Charlotte Löwensköld

Buchseite und Rezensionen zu 'Charlotte Löwensköld' von Selma Lagerlöf
4.85
4.9 von 5 (12 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Charlotte Löwensköld"

Die junge Charlotte Löwensköld ist glücklich. Seit fünf Jahren ist sie dem Hilfspfarrer Karl-Artur Ekenstedt versprochen, und nicht im Entferntesten würde sie daran denken, diese Verbindung zu lösen. Auch nicht, als der reiche Bergwerksdirektor Schagerström eines Tages um ihre Hand anhält. Charlotte lehnt den Heiratsantrag entschieden ab, doch der mittellose und asketisch lebende Karl-Artur steigert sich zunehmend in seine Eifersucht hinein. Während Charlotte versucht, sich mit ihm auszusöhnen, beginnt sie immer verzweifelter, um ihr eigenes Glück zu kämpfen … Mit Charlotte Löwensköld schuf die Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf ein modernes Meisterwerk, das ein von der Kirche erschaffenes Frauenbild entlarvt, welches die bedingungslose Aufopferung gegenüber dem Mann verlangt.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:350
EAN:9783717525349

Rezensionen zu "Charlotte Löwensköld"

  1. Eine ausgezeichnete Gesellschaftskomödie

    Rezensionen zu Klassikern fallen mir schwer – was lässt sich auch noch zu Charles Dickens sagen, was soll ich (und wer bin ich), dass ich William Shakespeare kritisiere? So verhält es sich für mich auch bei Selma Lagerlöfs „Charlotte Löwensköld“. Und so will ich hier auch gar nichts interpretieren und analysieren, sondern einfach den Text der wahrhaftig wunderschönen Ausgabe des Manesse-Verlags feiern.

    „Charlotte Löwensköld“ macht einfach Spaß - ein großartiger, ironischer, frecher, gesellschaftskritischer Roman mit kuriosen Verwicklungen, religiösem Eifer und sehr viel Liebe: übertriebene mütterliche Affenliebe, eingebildete, demonstrative, heimliche, christliche und wahre Liebe. Neben überaus gelungener und wohlüberlegter Situationskomik besitzt der Roman hochgradig überzeugende Figuren, die zu überraschen und gängige Erwartungen zu unterlaufen vermögen. Die bis ins Detail ausgereifte Figurenzeichnung macht ihre Charakterentwicklung glaubhaft und sehr lebendig. Besonders die Frauenfiguren sind sehr eindrucksvoll, sie sind in ihrem bisweilen übersteigertem Fürsorgewunsch schon für sich genommen ein Genuss.

    Neben der pointierten, leichtfüßigen Sprache, die durchaus mit einer gewissen Bissigkeit aufwartet, sorgt auch der Handlungsverlauf selbst für beste Unterhaltung. So ist das Ende des Romans nicht unbedingt absehbar, einfach weil Lagerlöf sich an sehr vielen Twists und Wendungen erfreut und ihre Figuren grundsätzlich mit einem hohen Maß an Impulsivität ausstattet. Mitunter hat es fast den Eindruck als sei nicht nur der Leser, sondern auch die Autorin selbst angesichts des Verhaltens ihrer Figuren erstaunt.

    „Charlotte Löwensköld“ ist für mich eine herausragende Entdeckung. Der Roman ist eine ausgezeichnete Gesellschaftskomödie, die in ihrem Witz, ihrer Schonungslosigkeit und ihrer Ausrichtung an Jane Austen und Oscar Wilde erinnert.

    Mir hat an diesem Band einfach alles gefallen – bis auf das Nachwort von Mareike Fallwickl, für das ich eigentlich einen Stern abziehen müsste. Hier wird sehr ausführlich auf Selma Lagerlöfs Queerness eingegangen. Dies ist ein Fakt – nur leider hat Lagerlöfs sexuelle Orientierung so gar nichts mit „Charlotte Löwensköld“ zu tun. Die Erkenntnis, dass Lagerlöf lesbisch war, trägt zum Verständnis und der Analyse des Textes überhaupt nichts bei und ist somit allenfalls als biographische Anmerkung von Interesse. Darüber hinaus nimmt das Nachwort auch noch eine sehr diskussionswürdige feministische Überinterpretation vor – ich hätte mir in beiderlei Hinsicht etwas mehr Fokus auf „Charlotte Löwensköld“ und weniger Interesse am Zeitgeist des 21. Jahrhunderts gewünscht.

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  1. Ein zeitloses Kleinod

    Die Schriftstellerin Selma Lagerlöf war mir bislang nur durch die Trickfilmserie über den kleinen Nils Holgersson und seine fantastische Reise mit den Wildgänsen bekannt. Bereits im Jahr 1909 wurde die Autorin als erste Frau mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet und gilt als eine der berühmtesten Schriftstellerinnen Schwedens. Der vorliegende Roman erschien 1925.

    Bei „Charlotte Löwensköld“ handelt es sich um den mittleren Teil einer Trilogie, der jedoch völlig für sich alleine gelesen werden kann. Das gilt auch für die einzelnen Kapitel, deren jedes fast wie eine Erzählung angelegt ist, sich aber ins große Ganze bestens eingliedert. So lernen wir im ersten Kapitel nicht etwa die intelligent-gewitzte Titelheldin Charlotte Löwensköld kennen, sondern die wohlhabende Oberstin Ekenstedt, eine Frau, der aufgrund ihrer Schönheit und ihres Scharfsinns ihr gesellschaftliches Umfeld zu Füßen liegt. Zudem hat sie ihren einzigen Sohn Karl-Artur stets heillos vergöttert und verwöhnt. Mit diesem Sohn, einem Hilfspfarrer in der kleinen Probstei von Korskykra, ist Charlotte, eine mittellose Verwandte der Oberstin, seit nunmehr fünf Jahren verlobt. Karl-Artur verschreibt sich leider immer mehr einer asketischen, pietistischen Religiosität, was seiner beruflichen Weiterentwicklung (die Voraussetzung für eine Eheschließung wäre) entgegensteht.

    Charlotte verlor ihre Eltern früh und wurde vom Probst-Ehepaar von Korskyrka als Ziehtochter liebevoll aufgenommen, so dass sich die beiden Verlobten dort täglich sehen können. Allerdings nimmt Charlottes Verdruss über Karl-Arturs mangelnden Ehrgeiz zu. Als sie die prächtige Kutsche des Fabrikanten Schagerström vorbeifahren sieht, sagt sie halb im Scherz den schicksalhaften Satz: „Das sage ich dir, Karl-Artur, ich habe dich wirklich gern, aber wenn Schagerström um meine Hand anhält, dann nehme ich ihn.“ (S. 48) Dieser Ausspruch wird dem verwitweten Unternehmer wieder zugetragen, der sich in Folge tatsächlich auf Freiersfüße begibt und in der Probstei mit einem Heiratsantrag vorspricht.

    Daraus entwickelt sich eine herrlich leichtfüßig und warmherzig erzählte Tragikomödie im Stil einer Jane Austen. In Karl-Artur wird eine besitzergreifende Eifersucht entfesselt, die ihn Charlotte mit Vorwürfen überziehen lässt. Andere Figuren mischen sich in das Zerwürfnis ein, jede hat dabei auch eigene Interessen. Charlotte bleibt bei alldem die Ehrenhaftigkeit in Person und tut alles, um den Verlobten zu schützen. Es dauert, bis sich der Roman auf ein Ende zubewegt. Bis zusammen kommt, was zusammen gehört, gilt es einiges an Irrungen und Wirrungen mitzuerleben. Als Leser möchte man manches Mal eingreifen und die Titelheldin wachrütteln.

    Die Figuren sind mehrschichtig und facettenreich angelegt, jedoch für heutige Verhältnisse sicher nicht völlig klischeefrei. Man erfährt jedoch in Rückblicken einiges über die wichtigsten Lebensstationen der Protagonisten, so dass ihre Handlungsweisen schlüssiger werden. Trotzdem erscheint manche Wende etwas märchenhaft, manches Verhalten auch dramaturgisch übertrieben. Ich verzeihe das aber gern, weil es dem Spannungsreichtum der Handlung dient. Man darf eben nicht alles allzu ernst nehmen, manches wird mit einem Augenzwinkern erzählt. Humor ist ausdrücklich erwünscht.

    Auch die Nebenfiguren haben mir Freude bereitet. Der Roman glänzt mit seinen weiblichen Charakteren, die zwar im Korsett ihrer Zeit festhängen, jedoch das Beste daraus zu machen versuchen. Männer haben hier meist die Nebenrollen inne oder lassen sich von Frauen steuern. Selma Lagerlöf schreibt mit leichter, spitzer Feder. Der Text wirkt überhaupt nicht altbacken oder verstaubt. Mich hat der Roman, der sich dank der wunderbaren Übersetzung von Paul Berf absolut flüssig und zeitgemäß lesen lässt, ausgezeichnet unterhalten. Jedes Kapitel fängt den Leser ein, fesselt und versetzt ihn in das Gesellschaftskolorit einer vergangenen Epoche. Dabei werden soziale Missstände, die Benachteiligung von Frauen, Bigotterie und manches andere an den Pranger gestellt – allerdings wie nebenbei und ohne mahnenden Zeigefinger. Das ist Unterhaltung bester Art!

    Das feministisch geprägte Nachwort von Mareike Fallwickl bietet Einblicke in Leben und Werk der beeindruckenden Autorin. Hervorzuheben sind auch die ausführlichen informativen Anmerkungen zum Text.
    Die handliche Manesse Ausgabe ist ein wahres Schmuckstück. Schön, dass Bücher noch so liebevoll und hochwertig gestaltet werden. Ich hoffe auf eine Fortsetzung der Löwensköld-Trilogie und bleibe ein Fan der Manesse Weltbibliothek.

    Große Leseempfehlung!

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  1. Viel Wirbel um eine Verlobung

    Der Name Selma Lagerlöf war mir bereits vor der Lektüre des Klassikers Charlotte Löwensköld ein Begriff. Die schwedische Autorin wurde als erste Frau mit derm Literaturnobelpreis ausgezeichnet; ebenso war sie die erste Frau, die in die Schwedische Akademie aufnahm. Lang verband ich sie mit dem Kinderklassiker "Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen", den ich aber nie las. Als der Manesse Verlag nun in der Reihe der edlen kleinen Klassikerbände "Charlotte Löwensköld" herausbrachte, war für mich der Zeitpunkt da, endlich ein erstes Werk von Lagerlöf zu lesen, inorierend, dass es sich um den mittleren Band der Löwensköld-Trilogie handelt. Wie alle Manesse-Klassiker ist auch dieser Band wieder in einer hochwertigen und wunderschönen Aufmachung inklusive Nachwort und Anmerkungen erschienen. Allerdings tat ich mich dieses Mal mit der vergleichsweise kleinen Schrift etwas schwer und musste meinen Augen zwischendrin eine Entspannungspause gönnen.

    Ich konnte das Buch dennoch genießen. Interessiert folgte ich der Geschichte der Irrungen und Wirrungen rund um die frühe Verlobung der beiden jungen Leute Charlotte und Karl-Artur. Karl- Artur wuchs in Karlstad inmitten einer reichen Oberklassenfamilie auf. Er entschied sich dennoch für einen recht einfachen Lebenstil. Von einem Freund zum Studium der Theologie inspiriert, beschloss er, eine daran anschließend eine Tätigkeit als Hilfspfarrer im Pfarrhaus in Koskyrka aufzunehmen. Dort lernt er Charlotte kennen und verlobt sich mit ihr. Doch die Vorstellungen der jungen Leute über wichtige Aspekte des gemeinsamen Lebens gehen auseinander: Während Karl-Artur eine einfache Nachfolge Christis anstrebt, möchte Charlotte, dass er die die Karriereleiter in der Kirchenhierarchie erklimmt. Es folgen Missverständnisse mit weitreichenden Konsequenzen: Als der zwar noch junge, aber bereits verwitwete Schagerström um Charlottes Hand anhält, lehnt diese zwar entrüstet ab. Jedoch wird sie im Nachgang von Karl-Artur beschuldigt lediglich abgelehnt zu haben, da sie noch auf seine Karriere und damit eine bessere Partie hoffe. In seiner Wut beschließt er, Gott die Entscheidung zu überlassen, wer zu ihm passe. So soll es die erste Frau sein, die er nach Verlassen des Hauses trifft, die seine Frau wird. Er stürzt auf die Straße, trifft dort auf die junge, aber ungebildete Anna und verlobt sich mit ihr. Fortan bemüht sich Charlotte unermüdlich um Karl-Arturs Liebe. Sie nimmt sogar alle Schuld auf sich, doch nichts will helfen. Als sie mitbekommt, dass Karl-Artur sich infolge der Verlobung mit Anna mit seinen Eltern verworfen hat, ist sie zum Äußersten bereit: Auf Anraten von Thea Sundler, einer heimlichen Verehrerin von Karl-Artur, die ihr Vermittlung in der Versöhnung Karl- Arturs mit seinen Eltern Unterstützung zusagt, opfert sie sich und heiratet Schagerström. Karl-Artur aber weiß sie nur im Gebet zu verspotten, weswegen nach langem Ringen um Karl-Artur ihre Liebe zu ihm letztlich doch erstirbt. Sie beginnt nun Schagerström mit neuen Augen zu sehen. Kann es sein, dass er etwas hat, was Karl-Artur ganz grundsätzlich fehlt?

    Das klingt nach reichlich Irrungen und Wirrungen in Sachen Liebe. Und tatsächlich bestimmen diese auch über weite Strecken den Fortgang der Geschichte. Dabei wirkt die Figurenzeichnnung und der Blick Lagerlöfs auf ihre Protagonisten mitunter etwas naiv. Charlotte wird sehr überzeichnet als eine Frau ihrer Zeit, die für ihre Liebe zu kompletter Selbstaufgabe neigt. Sie wird gleichzeitig fast schon zu einer Heiligen hochstilisiert, was mich sehr gestört hat. Im Gegenzug wird Karl-Artur als eigensinniger Kauz präsentiert, der sich selbst am nächsten ist. Hier das Gute, da das Böse. Das ist mir zu simpel und störte mich sehr. Überhaupt war mit das ganze Hin und her rund um die Frage: Verstandesmäßige oder gefühlsbasierte Liebe, die für die Zeit durchaus typisch gewesen sein mag, zu viel, das Ende etwas unbefriedigend. Trotz des angenehmen Erzählstils und einigen fast schon komödiantischen Passagen konnte mich Lagerlöf mit ihrem Werk nicht so begeistern wie viele andere LeserInnen. Dennoch fand ich gerade auf der Zielstrecke immer besser ins Geschehen hinein und erkenne die schriftstellerische Leistung Lagerlöfs und ihren Beitrag zur kritischen Sicht auf die Rolle der Frau durchaus an. Am Ende war es für mich ein solide erzähltes, interessantes Werk. Interessant genug, dass ich weitere Geschichten von Lagerlöf eine Chance geben würde.

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  1. Liebesgeschichten und Heiratssachen?

    Seit fünf Jahren ist Charlotte schon mit dem Hilfspfarrer Karl-Artur Ekenstedt verlobt, als sie einen Heiratsantrag des verwitweten Bergwerkbesitzers Schagerström erhält. Charlotte denkt gar nicht daran diesen anzunehmen, doch Karl-Artur gerät derart in Eifersucht und löst damit eine Kette an Ereignissen aus.

    Charlotte Löwensköld ist ein literarisches Kleinod aus der Feder der schwedischen Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf. Geschrieben 1925, ist die Geschichte 1860 in der (fiktiven) Kirchengemeinde Korskyrka angesiedelt. Der Roman ist der Mittelteil der Löwensköld Trilogie, aber gut für sich allein lesbar. (Auch wenn ich den Vorgänger „Der Ring des Generals“ auch aufs Wärmste empfehlen möchte.)

    Der Manesse Verlag verfolgt seit geraumer Zeit das Motto „mehr Klassikerinnen“, dem ich mir nur anschließen kann. Mit der optisch überaus ansprechenden Ausgabe im Kleinformat mit Lesebändchen, der Neuübersetzung, Glossar und Nachwort zur Autorin trifft dieses Buch genau meinen Geschmack.

    Selma Lagerlöfs Art zu schreiben ist überraschend modern und amüsant. Der Roman ist keine rührselige Liebesgeschichte, überhaupt nicht verstaubt in Sprache und Inhalt. Dafür geht Selma Lagerlöf sehr forsch mit den herrschenden Ansprüchen an Frauen (sittsam, häuslich, dem Mann ergeben etc. pp) um und spart auch nicht mit Kritik an bigotter Frömmelei.

    Eine Klassikerin, die zeitlos, humorvoll und anspruchsvoll über Liebe und Heiratssachen, (mangelnde) Frauensolidarität und andere gesellschaftliche Befindlichkeiten anschreibt, gehört einfach gelesen.

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  1. Von Doppelmoral und Scheinheiligkeit

    Schweden im Jahr 1820: Charlotte Löwensköld ist seit Jahren mit dem Pfarrer Karl-Artur Ekenstedt verlobt, der aus bescheidenen Verhältnissen kommt. An der Verbindung hält sie fest, selbst als ihr der reiche Bergwerksdirektor Schagerström einen Antrag macht. Dennoch steigert sich Karl-Artur in seine Eifersucht hinein. Eine Katastrophe bahnt sich für Charlotte an…

    „Charlotte Löwensköld“ ist ein Roman von Selma Lagerlöf, der erstmals im Jahr 1925 erschienen und der zweite Teil einer Trilogie ist.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus mehr als 20 Kapiteln, die in sich geschlossen sind und zum Teil in weitere Abschnitte untergliedert sind. Der Aufbau ist wohl durchdacht und funktioniert hervorragend.

    Obwohl der Roman bereits vor fast 100 Jahren geschrieben wurde, kommt der Schreibstil angenehm modern daher. Der teils süffisante Erzählton sorgt für eine unterhaltsame, jedoch nicht zu seichte Lektüre. Immer wieder zeigt es sich, dass die Autorin trefflich mit Sprache umgehen konnte. Die Neuübersetzung erscheint mir geglückt.

    Auffällig im positiven Sinne ist, dass die weiblichen Figuren die Handlung dominieren. Sie stehen - neben Karl-Artur - im Vordergrund des Geschehens.

    Im Hinblick auf den Inhalt ist der Roman außerordentlich gesellschaftskritisch. Er legt den Finger in die Wunde, indem er Systemfehler und Missstände, Doppelmoral und Scheinheiligkeit anprangert. Immer wieder tritt die feministische Perspektive der Autorin zutage. Sie weist auf Misogynie und die Situation der Frauen in einer zutiefst patriarchalen Gesellschaft hin. Zwar haben sich die Umstände in Schweden in vielerlei Hinsicht mittlerweile geändert. In einigen Aspekten ist der Roman allerdings nach wie vor zeitgemäß.

    Die Handlung basiert auf einer wahren Begebenheit. Sie ist kurzweilig und bietet überraschende Wendungen.

    Besonders erhellend und auf den Punkt ist das gelungene Nachwort von Mareike Fallwickl, die die Autorin Lagerlöf in all ihren Facetten beleuchtet und die Romanhandlung in den historischen Kontext einordnet.

    Das hübsche Cover und die sonstige Anmutung der gebundenen Manesse-Ausgabe machen einen hochwertigen Eindruck. Für mich hätte das Format lediglich etwas weniger handlich ausfallen dürfen.

    Mein Fazit:
    „Charlotte Löwensköld“ von Selma Lagerlöf ist ein ungemein lesenswerter Klassiker, der im Laufe der Zeit nichts von seinem Unterhaltungswert eingebüßt hat und sowohl in sprachlicher als auch inhaltlicher Hinsicht erstaunlich aktuell ist. Uneingeschränkt empfehlenswert!

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  1. Mehr Klassikerinnen!

    Unter dem Motto "Mehr Klassikerinnen" widmet der Manesse Verlag sein komplettes Jahresprogramm 2022 Schriftstellerinnen der Weltliteratur mit sehr frischen Neuübersetzungen, kommentiert von namhaften Autorinnen und Autoren und in gewohnt hochwertiger Ausstattung.

    Nach "Mrs. Dalloway" von Virginia Woolf und "Babettes Gastmahl" von Tania Blixen war "Charlotte Löwensköld" von Selma Lagerlöf (1858 – 1940) meine dritte Lektüre aus diesem Programm. Ein Wagnis insofern, als mir "Gösta Berling" überhaupt nicht zusagte und ich von "Wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen" wegen der spürbar pädagogischen Absicht und Langatmigkeit nicht begeistert war. Mit "Charlotte Löwensköld" erging es mir nun völlig anderes. Dieses Spätwerk von 1925 der als erste Frau 1909 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten Autorin ist eine ebenso vergnügliche wie wendungsreiche Lektüre, die vor allem von starken Frauencharakteren und dem überragenden Erzähl- und Dramaturgievermögen von Selma Lagerlöf mit äußerst humorvollen Szenen und feiner Ironie lebt.

    Inspiriert von einer wahren Geschichte
    "Charlotte Löwensköld" ist der mittlere Teil der värmländer Trilogie "Die Löwenskölds", der sich jedoch problemlos seperat lesen lässt. Teil eins, "Der Ring des Generals", ist eine Gespenstergeschichte, die von einem Ring als Ursprung allen Unglücks in der Familie Löwensköld erzählt. In Teil zwei, "Charlotte Löwensköld", steht im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts eine junge Frau aus dem nichtadeligen, mittellosen Familienteil im Mittelpunkt. Sie ist über fünf Jahre mit dem Hilfspastor Karl-Artur Ekenstedt verlobt, dessen kluge, umschwärmte Mutter, die Oberstin Beate Ekenstedt, wiederum eine adelige Löwensköld ist. Karl-Artur ist der verwöhnte Augapfel seiner Mutter. Während seines Studiums wechselt er unter dem Einfluss eines pietistischen Kommilitonen gegen den Willen seiner Eltern zur Theologie. In der Probstei Korskyrka als Hilfspastor eingesetzt, lernt er Charlotte kennen, die als Gesellschafterin im Haus des Propstehepaars lebt.

    Gerne würde die intelligente, lebendige, charmante und bisweilen schelmische Charlotte ihren Langzeitverlobten endlich heiraten, doch verweigert der aus Gründen übersteigerter religiöser Askese den zur Gründung eines Hausstands nötigen beruflichen Ehrgeiz. Als er zudem unter den Einfluss der intriganten Organistenfrau Thea Sundler gerät und Charlotte einen Heiratsantrag des jung verwitweten, vermögenden Bergwerksbesitzers Gustav Schagerström erhält, gerät die Situation außer Kontrolle. Es beginnt eine immer rasantere Abfolge von Irrungen, Missverständnissen, Zufällen und Verwicklungen, so dass ich den Roman nicht mehr aus der Hand legen konnte. Liebend gerne hätte ich eingegriffen, um Charlotte vor drohendem Unheil zu bewahren. Letztlich habe ich sie, die den guten Ruf ihres selbstverliebten Verlobten und dessen gefährdetes Einvernehmen mit seiner Mutter über ihre eigenen Interessen stellt, unterschätzt:

    "Aber in Charlotte floss altes, schwedisches Adelsblut, und in ihrer Seele wohnte der rechte schwedische Wille, der edle, stolze Wille, dem eine Niederlage nichts anhaben kann, der vielmehr mit ungebrochenem Elan zu neuen Kämpfen aufspringt." (S. 413)

    Zeitlose Themen im Gewand des 19. Jahrhunderts
    Selma Lagerlöf porträtiert in "Charlotte Löwensköld" den Männern in Klugheit, Menschenkenntnis und Stärke überlegene, jedoch im Korsett ihrer Zeit gefangene Frauen und zeigt die Auswirkungen von selbstgerechtem, intolerantem religiösem Übereifer, bei dem Anspruch und Wirklichkeit weit auseinanderklaffen.

    Das sehr erhellende, feministisch grundierte Nachwort von Mareike Fallwickl diskutiert neben anderem die Auswirkungen mütterlicher Erziehung auf Söhne und die Grenzen, die auch einer erfolgreichen Frau wie Selma Lagerlöf zu ihren Lebzeiten gesetzt waren.

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  1. 5
    15. Dez 2022 

    Die Geschichte von Charlotte und Karl-Arthur

    Selma Lagerlöf nähert sich ihrer Titelheldin „Charlotte Löwensköld“ in diesem Roman schrittweise und langsam an, indem sie zunächst Karl-Artur, deren Verlobten in den Mittelpunkt des Interesses stellt. Dieser wird in seinem Leben und Wesen aus der Sicht von zwei starken Frauen seiner Umgebung geschildert. Da ist erstens die „Übermutter“, eine starke Frau, die als Gemahlin eines Oberst in der Rolle der „Oberstin“ eine gesellschaftliche Größe darstellt und ihren Sohn so weit wie möglich fördern will, damit dieser eine gesellschaftliche Stellung einnehmen kann, die ihr angemessen erscheint. Nur ist Karl-Artur dazu gar nicht gewillt. Die gesellschaftliche Stellung, die er für sich erträumt, liegt weit unterhalb der von der Mutter angestrebten und führt bei dieser zu erheblicher Frustration. Ähnlich, wenn auch etwas feinfühliger ist da die Haltung seiner Verlobten. Und hier treffen wir nun auf die Heldin Charlotte. Auch sie erträumt sich für ihren zukünftigen Ehemann eine Stellung weit über der aktuellen eines Landpfarrers und versucht immer wieder, ihn auf eine nach oben führende Laufbahn zu stupsen. Karl-Artur aber ist hartnäckig und verharrt selbstbewusst in seiner Haltung. Doch das steht nicht im Mittelpunkt der weiteren Romanhandlung. Es geht im Weiteren vielmehr um ein Hin und Her rund um die Verlobung von Charlotte und Karl-Arthur. Das, was in diesen Zeiten ein geradezu alternativlos geradliniger Prozess von Verlobung über Hochzeit zu Ehe ist, gerät bei den beiden über ein gerüttelt Maß an Hindernissen, Missverständnissen und Eigensinnigkeiten unterschiedlicher Akteure zu einem wirklichen Durcheinander an Entwicklungen rund um diese Verlobung. Dabei blieb ich als Leserin immer auf der Suche nach dem doch noch möglichen Happy End. Und als dann das Ende gekommen ist, ist es wohl ein solch glückliches und doch so überraschend anders als erwartet.
    Aber gut! Gerade dieses Unerwartete macht den Roman am Ende nochmals besonders interessant, nachdem er den Leser zwischendurch in weiten Teilen einfach sehr gut unterhalten hat durch interessante, gut gezeichnete Charaktere und die Einblicke in die schwedische Gesellschaft dieser Vergangenheit. Deshalb ist „Charlotte Löwensköld“ eine lohnenswerte Lektüre eines nicht ganz so hervorstechenden Klassikers und bekommt von mir 5 Sterne.

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  1. Gesellschaftsbild mit Augenzwinkern

    Selma Lagerlöf, die erste Literaturnobelpreisträgerin, ist hierzulande vor allem als Schöpferin des kleinen Nils Holgersson bekannt. In ihren Romanen für Erwachsene hat sie aber auch einige starke und charaktervolle Frauengestalten geschaffen. Eine von ihnen ist Charlotte Löwensköld, die Heldin einer Romantrilogie, deren Teile voneinander unabhängig gelesen werden können. "Charlotte Löwensköld" ist der Mittelteil.

    Charlotte stammt aus dem verarmten Zweig einer vornehmen Adelsfamilie, steht als junge Frau allein in der Welt und ist auf ihre bescheidene Stelle als Gesellschafterin eines alten Propstehepaars angewiesen. Mit ihren vornehmen Karlstadter Verwandten, insbesondere der umschwärmten Frau Oberstin Ekenstedt (die gleichfalls eine geborene Löwensköld ist, jedoch wesentlich betuchter) kann sie nicht mithalten. Karl Artur Ekenstedt jedoch, der Sohn jener Oberstin, hat beschlossen, sich auf ein kärgliches Dasein als Hilfspfarrer zu beschränken. So begegnet er Charlotte im Haushalt des Propstehepaars und die beiden jungen Leute verlieben sich ineinander. Indessen ist Karl Artur ein recht verwöhnter und ichbezogener Mensch, der sein persönliches Gottesbild über alles stellt und erwartet, dass alle nach seiner Fasson selig werden sollen. Die temperamentvolle und kluge Charlotte, der es entschieden an weiblicher Demut mangelt, entspricht seinem Idealbild einer Ehefrau im Grunde gar nicht. Zu dieser konfliktträchtigen Konstellation kommen nun noch eine intrigante ältliche Organistenfrau namens Thea, die in Karl Artur himmelhoch verliebt ist, und ein steinreicher, aber uneleganter junger Hüttenbesitzer, der gerne eine Frau an seiner Seite hätte, aber überzeugt ist, dass seiner verstorbenen ersten Frau ohnehin keine das Wasser reichen kann. Ein "schicksalhaftes" Durcheinander ist unausweichlich.

    Selma Lagerlöf ließ sich zu diesem Roman von einer wahren Begebenheit inspirieren: ein junger Geistlicher gelobte, nachdem er sich mit seiner Braut gestritten hatte, das nächste Mädchen zu heiraten, das Gott ihm in den Weg schickt. Den gleichen Weg geht Karl Artur Ekenstedt. Charlotte, die solch fanatisches Gottvertrauen nicht nachvollziehen kann, tut alles, um sich mit ihm zu versöhnen, handelt gegen ihre Natur und demütigt sich selbst. Das Ende des Romans ist erstaunlich "modern" - es ist ein offenes Ende, weder im eigentlichen Sinn "happy" noch tragisch. Die Geschichte ist jedoch in sich abgeschlossen, auch ohne Kenntnis des darauf folgenden dritten Teils der Trilogie.

    Die Romanserie um den "Ring des Generals" ist Selma Lagerlöfs letztes Werk. Speziell in "Charlotte Löwensköld" zeigt sich nichts mehr von dem hymnischen Erzählton, der in früheren Erzählungen der Schriftstellerin oft angeschlagen wird. Der Stil ist ganz schlicht, geradezu alltäglich, aber deshalb nicht weniger meisterhaft. Nicht nur, dass jedes Kapitel einen neuen Faden aufnimmt, so dass der Zusammenhang zum vorhergehenden sich oft erst indirekt erschließt -, auch die Erzählperspektive hat etwas ironisch Schillerndes. Sowohl Karl Arturs christlich-missionarischer Impetus als auch Theas hoffnungslose Liebe, die tragische Vorgeschichte des Hüttenbesitzers Schagerström, die fanatische Mutterliebe der Oberstin Ekenstedt zu ihrem Sohn - alles wird in einem Ton erzählt, in dem zwar die tiefe Anteilnahme für jede einzelne Person, gleichzeitig aber auch immer ein amüsiertes Augenzwinkern mitschwingt. In dieser Hinsicht könnte man diesen Gesellschaftsroman aus dem alten Schweden mit Jane Austens Liebesromanen vergleichen. Die Gesellschaftskritik ist so fein verpackt, dass sie sich gut überlesen ließe (ich habe das Buch als Teenagerin zum ersten Mal und als reine Liebesgeschichte gelesen). Nichtsdestotrotz, wie Mareike Fallwickl in ihrem klugen Nachwort darlegt, war Selma Lagerlöf - Frauenrechtlerin und, wie man heute weiß, Lesbierin - sehr daran gelegen, mit spitzer Feder die Missstände der Zeit, speziell für Frauen, anzuprangern.

    Der Roman erscheint bei Manesse in der üblichen liebevoll aufgemachten Form, mit angehängtem Glossar und dem erwähnten informativen Nachwort. Die Neuübersetzung stammt von Paul Berf und hat einen angenehm frischen Ton. Man kann dem Buch und der liebenswerten Charlotte nur so viele interessierte Leser und Leserinnen wie möglich wünschen - und ich persönlich würde mir überdies wünschen, auch den Nachfolgeband "Anna Svärd" in ähnlicher Aufmachung lesen zu dürfen!

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  1. 5
    08. Dez 2022 

    Lesenswerter Klassiker

    Die schwedische Autorin Selma Lagerlöf ( 1858 geboren, 1940 gestorben ) wurde 1909 als erste Frau mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet. Weltberühmt wurde sie mit ihrem Kinderbuch „ Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen“. Nur wenigen dürfte bekannt sein, dass dieses Buch eine Auftragsarbeit des Schwedischen Volksschullehrerverbands war, das schwedischen Schulkindern die Geschichte ihres Landes näher bringen sollte.
    Als „ Charlotte Löwensköld“ 1925 erschien, war Selma Lagerlöf eine Autorin von Weltrang und bis heute zählt dieser Roman zu ihren beliebtesten. Umso erfreulicher ist es, dass der Manesse Verlag ihn in in einer frischen Neuübersetzung und in gewohnt hochwertiger und handlicher Ausgabe herausgebracht hat.
    „ Charlotte Löwensköld“ ist der zweite Teil einer Trilogie, lässt sich aber ohne Kenntnis der anderen beiden Bücher lesen und verstehen.
    Die Grundidee entnahm die Autorin den Briefen eines Heimatforschers, der von einem Pfarrer erzählte, der nach einem Streit mit seiner Verlobten die erstbeste Frau von der Straße heiratet. Aus dieser wahren Begebenheit schuf Selma Lagerlöf einen auch noch heute äußerst lesenswerten Roman.
    Die Geschichte spielt im ländlichen Schweden im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts. Die titelgebende Charlotte lebt als mittellose Waise bei ihren Verwandten, dem Probst und seiner Frau. Hier hat sie auch den jungen Hilfspfarrer Karl-Artur Ekenstedt kennen und lieben gelernt. Der entstammt einer angesehenen und vermögenden Familie und ist der auserwählte Liebling seiner Mutter, der Oberstin Beate Ekenstedt. Leider kam Karl- August während seines Studiums unter den Einfluss von Pietisten und sein einziges Ziel war es nunmehr, seinem Gott in Armut zu dienen. Die kluge Charlotte erkannte früh das Potential, das in Karl- Artur steckt, allerdings zeigt er auch weiterhin keinerlei Ehrgeiz, sich um eine Beförderung zu kümmern. Das bedeutet für die junge Frau, dass es nach der fünfjährigen Verlobungszeit immer noch keine Aussicht auf eine Hochzeit gibt, denn mit dem mageren Hilfspfarrergehalt kann Karl- Artur keine Familie gründen.
    Als Charlotte von dem reichen Bergwerksdirektor Schagerström einen Heiratsantrag bekommt, beginnt eine Reihe von Missverständnissen und Verwicklungen. Alles, was Charlotte in bester Absicht unternimmt, wird ihr zu ihren Ungunsten ausgelegt. Üble Nachrede einer unglücklich in Karl- Artur verliebten Frau schaden ihr zusätzlich. Und ihr Verlobter unterstellt ihr in seiner eifersüchtigen Verblendung, ihr ginge es nur um eine reiche Heirat. Deshalb löst er voller Zorn die Verlobung und will nun Gott höchstpersönlich entscheiden lassen, wer seine Frau werden soll. Der ersten Frau, die ihm auf der Straße begegnet, will er einen Antrag machen.
    Charlotte kämpft mit allen Mitteln um ihre Liebe, bis zur Selbstverleugnung. Ihr geht es dabei weniger um sich, als um den guten Ruf ihres Verlobten und um dessen Verhältnis zu seiner Mutter. Dabei zeigt sie wahre Größe. Doch beim Lesen hofft man zusehends, dass Charlotte den tatsächlichen Charakter ihres Verlobten erkennt und ihre Konsequenzen daraus zieht.
    Selma Lagerlöf beendet den Roman nicht mit einem romantischen Happy- End, sondern sehr realistisch und modern.
    Die Autorin erzählt in einem humorvollen, manchmal sogar spöttischen Ton, der das Buch zu einem wahren Lesevergnügen macht. An manchen stilistischen Eigenheiten wie Leseranrede steht sie in der mündlichen Erzähltradtion. Eine Besonderheit ihrer Erzählkunst ist auch, jedes Kapitel in sich geschlossen zu konzipieren und trotzdem ergibt es am Ende ein großes Ganzes.
    Selma Lagerlöf hat einen psychologisch genauen Blick auf ihre Figuren, zeichnet sie lebendig und glaubhaft.
    Charlotte ist eine kluge und gutherzige Frau, die sich manchmal von ihrem Temperament zu impulsiven Handlungen hinreißen lässt. Voller Komik ist z.B. jene Szene, als sie ihrer Gegnerin kurzerhand mit der Schere ein paar Locken abschneidet.
    Heutigen Lesern mag Charlottes Selbstverleugnung und lange Treue zu ihrem Verlobten bitter aufstoßen. Um aber ihr Verhalten richtig beurteilen zu können, muss man sich die Lage der Frauen zu jener Zeit vor Augen halten. Deren Möglichkeiten, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, waren äußerst eingeschränkt. In der Regel waren sie auf eine Heirat angewiesen; eine Ehe bedeutete damals die notwendige wirtschaftliche Absicherung. Was es heißt, wenn der Ehemann als Versorger ausfällt, zeigt Selma Lagerlöf deutlich am Schicksal von Charlottes Schwester, die mit einem Trinker verheiratet ist.
    Die andere starke Frau im Roman ist die Oberstin Ekenstedt. Anfangs ist man als Leser entsetzt, mit welcher Affenliebe sie ihren Sohn Karl- Artur verhätschelt und bevorzugt. Doch später zeigt sich, dass sie trotz allem eine gute Menschenkennerin ist, Charlottes Größe erkennt, aber auch die Fehler und Schwächen ihres Sohnes .
    Karl- Artur mag nach außen hin mit seinen glänzenden Predigten und seinen guten Taten blenden, doch man merkt bald, dass sein Christentum eines voller Selbstgerechtigkeit und Strenge ist. „ Der Gott, an den du glaubst, ist ein unbarmherziger Gott,“ wird ihm sein Vater vorwerfen. Karl- Artur ist voller Fanatismus und unfähig zu wirklicher Liebe und zu Empathie.
    Auch die Nebenfiguren werden mit all ihren Schwächen und Liebenswürdigkeiten porträtiert, so z. B. der alte Probst und seine Frau, aber auch der beinahe selbstlose Schagerström. Dabei zeigt sich, dass die Autorin eine Kennerin der menschlichen Seele ist. Und genau dies macht den Roman auch heute noch zu einer lohnenswerten Lektüre. Mögen sich die Zeiten und die Umstände geändert haben, die Menschen sind gleich geblieben.
    Lesenswert ist auch das aufschlussreiche Nachwort von Mareike Fallwickl. Sie liefert wertvolle Informationen zu Selma Lagerlöf und ihr Interpretationsansatz hilft zusätzlich zum Verständnis.

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  1. Die Idylle trügt

    "Auf kluge wie bestechende Weise entlarvt die erste Nobelpreisträgerin Selma Lagerlöf in ihrem modernen Meiserwerk ein von der Gesellschaft geschaffenes Frauenbild, das die bedingungslose Aufopferung gegenüber dem Mann verlangt."

    Charlotte ist bereits seit fünf Jahren dem jungen Theologiestudenten Karl-Artur Ekenstedt versprochen, als dieser sich wegen diverser Missverständnisse empört von ihr abwendet und die Verlobung löst. In seiner selbstgerechten Art und großem Vertrauen auf Gott, verspricht er, stattdessen die erstbeste Frau, die ihm über den Weg läuft, zu heiraten. Es ist die Hausiererin Anna Svärd, die seinen überstürzten Abgang kreuzt. Karl-Arturs Eltern, eine angesehene Familie, sind entsprechend entsetzt. Beate Ekenstedt war zeitlebens eine glühende Verehrerin ihres Sohnes, hat es geschluckt, dass er sich dem Pietismus verschrieb und fortan predigend die Menscheit retten will, doch ihre vernarrte Liebe wird auf eine harte Probe gestellt. Sie insistiert.

    Charlottes Schicksal ist der verwitwete Bergwerksdirektor Schagerström. Er hielt um ihre Hand an, die Charlotte jedoch abwies, was wiederum Karl-Artur als Beleg dafür nahm, dass Charlotte ihn (Karl-Artur) zu gotteslästernder Karriere zwingen will... ihr seht schon, dieses Gedankenwirrwarr haben wir zwar dem Fanatismus des jungen Ekenstedt zu verdanken, macht die Sache aber auch nicht besser. Zumal es noch eine Einflüsterin und heimlich Verliebte gibt, die Frau des Organisten, Thea Sundler. Sie streut Zwietracht zwischen Charlotte und Karl-Artur.

    Charlotte aber ist eine echte Löwin (zumindest assoziiere ich es mit ihrem Nachnamen) und kämpft, nicht nur vergebens um ihre wahre Liebe zu Karl-Artur, sondern auch um dessen Ruf in der Gemeinde und letztendlich dann um die Versöhnung von Sohn und Mutter, deren besondere Beziehung ihr nicht entgangen ist. Selbstlos nimmt sie alle Schmach auf sich, opfert sich den Erwartungen und lässt sich sogar von Anna Svärd erpressen.

    Die reichlichen Verwicklungen in dieser Geschichte des gebrochenen Verlöbnisses, welches auf eine wahre Begebenheit beruhen soll, wird in die Familiengeschichte der Löwenskölds verwoben und der heitere Ton dieses Mittelstücks einer Trilogie lässt den Leser auf den Wellen einer ausgeklügelten Komödie auf und ab gleiten. Entrüstet man sich in einem Augenblick noch über die Selbstherrlichkeit eines von Mutterliebe verwöhnten Hagestolzes, verblüfft einen im nächsten Kapitel die, trotz aller intelligenten Empathie ausgestatten, Hauptfigur mit ihrer Opferbereitschaft und Hingabe.

    Dieses Wechselbad der Gefühle ließ mich dann auch etwas ratlos zurück, warum die eigentlichen Probleme der Frau im patriarchalischem Machtgefüge eines Schweden des frühen 19. Jahrhunderts so stiefmütterlich behandelt wurden. Charlotte selbst war mittellos, aber bereit, den entsagungsreichen Weg mit ihrem Verlobten zu gehen und alle Frauen, die für oder gegen diese Verbingung gearbeitet haben, waren etabliert. Weder das Schicksal von Charlottes Schwester, Anna Svärds, oder der verweisten Kinder in einer Armenauktion wurden weiter beleuchtet und tiefer in die Geschichte eingeführt. Stattdessen bekamen die Mütter der Herren Schagerström und Ekenstedt eine bedeutende Rolle bei der Erziehung ihrer Söhne zugesprochen, was meine Erwartungen an diesen Roman zuwiderlief. Die Raffinesse Charlottes wurde durch böse Nachrede zunichte gemacht, Schagerströms Hilfsbereitschaft durch Sitte und Anstand ad absurdum geführt und heldenhafte Taten mihilfe des Schicksals zu einem guten Ende geführt. Das hat ein wenig was von Grimms Märchen.

    Selma Lagerlöfs angenehmer Erzählstil zeichnet sich durch in sich geschlossene Kapitel aus, deren Überschriften manchmal etwas Schelmisches durchblitzen lassen. Sie hält ihr Personal in Grenzen, manche Andeutungen machen jedoch klar, dass dieser Familienepos nicht allein von Charlottes Schicksal bestimmt ist. Vielmehr weiß sie sehr wohl um Zwänge und Abhängigkeiten zu berichten, wenn auch mit wenig Gewicht.

    Viel Gewicht hat allerdings der Manesse Verlag auf Gestaltung, Papierqualität und Haptik gelegt und macht aus diesem Klassiker der Literatur ein Schmuckstück für die Bibliothek.

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  1. Ein zeitloser Klassiker mit beeindruckender Frauenfigur

    Versöhnen sich Charlotte und Karl-Artur jetzt noch oder nicht? Um dieses Thema scheint sich dieses zauberhafte Buch zu drehen! Jedoch ist das nicht das einzige, das den Reiz dieses Werks ausmacht!

    Es ist ein Blick in eine vergangene Zeit, genau genommen ca. 100 Jahre zurück, und spielt im ländlichen Schweden, in Värmland. Ob es die Stellung der Frau betraf, die darauf angewiesen war, dass sie geheiratet wurde (und die dann ihrem Mann auf Gedeih und Verderben ausgeliefert war, wie die Schwester von Charlotte), ob es die soziale Unsicherheit war (hervorragend, aber abschreckend, im Kapitel 'Armenauktion' geschildert), oder es sich um die große Bedeutung der Kirche handelte (viel Ablenkung gab es ja nicht und so bot das religiöse Leben einen Zusammenhalt und Abwechslung) - die Rahmenbedingungen für die Geschichte allein schon finde ich hervorragend beschrieben!

    Die zentrale Beziehungsgeschichte von Charlotte hat mich bestens unterhalten und auch die Neben-Personen sind sehr treffend charakterisiert! Und beileibe nicht eindimensional: hatte mich z.B. der Hilfspfarrer Karl-Artur gerade noch beeindruckt durch sein mutiges Eintreten, verdrehte ich kurze Zeit danach die Augen und hätte ihn am liebsten ‚auf den Mond geschossen‘! Die temperamentvolle Protagonistin und das liebenswerte Ehepaar Propst und Pröpstin sind mir jedoch besonders an Herz gewachsen.

    Im Manesse-Verlag erschienen, ist schon das Äußere ein Augenschmaus: handliche Größe, das Cover mit Bild aus alten Zeiten mit passend farblichen Lesebändchen und exklusiver Fadenheftung. Übersetzt wurde ‚Charlotte Löwensköld‘ aus dem Schwedischen von Paul Berf und das Nachwort von Mareike Fallwickl fand ich sehr erhellend: die ‚drei‘ Selmas! Äußerst interessant!

    Fünf Sterne vergebe ich an diesen zeitlosen Klassiker, der Themen enthält, die ihre Aktualität wahrscheinlich nie verlieren werden, wie z.B. die fehlende Solidarität unter Frauen, Beziehungspsychologie, die Auswirkungen von zu wenig oder zu viel Liebe in der Erziehung und das sture Festhalten an eigenen Ansichten! Wer Freude an interessanten Charakteren und feinem spitzen, leicht ironischen Erzählton hat, dem empfehle ich dieses Buch wärmstens!

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  1. 5
    20. Nov 2022 

    Taufreischer Klassiker mit wunderbaren Charakteren

    „Charlotte Löwensköld“ ist der zweite Teil einer Trilogie mit dem Namen „Die Löwenskölds“, deren Teile sich ohne Weiteres unabhängig voneinander lesen lassen. Die Trilogie gilt als Lagerlöfs Alterswerk, in der ihre Kunst kulminiert.

    Mit feiner Ironie stellt Lagerlöf uns in ihrem Roman die Figuren vor: die Oberstin, eine kluge Frau, außer, wenn es um ihren Sohn Karl Artur geht. Karl Artur, Hilfspfarrer, ein frömmelnder Egoist und der Verlobte von Charlotte Löwensköld. Charlotte, eine zielstrebige, kluge junge Frau, und schließlich Schagerström, ein reicher Fabrikdirektor, der Charlotte trotz der ihm bekannten Verlobung einen Heiratsantrag macht, den sie empört ablehnt – was sie in seinen Augen umso ehrenwerter und attraktiver macht. Dennoch verfällt ihr Verlobter unter dem Einfluss der heimlich in ihn verliebten Organistin der Idee, sie sei materialistisch und gierig, was sie in seinen Augen ungeeignet macht, sein Ideal der Armut mit ihm zu leben. Er löst die Verlobung.

    Lagerlöf zeichnet ihre Figuren so virtuos, dass man nicht umhin kommt, Partei zu nehmen - sich krümmt beim Fremdschämen, hofft und bangt und es manchmal kaum aushält zu erfahren, wie es weitergeht. Ihre Heldin Charlotte ist eine sehr moderne Figur, die sich „auf ihren Verstand, ihre Kraft und ihren Einfallsreichtum verlassen“ will; auf der anderen Seite wird sie hoffnungslos behindert durch die Verhältnisse, die ihr nur wenig Spielraum lassen. Sie muss heiraten, um versorgt zu sein, darf sich aber nicht anmerken lassen, dass hierbei auch materielle Aspekte eine Rolle spielen. Tut sie das, gilt sie als berechnend – und ist ihr Ruf dahin, kann sie ihn aus eigener Kraft nicht mehr retten. Beträchtliche Spannung entsteht aus der Frage, ob und wie ihr das am Ende gelingen wird.

    Spätestens ab dem dritten Kapitel wird klar, dass man Charlotte nicht wünscht, ihren Verlobten wiederzugewinnen. Stattdessen ist offensichtlich, dass der reiche Mann der charakterlich bessere Mensch ist und viel besser zu ihr passt. Entsprechend ahnt man von Anfang an, wohin die Reise erzählerisch geht. Allerdings scheint jede der eintretenden Wirrungen alles wieder auf´s Spiel zu setzen, so dass es sehr kurzweilig ist, mitzufiebern. Auch das anfangs langsame Erzähltempo zieht im Lauf der Geschichte deutlich an und lässt keine Langeweile aufkommen.

    Für moderne Leserinnen ist vielleicht die selbstlose Opfermütigkeit Charlottes, die den Ruf und das Wohlergehen ihres Verlobten über das eigene stellt, schwer zu ertragen. In der Figur dieses von Charlotte geliebten Verlobten mit seiner Schere zwischen religiösem Bekenntnis und verblendetem Egoismus hat Lagerlöf feinste Kirchensatire geschrieben, die einen verblüffend aktuellen Bezug hat: Lagerlöf zeigt überzeugend, wie einfach es ist, eigentlich entlarvende Fakten und Argumente störungsfrei in ein einmal gewähltes Glaubenssystem einzuordnen. Wunderbare Parallele zum Trump-Universum.

    Auch stilistisch und sprachlich macht der Roman Spaß. Die auktoriale Erzählstimme hat einen ganz eigenen Ton, der klingt, als würde einem ganz persönlich diese besondere Geschichte anvertraut. Mir gefiel die spitze Feder, mit der Lagerlöf mit feiner Boshaftigkeit die Schwächen der Menschen aufspießt. Warnen muss ich vor dem kleinen Format und der sehr kleinen Schrift des ansonsten sehr liebevoll ausgestatteten Bandes. Letztere fand ich sehr anstrengend zu lesen.

    Insgesamt liest „Charlotte Löwensköld“ sich als schöner Schmöker mit Anspruch – mit vielen interessanten gesellschaftlichen Facetten und wunderbaren Charakteren, durch die die große Menschenkenntnis von Lagerlöf fühlbar wird.

    Ein Klassiker, der sich taufrisch gehalten hat und die Lektüre unbedingt lohnt.

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