Das Band, das uns hält (Ein Holt Roman)

Buchseite und Rezensionen zu 'Das Band, das uns hält (Ein Holt Roman)' von Kent Haruf
4.75
4.8 von 5 (13 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Das Band, das uns hält (Ein Holt Roman)"

Die achtzigjährige Edith Goodnough wurde verhaftet. Ihr Nachbar weiß um Ediths Lebenstragödien und die kleinen Lichtblicke, die vielleicht unweigerlich zu diesem Januar 1977 führten: die entbehrungsreiche Kindheit, der Tod der Mutter, der durch einen Unfall abhängige, stets wütende Vater. Wahrhaftig und einfühlsam entführt Kent Haruf abermals in ein Leben, in dem es an dem meisten fehlt, in dem es Herz und Beharrlichkeit braucht, um die Geschenke darin zu entdecken.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:336
Verlag: Diogenes
EAN:9783257072297

Rezensionen zu "Das Band, das uns hält (Ein Holt Roman)"

  1. Die erste Geschichte aus Holt

    !ein Lesehighlight 2023!

    Klappentext:

    „Die achtzigjährige Edith Goodnough wurde verhaftet. Ihr Nachbar weiß um Ediths Lebenstragödien und die kleinen Lichtblicke, die vielleicht unweigerlich zu diesem Januar 1977 führten: die entbehrungsreiche Kindheit, der Tod der Mutter, der durch einen Unfall abhängige, stets wütende Vater. Wahrhaftig und einfühlsam entführt Kent Haruf abermals in ein Leben, in dem es an dem meisten fehlt, in dem es Herz und Beharrlichkeit braucht, um die Geschenke darin zu entdecken.“

    Harufs Dauer-Leser bewegen sich hier wieder im fiktiven Örtchen Holt. Es ist Harufs erstes Werk und somit der Beginn der Holt-Reihe. Vorweg sei gesagt, alle Bände lassen sich sehr gut unabhängig von einander lesen aber Vorsicht sei geboten: Wenn man einmal sich an Holt festgelesen hat, kommt man nie wieder davon los!

    Als Haruf-Fan war es ein großer Genuss seinen Erstling zu erlesen. Ja, sein Schreibstil sein Ausdruck und auch seine Führung der Figuren war hier und da etwas steif und noch nicht so ausgefeilt wie in den Nachfolgern aber das tut der Story und ihrem Verlauf überhaupt keinen Abbruch. Ich muss auch klar sagen, diese noch recht staksige Sprache passte hervorragend zu den Figuren. Hauptprotagonistin Edith soll also in ihrem hohen Alter noch der Prozess gemacht werden. Aber warum? Erlesen Sie es! Edith ist aber nicht die einzige Person in diesem Buch. Uns werden noch Edith‘ Vater und ihr Bruder vorgestellt. Ja, es sind alles verkappte Seelen und ja, es ist nunmal das Band was sie zusammen hält. Man könnte nach allem Bösen und Guten in diesem Buch meinen, Blut ist dicker als Wasser. Vielleicht ist es das auch?! Haruf zeichnet trotz seines kantigen Schreibstils feine und sehr ausdrucksstarke Figuren mit Herz (auch egal wie sehr man sie hasst) und Verstand. Sein Humor ist teils unheimlich schwarz und bissig aber schlussendlich passt es perfekt! Wie soll man denn sonst diesen Wahnsinn durchstehen in Holt? Er nutzt mal harte mal feine Worte, er formt stets einen stimmigen Spannungs- und Erzählbogen, dass einem der Ort mit seinen Bewohnern tief ans Herz wächst. Man merkt schnell, die Bewohner dieses kleinen Städtchens haben alle ihren Rucksack im Leben zu tragen. Haruf „klingelt hier an die Haustür der Familie Goodnough, er öffnet diese Tür und wir lernen ihre Geschichte kennen. Wie herrlich es ist, dass wir noch mehr Bewohner Holts kennenlernen oder diese bereits kennen und so irgendwie auch zu einem Teil von ihnen werden! Ein wenig „Holt“ steckt irgendwie in uns allen…5 Sterne für dieses Werk!

  1. Ein Frauenleben voller Pflichterfüllung

    „Das Band, das uns hält“ sind in Ediths Fall die Männer ihrer Familie und mit Abstrichen das Land, das Haus der Familie. Kent Harufs Roman, der sich wie gewohnt mit dem Leben der Kleinstadt Holt in Colorado befasst, rückt dieses Mal ein ausgesprochen hartes Frauenleben in den Mittelpunkt. Edith versagt sich Liebe und Glück, um ihre Zeit in der kleinen Welt ihres Elternhauses verbringen, im täglichen Dienst der Pflichterfüllung an ihren männlichen Familienmitgliedern, dem Vater und dem Bruder, die beide aus unterschiedlichen Gründen und mit anderen Mitteln Ediths Aktionsradius extrem beschränken.

    Auf den ersten Blick scheint Haruf ein Frauenleben zu entwerfen, dass es heute so hoffentlich nicht mehr gibt, aber der Mangel an Wertschätzung und Achtung, mit der Ediths männliche Familienmitglieder ihr begegnen und die Selbstverständlichkeit mit der ihre Arbeit in Anspruch genommen wird, macht fassungslos und regt durchaus zum Nachdenken über Männer- und Frauenrollen an.

    Haruf gelingt es durch seinen Erzähler Sanders, Edith einen Hauch von Liebe und Fürsorge zukommen zu lassen: der Roman an sich ist eine Hommage an Frauen wie Edith, die selbstvergessen im begrenzten Familienumfeld ihre Pflicht tun. Dies gelingt Haruf sprachlich rau und schnörkellos, auch wenn man ihm den Vorwurf machen muss, das dramatische Ereignisse erzähltechnisch ihre Schatten vorauswerfen, weil die jeweils darauf hinleitenden Situation akribisch, ausufernd und äußerst detailliert geschildert werden – der Spannungsaufbau wird hier doch überstrapaziert. Dazu ist die ein oder andere Schilderung nichts für sensible Gemüter.

    Die Figuren sind – besonders Edith, die man nur sehr gefiltert durch Sanders Wahrnehmung kennenlernt – sehr glaubhaft und in ihrer Alltäglichkeit authentisch. Haruf braucht zur Charakterisierung nicht viele Wörter.

    Insgesamt ein lesenswertes Buch, dass in seiner Handlungskonzeption gerade zum Ende hin etwas über das Ziel hinausschießt, aber ein durchaus lohnenswerter Ausflug nach Holt.

  1. 4
    09. Jul 2023 

    Verschwendete Leben...

    Die achtzigjährige Edith Goodnough wurde verhaftet. Ihr Nachbar weiß um Ediths Lebenstragödien und die kleinen Lichtblicke, die vielleicht unweigerlich zu diesem Januar 1977 führten: die entbehrungsreiche Kindheit, der Tod der Mutter, der durch einen Unfall abhängige, stets wütende Vater. Wahrhaftig und einfühlsam entführt Kent Haruf abermals in ein Leben, in dem es an dem meisten fehlt, in dem es Herz und Beharrlichkeit braucht, um die Geschenke darin zu entdecken. (Verlagsbeschreibung)

    Die achtzigjährige Edith wurde verhaftet, das erfährt man direkt schon zu Beginn der hier erzählten Familiengeschichte, was natürlich gleich schon neugierig darauf macht, was da wohl geschehen sein mag. Darauf folgt zunächst eine langgezogene Rückblende auf die Eltern von Edith und ihrem nun verstorbenen Bruder. Der Vater als gnadenloser Despot, der nicht nur hart sich selbst gegenüber ist. Die Mutter, von zarterem Gemüt, erholt sich von dem Schock der Umsiedlung nach Colorado und dem "Ausgeliefertsein" an das trostlose Land und ihren gefühllosen Mann zeitlebens nicht mehr. Einziger Lichtblick für die Mutter ist die halbindigene Nachbarin, die sie bei einschneidenden Ereignissen wie der Geburt ihrer Kinder oder auch im Sterbeprozess begleitet.

    Nach dem Tod der Mutter ist es eben diese Nachbarschaft, die v.a. auch für Edith einen Halt bedeutet. Dabei erweist sich vor allem der Nachbarssohn Sanders Roscoe als treuer Freund. Er ist es auch, der die Lebensgeschichte von Edith als Ich-Erzähler den Lesenden präsentiert, nachdem er nach Ediths Verhaftung einen Reporter vom Hof gejagt hat. So erfährt man von der täglichen harten Arbeit auf dem Feld und mit dem Vieh, vom Unfall des Vaters, der ihn noch verbitterter werden lässt, von den jahrelangen Reisen von Ediths Bruder Lyman, v.a. aber von Ediths Lebenswelt. Die Trostlosigkeit der Landschaft, die Härte der Lebensumstände, all das kommt hier gut rüber.

    Kent Haruf trägt wie gewohnt gleichzeitig distanziert und unter der Oberfläche doch gefühlvoll, undramatisch und doch fesselnd durch die Erzählung. Wie immer bei Kent Haruf erfolgt die Charakerzeichnung auch diesmal ruhig, melancholisch, unaufgeregt, aber prägnant. Positive wie negative Facetten treten zutage, nüchtern dargestellt ohne zu beschönigen oder zu dramatisieren und dabei erstaunlicherweise stets ohne Wertung. Gerade bei Ediths Vater Ray fiel es mir diesmal schwer, das zu akzeptieren - denn wenn man ein Feindbild braucht: tadaa...

    Es widerstrebte mir auch, welche Entscheidungen Edith für sich und ihr Leben aus einem (für mich überzogenen) Verantwortungsgefühl heraus getroffen hat - mehr als einmal habe ich gedacht: ein verschwendetes Leben. Edith und ihr Bruder haben sich stets abgestumpft dem lieblosen Diktat ihres Vaters unterworfen. Und nicht nur sie zahlten dafür einen lebenslangen Preis. Ich weiß ja, dass es solche Menschen gibt, die vor allem einem inneren Pflichtbewusstsein gehorchen und darüber vergessen, ihr eigentlich mögliches Leben zu leben - aber auch in der Realität halte ich das nur schwer aus. Trotzdem war mir Edith durchaus sympathisch, und die kleinen glücklichen Momente, von denen hier auch die Rede ist, haben mich jedesmal für sie gefreut. Die Begegnungen, die Akzente der Mitmenschlichkeit - sie sind es, die die Einsamkeit zuweilen auflösen und die selbst angesichts mancher Schrecknisse für Hoffnung und Trost sorgen. Aber auf das Glück ist eben kein Verlass...

    Der erste Roman Kent Harufs ist nun gleichzeitig der letzte, der auf Deutsch erschienen ist - und auch der letzte, den ich nun gelesen habe. Da der Autor bereits verstorben ist, gibt es nun keine weiteren Reisen mehr in das fiktive Städtchen Holt in Colorado, was ich sehr bedaure. Kent Haruf ist auf jeden Fall immer eine Leseempfehlung!

    © Parden

  1. Schuldig oder nicht?

    "Das Band, das uns hält" ist der sechste Roman aus der Feder des bereits verstorbenen Autoren Kent Haruf. Es handelt sich um den Erstlingsroman von Haruf, der nun in der Übersetzung von Roberto de Hollanda im Diogenesverlag erschien. Zuvor las ich erst ein Werk des Autoren, war aber dennoch voller Vorfreude auf die Lektüre.

    Der Roman beginnt mit einem Paukenschlag: Die 80 jährige Edith Goodnough wartet im Krankenhaus auf ihre Genesung, während draußen ein Polizeibeamter über sie wacht. Es ist klar, sobald die Dame genesen ist, soll ihr der Prozess gemacht werden. Doch der Grund dafür bleibt zunächst unklar. Haruf nimmt uns mit auf die Reise in die Vergangenheit rund um die Jahrhundertwende (1900). Er erzählt, wie die Goodnoughs in das fiktive Holt in Colarado kamen, um dort auf einer wenig fruchtbaren Farm ihr Glück zu suchen. Roy setzt alles daran, Ertrag zu erwirtschaften. Seine Frau Ada wird auf der Farm nicht warm und leidet unter dem harten Regiment ihres Mannes. Die gemeinsamen Kinder, Eidth und Lyman lernen bereits früh die harten Seiten des Farmlebens kennen. Ada verstirbt mit 40 Jahren recht früh.

    Für Edith könnte das Leben eine glückliche Wendung nehmen, hat sie sich doch in den Sohn der Nachbarn verliebt, was auf Gegenseitigkeit beruht. Duch ihr Vater Roy duldet die Beziehung nicht. Edith leistet Verzicht. Ihre Entbehrungen steigen weiter, als Roy bei einem Unfall fast alle Finger verliert. In der Folge wird dieser noch tyrannischer als zuvor. Lyman verlässt die Farm und Edith bleibt nun mit ihrem Vater allein zurück. Sie verliert jedoch nie die Hoffnung, dass Lyman zurückkehren wird, zu stark ist wohl das Band, das hält. Sie behält tatsächlich Recht, doch ihr Glück währt nur 6 Tage. Dann passiert etwas Schreckliches, wofür sie nun zur Verantwortung gezogen werden soll...

    Haruf erzählt die Geschichte so fesselnd mit viel Feingefühl und Gespür für die unterschiedlichen Charaktere. Ich geriet zunehmend in den Sog der Geschichte und konnte kaum die Leltüre pausieren. Es hat mich sehr ergriffen, was Edith alles widerfährt und wie hart das Farmersleben ist. Gespannt wartete ich darauf zu erfahren, was geschehen war: Was hatte dieser Journalist herausgefunden und nun an die Öffentlichkeit gebracht? Ich werde es hier nicht verraten, aber es hat mich tief erschüttert, lässt mich auch Wochen später noch über die Schuldfrage sinnieren.

    Für mich war dieses Buch ein echtes highlight. Sehr gerne empfehle ich dieses Buch uneingeschränkt weiter.

  1. Ein entbehrungsreiches Leben auf dem Land

    Das fiktive Städtchen Holt in den High Plains im US-Bundesstaat Colorado im Frühjahr 1977: Die 80-jährige Edith Goodnough befindet sich in einem Krankenhausbett. Vor der Tür hält die Polizei Wache, denn die Seniorin wird eines schlimmen Verbrechens beschuldigt: Mord. Wie konnte es soweit kommen?

    „Das Band, das uns hält“ ist ein Roman des verstorbenen Autors Kent Haruf, der im Original bereits 1984 erschienen ist und nun erstmals in deutscher Übersetzung vorliegt.

    Meine Meinung:
    Mit seinen elf Kapiteln, die aus mehreren Abschnitten bestehen, verfügt der Roman über eine bewährte Struktur. Erzählt wird rückblickend in der Ich-Perspektive aus der Sicht von Sanders Roscoe. Die erzählte Zeit erstreckt sich über eine Spanne von rund 80 Jahren, beginnend im Jahr 1977, um die Geschichte ab 1896 aufzurollen.

    In sprachlicher Sicht unterscheidet sich das frühe Werk des Autors von seinen späteren Romanen. Der Ton ist rauer, derber, die Wortwahl ein wenig rustikal. Dies war für mich anfangs gewöhnungsbedürftig, passt jedoch gut zur Erzählstimme. Zudem ist der Stil so atmosphärisch und eindringlich wie in den nachfolgenden Holt-Romanen.

    Mit Liebe und Feingefühl, aber zugleich mit unverstelltem Blick werden die Figuren beleuchtet. Die Protagonistinnen und Protagonisten sind in Graunuancen gezeichnet. Der Großteil der Charakter ist durchweg weder gut noch böse. Menschliche Schwächen, aber auch Vorzüge treten zutage. Diese differenzierte, psychologisch ausgefeilte Darstellung der Figuren macht sie authentisch und glaubwürdig. Eine weitere Stärke des Romans.

    Inhaltlich ist die Geschichte düsterer und schwermütiger als die übrigen fünf Romane Harufs. Der harte Alltag des Landlebens und persönliche Schicksale spielen eine hervorgehobene Rolle. Liebe, Verantwortung und Pflichtgefühl sind weitere große Themen. Die Lektüre ist fordernd und dabei alles andere als leichte Kost. Sie rüttelt auf, macht betroffen und nachdenklich, berührt.

    Trotz des eher langsamen Erzähltempos kommt auf den etwa 300 Seiten keine Langeweile auf. Die Frage, was genau Edith angelastet wird, sorgt für eine subtile Spannung. Zudem hat mich der Roman an einigen Stellen überraschen können.

    Das Cover passt sowohl zum Inhalt als auch zu den anderen Holt-Bänden. Der deutschsprachige Titel wurde erfreulicherweise wortgetreu aus dem amerikanischen Englisch („The Tie That Binds“) übersetzt.

    Mein Fazit:
    Auch wenn sein Debütroman nicht zu meinem Lieblingsroman von Kent Haruf geworden ist, hat mich auch diese Geschichte aus dem Holt-Universum in mehrerlei Hinsicht überzeugt. Eines meiner Lesehighlights 2023 und ein Roman, den ich anspruchsvollen Lesern gerne ans Herz legen kann.

  1. Ein Wiedersehen mit der fiktiven Stadt Holt

    Der Leser wird in das fiktive Städtchen Holt in Colorado entführt. Dort lernen wir die Familie Goodnough kennen, die um 1900 in dieses karge, triste Land zieht. Erst besteht sie nur aus Roy und Ada, die sich nur schwer einleben kann. Nicht nur weil das Leben Entbehrungen mit sich bringt, auch weil ihr Mann Roy sehr jähzornig ist, alles dreht sich um die Arbeit. Als dann Edith geboren wird, kommt die Nachbarin zu Hilfe, die einzige Stütze die Ada bis zu ihrem frühen Tod je haben wird. Als dann Lymann geboren wird ist die Familie komplett, alle müssen mit anpacken. Roy verlangt den Kindern enorm viel ab.
    Als Ada dann leider sehr früh verstirbt, ist es an den Geschwistern den despotischen Vater zu unterstützen. Als Edith sich in den Sohn der Nachbarin verliebt, setzt der Vater alles daran es zu verbieten. Durch einen Unfall wird er seiner Arbeitskraft beraubt und tyrannisiert trotzdem weiter. Die Geschister müssen sich nun um den kranken Vater und um den gesamten Hof kümmern. Doch Lyman verlässt das Städtchen und überlässt Edith sich und ihrem Vater….

    Das ist das Grundgerüst der Handlung, die am Anfang vorweg nimmt, dass sich die über 80 Jährige Edith vor dem Gericht zu verantworten hat. Während des gesamten Romans treibt den Leser die Frage um, was dazu geführt haben könnte.

    Kent Haruf hat ein Faible für ernste Schicksale, hier habe ich es allerdings als sehr extrem empfunden. Dieser Roman ist zwar der letzte in der Reihe der ins Deutsche übersetzten Romane, doch chronologisch gesehen war er der erste des Autors. Ob dies begründet, warum es hier härtere Schicksale zu begleiten gibt?! Der Zauber dieses Städtchens geht dadurch ein wenig verloren, sonst gab es immer ein paar Momente die sehr herzerweichend waren. Dennoch ist auch dieser Roman wieder ein tolles Werk, dass gelesen werden sollte!
    Ein wenig wehmütig macht es außerdem, weil man sich nun nicht mehr darauf freuen dieser Stadt und ihren Bewohnern einen weiteren Besuch abstatten zu dürfen.

  1. 5
    25. Jun 2023 

    Ein starkes Debut

    Schon seinen ersten Roman siedelt Kent Haruf im fiktiven Städtchen Holt an, ein Ort mitten in der unendlichen Weite Colorados, das zum Zentrum all seiner weiteren Romane werden sollte.
    Doch hier geht er in die Vergangenheit zurück, in die Pionierzeit der Stadt. Im Jahr 1896 macht sich Roy Goodnough mit seiner Frau Ada von Iowa auf zu den High Plains von Colorado auf der Suche nach eigenem Land. Sie bleiben hier, sieben Meilen von Holt entfernt, obwohl das, was sie vorfinden, nicht ihren Vorstellungen entspricht. Die Landschaft ist baumlos und karg , die Erde wenig fruchtbar. Doch Roy lässt sich davon nicht beirren. Er baut ein bescheidenes Holzhaus, kauft zwei Kühe und versucht dem sandigen Boden Ertrag abzuringen. Das Paar bekommt zwei Kinder, Edith und zwei Jahre darauf den Sohn Lymann. Der Alltag ist hart, voller Arbeit und Mühen und Roy spart jeden Cent, um weiter Land zu kaufen. Ada ist dem Leben hier nicht gewachsen, sie schrumpft innerlich und äußerlich neben ihrem hartherzigen Mann und stirbt mit Anfang Vierzig. Für die Kinder wird der Alltag mit dem despotischen Vater danach nur noch schlimmer. Die siebzehnjährige Edith muss nun auch die Aufgaben und Pflichten ihrer Mutter übernehmen.
    Dann, ein Jahr später, passiert ein schreckliches Unglück, bei dem Roy arbeitsunfähig wird. Nun sitzen Edith und Lymann noch mehr in der Falle. Den Vater mit der ganzen Arbeit allein lassen, das können sie nicht. Obwohl der sie schikaniert und herumkommandiert und alles selbst entscheidet. Kein gutes Wort, keinerlei Anerkennung hat er für seine Kinder. Und die beiden ertragen ihr Los ohne zu klagen.
    Edith verzichtet sogar auf ein eigenes Heim mit Mann und Kind, obwohl das Glück mit dem Nachbar John Roscoe in greifbarer Nähe war.
    Lymann sieht im Kriegseintritt der USA die Chance, von daheim wegzukommen. Er meldet sich freiwillig und kehrt erst nach zwanzig Jahren zu Edith zurück. Den Geschwistern bleiben ein paar glückliche Jahre, bevor das Schicksal wieder zuschlägt.

    Der Roman beginnt im Frühjahr 1977. Die nunmehr achtzigjährige Edith Goodnough liegt im Krankenhaus und wartet auf ihren Prozess. Die Anklage lautet Mord. Der Leser muss sich nun bis zum Ende des Buches gedulden, um zu erfahren, was tatsächlich geschehen ist.
    Wie es dazu kommen konnte, erzählt uns der Nachbar Sanders Roscoe, der Sohn jenes Mannes, der Edith liebte und nie ihre Zurückweisung überwunden hat.
    Es ist die Geschichte einer willensstarken, pflichtbewussten Frau. Edith hat ihr Los, das das Schicksal ihr zuwies, ohne Klage und mit Würde ertragen. Ein Leben voller Arbeit, voller Fürsorge, voller Selbstaufgabe, aus dem Gefühl der Verantwortung heraus. Etwas, das wir heute in Zeiten von Selbstverwirklichung und Selbstoptimierung nur schwer nachvollziehen können.
    Kent Haruf verurteilt seine Protagonistin dafür nicht, auch wenn er ihr mehr Sinn für Eigennutz, mehr Glück gegönnt hätte.
    Er beschreibt sie dagegen mit so viel Empathie, dass wir nur voller Respekt auf Edith schauen . Er wirbt um Verständnis, in dem er uns den erbarmungslosen Alltag von damals nahebringt. Das Leben war ein ständiger Kampf, Arbeit von früh bis spät, kaum Möglichkeiten für Ablenkung oder kleine Fluchten. Und das alles unter dem unbarmherzigen Diktat eines Despoten. Doch Edith fühlt sich verantwortlich für ihren Vater und mehr noch für ihren Bruder.
    Die Weltgeschichte wird von Kent Haruf nur kurz gestreift. Für die einfachen Menschen im Umfeld von Holt hatte sie nur wenig Auswirkungen, sie verschärfte höchstens die finanzielle Lage. Dafür schildert der Autor uns sehr genau die Arbeit, die täglich auf einer Farm anfällt und wenig von ländlicher Idylle hat.
    „ Das Band, das uns hält“ - was ist das ? Liebe, Verantwortung, Pflichtgefühl? Der Leser wird seine eigene Antwort finden.
    Wir haben es hier mit einem Roman zu tun, der starke Gefühle auslöst. Wut über einen tyrannischen Vater, Trauer über beschädigte Figuren und verkorkste Leben, Hochachtung für eine unbeugsame Frau und gleichzeitig Mitleid mit ihr.
    Wie in seinen späteren Büchern stellt Kent Haruf Figuren ins Zentrum seiner Geschichten, die vom Leben gebeutelt werden, die falsche Entscheidungen treffen, einfach, weil sie nicht anders können. Das Tröstende daran sind die Menschen, die er ihnen zur Seite stellt - hier die Familie Roscoe - die unterstützen und für sie da sind.
    Der Ton in seinem Debut ist rauer, härter, den zeitlichen Umständen geschuldet. Doch das Gefühl für Atmosphäre und Stimmung findet sich auch hier. Die Erzählerstimme ist direkt, zum Teil derb, oft auch voller Humor. Das wirkt authentisch und macht die ganze Tragik erträglicher.
    Mit seinem Erstling hat der Diogenes-Verlag die Holt- Reihe des Autors abgeschlossen. Es wird keine weiteren Bücher von dem 2014 verstorbenen Autor geben. Diese Tatsache macht mich wehmütig. Vielleicht werde ich seine sämtlichen Romane ein zweites Mal lesen, mit ebenso viel Freude wie bei der Erstlektüre. Ansonsten werde ich werben für diesen Autor, der mit so viel Menschenliebe geschrieben hat, damit noch viel mehr Leser in den Genuss seiner Bücher kommen.

  1. 5
    19. Jun 2023 

    Glück vs. Pflicht

    Die 80jährige Edith Goodenough liegt im Krankenhaus. Nach ihrer Genesung soll ihr der Prozess wegen Mordes gemacht werden. Wie ist es so weit gekommen?

    Ediths Vater Roy ist als später Pionier in die High Plains von Colorado eingewandert. Mühsal und Rückschläge im Versuch, dem kargen Land einen Lebensunterhalt abzuringen, verstärken sein reizbares Temperament, und bald bestimmen Repression und Gewalt sein Handeln gegenüber Frau und Kindern. Seine Frau flüchtet noch jung in den Tod und lässt die Geschwister allein mit ihm.

    Ediths Geschichte – und die des Ford County mit dem fiktiven Ort Holt, den wir schon aus Harufs späteren Romanen kennen – erfahren wir aus der Perspektive von Sanders. Sanders Sicht wiederum ist geprägt durch seinen verstorbenen Vater, der Edith gerne geheiratet hätte. Wir begegnen der Protagonistin folglich nur in der Außensicht. Auch wen sie getötet haben soll, erfahren wir sehr lange nicht; der Spannungsbogen des Romans entsteht aus diesen Leerstellen.

    Die Ereignisse der Weltgeschichte fließen wie nebenbei in den Roman ein – der Angriff auf Pearl Harbor zum Beispiel ist für Ediths Bruder Lyman ein willkommener Anlass, vor dem zornigen Patriarchen zu flüchten: er meldet sich zur Marine. Als Roy stirbt und Lyman zurückkehrt, scheint endlich Ediths Zeit gekommen. Aber wieder wendet sich ihr Geschick und es kommt anders, denn da ist „Das Band, das uns hält“.

    Das ist beim Lesen schwer auszuhalten, gerade in unserer Gegenwart, die dem Diktat der Selbstverwirklichung folgt. Ein genialer Kunstgriff des Autors, eine Figur ihre Werte so hoch halten zu lassen, dass persönliches Glück unmöglich wird. Will der Autor diese Werte feiern oder in Zweifel ziehen? Er vermeidet Eindeutigkeit und schickt die Leserin auf eine Achterbahn der Hoffnung, des Mitgefühls, der Empörung und des Zweifels. Wie auch in seinen späteren Romanen wird die Kleinstadt Holt in den High Plains von Colorado zum Brennglas für das, was uns Menschen ausmacht – oder ausmachen sollte.

    Das klingt nach einem Ideenroman, ist aber keiner – dazu sind Harufs Figuren viel zu lebendig. Auf Augenhöhe schildert er das harte Leben der einfachen Leute. Im Bemühen, die Härten des Landlebens möglichst realistisch zu schildern, schießt Haruf ein wenig über das Ziel hinaus, aber vielleicht hat gerade das mich den Roman mit wachsender Faszination lesen lassen. Ich mochte auch die Elemente des klassischen Westerns, die Haruf in seinem Setting verarbeitet - sein Erstling ist deutlich rauer und kantiger als seine späteren Romane; das gilt auch für seine kompromisslose Figurenführung. Gerade das Ambivalente, Kantige und Raue hat mir gefallen.

    Der spätere Meister ist in diesem Erstling schon deutlich zu spüren. Leseempfehlung!

  1. Ein Frauenschicksal aus Holt, Colorado (USA)

    Kent Haruf (1943 – 2014) ist in meinen Augen ein großartiger Geschichtenerzähler. Leider verstarb er zu früh und hat uns nur sechs Romane hinterlassen können, die alle von Menschen in der fiktiven Kleinstadt Holt handeln. „Das Band, das uns hält“ war sein erstes Buch, das nun als sechstes bei Diogenes erschien und vom Übersetzerduo pociao/ Roberto de Hollanda wunderbar ins Deutsche übertragen wurde.

    Bereits im ersten Satz lernt man die Hauptfigur kennen, die 80-jährige Edith Goodnough. Man schreibt das Jahr 1976. Edith ist die Nachbarin des Erzählers Sanders Roscoe. Beide leben etwas außerhalb Holts und bewirtschaften kleine Farmen. Edith liegt im Krankenhaus, etwas Tragisches muss passiert sein, denn man will ein Gerichtsverfahren gegen sie anstrengen. Gerne hätte man in Holt bestimmte Vorgänge unter den Teppich gekehrt, doch ein junger ehrgeiziger Zeitungsreporter aus Denver schnüffelt so lange herum, bis er alle Fakten zu wissen glaubt und veröffentlicht. Diesem kurzfristigen, auf Sensationen ausgerichteten Blickwinkel will sich Sanders, der Edith von Kindheit an schätzt und ihre Wurzeln kennt, entgegenstellen. Er spricht uns mit seiner Version der Geschichte als Leser direkt an. Er holt weit aus, schildert, wie Ediths Eltern bereits Ende des 19. Jahrhunderts das fruchtbare Iowa verließen, um in den Great Plains neu anzufangen. Wir lernen die Familie Goodnough kennen. Der Vater entwickelt sich zum Despoten, die Mutter stirbt früh. Edith und ihr Bruder Lyman müssen zusammenhalten, sie bilden eine Art Schicksalsgemeinschaft. Ihrer großen Liebe entsagt Edith. Pflichtbewusstsein und Familienbande halten sie Zeit ihres Lebens davor zurück, eigene Wege zu gehen.

    Man erfährt einiges über das einfache Leben, die kleinen Freuden der Farmer. Menschliches und Alltägliches wechseln sich ab mit höchst tragischen Ereignissen, die die Menschen überwiegend als gegeben hinnehmen. Sie hadern nicht mit dem Schicksal und behalten ihre Emotionen für sich. Die Lektüre ist packend. Sie berührt, macht nachdenklich, ohne an irgendeiner Stelle in Gefühligkeit abzugleiten. Der Erzähler berichtet. Er weckt intensive Sympathien für die Protagonistin. Indem er ihre Lebensumstände schildert, bekommt man großes Verständnis für ihre Persönlichkeit. Harufs großes Verdienst dabei ist es, dass er nicht wertet. Er fällt kein Urteil über seine Figuren, sondern überlässt es dem Leser, eigene Schlussfolgerungen zu ziehen oder Überlegungen anzustellen.

    Wie nebenbei erzählt Sanders auch seinen eigenen Werdegang mit allen Höhen und Tiefen. Der Autor ist ein ungemein scharfsichtiger Beobachter. Sein Figurenkarussell wirkt glaubwürdig aus dem Leben der einfachen Landbevölkerung gegriffen. Vielleicht wird Ediths Vater, der sich als das personifizierte Böse entpuppt, ein bisschen überzeichnet. Doch letzten Endes herrschte in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ein strenges Patriarchat, so dass manche väterliche Willkür vorstellbar sein mag. Edith ist ein Kind ihrer Zeit. Sie beugt sich den männlichen Erwartungen und steht damit stellvertretend für viele Frauen ihrer Generation. Ihre Figur lädt zu mancher feministischen Diskussion ein.

    Kent Haruf überzeugt mich mit seiner Romankonstruktion. Man lauscht der Erzählstimme sehr gebannt, weil man erfahren möchte, wie sich die Handlung über die Jahre zu dem kritischen Punkt hin entwickelt hat, der dafür sorgte, das Edith aktuell im Krankenhaus liegt.

    Ein ganz großartiger Roman, den ich allen Freunden spannender Familien- und Gesellschaftsromane empfehlen möchte. Schade, dass dies die letzte Übersetzung der Werke von Kent Haruf ist. Man kann jeden seiner Romane getrennt voneinander lesen. Allerdings fällt der Abschied von Holt jedes Mal schwerer.

    Große Leseempfehlung!

  1. Staaarkes Band

    Warum will man einer 80-jährigen Frau den Prozess machen? Diese Frage stellt sich den Leser:innen direkt am Anfang von „Das Band, das uns hält“ von Kent Haruf, dem letzten von pociao und Roberto de Hollanda ins Deutsche übersetzten Roman (wie die anderen 5 im Diogenes Verlag erschienen) und (gemäß der eigentlichen Reihenfolge) dem ersten Roman aus dem fiktiven Städtchen Holt in Colorado.

    Anyway: Edith Goodnough liegt im Krankenhaus und der Sheriff von Holt, Bud Sealey, wartet nur darauf, die alte Dame vor Gericht zu zerren. Ob es zu dem Prozess kommt, wissen die Leser:innen auch am Ende der gut 300 Seiten nicht. Es spielt auch keine Rolle, denn Kent Haruf erzählt in der Rolle des Ich-Erzählers Sanders Roscoe die Lebens- und (wie man unweigerlich feststellen wird) auch die Leidensgeschichte von Edith.

    Die Geschichte erzählt er mit tiefem Respekt vor den handelnden Personen – er wertet also nicht, sondern überlässt es den Leser:innen, ob man z. B. das (lebenslange) Verhalten Edith´s billigt oder ob der „vergeudeten“ Chancen des Absprungs (die es durchaus gegeben hätte) mit Missfallen straft. Ich persönlich habe vor Edith den imaginären Hut gezogen – wenn es zum Prozess kommen sollte und ich wäre der Richter, würde sie ganz klar Freispruch bekommen ha ha ha.

    Dem gegenüber wird die Figur des brutalen und egoistischen Vaters von Edith gestellt. Haruf versteht es wie kein Zweiter, den Leser:innen wenigstens „einen Hauch“ von Mitleid auch für Roy Goodnough zu entlocken; ebenso wie für den Bruder Ediths, Lyman, der ebenso eine tragende und tragische Rolle im Roman spielt. Jede der Figuren ist mit scharfen Ecken und glattgebügelten Kanten ausgestattet – so wie jede:r von uns.

    Schon in diesem ersten Roman von Kent Haruf (mein insgesamt dritter von ihm gelesene) blitzt die in späteren Romanen aufgegriffene wunderbar warmherzige Sprache wie ein versteckter Diamant auf. Ebenso wie der teils knochentrockene Humor. Doch durch die derbe, der Landwirtschaft bzw. der Prärie angepassten Sprache, habe ich lange gebraucht, um in dem Roman „anzukommen“, weshalb ich auch über weite Strecken bei 4* lag. Doch spätestens mit dem ergreifenden Ende und dem Schlusssatz (den ich jetzt aus Spoilergründen hier nicht zitiere *g*), konnte ich den 5* nicht länger zurückhalten und spreche entsprechend eine absolute Leseempfehlung für diesen wunderbaren Roman aus!

    ©kingofmusic

  1. Was ist schon gerecht?

    "Das Leben ist nun mal nicht gerecht. Und dass wir ständig denken, es müsste gerecht sein, spielt offenbar nicht die geringste Rolle, verdammt. Besser, du begreifst das jetzt als nie." (S. 159)

    Es passiert häufiger, dass ich einen schönen Roman mit einer gewissen Wehmut beende, aber auf "Das Band, das uns hält" von Kent Haruf (1943 - 2014) trifft das in ganz besonderer Weise zu. Einerseits war auch dieser sechste Ausflug ins fiktive US-Präriestädtchen Holt im östlichen Colorado wieder eine rundum erfreuliche Lektüre, andererseits ist er unwiderruflich die letzte Begegnung mit seinen ganz besonderen Bewohnerinnen und Bewohnern, deren Alltag und Schicksalen Kent Haruf sich in seinen sechs unabhängig voneinander zu lesenden Romane widmet. Seit 2017 hat der Diogenes Verlag sie nach und nach veröffentlicht, beginnend mit dem unvergleichlichen, 2015 posthum erschienenen letzten Werk "Unsere Seelen bei Nacht", und endet nun, 2023, mit seinem preisgekrönten Debüt von 1984.

    Aus Holts Anfangszeit
    Mit Edith Goodnough hat Kent Haruf eine weitere unvergessliche Protagonistin geschaffen, geboren 1897 in Holt. Sie ist das Kind von Roy Goodnough und seiner Frau Ada, die 1896 nach dem Homestead Act Präsident Lincolns von 1862 mit dem Pferdewagen aus Iowa ins östliche Colorado kamen, um Landbesitz zu erlangen. Was sie vorfanden war baumloses, sandiges, trockenes, flaches ehemaliges Cheyenne-Land und elende landwirtschaftliche Bedingungen. Sieben Meilen von Holt entfernt gründeten sie mühevoll eine Farm, die nächsten Nachbarn, eine Halb-Cheyenne namens Hannah Roscoe und ihr sechsjähriger Sohn John, eine halbe Meile entfernt.

    Ein Leben in eiserner Disziplin
    Schon für Ada, die ihre neue Heimat bis zu ihrem frühen Tod hasste und unter der Gewalt und der cholerischen Tyrannei ihres Mannes litt, war die Familie Roscoe der einzige Lichtblick. Diese enge, schicksalhafte Verbindung zwischen den beiden Familien setzte sich in den nächsten Generationen fort. Folgerichtig ist es Hannahs knapp 50-jähriger Enkel Sanders Roscoe, der im Frühjahr 1977 Ediths Lebensgeschichte mit viel Zuneigung und Bereitschaft zu ihrer Verteidigung erzählt. Es ist der Bericht über eine liebenswerte Frau, die ein hartes, enges Leben führte, nie für ihre Belange eintrat, ihre Zukunft, Liebe und Freiheit in demütigem Pflichtbewusstsein den Interessen ihres Vaters und ihres jüngeren Bruders Lyman opferte, dennoch stets ihre stille Würde bewahrte, die freudigen Momente aus vollem Herzen genoss und nun mit 80 Jahren unter einer schwerwiegenden Anklage steht.

    Ein schmales großes Werk
    Kent Haruf hat mit dem unspektakulären Präriestädtchen Holt eine Bühne für seine universellen und zeitlosen Themen wie Pflichtbewusstsein und Würde, Einsamkeit und Ignoranz, Nächstenliebe, Menschlichkeit, Herzenswärme und Großzügigkeit, Gruppendynamik, Leidenschaft und Mut, Familienbeziehungen und Freundschaft, Enge und Weite geschaffen. Alle Holt-Romane sind packend und fangen das Prärieleben großartig atmosphärisch ein. Mit viel Empathie, einer zu den Menschen passenden schmucklosen, derben Sprache, in gemächlichem Tempo, voller schmerzhafter Traurigkeit und sanftem Humor und ohne jede kitschige Landleben-Romantik erzählt Kent Haruf bewegende menschliche Dramen mit tragischen, glaubwürdigen Heldinnen und Helden der High Plains.

    Schade nur, dass Kent Haruf kein umfangreicheres Werk hinterlassen konnte. So bleibt nichts anderes übrig, als die sechs Holt-Romane irgendwann erneut zu lesen. Ich freue mich drauf.

  1. Es ist meine Aufgabe mich um ihn zu kümmern

    "Edith klammerte sich ans Leben, als wüsste sie noch immer nicht, wie loslassen oder aufhören geht." (Buchauszug)
    Die achtzigjährige Edith wurde verhaftet, sie soll ihren Bruder Lyman getötet haben. Doch was sich genau zugetragen hat und wie das Leben von Edith und Lyman wirklich gewesen ist, das weiß einzig und allein ihr Nachbar Sanders Roscoe. Sanders, der für Edith wie ein Sohn ist und dessen Vater sie eins geliebt hat. Doch das Leben hatte etwas anderes vor mit Edith, weil eine unglaubliche Tragödie alles verändern wird. Sie erlebt eine harte, entbehrungsreiche Kindheit nach dem Tod der Mutter. Kent Haruf zeigt hier auf, was eine Familienbande alles ertrage und erdulden muss und kann.

    Meine Meinung:
    Anders als bei seinen anderen Büchern beginnt er hier wirklich mit der Entstehungsgeschichte der Kleinstadt Holt. Man muss sich in die damaligen Zeiten und die Anfänge zurückversetzen, um in diese Geschichte einzutauchen. Es ist der Beginn einer Kleinstadt, wo das Leben als Farmer alles bestimmt hat. Wer am meisten Land besitzt, die besten Erträge hat, der ist ein angesehener Bürger. Dass man dafür jedoch hart arbeiten muss, selbst die Kinder, ist zu dieser Zeit völlig normal. Schlimm wird es erst, wenn einer der Eltern oder gar beide ausfallen und die Zukunft der Kinder zusammenfällt wie ein Kartenhaus. Kent Haruf lässt uns darüber nachdenken, welchen Stellenwert Familie hat, was Farmleben bedeutet, Verantwortung, Pflichtbewusstsein gegenüber Eltern und welche Entbehrungen man dafür in Kauf nimmt. Von Ende 19. Jahrhunderts bis in die 70-er Jahre begleiten wir die Farmerfamilie Goodnough. Die Kinder Edith und Lyman müssen nach dem Tod der Mutter und dem tragischen Unfall des Vaters das Arbeiten auf der Farm übernehmen. Unter den Augen des cholerischen Vaters keine leichte Aufgabe, der sie ständig antreibt und oft seiner Wut freien Lauf lässt. Von der Liebe eines Vaters ist hier wenig zu spüren, deshalb und sicher auch wegen ihres Heimwehs ist seine Frau Ava so früh verstorben. Sie hat sich nie als Farmerin gesehen und wohlgefühlt. Die sehr bildhafte Erzählung, weswegen ich den Autor so liebe, zeigt uns eine junge Frau auf, die einfach ihre Arbeit übernimmt, nur weil man sie tun muss. Weil sie sich verantwortlich für den Vater fühlt, lässt sie sogar ihre große Liebe, Sanders Vater zurück. Sein Vater und Sanders selbst passen trotzdem auf Edith auf, selbst wenn Roy ihn ablehnt, weil er ein Indianermischling ist. Lyman dagegen nimmt irgendwann die Flucht nach vorne und reist über Jahre im Land um her, nur um dem Vater zu entkommen. Währenddessen wartet seine Schwester sehnsüchtig auf ihn. Es ist traurig und schwierig zugleich, wie extrem sich eine junge Frau aufgibt und anderseits kann ich sie manchmal sogar verstehen. Selbst wenn die Thematik hier ernst ist, wirkt unterschwellig immer ein wenig Humor mit bei der Erzählung. Am Ende lässt uns der Autor mit einem Fragezeichen zurück, sodass jeder sein eigenes Urteil fällen kann. Es ist so schade, dass diesem Autor vor seinem Tod nur so wenige Bücher vergönnt blieben, ich hätte gerne mehr von ihm gelesen. Für ich ein Buch, das mich begeistert und zum Nachdenken angeregt hat und dem ich gerne 5 von 5 Sterne gebe.

  1. Das traurige von Pflicht und schwerer Arbeit geprägte Leben der

    Tragische Geschichte zweier Familien im frühen Ort Holt, einer von ihrem Vater ausgebeuteten Frau mit unüberwindbarem Pflichtgefühl

    Ich habe das Buch gerne gelesen und doch hatte ich meine Probleme damit, genauer: mit dem unüberwindlichen Pflichtbewusstsein von Edith Goodnough (nomen est omen?), mittlerweile über 80 Jahre alt, im Krankenhaus, eine Gerichtsverhandlung erwartend. Was ist passiert? Was hat sie getan?

    Das versucht ein Journalist mit ungeschickten Fragen herauszufinden, ausgerechnet beim Farmer Sanders Roscoe, einem Nachbar von Edith, der sie sehr mag und nichts auf sie kommen lässt. Er vertreibt den Journalisten und erzählt uns Lesern die Geschichte ihrer Familie, die eng mit der seinen verbunden ist.

    Wir begeben uns in die Anfangszeiten des Örtchens Holt, das vielen Lesern durch mehrere Romane von Kent Haruf bekannt ist. (Dieser erschien 1984 und ist wohl der erste). Es ist ein karges Land, das seinen Bewohnern alles abverlangt. Die Mutter von Edith und dem jüngeren Lyman ist diesem Druck nicht gewachsen und stirbt früh. Nun sind die beiden Geschwister nicht nur mit schwerer Farmarbeit überlastet, sondern auch noch dem Druck des Vaters ausgesetzt. Dies nimmt noch schlimmere Ausmaße an, als der Vater bei Mäharbeiten einen schweren Unfall erleidet und arbeitsunfähig ist. All' seine Wut und seinen Hass lässt er an seinen beiden Kindern aus, die sich ihm widerspruchslos fügen und allerschwerste Arbeit verrichten, ohne dass ihnen je ein gutes Wort gegönnt oder ein Mitspracherecht gewährt würde. Das alles erzählt Kent Haruf drastisch und bildhaft und man wundert sich, dass die beiden das aushalten.

    Für Edith gibt es eine kurze Phase des Glücks, als ihr junger Nachbar John Roscoe (Sanders' Vater) sie heiraten will, aber auch dieses Vorhaben macht der Vater brutal zunichte. Ediths Pflichtbewusstein lässt sie ihr eigenes Wohlergehen hinten anstellen; sie widmet sich ganz der Farmarbeit und der Versorgung des Vaters. Das ist der Punkt, wo ich Probleme hatte, eine solche Selbstaufopferung zu akzeptieren, zumal der Vater sie in übelster Weise beschimpft.
    Lyman schafft es zwar, sein Zuhause zu verlassen, scheint aber beziehungsunfähig zu sein und führt ein unstetes Leben. Als Edith 55 ist, stirbt der Vater, aber sie schafft es nicht, ein neues Leben zu beginnen und wird sonderlich. Erst als Lyman zurückkehrt – sie ist inzwischen 64 - scheint sich das Blatt zu wenden und den beiden sind ein paar Jahre des gemeinsamen Glücks vergönnt.

    All' die Jahre hatte Edith unterstützende Hilfe der Nachbarn Roscoe und auch jetzt haben Lyman und sie ein gutes Verhältnis mit dem jungen Sanders und seiner Frau. Das scheint wohl das Band zu sein, auf den sich der Titel des Buches bezieht und das sich durch Ediths Leben zieht.

    Also Ende gut, alles gut? Leider nein. Wieder schlägt das Unglück zu und zerstört das gute Leben, das Edith hätte haben können. Wieder verlangt ihr unerschütterliches Pflichtbewusstsein, sich selbst hintenan zu stellen. Was passiert ist und wie es endet, soll hier nicht verraten werden. Nur so viel: ich habe es als trauriges Buch über ein vergeudetes Leben empfunden, nur gemildert durch die Warmherzigkeit der nachbarschaftlichen Beziehungen.

    Hätte Edith etwas anders machen können? Diese Frage ist letztlich nicht zu beantworten. Allerdings hat Kent Haruf den Satz an den Schluss gestellt, dass Edith es nie gelernt habe, 'endgültig Ja zu sich sagen.'

    Fazit
    Im Ganzen hat mir das Buch gut gefallen. Edith muss man einfach mögen, aber sie tut mir sehr leid und ich habe ein Problem damit, dass sie sich nicht in irgendeiner Weise wehrt und dass man nicht erfährt, was sie wirklich denkt, ob sie ihr starkes Pflichtbewusstsein nicht doch einmal in Frage stellt.