Butter

Rezensionen zu "Butter"

  1. 4
    16. Okt 2023 

    Weibliche Selbstfindung auf Japanisch...

    Rika, eine junge Journalistin in Tokio, recherchiert über die Serienmöderin Manako Kajii, die Männer mit ihren Kochkünsten verführt und anschließend umgebracht haben soll. Manako behauptet, sie verabscheut nichts mehr als „Margarine und Feministinnen“ und hat eine ausgeprägte Leidenschaft für hemmungslosen Genuss und insbesondere Butter. Jetzt, wo sie im Gefängnis sitzt, empfängt sie Rika, unter der Bedingung, nur über ihre Kochkünste zu reden. Für Rika werden die Begegnungen mit Manako zu einer Meisterklasse der Lebenskunst. Ein Roman, der Genuss, Essen und Trinken feiert, vor allem aber die unmöglichen Erwartungen thematisiert, die an Frauen in patriarchalen Gesellschaften heute gestellt werden. (Verlagsbeschreibung)

    13 Stunden und 35 Minuten währt die ungekürzte Hörbuchfassung, angenehm und im Tempo passend gesprochen von Madiha Kelling Bergner. Der Roman lässt sich viel Zeit, weist ein langsames Erzähltempo auf und bleibt eng bei seiner Hauptfigur Rika, einer 34jährigen Journalistin, sowie bei einigen wenigen anderen Charakteren wie beispielsweise Manako Kajii, einer mutmaßlichen Mörderin, die wegen einiger Todesfälle in ihrer unmittelbaren Umgebung zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. Rika versucht, zu Manako im Gefängnis Kontakt aufzunehmen, um über sie in ihrer Frauenzeitschrit zu berichten, doch lehnt die verurteilte Männermörderin sämtliche Interviewanfragen ab.

    Erst als Rika in ihren Briefen an Manako ihr Interesse an deren Foodblog sowie an ihren Rezepten bekundet, stimmt die Gefangene einem Interview zu - allerdings unter der Bedingung, ausschließlich über kulinarische Aspekte zu reden. Nach einem ersten Besuch im Gefängnis folgen weitere - Manako (eine sehr widersprüchliche und höchst manipulative Persönlichkeit) schldert ihre Sicht der Dinge, schwelgt in kulinarischen Erinnerungen und gibt Rika jeweils Aufgaben an die Hand, die sie erfüllen muss, bevor ein weiterer Besuch gewährt wird.

    Vor dem Kontakt zu Manako achtet Rika sehr auf ihr Idealgewicht. Sie interessiert sich weder für Lebensmittel noch für deren Zubereitung und ernährt sich überwiegend von kalorienarmen Gerichten, die sie sich fertig verpackt kauft. Deshalb stellt selbst das Kochen von Reis mit Butter anfangs eine Herausforderung für sie dar. Doch allmählich kommt Rika dann auf den Geschmack, beginnt zunächst den Aufgaben Manakos entsprechend deren Rezepte nachzukochen, kann sich zunehmend jedoch den Geschmacksexplosionen nicht mehr entziehen und genießt schließlich den Einkauf hochwertiger Zutaten und deren Zubereitung. Unweigerlich nimmt Rika zu - und bekommt prompt negative Rückmeldungen, meist von den Männern in ihrer Umgebung.

    "Butter" widmet sich nicht nur kulinarischen Aspekten und dem Mut zum Genuss, sondern befasst sich auch mit der Rolle der Frau in der gegenwärtigen japanischen Gesellschaft. Mühelos soll sie Ehe, Mutterschaft und Berufstätigkeit unter einen Hut bringen, sich mit der Mehrbelastung klaglos arrangieren und dabei dem tief verwurzelten Leistungsdenken Rechnung tragen. Es steht außer Frage, dass in der Regel Männer die begehrten und höher bezahlten Posten bekleiden, Frauen sollen dagegen stets gepflegt erscheinen und möglichst dem untergewichtigen körperlichen Idealbild entsprechen. Wer dagegen verstößt, macht sich selbst zur Zielscheibe allgegenwärtiger Kritik - selbst normalgewichtige Frauen stehen in dem Ruf, sich gehen zu lassen.

    Deutlich wird aber auch die große Einsamkeit, in der viele Menschen in Japan leben. Rika ist beispielsweise nur lose mit einem Mann liiert, beide arbeiten zu viel, um sich häufiger zu sehen, und wenn nicht eine:r von ihnen beruflich zurücksteckt, hat ihre Beziehung kaum eine Chance. Doch Rika zweifelt zunehmend daran, dass es das ist, was sie möchte. Sie sehnt sich vielmehr nach einer echten und aufrichtigen Verbundenheit mit anderen Menschen - losgelöst von einer Bewertung von Aussehen und Rollenzuschreibung. Und sie findet schließlich eine Lösung. Damit setzt der Roman nicht nur gesellschaftskritische Akzente, sondern bietet auch eine Version davon, wie es besser funktionieren könnte.

    Die Frage, ob Manako Kajii tatsächlich eine Mörderin ist, steht zwar im Raum und wird von Rika auch akribisch verfolgt, spielt letztendlich jedoch nicht die wichtigste Rolle. Wesentlicher erscheint hier die Entwicklung der Charaktere, die für mich interessant zu verfolgen und vom Empfinden her stimmig war. Daneben wird in dem Roman tatsächlich viel Butter konsumiert, hingebungsvoll gekocht und verkostet, was teilweise sehr ausführlich beschrieben wird. Trotz einiger Längen habe ich den Roman gerne gehört, auch wenn ich zeitweise immer wieder Schwierigkeiten hatte, die japanischen Namen auseinanderzuhalten - aber das ist mein Problem und kann dem Roman nicht angelastet werden.

    Alles in allem ein wirklich außergewöhnlicher Roman mit einem deutlichen gesellschaftskritischen Tenor - weg von einer patriarchalischen Tradition und hin zu dem, wie frau leben möchte. Daumen hoch!

    © Parden

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