Das Café ohne Namen

Da mir so oft von Seethaler vorgeschwärmt wurde, musste ich meine Neugier dann auch mal befriedigen und begann interessiert zu lesen und ich wurde wirklich überzeugt.
Robert Simon ist Gelegenheitsarbeiter und hat diesen einen Traum: sein eigenes Café. Dieser Traum erfüllt sich, doch ist dies harte Arbeit und aus Leidenschaft könnte schnell Frust werden, doch nicht so bei Robert, der seine Aufgabe ernst nimmt und in seinem Viertel zu einer Institution wird. Kann das ewig so gut gehen?
Mir hat gefallen, dass es nicht so sehr ums Café geht, sondern um den Alltag der Wiener in den 60ern und wie sie sich auch nach langen Jahren nach dem Krieg immer noch abmühen. Für mich fühlte es sich eher wie 50er an, aber vielleicht erscheint einem heute auch generell viel sehr rückständig. Das Café ist Treffpunkt, quasi der Dreh- und Angelpunkt der Geschichte, mehr jedoch nicht.
Ich kann gar nicht in Worte fassen wie hier Tragik und Positives Hand in Hand durch die Geschichte ziehen. Genauso ist das echte Leben und das hat mir sehr gefallen.
Zudem mochte ich, dass uns Seethaler nicht mit einer Liebesgeschichte quält. Natürlich kann man sich nach Liebe sehnen so wie Robert, aber oft geht sie eben nicht in Erfüllung oder ist eben nicht so wie erträumt.
Mir hat der Roman Lust auf Wien gemacht und einfach nur mal durch Cafés zu streifen ohne sonstigem Ziel und vielleicht mal Leute zu beobachten.
Fazit: Berührt und bewegt mit leisen Tönen. Wer das mag, bekommt hier alles was er liebt.
In den 1960er Jahren sind die Auswirkungen des zweiten Weltkriegs noch zu spüren, aber dennoch ist eine Aufbruchstimmung zu erkennen. Mit seiner Stellung als Gelegenheitsarbeiter ist Robert Simon nicht mehr zufrieden. Im Jahr 1966 ergreift er die Gelegenheit, am Großmarkt mietet er Räume, um ein Café zu eröffnen. Das Angebot wählt er etwas umfangreicher als bei einem Café und nach ein paar Anlaufschwierigkeiten kommen die Gäste, die Marktbetreiber, die Zufallskunden, Bekannte und Fremde, die zu Bekannten werden. Robert Simon hat etwas Eigenes geschaffen, er hat gewienert und geputzt, um es den Gästen freundlich und einladend herzurichten.
Robert Simon ist ein sympathischer Typ, zurückhaltend zwar, gar manchmal verschlossen, aber zuverlässig und beständig. Wer ihn zum Freund hat, kann sich wohl auf ihn verlassen. So hilft er einem Freund mit Mila, die im Café eine Anstellung gefunden hat, zusammenzukommen. Und auch seiner Vermieterin, einer älteren Dame, greift er unterstützend unter die Arme als es nötig ist. Manchmal liegen Glück und Pech nahe beieinander und an manchen Wendepunkten fragt man sich, was gewesen wäre, wenn Entscheidungen anders getroffen würden. Roberts Café hat keinen richtigen Namen, es ist einfach im Viertel da und es ist für das Viertel da.
Der Name des Autors ist bekannt und wenn man noch keines seiner Werke gelesen hat, so ist man mit der Zeit neugierig geworden. Das Thema des recht unbedarften und im Zuge der Zeit durchaus erfolgreichen und sympathischen Gründers ist dabei ansprechend. Allerdings wirkt die Erzählung episodenhaft, was vielleicht mit dem Zeitraum zu erklären ist, über den sich die Handlung erstreckt. Vielleicht ist es auch eine Abbildung der Gäste, die häufiger erscheinen oder seltener oder auch nur ein Mal. Wenn es ein Konzept ist, ist es eine tolle Idee, wenn einem dieses Bruchstückhafte liegt. Doch auch eine gewisse Traurigkeit liegt über den Roman, als sei es Robert Simon beinahe von Anfang an gewiss gewesen, dass er sein Café nicht ewig betreiben wird. Die freudige Dynamik des Beginns verfliegt recht bald. Die angemessene und getragene Vortragsweise des Vorlesers Matthias Brandt bringt die Stimmung des Werkes hervorragend zur Geltung. Nach Abschluss des Hörerlebnisses darf man konstatieren, dass einem dieser Roman vielleicht nicht hundertprozentig liegt, es sich aber um eine Erzählung handelt, die ausgesprochen lesens- oder hörenswert ist.
Im Übrigen ist die Abbildung eines möglichen Robert Simon auf dem Cover ziemlich gut getroffen.
Im Mittelpunkt des neuen Romans von Robert Seethaler stehen die einfachen Menschen im Wien der Jahre 1966 bis 1976. Protagonist ist der anfangs 31-jährige Robert Simon, der bisher als Gelegenheitsarbeiter auf dem Karmelitermarkt arbeitete. Als Kriegswaise konnte er nicht lange zur Schule gehen. Nun erfüllt er sich seinen Traum, als er die Gasträume des ehemaligen Marktcafés am Karmelitermarkt anpachtet. Sie sind nicht nur abgestanden, sondern auch verdreckt, feucht und in die Jahre gekommen. Es gibt viel zu tun, doch Robert geht mit viel Tatkraft und Idealismus an die anstehenden Aufgaben.
Die Arbeit lohnt sich. Das Café, in dem es neben verschiedenen Getränken nur eine kleine Auswahl an einfachen Gerichten gibt, wird von den Menschen der Umgebung und den Marktbesuchern gut angenommen. Bald schon kann der sympathische Robert mit der arbeitslosen Näherin Mila eine tatkräftige Kellnerin einstellen und sich später sogar einen Ruhetag gönnen. Dennoch bleibt kaum Freizeit. Robert wohnt bei einer älteren Kriegerwitwe zur Untermiete, die ihm immer wieder mit praktischen Ideen zur Seite steht. Im Gegenzug übernimmt er Einkäufe oder unterstützt die ältere Dame, wenn sie Hilfe braucht. Roberts bester Freund Johannes betreibt die dem Café gegenüberliegende Metzgerei. Seine Familie wächst schnell, oft hat er Angst, sie nicht satt zu bekommen, zumal seine Ehefrau psychisch belastet ist. Mila verliebt sich in René, den gutmütigen aber unzuverlässigen Ringer vom Heumarkt, der Sympathien für den Kommunismus hegt… Derlei Geschichten gibt es einige.
Es gelingt dem Autor ganz hervorragend, das Leben der einfachen Menschen in schwierigen Zeiten zu portraitieren. Er fängt das Flair der Stadt wie der Zeit ein und zeichnet eine authentische Milieustudie, in der er die Sorgen, Nöte und Hoffnungen, aber auch die Solidarität der Arbeiterklasse an konkreten Beispielen veranschaulicht. Verschiedenste Charaktere kommen ins Café: Arbeiter mit teilweise ungewöhnlichen Berufen, Tagelöhner, Säufer, Händler, Künstler, auch ganz normale Leute. Jede Figur hat ihre Geschichte, die der Leser kennenlernen darf. Sei es durch die Handlung an sich, sei es durch „belauschte“ Gedankengänge oder Gespräche an den verschiedenen Tischen. Der Eine träumt von Amerika, der Andere von besseren Arbeitsbedingungen und mehr Gerechtigkeit, die Nächste sinnt über eine im Fluss gefundene Selbstmordleiche nach. Wirklich glücklich scheint niemand zu sein. Man ist bescheiden, zu sehr drücken Alltagsnöte und die Sorge um das tägliche Brot. Mit diesen wechselnden Erzählperspektiven gelingt es, Stimmungen und Flair der Zeit einzufangen, auch wenn sich für mein Empfinden nicht jede Sichtweise völlig organisch in die Handlung einfügt.
Der Erzählton ist gleichmäßig ruhig und lakonisch, wie man ihn aus Seethalers Romanen kennt. Der Autor beschreibt seine Figuren sehr warmherzig und wendet sich ihren Schicksalen und kleinen Freuden intensiv zu. Der Text wird dabei von einer latenten Melancholie durchzogen, wodurch er ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit gewinnt. Seethaler erschafft schöne Bilder, so dass man sich die bescheidene, noch vom Krieg gezeichnete Umgebung visuell vorstellen kann, was Kennern der Stadt Wien sicherlich noch besser gelingen dürfte als mir. Man taucht von der ersten Zeile an ins Geschehen ein, nimmt regen Anteil am Leben der Café-Gesellschaft. Obwohl die Handlung relativ unspektakulär und unaufgeregt daherkommt, weiß sie zu fesseln. Man möchte stets wissen, wie es weitergeht. Bis zum Ende bleibt Seethaler Realist, er bringt seine Geschichte seriös zu Ende, ohne der Versuchung einer Romantisierung zu erliegen. Der Autor streut zudem immer wieder reale historische Begebenheiten aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft ein, mit deren Hilfe man den Roman zeitlich gut verorten kann.
Ein sehr lesenswerter Roman, der an Seethalers große Erfolge anknüpfen kann. Große Lese-Empfehlung!
Robert Seethaler kehrt mit „ Das Café ohne Namen“ in seine Geburtsstadt Wien zurück. Hier hat er schon seinen erfolgreichen Roman „ Der Trafikant“ angesiedelt und hier steht das titelgebende Café.
Im Viertel um den Karmelitermarkt, „ eines der ärmsten und schmutzigsten in Wien“ entdeckt Robert Simon im Spätsommer 1966 ein heruntergekommenes Lokal, das zur Pacht angeboten wird . Er will es wagen und nach sieben Jahren Gelegenheitsarbeit auf dem Markt was Eigenes aufbauen. Vom Fach ist er nicht, aber zupacken kann er und vor Herausforderungen ist er noch nie zurückgeschreckt.
Leicht wurde ihm in seinen bisher einunddreißig Jahren nichts gemacht. Sein Vater kommt aus dem Krieg nicht mehr nach Hause und die Mutter stirbt drei Monate nach der Nachricht vom Heldentod an einer Blutvergiftung. Er kommt zu den Barmherzigen Schwestern in ein Haus für Kriegswaisen. Mit fünfzehn verlässt er die Schule, versehen mit den notwendigen Grundkenntnissen. Das und seine freundliche und entschlossene Wesensart müssen ausreichen für sein Vorhaben.
Nach Wochen voller Plackerei ist es soweit. Simon kann sein Café am Markt eröffnen. Die Karte ist nicht groß: zum Trinken gibt es Kaffee und Limonade, Soda und Bier, sowie Wein, rot und weiß; zum Essen Schmalzbrot mit oder ohne Zwiebel, Gurken und Salzstangen. Und die Gäste lassen nicht lange auf sich warten. Im Verlaufe der Zeit gibt es ein treues Stammpublikum, Marktbetreiber und Schichtarbeiter, Fabrikmädchen und kleine Angestellte. Bald braucht Simon Hilfe. Da passt es gut, dass die nunmehr arbeitslose Näherin Mila vor dem Café ohnmächtig vor Hunger umfällt. Mit ihr hat Simon eine tüchtige und zuverlässige Mitarbeiterin gefunden. Auch nach ihrer Hochzeit mit einem der Stammgäste steht ihm Mila weiter bei.
Es sind Jahre voller Arbeit, viele Stunden jeden Tag, sechs Tage die Woche, immer auch in Sorge um das wirtschaftliche Überleben. Doch Simon liebt seine Arbeit und seine Gäste. „ Simon musste lächeln, wenn er an all die verlorenen Seelen dachte, die sich jeden Tag in seinem Café zusammenfanden.“
Diese Stammgäste portraitiert Robert Seethaler grandios. Er braucht nur wenige Sätze und Szenen, um die Figuren lebendig und unverwechselbar zu machen. Da gibt es z.B. Simons langjährigen Freund, den Fleischermeister Johannes Berg, der sich fürsorglich um seinen alten Vater kümmert und kaum mehr weiß, wie er seine immer größer werdende Familie unterhalten soll. Oder die üppige Käsehändlerin Heide Bartholome, die eine verrückte Liebe mit dem treulosen Maler Mischa verbindet. Auch Milas Ehe mit dem Ringer Renee vom Heumarkt hat seine Höhen und Tiefen.
Dazwischen belauscht man immer wieder zwei ältere Frauen an ihrem Stammplatz im Café. Sie wissen den neuesten Klatsch und Tratsch und geben ihre im Laufe des Lebens gewonnenen Weisheiten zum Besten. „ Schmerzen sind bloß kleine Bosheiten des Lebens. Richtig schlimm wird es erst, wenn du sie nicht mehr spürst.“ und auf den Ratschlag, weniger auf das Äußere zu achten, kommt die Reaktion „ Bei den meisten gibt das Innere auch nicht viel her.“
Am stärksten aber berührt die Hauptfigur Robert Simon. Er ist genügsam, freut sich an kleinen Dingen. Glück bei den Frauen ist ihm allerdings nicht vergönnt. Die Liebe zu der jungen Jascha aus Jugoslawien ist kurz und unklar. Beständig bleibt dagegen die Beziehung zu seiner Zimmerwirtin, einer Kriegerwitwe. Sie unterstützt und ermutigt ihn und als sie alt und verwirrt ist, besucht Simon sie wöchentlich im Heim.
Simon ist ein Pragmatiker, der Rückschläge klaglos hinnimmt. Als ihm nach zehn Jahren der Pachtvertrag gekündigt wird, feiert er noch ein großes Fest mit seinen Stammgästen und schließt das Café.
Es sind alltägliche, meist wenig spektakuläre Schicksale, die Robert Seethaler in seinem Roman ausbreitet, Portraits von den sog. „ kleinen Leuten“. Die Weltgeschichte und das Zeitgeschehen werden nur im Hintergrund angedeutet. Da heißt es von einem ehemaligen Nazi, er habe „ sein Hakenkreuz mit der Rohrzange zum Jesuskreuz umgebogen“. Einem anderen erscheint der Einsturz der Reichsbrücke 1976 als Zeichen für den endgültigen Untergang des alten Österreichs. Der Aufbau des kriegszerstörten Wien wird nur an einzelnen Details angedeutet.
Denn dem Autor geht es weniger um ein Gesellschaftsportrait, sondern um eine Haltung dem Leben gegenüber. Scheitern und weitermachen, seinen Platz im Leben finden, anderen mit Liebe und Güte gegenübertreten.
So ist „ Das Café ohne Namen“ trotz seiner melancholischen Grundstimmung ein positives Buch. Dies zu vermitteln gelingt Robert Seethaler mit seinem ganz eigenen Sound: eine ruhige Erzählstimme und eine schnörkellose und unsentimentale Sprache.
Auch wenn sein neuester Roman nicht an mein absolutes Lieblingsbuch von Robert Seethaler „ Ein ganzes Leben“ heranreicht, so habe ich ihn doch sehr gerne gelesen.
Es ist keineswegs Unzufriedenheit mit seinem Leben als Gelegenheitsarbeiter auf dem Karmelitermarkt in der Wiener Leopoldstadt, die den 31-jährigen Robert Simon im Spätsommer 1966 antreibt, vielmehr eine aufflammende Sehnsucht in einer von Aufbruchsstimmung durchdrungenen Stadt:
"Eine Zeit lang arbeitete er als Abräumer und Fetzenbursch in den Pratergastgärten, und vielleicht war es hier, wo sich in ihm […] zum ersten Mal der Keim einer Sehnsucht regte: etwas zu tun, das seinem Leben eine entscheidende Bekräftigung gab. Einmal hinter der Schank seiner eigenen Wirtschaft zu stehen." (S. 18)
Noch sind Spuren der kompletten Zerstörung des Markts im Zweiten Weltkrieg in diesem ehemals jüdischen Viertel zu sehen, das jetzt zu den schmutzigsten und ärmsten der Hauptstadt gehört, Wohnort kleiner Leute, Arbeiter, Handwerker, Ladenbesitzer, Tagelöhner. Trotz der Angst vor dem Unbekannten und Respekt vor dem unternehmerischen Risiko wagt Robert Simon, moralisch unterstützt von seiner Zimmerwirtin, der alten Kriegerwitwe Martha Pohl, und seinem Freund, dem Metzgermeister Johannes Berg, den Schritt in die Selbstständigkeit und pachtet das düstere, heruntergekommene Marktcafé. 15 Stunden schuftet er an jedem Tag der Woche, immer müde und erschöpft, oft in Sorge um das wirtschaftliche Überleben seines Herzensprojekts, anfangs allein, dann mit seiner Angestellten Mila. Doch erfüllt ihn eine bisher unbekannte Kraft, er liebt seine nie endende Arbeit und den bunten Haufen genügsamer Gäste, die sich bei Heißgetränken, Himbeersoda, Alkoholika, Schmalzbroten und Salzgurken bald regelmäßig bei ihm einfinden mit ihren Geschichten, Sorgen, Nöten, kleinen Freuden und Herzenswünschen:
"Simon musste lächeln, wenn er an all die verlorenen Seelen dachte die sich jeden Tag in seinem Café zusammenfanden." (S. 71)
Heimat der Abgehängten
Der 1966 in Wien geborene Robert Seethaler erzählt in seinem Roman "Das Café ohne Namen" wie so oft von Menschen an den Rändern der Gesellschaft, in diesem Fall von denen, die nicht am großen Aufschwung der Wirtschaftswunderzeit partizipieren und sich mit Fatalismus durchs Leben schlagen:
"Es kommt und geht sowieso alles, wie es will." (S. 162)
Wie ein Hintergrundrauschen ziehen die Veränderungen zwischen 1966 und 1976 durch diese Milieustudie, Politikernamen, Bauprojekte, die Ankunft von Gastarbeitern, die Konkurrenz chinesischer Unternehmen und das Spekulantentum, dem das Café schließlich zum Opfer fällt. Parallel zum Einsturz der Reichsbrücke im Sommer 1976 wird ein rauschendes Abschiedsfest gefeiert. Angst um Robert Simon, der die Schließung wie alles andere hinnimmt, habe ich trotz allem nicht, eher schon um seine Gäste, für die das Café zur zweiten oder gar ersten Heimat geworden ist.
Ein typischer Seethaler
Im typisch melancholischen Seethaler-Sound, verhaftet in der Gegenwart der 1960er- und 1970er-Jahre, unsentimental, ohne Ausschmückungen oder Idealisierungen und mit wertschätzender Anteilnahme, geht es um einen Protagonisten, dem der Autor seinen Vornamen und seine Initialen gegeben hat, und Cafébesucher, die einem trotz Macken und Charaktermängel ans Herz wachsen. Man belauscht Gespräche, verfolgt Lebensläufe, freut sich an gelegentlichem kleinem Glück oder leidet mit bei den weit häufigeren Schicksalsschlägen, fast so, als wäre man selbst unter den Gästen.
Obwohl "Ein ganzes Leben" aus dem Jahr 2014 für mich der unerreicht beste Roman von Robert Seethaler bleibt, gehört "Das Café ohne Namen" zu meinen Lese-Highlights 2023.
Das Wien der 60er Jahre...
Auf diesen neuen Seethaler wartete ich sehnsüchtig und ich habe ohne Kenntnis über den Inhalt direkt meine Nase ins Buch gesteckt und ich wurde nicht enttäuscht.
In der Geschichte geht es um Robert Simon, der keine Lust mehr auf Gelegenheitsjobs hat, sondern seinen Traum vom eigenen Café leben möchte und so pachtet er eine Wirtschaft, die die besten Zeiten bereits hinter sich hat. Wird sein Traum das wahre Glück oder zum Albtraum?
Die große Kunst des Autors ist hier das Alltägliche der 60er in Wien zu beschreiben. Angelegt in der Nähe des Karmelitermarktes, wo bereits "der Trafikant" spielt, sieht der Leser die Armut der Menschen, die dennoch genügsam und zufrieden mit ihrem Schicksal sind, wissen sie doch genau, dass es nicht viel Veränderung geben wird. So wird das Café zu ihrem Rückzugsort, wo sie sich austauschen und einfach mal den Alltag für einige Minuten oder Stunden vergessen können.
Man merkt, dass die Arbeit im Café schon derbe Plackerei ist. Will Robert über die Runden kommen, so muss er jeden Tag offen haben. Ganz nebenbei erfahren wir als Leser wie er aufgewachsen ist und durch welche dunklen Pfade er schon gehen musste. Da hatte ich teils Gänsehaut, vor allem was das Schicksal seiner Eltern betraf. Man hat ihn einfach gern, weil ihn bereits kleine Dinge erfreuen, wie eine funktionierende Zapfanlage oder dass seine Gäste sich einmal nicht prügeln.
Doch nicht nur Robert fordert das Leben, sondern auch die Menschen um ihn herum. Da ist der Fleischermeister Johannes Berg, dessen Frau ein Kind nach dem anderen bekommt und er dennoch die Zeit findet sich um seinen alten Vater zu kümmern. Da ist Bedienung Mila, die einfach nur endlich ankommen möchte und so viele mehr.
Interessant fand ich, dass zum Einen durch einen beobachtenden Erzähler über die Akteure berichtet wird und zwischendrin ist der Leser ab und zu Zuhörer bei den Gesprächen zweier älterer Damen, die sich im Café aufhalten. So erhält man einen zusätzlichen Blickwinkel.
Die Botschaft des Romans ist eindeutig. Lass dich vom Leben nicht unterkriegen. Wenn du fällst, dann steh wieder auf, denn nur dann findest du deinen Platz im Leben.
Fazit: Seethaler ist ein Garant für gute Lektüre, die unterhält und den Leser fordert. Von mir eine klare Leseempfehlung.
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