Das Flüstern der Feigenbäume

Buchseite und Rezensionen zu 'Das Flüstern der Feigenbäume' von  Elif Shafak
4
4 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das Flüstern der Feigenbäume"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:448
Verlag: Kein & Aber
EAN:9783036958637

Rezensionen zu "Das Flüstern der Feigenbäume"

  1. 4 sehr gute Sterne!

    Klappentext:

    „Im Jahr 1974 befindet sich das idyllische Zypern kurz vor dem Bürgerkrieg. Eine Taverne, betrieben von einem schwulen Paar, ist der einzige Ort, an dem sich der Grieche Kostas und die Türkin Defne treffen können. Der prachtvolle Feigenbaum im Innenhof der Taverne ist Zeuge ihrer glücklichen Begegnungen und stillen Abschiede. Der Feigenbaum ist auch da, als der Krieg ausbricht und Menschen auf der ganzen Insel spurlos verschwinden.

    In der Gegenwart steht der Baum im Garten von Kostas und seiner 16-jährigen Tochter Ada in London. Ada weiß nichts von ihrer Heimat, Kostas hüllt sich in Schweigen, wenn es um seine verstorbene Frau Defne geht, Adas Mutter. Nur die Wurzeln des Baums stellen noch eine Verbindung dar zu dem, was geschehen ist. Doch Ada forscht nach: Was verbirgt sich hinter dem Schweigen ihres Vaters? Warum musste ihre Mutter sterben? Während sie die dunklen Schatten ihrer Familie ausleuchtet, erwartet die Feige im Garten den kältesten Wintereinbruch seit Jahrzehnten.“

    Diese Mal mein Fazit zu allererst: ein äußerst besonderes, lesenswertes Buch, welches tief unter die Haut geht, wenn der Leser einmal richtig drin ist. Ausgefeilte Charaktere und ein einmaliges Flair lassen diese Geschichten im Kopf der Leserschaft Realität werden! 4 von 5 Sterne hierfür.

    Das Buch wurde immer hochgelobt und mir des öfteren bereits empfohlen. Als ich dann endlich damit begann es zu lesen, war die Neugier groß und auch die Erwartungen. Ich muss zugeben, mit der Geschichte Zyperns mich nur bedingt beschäftigt zu haben. Anhand dieses Buches hatte sich das während des Lesens der Geschichte rund um Defne und Kosta geändert und ich muss klar sagen: ohne Vorwissen ist man hier etwas verloren. Selbstredend kennt man die „Spaltung“ zwischen türkischem und griechischem Teil aber welche Gesichter sie jemals hatte, wissen wohl nur die Wenigsten von uns. Wir befinden uns hier also Mitte der 1970er Jahre und es herrscht Bürgerkrieg. Der Zypernkonflikt ist der große Wendepunkt unserer Protagonisten Defne und Kosta. Beide lieben sich und treffen sich immer wieder am Feigenbaum und dann geschieht das, wovor beide mehr als Angst hatten: Gräueltaten der beiden Lager eskalieren. Man fiebert mit beiden Personen mit, kann sich sehr gut in sie hineinversetzen, auch wenn der sprunghafte Schreibstil den Leser gehörig fordert nichts zu überlesen, und hat das Gefühl mitten im Geschehen zu sein. Der bereits benannte Feigenbaum ist der rettende Anker. Seine Symbolträchtigkeit ist enorm. Nicht nur als erotisches Sinnbild ist dieser zu betrachten (in der griechischen Antike bereits so eingeordnet) sondern ist er auch Orakelbaum. Selbst Dante hat diesen Baum bereits als Metapher für das Gute bezeichnet…Anbei mal ein Zitat welches alles wohl treffend auf den Punkt bringt: „…Der Feigenbaum ist wie jeder Baum Symbol des großen Weiblich-Mütterlichen, der Materie der Welt, des unbewussten Wachstums und der geistigen Entwicklung als Leben spendendes wie auch Tod bringendes Prinzip. Mit seiner Üppigkeit der dichten, wohlgeformten Blättern und nahrhaften, süßen Früchten zog er, als Baum des Paradieses, der nur in der mediterranen Wärme wächst, jedoch seit dem Altertum vielfältige Projektionen auf sich in Zusammenhang mit Fruchtbarkeit, Lebenskraft, Geschlechtstrieb und verschiedener erotischer Aspekte. Im Feigenbaum vereinigen sich das männliche und weibliche Prinzip (das Feigenblatt als das männliche Geschlecht, die Frucht als Hodensack- die Frucht als die weibliche Geschlecht, Vulva oder als Brüste). Da alle wilden Feigen eine Lebensgemeinschaft (Symbiose) mit Feigenwespen haben, die die Befruchtung herbeiführen, kann die Feige auch als Symbol für das Zusammenleben zweier unterschiedlicher Wesen verstanden werden, die aufeinander angewiesen sind.“ (Quelle: https://symbolonline.eu/index.php?title=Feige). Wenn wir nun also unsere Geschichte weiter betrachten, ist klar zu erlesen, die Liebe der Beiden ist wahre Liebe aber es gibt Hindernisse. Das wohl schönste Resultat ihrer Liebe ist Tochter Ada. Diese forscht, verständlicher Weise, in den alten Wunden der Familie. Kosta verschweigt (einerseits verständlich aber auch sehr egoistisch) alles dazu und es soll sein persönlicher Schutzschirm sein. Man folgt Ada, ja, und erliest so das tragische Bild einer Familie, welches definitiv bewegt. Autorin Elif Shafak hat eine Art modernes Märchen erschaffen, das einerseits Geschichte aber eben auch eine emotionale Liebesgeschichte erzählt. Die Liebe ist hier ebenso wie der Feigenbaum der rote Faden der Story. Wie gesagt, hatte mich der Schreibstil und auch ab und an der Ausdruck etwas mehr Mühe gekostet der Geschichte zu folgen. Mein besonderes Highlight: das Flüstern der Feigenbäume! Der Buchtitel erfährt hier definitiv seine Bestimmung! Es gab so einige Figuren, so einige Entdeckungen, so einiges an Liebe. Vielleicht war es manchesmal einfach für mich zu viel aber mehr als 4 sehr gute Sterne sind es nicht in meinen Augen.

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  1. Weise gehen in den Garten

    "Dumme rennen, Kluge warten, Weise gehen in den Garten ..." (Rabindranath Tagore)

    Die Zeiten, als "ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt", sind lange vorbei. Mehr denn je ist es heute notwendig über Bäume zu sprechen - man spricht automatisch über die Untaten mit. So lässt auch Elif Shafak in dem Roman "Das Flüstern der Feigenbäume" zwei Bäume erzählen; oder vielmehr nur einen einzigen Baum, denn der zweite, jüngere ist ein Ableger des ersten.

    Die alte Feige, die zuerst erzählt, wächst mitten in einer Taverne auf Zypern durch die Decke des Gastraums. Es gibt dort zwei Gastwirte, einen Griechen und einen Türken. Und die Taverne ist der einzige Platz, an dem sich das junge Liebespaar Kostas (ein Grieche) und Defne (eine Türkin) treffen können. 1974, als die Geschichte beginnt, sind beide erst achtzehn. Mit der gewaltsamen Besetzung Nordzyperns durch die Türken wird ihre Liebe vollends unmöglich; sie werden getrennt. Erst in den frühen 2000er Jahren sehen sie einander wieder.

    Wie wir in einem zweiten Erzähstrang aus den 2010er Jahren schon zu Anfang erfahren haben, schaffen es die beiden doch noch, in London eine Familie zu gründen. Die Autorin verbindet die beiden Stränge sehr geschickt durch die immer wieder eingeschobenen Kommentare des Feigenbaums; die Geschehnisse in London beobachtet der jüngere Klon des ersten. Kostas ist ein leidenschaftlicher Gärtner und Naturschützer, der die alte Feige in seinem Londoner Garten zu neuer Blüte bringt. Hier versucht die sechzehnjährige Ada, Tochter von Kostas und Defne, sich die Geschichte ihrer Familie zu erschließen. Ihre klarsichtige Intelligenz, begleitet von pubertärer Nickligkeit, bringt im Nachhinein ein wenig Witz und Alltag in die tragischen Erzählungen aus der Vergangenheit.

    Elif Shafak erzählt äußerst lebendig und einfühlsam. Kostas' und Defnes Liebe wird zum Sinnbild der Verwerfungen des Bürgerkriegs. Von den vielen Kriegstoten und Vermissten berichtet die erwachsene Defne, die mit einem Archäologenteam anonyme Gräber öffnet und Tote zu identifizieren versucht. Weitere Beiträge zur Geschichte der Insel Zypern kommen von der "glücklichen Feige" (das ist der Name der Taverne!), dem alten Baum, der als gewachsener Bestandteil der Insel eine Art Universalwissen mitbringt. Hier wird es manchmal ein bisschen zuviel des Guten, wenn die Feige berichtet, was ihr eine Ameise, eine Maus oder eine Biene erzählt haben: Klatsch und Tratsch zwischen Pflanze und Tier unter dem grünen Blätterdach. Trotzdem sind gerade diejenigen Kapitel, in denen die Feige spricht, oft wahre Juwelen der Erzählkunst. Hier wird in schöner, schlichter und bildhafter Sprache der Bogen gespannt zur heutigen Zerstörung ganzer Ökosysteme, Artensterben, "Speciesismus" (warum verachten wir Tauben und Flughunde?), aber auch zur Resilienz und Auferstehung der Natur auch unter schwierigsten Bedingungen.

    Ein Buch über alles: die Feigenbäume flüstern über Bürgerkrieg und Vorurteile, über Umweltzerstörung, Aberglauben und Intoleranz, Ökologie und die heilsame Kraft alter Bäume. Sehr lesenswert! (Kleiner Punktabzug nur wegen der Dialoge zwischen Feige und den sie besuchenden Tieren, die manchmal sehr "herbeigeschrieben" daherkommen.)

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