Das Flirren der Dinge

Buchseite und Rezensionen zu 'Das Flirren der Dinge' von Raffaella Romagnolo
5
5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das Flirren der Dinge"

Antonio ist auf einem Auge blind – und doch wählt der große Fotograf Alessandro Pavia von allen Kindern im Waisenhaus ausgerechnet ihn als Lehrbuben aus. Er nimmt ihn mit in sein luftiges Atelier über den Dächern von Genua und bringt ihm seine Kunst bei. Im frisch vereinigten Italien gilt es viel festzuhalten. Doch als bei einem Arbeiteraufstand eine junge Hebamme vor Antonios Linse läuft, sieht er mehr als ihre Gestalt. Vielleicht die Zukunft?

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:352
Verlag: Diogenes
EAN:9783257071962

Rezensionen zu "Das Flirren der Dinge"

  1. Ein echtes Lesehighlight!

    !ein Lesehighlight 2022!

    Klappentext:

    „Antonio ist auf einem Auge blind – und doch wählt der große Fotograf Alessandro Pavia von allen Kindern im Waisenhaus ausgerechnet ihn als Lehrbuben aus. Er nimmt ihn mit in sein luftiges Atelier über den Dächern von Genua und bringt ihm seine Kunst bei. Im frisch vereinigten Italien gilt es viel festzuhalten. Doch als bei einem Arbeiteraufstand eine junge Hebamme vor Antonios Linse läuft, sieht er mehr als ihre Gestalt. Vielleicht die Zukunft?“

    Autorin Raffaella Romagnolo hat sich auch mit diesem Roman in mein Leserherz weiter und tiefer eingenistet. Mit „Das Flirren der Dinge“ hat sie mal wieder ein kleines Meisterwerk vollbracht. Ihre Figur des „Antonio“ hat etwas magisches an sich. Einerseits empfindet man für das halbblinde Waisenkind Mitleid, erfährt aber schnell dass er durch die Linsen der Fotoapparate mehr sieht und er eine besondere Gabe hat. Sie denken jetzt das ist Kitsch oder dummer Klamauk? Fehlanzeige und bei Romagnolo schonmal gar nicht möglich. Sie zeichnet wahrlich ein ganz zartes Geflecht aus Worten und Metaphern rund um ihre Figuren und lässt sie vor dem inneren Auge erscheinen. Die zarten Töne zwischen den Zeilen muss man erkennen und genießen - dann wird’s auch was mit diesem Buch! Ihr Ausdruck ist ruhig und in gewisser Weise beflügelnd aber auch nachdenklich. Antonio sieht mehr als andere - oder doch nicht? Kommt es denn nicht nur auf die Perspektive an sondern auch auf das Motiv oder umgedreht? Was sehen wir denn wenn wir etwas sehen wollen? Aber nicht nur das. Der Leser wird sehr angenehm in die Welt der Fotografie eingeführt und auch in die politische Zeit damals. Wir erfahren einerseits etwas über und durch Antonio aber auch über andere Haupt- bzw. Nebendarsteller. All diese Figuren wirken gekonnt in der Geschichte mit und der Spannungsbogen ist da, wenn auch leise aber der Sog für diese Geschichte ist unausweichlich. Was hier aber Romagnolo wieder geglückt ist, ist die Tatsache das man Geduld und ein wenig Selbstdisziplin für dieses Buch braucht. Man muss gewissenhaft und genau lesen ohne etwas dabei zu vernachlässigen. Ich bin dem gern nachgekommen denn Romagnolo macht es einem mit ihrem Stil nicht schwer. Sie ist eine Meisterin in ihrem Fach und ich bin restlos begeistert von diesem Prachtwerk! Eine absolute Leseempfehlung von mir inklusive 5 von 5 Sterne!

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  1. Das Findelkind aus dem Pammetone

    Als am 26.4.1867 Allessandro Pavia, der Fotograph mit dem wilden Rauschebart, das elfjährige Findelkind Antonio aus dem Pammatone, dem Waisenhaus in Genua, holt, ahnt derjenige nicht im entferntesten, welche Auswirkungen dies auf seine Zukunft haben wird - er ist einfach nur froh, diesem Waisenhaus zu entkommen. (Außer, dass er am 13.6.55 wahrscheinlich zwischen Sottoripa und Porta Soprana geboren wurde, ist nichts bekannt über ihn.)

    Der Meister braucht Antonio als Assistenten und lässt sich auch nicht von dessen stark eingeschränkter Sehfähigkeit (die Pupille des einen Auges ist milchig) abschrecken. Und Antonio lernt schnell: er lernt z.B. mit Kaliumiodit, Silbernitrat, und Natriumthiosulfat umzugehen und entwickelt den erforderlichen Blick für die Aufnahmen – der Meister lässt ihm deshalb immer mehr freie Hand. (Wir, die Leserschaft, können dabei die Entwicklung der Fotografie verfolgen.) Aber was hat es mit seinem Blick in die Zukunft auf das Schicksal seiner ‚Fotomodelle‘ mit dem ‚verrückten Auge‘ am Sucher auf sich?

    Wichtige und einschneidende historische Ereignisse jener Zeit werden eindrucksvoll geschildert: z.B. die ungewöhnliche Art der Konservierung im Jahr 1872 von Giuseppe Mazzini, auch als Giorgio Brown bekannt, damit er länger von der Bevölkerung betrachtet werden konnte. Der als ‚Bava-Beccaris-Massaker‘ bekannte Aufstand wegen Brot im Jahr 1898 hat auch für Antonio private Auswirkungen – er lernt dadurch Caterina kennen. (Die Nachwirkungen des Aufstands erfolgten im Sondergerichtshof in 129 Prozessen mit 828 Angeklagten – die letzte Schlacht von General Bava Beccaris.)

    Wir lesen außerdem von der beruflichen Karriere und sozialen Entwicklung von Rosetta zur Madame Amarante, Madame Carmen bis zu ihrer Heirat als Rosa Bernard Mord und weiter, auch die Weisheiten und das Können von Hebammen sind ein Thema. (Sie alle aufzuführen, würde die Rezension sprengen!)

    Das Buch ‚Das Flirren der Dinge‘ erinnert mich an ein barockes Gemälde: reiche Farbigkeit, viel Bewegung, Darstellung von Licht und Schatten + opulente Details – einfach ein Meisterwerk! Ja, diese Vielzahl an Ereignissen und die Zeitsprünge bedeuten eine Herausforderung für die Konzentration, aber es lohnt sich: die Fülle an historischen Informationen, die herrlichen Charakterschilderungen, Szenen, bei denen mir der Atem stockte und diese prachtvolle Sprache wiegen alles auf! 5 Sterne deshalb von mir und volle Leseempfehlung!

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