Das Glashotel

Buchseite und Rezensionen zu 'Das Glashotel' von Emily St. John Mandel
5
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Inhaltsangabe zu "Das Glashotel"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:400
EAN:9783550201820

Rezensionen zu "Das Glashotel"

  1. Von der Anziehungskraft und Macht des Geldes und so vielem mehr

    Hauptprotagonistin Vincent wuchs in Vancouver Island auf, in einem sehr kleinen Ort, der nur mit Boot erreicht werden kann. Als sie 13 Jahre alt ist, kehrt ihre Mutter nicht mehr von einem Kanuausflug zurück. Vincent wächst fortan bei ihrer Tante in Toronto auf und weiß nicht so recht, was sie mit ihrem Leben anfangen soll. Auch ihr Halbbruder Paul, der von einem Musikerleben träumt, ein ernstes Drogenproblem hat, etwas seriöses studiert, für das er sich nicht interessiert, schlingert ohne Halt durch den Alltag. Vincents Leben ändert sich schlagartig als sie als junge Frau zurück zum Ort ihrer Kindheit zieht, um dort in einem Luxushotel aus Glas als Barkeeperin zu arbeiten. Dort trifft sie den wesentlich älteren New Yorker Investor Jonathan Alkaitis, der ihr anbietet, seine „Vorzeige-Ehefrau“ zu werden. Vincent ergreift die Gelegenheit und führt viele Jahre ein Leben in Luxus. Alkaitis’ überaus erfolgreiches Geschäftsmodell ist auf Betrug aufgebaut. Mitten in der Finanzkrise endet der Traum plötzlich. Alkaitis wird verhaftet und zu 170 Jahren Gefängnis verurteilt. Seine Mitwisser, aber auch naive Investoren stehen vor dem Nichts, haben alles verloren und auch Vincent versucht ihr Leben neu zu ordnen, bildet sich fort, findet eine Arbeit auf einem Containerschiff als Köchin bis auch dieser Lebensabschnitt ein abruptes Ende nimmt.

    Immer wieder geht es in diesem Roman um ethische Fragen und die Anziehungskraft des Geldes. Finanzielle Betrugssysteme funktionieren nur, weil Beteiligte nicht sehen wollen, was passiert. Alle profitieren und es ist so leicht, sich keine Gedanken über die nächsten Einkäufe oder die nächste Miete machen zu müssen, weil Geld sowieso im Überfluss vorhanden ist. Leicht entsteht eine Art Massenwahn der Geldverliebten. Emily St. John Mandels Roman beschäftigt sich auch mit dem schlechten Gewissen bei moralisch fragwürdigen Handlungen. Sie schreibt sehr interessant über psychologische Komponenten und spürt den inneren Ansprüchen nach, ein Held oder guter Mensch sein zu wollen. „In unserem geheimen Leben wären wir alle für die Wahrheit gestorben, und wenn nicht gerade gestorben (…) nur bekamen wir in unserem wahren Leben eine exorbitante Summe Geld dafür, den Mund zu halten“ (220). Immer wieder fokussiert die Autorin kurz die „Schattenwelt“, einer Welt für Menschen in prekären Verhältnissen ohne Besitz und finanzielle Mittel. Sie zeigt die Extreme von Reich und Arm und auch wie schnell sich das Blatt für einige wenige ändern kann. Darüberhinaus beschäftigt sich der Roman mit unterschiedlichen Lebensentwürfen im 21. Jahrhundert und fragt, was für ein erfülltes oder zufriedenes Leben notwendig ist. Die Protagonist:innen wirken dabei größtenteils verloren. Die Erfüllung von Träumen, sofern vorhanden, scheitert entweder am fehlenden Geld oder daran, dass finanzielle Sicherheiten nicht aufgegeben werden wollen. Das Glashotel, das mitten in der kanadischen Wildnis steht, und einen atemberaubenden Blick auf dieses ungezähmte Leben freigibt, steht dabei sinnbildlich für viele Protagonist:innen dieses Romans, die in sich selbst gefangen sind. Das echte, das wahre Leben findet sich hinter dem Glas. Doch es gehört Mut dazu, sich dem Leben auszusetzen, sich ohne Schutzpanzer einzulassen und Akteur:in des eigenen Lebens und nicht nur Mitläufer:in oder Beobachter:in zu sein.

    Die Autorin erzählt äußerst fragmentarisch: Zeitsprünge und Perspektivenwechsel reihen sich zuweilen in schneller Abfolge aneinander. Einige Handlungsfäden werden nicht fortgeführt und verlieren sich irgendwie im Lauf der Geschichte. Das trifft auch auf manche Protagonist:innen zu, die irgendwann mal zentral und später nur noch eine Randnotiz Wert sind. Emily St. John Mandel spielt auch mit inneren „Was-wäre-wenn-Geschichten“ und auch Verstorbene tauchen als Geister auf. Das Glashotel ist ein eigenwillig komponierter Roman, für den es ausreichend zusammenhängende Lesezeit benötigt - sonst besteht die Gefahr den Überblick zu verlieren. Obwohl einige Geschichten im Sand verlaufen, ist der Roman stimmig und zentrale Fragen werden zum Ende aufgelöst. Auch wenn die Charaktere überwiegend unnahbar bleiben, mochte ich die Erzählweise und die fragmentarische Dichte des Romans sehr.

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