Dann schlaf auch du: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Dann schlaf auch du: Roman' von Leïla Slimani
4.65
4.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Dann schlaf auch du: Roman"

Gebundenes Buch
Der Preis des Glücks

Sie wollen das perfekte Paar sein, Kinder und Beruf unter einen Hut bringen, alles irgendwie richtig machen. Und sie finden die ideale Nanny, die ihnen das alles erst möglich macht. Doch wie gut kann man einen fremden Menschen kennen? Und wie sehr kann man ihm vertrauen?

Sie haben Glück gehabt, denken sich Myriam und Paul, als sie Louise einstellen - eine Nanny wie aus dem Bilderbuch, die auf ihre beiden kleinen Kinder aufpasst, in der schönen Pariser Altbauwohnung im 10. Arrondissement. Wie mit unsichtbaren Fäden hält Louise die Familie zusammen, ebenso unbemerkt wie mächtig. In wenigen Wochen schon ist sie unentbehrlich geworden. Myriam und Paul ahnen nichts von den Abgründen und von der Verletzlichkeit der Frau, der sie das Kostbarste anvertrauen, das sie besitzen. Von der tiefen Einsamkeit, in der sich die fünfzigjährige Frau zu verlieren droht. Bis eines Tages die Tragödie über die kleine Familie hereinbricht. Ebenso unaufhaltsam wie schrecklich.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:224
EAN:9783630875545

Rezensionen zu "Dann schlaf auch du: Roman"

  1. Eindringliches Protokoll eines Dramas

    Dieses Buch beginnt mit aller Wucht. Das Schlimmste, was passieren kann, tritt ein. Ein Baby tot, das Kleinkind schwerst verletzt. Der Schrei der verzweifelten Mutter schallt laut, so laut durch das Haus.
    Was ist hier passiert, was hat hinter dieser wunderbaren gutbürgerlichen Fassade so geschwelt, dass zu dieser Explosion gekommen ist?
    Das junge Paar Myriam und Paul Massé sucht nach einer Nanny für die Kinder. Myriam, die anfangs in ihrer Mutterrolle aufgegangen ist, nur sie meinte zu wissen, was gut für die geliebten Kleinen gut ist, will wieder arbeiten. Sie durchlebt das, was vielen Müttern passiert, ausgelaugt von der täglichen Routine, intellektuell unausgelastet, schier am Verzweifeln. Sie fressen mich auf, klagt sie manchmal.
    Mit äußerster Sorgfalt wählen die Massès die Frau aus, die auf ihre Kinder aufpassen soll, nicht ohne Papiere, keine Kinder soll sie haben, zumindest nicht in Frankreich, kein Kopftuch. Sie entscheiden sich für Louise, eine zarte mittelalte Französin mit guten Referenzen.
    Hin und her gerissen zwischen dem schlechten Gewissen den Kindern gegenüber und dem immer erfolgreicheren Berufsleben überlasst Myriam blad das Regiment der Erziehung, aber auch der Haushaltsführung gänzlich Louise. Paul, für den es beruflich auch aufwärts geht, beäugt die Verschiebung der Verhältnisse manchmal kritisch, verzichtet aber zugunsten der Bequemlichkeit auf eine Auseinandersetzung sowohl mit seiner Frau als auch mit dem Kindermädchen.
    Louise beginnt immer mehr Platz im Leben der Massés einzunehmen, lebt beinahe deren Leben, bis ihre Vergangenheit sie einholt.
    Leila Slimani schafft mit ihrem literarischen Protokoll eines schrecklichen Verbrechens ein ungemein dichtes Psychodrama. Vor allem die Gegenüberstellung der Bedürfnisse Myriams und Louises zeigt, wie trotz aller Emazipation auch heute noch Frauen versuchen müssen, mehrere Leben miteinander zu vereinbaren. Der Vater, hier Paul, bleibt da zu meist immer noch Statist. Im Grunde beuten Frauen Frauen aus, um selbst im Berufsleben aufgerieben zu werden. Das Nur-Muttsersein findet selbst unter Frauen weder Anerkennung noch Unterstützung. Das Leben ist oft eine einzige Rechtfertigung.
    Ich habe dieses Buch nahezu am Stück verschlungen, in vielen Gedanken Myriams kommt ich mich auch ein bisschen wieder erkennen. Dieser Roman, der 2016 mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet wurde, erhält von mir eine absolute Leseempfehlung.

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  1. 5
    27. Sep 2017 

    ein Thriller, der unter die Haut geht

    Der Roman "Dann schlaf auch du" von Leïla Slimani beginnt mit dem entsetzlichen Ende. Es tritt das ein, was man sich als Eltern nicht vorstellen möchte, und das einem hoffentlich nie passieren wird: Die Kinder sind tot, Mila und Adam Massé, ermordet von der eigenen Nanny Louise. Wie es zu dem Verbrechen kam und was die fürsorgliche Louise, die ihr Leben für die Kinder gegeben hätte, am Ende dazu brachte, ihre Schützlinge zu töten, sind Fragen, auf die dieser Roman Antworten liefert.

    "Seit sie geboren sind, hat Myriam Angst vor allem. Am schlimmsten ist die Angst, dass sie sterben könnten. Sie spricht nie darüber, weder mit ihren Freunden noch mit Paul, aber sie ist überzeugt, dass jeder von ihnen schon mal so etwas gedacht hat. Ganz sicher haben auch sie ihr Kind im Schlaf betrachtet und sich gefragt, wie es sich anfühlen würde, wenn dieser Körper dort ein Leichnam wäre, wenn diese Augen für immer geschlossen blieben." (S. 22)

    Die Tragödie der Familie Massé beginnt mit der Suche nach einem Kindermädchen für Mila und Adam. Lange hat Myriam, die Mutter, überlegt, ob sie diesen Schritt wagen soll. Es ist nicht einfach, die eigenen Kinder in die Obhut einer Fremden zu geben. Man kann einem Menschen schließlich nur vor den Kopf gucken. Doch Myriams Wunsch, wieder zu arbeiten und an einer Welt fernab von Windeln, Spielplätzen und Müttergesprächen teilzuhaben, ist größer als ihre Bedenken. Sie hat sich seit Milas Geburt vor etwas mehr als 3 Jahren, ausschließlich um ihre Kinder und die Wohnung gekümmert. Doch dafür hat sie nicht studiert, um am Ende nichts aus ihrer Ausbildung zu machen. Das Jobangebot eines ehemaligen Kommilitonen erleichtert ihr die Entscheidung zwischen Familie oder Karriere.

    Die Eltern Massé entscheiden sich für Louise, um die 50, ein Kindermädchen mit viel Erfahrung und den besten Referenzen. Von Beginn an übernimmt Louise das Zepter im Haushalt der Massés. Sie kümmert sich nicht nur um die Kinder sondern sie kocht, sie wäscht, sie putzt, sie kauft ein. Anfangs hat Myriam ein schlechtes Gewissen, dass sie einen Großteil ihrer Pflichten als Hausfrau und Mutter abgibt. Doch relativ schnell siegt bei ihr die Bequemlichkeit. Louise ist einfach zu perfekt, in dem was sie tut. Ihre Anwesenheit bedeutet eine enorme Entlastung für die Familie. Dank Louise genießen die Massés endlich wieder ihr Familienleben. Und Myriam kann sich voll und ganz dem Neufanfang ihrer Karriere widmen, die sie seit der Geburt der Kinder erst mal auf Eis gelegt hat.

    "Sie konnte die Tragweite dessen, was sie erwartete, nicht ermessen. Mit zwei Kindern wurde alles viel komplizierter: einkaufen, die Kleinen baden, zum Arzt gehen, der ganze Haushalt. Die Rechnungen häuften sich. Myriam fühlte sich immer elender. ... , und sie hatte Lust, mitten auf der Straße wie eine Verrückte zu schreien. 'Sie fressen mich bei lebendigem Leib auf', sagte sie sich manchmal." (S. 15)

    Die Kinder lieben Louise. Mila, die 3-Jährige, scheint jedoch ihren eigenen Kopf zu haben. Sie testet ihre Grenzen gegenüber Louise aus. Am Ende sitzt die Erwachsene jedoch immer am längeren Hebel.

    Alles könnte perfekt sein in der Familie Massé, wenn da nicht die kleinen, feinen Spuren wären, die die Autorin Leïla Slimani auslegt. Diese Spuren hinterlassen Risse in dem perfekten Bild von Louise, und man fragt sich, was hinter dieser Fassade steckt, und wer Louise tatsächlich ist, was sie macht, wenn sie keine Kinder hütet, welche Vergangenheit sie hat, wer ihre Freunde sind etc. etc. ... Fragen, die im übrigen so gut wie nie von Louises Arbeitgebern gestellt werden. Louise ist für sie Mittel zum Zweck und Bewahrerin des familiären Wohlfühlfaktors. Jemand, der einem das Leben erleichtert, weil er sich der meisten Alltagspflichten annimmt. Der Mensch Louise ist dabei uninteressant.

    Mit der Zeit nimmt das Unbehagen über Louise zu. Durch einen stetigen Wechsel in den Erzählperspektiven lernt der Leser Louise kennen, aus welchen Verhältnissen sie kommt, wie die Nachbarn sie sehen, ja sogar, welches Verhältnis die eigene Tochter zu Louise hatte und hat.

    Und von Louise entsteht das Bild einer Frau, der man am besten nicht seine Kinder anvertraut hätte. Sie wird von der perfekten und liebevollen Nounou zu einer seelisch gestörten Frau, die es nicht ertragen würde, nicht mehr gebraucht zu werden.

    Dieser Gedanke setzt sich bei ihr fest. Insbesondere als sie feststellt, dass die anfängliche Sympathie der Eltern in Aversion umschlägt. Louise legt merkwürdige Verhaltensweisen an den Tag, die nicht mit dem Bild der liebevollen Nanny, zu vereinbaren sind. Die Eltern ahnen, dass mit ihr etwas nicht stimmt. Aber sie zögern den Moment, sich von Louise zu trennen, hinaus. Ein fataler Fehler!

    "Louise wartet. Sie beobachtet die Kinder, wie man einen frisch geangelten Fisch mit blutigen Kiemen betrachtet, dessen Körper im Todeskampf zuckt. Den Fisch, der im Bootsrumpf zappelt und erschöpft nach Luft schnappt, den Fisch, der keine Chance hat, davonzukommen." (S. 47)

    Leïla Slimani hat mit diesem Roman einen Psychothriller geliefert, der unter die Haut geht und dabei fast ohne Blut auskommt. Hier wird mit der Urangst von Eltern gespielt, nämlich der Angst, dass dem eigenen Kind etwas zustößen könnte. Trotzdem man durch den Romananfang weiß, was passieren wird, begleitet den Leser während der kompletten Lektüre ein gewisses Unbehagen. Man schwankt zwischen Verständnis und Unverständnis für die Eltern. Jede Frau, die in ihrem Beruf aufgegangen ist und sich entschieden hat, aufgrund der Kinder Hausfrau und Mutter zu sein, wird sich fragen, ob diese Entscheidung richtig war. Daher ist es prima, wenn die Möglichkeit besteht, Karriere und Kind miteinander zu vereinbaren. Es ist nicht ungewöhnlich, dass man sein Kind in fremde Hände zur Betreuung gibt. Dass diese fremden Hände dem Kind jedoch schaden könnten, ist nichts, woran man zu denken wagt. Und in diesem Roman denkt man permanent daran.

    Fazit:
    Ein sehr intensiver Thriller, der unter die Haut geht, weil er mit den Ängsten von Eltern spielt und solchen, die noch Eltern werden wollen. Hier ist Hochspannung garantiert!

    © Renie

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  1. Subtiler Thrill

    Myriam und Paul sind ein Elternpaar wie aus dem Bilderbuch. Die Kinder waren Wunschkinder, aber der Alltag holt die Familie ein. Myriam fühlt sich allein in der Mutterrolle unterfordert und als sie ein attraktives Angebot ihrer Kanzlei erhält, wird der Wunsch wieder als Anwältin zu arbeiten übermächtig. Auch Paul steht vor einem Karrieresprung. Sie entscheiden sich, eine Nanny ins Haus zu holen.
    Die Entscheidung wird sorgfältig abgewogen, sie wählen mit Louise eine Frau aus, die sympathisch und verantwortungsvoll erscheint. Die Nounou, wie sie genannt wird, nimmt ganz allmählich die Fäden in die Hand.
    Das Buch beginnt mit einem Paukenschlag, die Kinder sind tot. Erst nach und nach wird in wechselnden Perspektiven von Myriam und Louise und in kleinen Rückblenden, das Ausmaß des Dramas sichtbar. War es vorhersehbar? Da ich als Leserin gleich zu Beginn mit dem Tod der Kinder konfrontiert werde, sind mir die feinen Risse in Louises Leben sichtbar. Wie sie allmählich in die Familie drängt und ihre Regeln festlegt. Wie Myriam und Paul ihr Missbehagen zwar wahrnehmen aber nicht aussprechen wollen, um die Versorgung der Kinder nicht zu gefährden – und vor allem auch ihre berufliche Situation nicht zu ändern. Wie weit sie auch Louise entgegenkommen, der Abstand bleibt. Louise selbst fühlt sich ausgeschlossen, eine Angestellte, die sich in ihre innere Einsamkeit zurückzieht, ihr Verhalten lässt sich nicht ignorieren, weist allmählich bedrohliche Züge auf, doch die Eltern schweigen. Zu bequem ist die Rundumversorgung, zu wichtig ihr berufliches Fortkommen. Die Frage nach der Vereinbarkeit von Elternschaft und Karriere, von Emanzipation und gesellschaftlichen Erwartungen stehen im Raum.
    Die Atmosphäre, die dieses Buch durchzieht, lässt mich frösteln, ein Psychodrama, das mir einen Schauer nach dem anderen über den Rücken jagt. So subtil, so fein beobachtet, wie die Autorin dieses Drama beschreibt, die Hauptfiguren entwickelt und die Unausweichlichkeit der Tat angekündigt, kann kein Thriller mithalten.
    Die Autorin wurde in Frankreich mit dem berühmten Prix Goncourt ausgezeichnet. Eine sehr gute Entscheidung der Jury.

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