Caspers Weltformel: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Caspers Weltformel: Roman' von Victoria Grader
5
5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Caspers Weltformel: Roman"

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:320
Verlag: Diederichs
EAN:9783424351033

Rezensionen zu "Caspers Weltformel: Roman"

  1. Braucht die Welt eine Formel?

    Physik-Doktorand Casper hat eine Formel gefunden, mit deren Hilfe er soziale Interaktionen vorhersagen kann. Jahrelang beobachtet er, sammelt Daten, notiert alles fein säuberlich in kleine Hefte und analysiert. Immer mehr verfängt er sich im Hamsterrad seines Alltags. Seine Tage sind klar strukturiert, arbeitsreich, monoton, einsam und vorhersehbar geworden. Als er durch eine zufällige Entdeckung am Berliner Bahnhof seinen Zug verpasst, entscheidet Casper spontan, dass es so nicht weitergehen kann. Kurzerhand bucht er den nächsten Zug nach Budapest und nimmt sich vor, einfach mal das Gegenteil von dem zu tun, was vernünftig und vorhersehbar wäre.

    Noch am ersten Abend in der neuen Stadt lernt Casper den hilfsbereiten und gutmütigen Fernfahrer János kennen, wenig später auch Ilona. Ilona hat Geldsorgen und ist in ihrem spontanen, träumerischen, leicht aufbrausenden Wesen ganz anders als der strukturierte und gebildete Casper, der sich seiner Verantwortung als Konsument bewusst und die Welt zum Besseren verändern möchte. Ilona wirft Casper völlig aus der Bahn - sie ist unberechenbar und stellt ihn vor große persönliche Herausforderungen. Während die Geschichte ihren Lauf nimmt, kommt es zu lebendigen, oft konfliktreichen, mal zarten, dann wieder skurrilen Begegnungen. Mehr als einmal kommt es zu überraschenden Wendungen und zuweilen überschlagen sich die Ereignisse.

    Es gibt vieles, das ich an diesem Roman sehr mag. Der fesselnde und schöne Schreibstil hat mich sofort in seinen Bann gezogen. Personen und Orte sind treffend beschrieben, die Dialoge unmittelbar und authentisch. Ich hatte das Gefühl immer mitten drin, ganz nah am Ort des Geschehens zu sein. Ich konnte mich mit Casper, Ilona und János gemeinsam freuen, mich aufregen, traurig sein und häufig einfach nur den Kopf schütteln. Immer habe ich mich dabei bestens unterhalten. Den Roman zu lesen fühlte sich an wie einen Film vor meinem inneren Auge ablaufen zu sehen. Ganz nebenbei werden existentielle Fragen nach dem Sinn des Lebens aufgeworfen und danach, in welcher Welt wir eigentlich leben wollen. Durch Casper bekommen Themen wie Missstände in der Kleiderproduktion, die Verantwortung des Konsumenten und die Problematik der Massentierhaltung einen Raum. Gleichzeitig zeigt der Roman aber auch, dass es leichter ist ein verantwortungsvoller Verbraucher zu sein, wenn keine finanziellen Nöte vorhanden sind. Es hat sehr viel Freude gemacht „Caspers Weltformel“ zu lesen. Gegen Ende hat der Roman fast etwas Märchenhaftes und ich ertappe mich dabei zu überlegen wie es mit Casper, Ilona und János weitergeht. Vielleicht haben sie das ungarische Sprichwort zu ihrem Motto gemacht: „Verlasse dich nicht auf den Zufall, aber baue im goldene Brücken.“

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  1. Zeit für neue Helden

    Der Physik-Doktorand Casper lebt ein vorhersehbares Leben. Täglich arbeitet er in einem Büro an seiner Dissertation, und auch seine Mitmenschen können ihn nicht überraschen. Kein Wunder, schließlich bastelt er seit seiner Kindheit an einer "Weltformel", mit der er alles voraussehen kann, was ihm widerfahren wird und ergänzt diese Formel täglich in seinen Notizbüchern. Was macht man aber, wenn man keine Lust mehr hat auf diese Formel? Wenn man aus seinem alltäglichen Leben ausbrechen möchte? Ganz einfach, denkt sich Casper: "Ich mach einfach immer das Gegenteil von dem, was ich sonst machen würde." Und so setzt er sich nicht in den Zug, der ihn zu seiner Mutter nach München bringt, sondern fährt kurzerhand nach Budapest. Dort trifft er auf Ilona - und merkt, dass seine Formel an dieser Frau scheitert...

    Victoria Graders Debütroman "Caspers Weltformel" ist einfach hinreißend - und der Beweis dafür, wie lebendig junge deutschsprachige Literatur sein kann. Mit Casper und Ilona hat Grader zwei wahrlich unvergessliche Charaktere geschaffen. Der weltfremde Casper, dem die meisten Menschen mit Unverständnis begegnen, setzt sich ständig für eine bessere Welt ein, nur um jedes Mal aufs Neue enttäuscht zu werden. Die chaotische und aufbrausende Ilona, die für ihre ärmliche Wohnung mit drei Monatsmieten im Rückstand ist, und trotzdem von einem reichen Prinzen träumt, der sie mit nach Istanbul nimmt, wirkt auf den ersten Blick wie Caspers komplettes Gegenteil. Dennoch entsteht zwischen den beiden ein fast magisches Verhältnis voller zärtlicher Momente und mindestens ebenso vielen Konflikten.

    Es ist gerade das Gespür für die Figuren und die Empathie der Autorin mit den AußenseiterInnen dieser auf Konformität gebürsteten Gesellschaft, das "Caspers Weltformel" zu dieser großen Besonderheit macht. Insbesondere Hauptfigur Casper hat mich wirklich angerührt und dafür gesorgt, dass der Roman mich auch beschäftigte, wenn ich nicht in ihm las. Ich konnte mich mit zahlreichen seiner skurrilen Eigenschaften identifizieren. Diese Empathie für die Figuren beschränkt sich glücklicherweise nicht auf die beiden ProtagonistInnen, so dass "Caspers Weltformel" bis in die kleinsten Nebenfiguren hinein, darunter vor allem Lastwagenfahrer János, liebevoll stimmig wirkt.

    Auf der Handlungsebene beschränkt sich die erste Hälfte vornehmlich damit, wie Casper in seinem neuen Leben in Budapest zurechtkommt, während das Erzähltempo vor allem im letzten Drittel ungemein zulegt, weil sich auch Caspers und Ilonas Leben aus Gründen, die ich nicht vorwegnehmen möchte, dramatisch ändert. In diesen Momenten nimmt der Roman Züge eines modernen Märchens an, das in einem feurig-furiosen Epilog seinen genialen und liebenswerten Höhepunkt findet.

    So ist "Caspers Weltformel" für mich einer der ganz großen Höhepunkte des bisherigen Lesejahrs 2021 und der Beweis, dass es in der deutschsprachigen Literatur Zeit ist für neue Helden: für Casper, Ilona, aber auch für Victoria Grader, die bereits mit ihrem Debüt etwas Unvergessliches geschaffen hat.

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