch. Der Leser erfährt in dieser besonderen Biografie, wie Geigers erste Romane zustande kamen und wieviel Frust und Ablehnung er seitens seines Verlages auszuhalten hatte und wie er trotzdem an seinem Lebensziel, Schriftsteller zu sein, festhielt. Geiger nimmt kein Blatt vor den Mund. Wir erfahren viel von seinem Privatleben, z. B. seiner sexuellen Libertinage, gelegentlich mehr, als es mich persönlich interessiert hätte. Ebenso offen geht er mit den Erkrankungen seiner Eltern um: des „alten Königs in seinem Exil“ und seiner intelligenten Mutter, die nach einem schweren Schlaganfall ihr Leben neu lernen musste.
    Genauso offen und ungeschönt erzählt er von seinem „depressiven Intermezzo, wie er es nennt: eine längere Schaffenskrise, aus der ihn ein streng strukturierter Alltag schließlich befreit, und zu dieser Struktur gehört auch das „Lumpensammeln“, wie er es nennt. Das er übrigens auch nicht aufgibt, als er mit Preisen überhäuft wird und zur öffentlichen Person geworden ist; niemand vermutet in dem Lumpensammler den preisgekrönten Autor.
    Auch hier ist also wie im ganzen Buch immer das Durchforsten der Altpapiercontainer der zentrale Punkt, und daher sollte der Leser keine chronologische Biografie erwarten, sondern sich der Führung des Autors überlassen.

    Geiger beobachtete in den Altpapierbriefen eine unverkrampfte, menschliche Offenheit, die ihm gefiel und die er zum Maßstab seines Erzählens machte. Das ist ihm gelungen. Geiger ist zwar nicht frei von Selbstlob und Stolz auf unkonventionelles Verhalten, und einige Passagen hätten durchaus gestrafft werden können. Dennoch bleibt nach der Lektüre der Eindruck zurück, dass hier ein liebenswerter Mensch spricht, dem wenig Menschliches fremd ist.

    Teilen