Das dritte Licht

Buchseite und Rezensionen zu 'Das dritte Licht' von Claire Keegan
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5 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das dritte Licht"

Irland, zu Beginn der 1980er Jahre: An einem heißen Sommertag liefert ein Vater seine kleine Tochter bei entfernten Verwandten auf einer Farm im tiefsten Wexford ab. Seine Frau ist schon wieder schwanger, noch ein Maul wird zu stopfen sein. So findet sich das Mädchen bei dem kinderlosen Ehepaar John und Edna Kinsella wieder. An einem ungewohnt schönen und behaglichen Ort, wo es Milch und Rhabarber und Zuwendung im Überfluss gibt. Aber auch ein trauriges Geheimnis, das einen Schatten auf die leuchtend leichten Tage wirft, in denen das Mädchen lernt, was Familie bedeuten kann. Das dritte Licht (»Foster«) wurde mit dem renommierten Davy Byrnes Award ausgezeichnet und in Irland als The Quiet Girl, ebenfalls preisgekrönt, verfilmt. Nun ist diese meisterhaft komponierte Geschichte über wirkliches Zusammenleben, Zuneigung und Zärtlichkeit endlich wieder in der deutschen Übersetzung von Hans-Christian Oeser bei Steidl erhältlich – in einer neuen, von der Autorin überarbeiteten Fassung.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:104
Verlag: Steidl Verlag
EAN:9783969991992

Rezensionen zu "Das dritte Licht"

  1. Was ist Familie?

    Erzählbände sind eher eine Seltenheit, dass diese in meine Hände finden und dennoch wollte ich es einmal wagen. Und was soll ich sagen? Ich bekam eine sehr intensive, emotionale Erfahrung.

    In der Geschichte lässt uns ein sehr junges Mädchen als namenlose Ich- Erzählerin an ihrem Leben teilhaben. Die Mutter wieder schwanger. Ein weiteres Maul zu stopfen. Keine Zeit. Da kommt das Mädchen zu entfernten Verwandten. Wie wird es ihr bei den Kinsellas ergehen? Wird sie als billige Arbeitskraft missbraucht oder gar Schlimmeres?

    Keegans Erzählung füllt nur knapp 95 Seiten und weiß so viel zu erzählen wie ein 500 Seiten Wälzer. Mit wenigen Worten erschafft sie eine Intensität, dass zumindest ich beim Lesen Gänsehautmomente hatte.

    Als Leser spürt man sehr intensiv wie sehr das junge Mädchen damit hadert bei den Kinsellas anzukommen. Denn entgegen aller Befürchtungen geht es ihr bei den Fremden viel besser als daheim. Sie wird umsorgt, bekommt neue Kleidung, hat ausreichend zu essen und erlebt scheinbar zum ersten Mal Zuneigung und Fürsorge anstatt andauernde Ablehnung. Das hat mich schon sehr berührt.

    Hinzu kommt noch das Geheimnis dieser beiden alten Herrschaften, welches das Mädchen im Verlauf der Zeit ergründet.

    Über das Ende musste ich dann etwas länger grübeln wie es gemeint war, nur um dann eine herzzerreißende Erkenntnis zu erlangen. Aber dafür müsst ihr dann schon selbst einen Blick ins Buch werfen.

    Fazit: Eine zauberhafte Geschichte mit Tiefgang, die mich im Herzen berührt hat. Nur zu gern spreche ich eine Leseempfehlung aus.

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  1. 5
    12. Sep 2023 

    Exzeptionell

    Claire Keegans Novelle ist 95 Seiten kurz, aber so gehaltvoll wie ein dicker Wälzer. Es braucht nur wenige Seiten, bis sie uns in ihren Bann geschlagen hat: Wir sind zu Komplizen der Protagonistin geworden, ihre Wünsche und Kümmernisse sind die unseren.

    Dabei ist das, was Keegan ihre namenlose Ich-Erzählerin berichten lässt, ganz unspektakulär, oder so scheint es auf den ersten Blick. Ihre Kunst besteht im Weglassen, die Form der Leerstellen trägt entscheidend zum Gesamtbild bei. Die Struktur ist von kristalliner Klarheit: Wir beginnen am Anfang, werden linear durch die Gegenwart geführt und enden beim unvermeidlichen Ende. Das heißt nicht, dass die Story vorhersehbar ist – in der zweiten Hälfte gibt es einen Bruch, der so überraschend wie erschütternd ist. Zeitlich lässt die Erzählung sich in den frühen 80ern verorten; der irische Hungerstreik, die EWG, der Butterberg.

    Ohne jede Erklärung und ohne Abschied wird die Erzählerin von ihrem Vater bei offenbar kinderlosen Verwandten der Mutter in Pflege gegeben, denn diese steht kurz vor der Geburt eines weiteren ungewollten Kindes. Trotz der heiteren Atmosphäre auf der gut geführten Farm ist etwas Trauriges um die Kinsellas, und es gibt einige Rätsel, die die Erzählerin registriert, aber in ihrer Unschuld nicht zusammenbringt. Souverän vermeidet Keegan den frühreifen Ton, der sich oft in Kinderperspektiven einschleicht. „Fräulein Langbein“, wie John Kinsella sein Pflegekind nennt, hat die perfekte Balance zwischen Naivität und kindlicher Cleverness.

    Die Familie der jungen Erzählerin ist die Verkörperung eines irischen Klischees: Die überforderte und ausgelaugte Mutter ist ständig schwanger, es gibt viele Kinder, der Vater trinkt und spielt und hält nicht viel von Arbeit, Elend und Armut herrschen. Aber dennoch steht diese Geschichte in ihrem eigenen Recht, denn das ist nicht die Story, sondern das Setting für das, was Keegan wirklich erzählen will. Fräulein Langbein lernt in diesem kurzen Sommer, was eine Familie sein kann, was ein echtes Gespräch ist, was Liebe und Fürsorge sind und sie lernt sehen – und das ist wahrlich herzzerreißend – was sie zu Hause nicht hat.

    „Kinsella nimmt meine Hand in seine. Sobald er sie nimmt, merke ich, dass mein Vater kein einziges Mal meine Hand gehalten hat, und ein Teil von mir will, dass Kinsella mich loslässt, damit dieses Gefühl vergeht. Es ist ein hartes Gefühl […].“

    Sie lernt aber auch vieles über die Grausamkeit der Dorfbewohner, die die Kinsellas neidisch und missgünstig beobachten. Und sie lernt, sie und sich davor zu schützen. Keegans Figurenzeichnung, nicht nur der Dorfbewohner, ist meisterhaft in ihrer Knappheit. Bei den Kinsellas verzichtet sie klugerweise darauf, sie über die Maßen zu idealisieren. Wie diese am Abend eines arbeitsreichen Tages mit ihren lauten Freunden Karten kloppen, lachen und feiern, das verleiht ihnen bodenständige Glaubwürdigkeit.

    Das offene Ende der Novelle entfaltet eine ungeheure emotionale Wucht – und wirft die Frage auf, ob es gut oder grausam war, die Erzählerin diese Erfahrung machen zu lassen, nur um sie ihr wieder zu entziehen.

    Wie Keegan die ganz elementaren Dinge unserer menschlichen Existenz auf engstem Raum verhandelt, das ist ganz große Kunst. Ein exzeptionelles Buch. Lesen!

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  1. Schnörkellos, intensiv und zu Herzen gehend

    Ein junges Mädchen aus einer kinderreichen, ärmlichen, irischen Familie wird eines Tages von ihrem Vater zur Verwandtschaft gebracht. Da erneut Zuwachs erwartet wird (noch ein ungewolltes Kind!), soll diese Aktion die Mutter etwas entlasten. Das Mädchen verbringt also einige Wochen, bevor die Schule beginnt, bei den Verwandten auf dem Land, die sie Mr und Mrs Kinsella nennt.

    An der Art und Weise des Erzählens wird schnell klar, welch eine große Veränderung dem Mädchen widerfährt. Hier ist es die Kunst der knappen, schnörkellosen Sprache und des Weglassens, was mir insbesondere auch zwischen den Zeilen viel verrät und mich die Ambivalenz der Gefühle des Mädchens spüren lassen. Es entwickelt sich eine unglaublich liebevolle Beziehung der drei zueinander. Voller Poesie und Zärtlichkeit beschreibt Keegan die liebenden und fürsorglichen Verwandten, das Leben auf dem Hof und die Beziehung zum Mädchen. So schön und berührend, dass mir bisweilen ein Kloß im Halse steckt.

    Diese Erzählung, in der ein Mädchen einen Sommer bei Verwandten verbringt und erfährt, wie sich Familie auch anfühlen kann, hat mich in ihrer Zartheit und Warmherzigkeit wie eine ganz feste Umarmung berührt und gleichzeitig traurig zurück gelassen. Ein Buch zum immer wieder Lesen. Große Empfehlung!

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  1. 5
    12. Mär 2023 

    Abgeschoben

    Wir schreiben die 80er Jahre und befinden uns im Südosten von Irland! Weil ihre ‚Mammy‘ ein weiteres Kind erwartet, wird das kleine irische Mädchen vom Vater zu Verwandten gefahren, Edna und John Kinsella.

    Und das namenlose Kind erzählt uns von seinem Alltag, wie es integriert wird in der Familie, wie es mithilft, wie es das Ehepaar erlebt. Es passiert nichts Weltbewegendes, aber wir erkennen sehr deutlich den gewaltigen Unterschied zwischen den zwei Haushalten.

    Sehr berührend fand ich z.B. die Szenen mit der ‚weinenden Matratze‘ und den Einkauf der Kleidung! Und dann ist die Zeit abgelaufen und das Ehepaar Kinsella bringt das Mädchen wieder zurück.

    Nachdem unser Sohn 8 Jahre in Irland lebte, studierte und arbeitete, wir ihn regelmäßig besuchten und mit ihm das Land erkundeten, habe ich eine besondere Beziehung zu Irland. Nach ‚Kleine Dinge wie diese‘ begeisterte mich erneut ein Roman der Schriftstellerin, die in der Grafschaft Wicklow geboren wurde und auf einem Bauernhof aufwuchs. Durch sie tauche ich mit jedem Buch tief in das irische Leben ein!

    Fünf Sterne vergebe ich dafür und empfehle es allen, die Interesse an diesem faszinierenden Land haben.

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