Brick Lane: Roman

Rezensionen zu "Brick Lane: Roman"

  1. 4
    08. Mär 2024 

    Eine Frau in London

    Der Roman “Brick Lane” von Monica Ali erzählt die Geschichte von Nazneen, einer Frau aus Bangladesh, die das Leben in das Londoner Eastend verschlägt, wo sie sich auf schwierigem und holprigem Weg eine Form von Emanzipation und Selbstbestimmung erarbeitet.
    Mit 17 Jahren wird sie von ihren Eltern mit einem Mann verheiratet, den sie nicht nur überhaupt nicht kennt, sondern der auch noch in einer Tausende Kilometer entfernten, total fremden Stadt lebt: in London. So kommt sie nach London und beginnt ihre Ehe und ihr Leben dort in den engen Grenzen ihrer Wohnung, die sie nur selten verlässt. Der triste Blick aus dem Fenster auf andere Frauen, die in ihren Wohnungen sitzen ohne Alternativen in Hinblick auf Arbeit oder Freizeitgestaltung, ist das, was ihren Tag ausmacht. Doch langsam und beschaulich baut sie sich doch ein Netz von Kontakten zu anderen muslimischen Frauen in diesem Häusermeer auf. Sie bekommt ihre Kinder und nimmt nur aus der Distanz wahr, welche Konflikte in diesem östlichen Teil Londons ausgetragen werden. Doch dann findet sie sich auf einmal wieder in einer Gruppe von politisch denkenden, aktiven Bangladeshis und sie beginnt ein häusliches Gewerbe sehr professionell und erfolgreich auszuüben: sie führt Auftrags-Näharbeiten durch und bekommt so eigenes Geld in die Hand.
    Es ist kein beneidenswertes Leben, das Nazneen hier nahe der Brick Lane in London führt, aber in dem Roman wird es immer wieder kontrastiert durch das Leben ihrer in Pakistan gebliebenen Schwester. Die Briefe dieser Schwester, die immer wieder den Roman unterbrechen, sind in einer bewusst fehlerhaften Sprache geschrieben und lassen oft genug einen roten Faden und eine erkennbare Erzählstruktur vermissen. Aber sie sind die einzige Verbindungslinie zu Nazneens Heimat und zeigen auf, mit welchen Schwierigkeiten Frauen in Pakistan zu kämpfen haben – Gewalt und Ausgrenzung sowie mangelnde Selbstbestimmung führen Nazneens Schwester in eine immer wieder ausweglos scheinende Lage.
    Nazneens Ehemann, ein Mann mit Bildung, der sich für schlauer und gewitzter hält als er tatsächlich ist, schafft den sozialen Durchbruch und Aufstieg in Großbritannien nicht und träumt permanent von einer Rückkehr in die Heimat, um dort endlich die soziale Anerkennung genießen zu können, die er für sich und seine Familie erhofft. Doch da sind die 2 Töchter, die die Freiheit des westlichen Landes wenn auch in überaus kleinen Häppchen genießen können und denen jede innere Verbindung zum „Heimatland“ fehlt, und da ist die Ehefrau, die den Zwiespalt in der Familie sieht und die Wünsche und Sehnsüchte von Mann und Kindern und – last but not least – auch ihre eigenen und um eine Lösung ringt.
    Führt ihr Weg zurück nach Bangladesh? Wenn ja, mit wem an ihrer Seite? Wenn nein, mit wem an ihrer Seite und wie das Überleben sichern? Antwort: Natürlich werde ich hier nicht die Lösung spoilern.
    Um das zu erfahren, begibt man sich am besten lesend selbst in die Brick Lane und taucht ein in ein London abseits der glänzenden Touristenströme. Ich gebe dem Buch gern dicke 4 Sterne.

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