Beale Street Blues

Buchseite und Rezensionen zu 'Beale Street Blues' von James Baldwin
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5 von 5 (6 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Beale Street Blues"

Harlem Love Story: eine junge Liebe gegen die Willkür einer weißen Justiz

»Jeder in Amerika geborene Schwarze ist in der Beale Street geboren. Die Beale Street ist unser Erbe. Dieser Roman handelt von der Unmöglichkeit und von der Möglichkeit, von der absoluten Notwendigkeit, diesem Erbe Ausdruck zu geben. Die Beale Street ist eine laute Straße. Es bleibt dem Leser überlassen, aus dem Schlagen der Trommeln den Sinn herauszuhören.« James Baldwin



Dies ist die Geschichte von Tish und Fonny, 19 und 22, und ihrem Kampf gegen die Willkür einer weißen Justiz. Der traurig-schöne Song einer jungen Liebe, voller Wut und doch voller Hoffnung. Ist das Gefängnissystem die Fortsetzung der Sklaverei unter anderen Vorzeichen? Beale Street Blues von James Baldwin strahlt grell in unsere Gegenwart.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:186
Verlag:
EAN:

Rezensionen zu "Beale Street Blues"

  1. 5
    14. Dez 2018 

    Rassismus, Hass, Wut und Poesie

    "Es gehört zum Wesen des Blues, große Tragik mit Schönheit zu verbinden und selbst dem schrecklichsten Leid noch Poesie abzugewinnen ....."

    Diese Aussage von Daniel Schreiber, Verfasser des Nachwortes zu "Beale Street Blues" von James Baldwin, bringt es auf den Punkt. Denn er beschreibt in einem Satz die Essenz dieses Romans: Tragik und Leid, vereint mit Schönheit und Poesie.
    Dieser Roman kommt also wie ein Blues daher. Tatsächlich geht es hier jedoch nicht um Musik, sondern um menschliche Schicksale.

    Eine Beale Street gibt es in jeder Stadt Amerikas. Denn sie steht stellvertretend für die Schwarzenviertel in diesen Städten. Die "echte" Beale Street befindet sich in New Orleans. In der Beale Street New Yorks lebt Tish (Ich-Erzählerin) mit ihrer Familie: Vater Joseph, Mutter Sharon und Schwester Ernestine. Tish ist die jüngere der beiden Schwestern. Mit Anfang 20 beschließt sie, ihren Freund Fonny zu heiraten. So weit, so gut. Aber nichts ist gut. Denn Fonny sitzt unschuldig im Gefängnis und wartet auf einen Prozess, den er unmöglich gewinnen kann. Denn er ist ein Farbiger. Das reicht, um ihn der Willkür der weißen Behörden auszuliefern, die sich entweder gleichgültig gegenüber der Schuld- bzw. Unschuldsfrage zeigen, oder aus Hass gegenüber anderen Hautfarben kein anderes Ziel vor Augen haben, als Fonny für lange Jahre ins Gefängnis zu bringen.

    "Und ich schäme mich nicht für Fonny. Wenn überhaupt, dann bin ich stolz auf ihn. Er ist ein Mann. Das merkt man an der Art, wie er mit dieser Scheiße umgeht. Angst hab ich allerdings schon manchmal - keiner hält die Scheiße mit der sie uns bewerfen, ewig aus."

    Tish's Familie kämpft einen fast aussichtslosen Kampf, um Fonny frei zu bekommen. Ihre Bemühungen sind sehr kostspielig. Doch die Familie hält zusammen. Sie kämpft leider allein auf weiter Flur. Denn von Fonnies eigener Familie kommt nicht viel Unterstützung. Ganz im Gegenteil. Die bigotte Mutter verteufelt ihren einzigen Sohn, die beiden Schwestern halten zu ihrer Mutter. Einzig der Vater versucht, seinen Sohn zu unterstützen.

    Fast Tag für Tag besucht Tish Fonny im Gefängnis. Eine Stunde am Tag, mehr Zeit lässt man den beiden nicht. Tish ist bemüht, Fonny Hoffnung zu geben, was anfangs auch gelingt. Denn die Beiden bekommen ein Baby. Grund genug für Fonny, an dem Glauben an einen guten Ausgang seiner Tragödie festzuhalten. Doch mit der Zeit schwindet sein Optimismus, und es wird immer schwieriger für ihn, an ein positives Ende zu glauben.

    "Wahrscheinlich kommt es nicht so oft vor, dass zwei Menschen lachen und sich dabei lieben können, sich lieben, weil sie lachen, lachen, weil sie sich lieben. Die Liebe und das Lachen sitzen an derselben Stelle, da gehen nur nicht viele Leute hin."

    Die Schilderung der Liebe zwischen Tish und Fonny ist für mich ein Fels in der "Lesebrandung". Denn das dominante Gefühl in diesem Roman ist Hass, hervorgerufen durch übelste Diskriminierung. Es liegt zwar nahe, dass in diesem Roman die Diskriminierung der schwarzen Bevölkerung angeprangert wird. Doch dies ist nur ein Teilaspekt. Tatsächlich macht der farbige Autor James Baldwin keinen Unterschied bei der Hautfarbe. Denn hier diskriminiert jeder jeden, unabhängig von Hautfarbe, Religion oder Geschlecht. Die Diskriminierung kann subtil stattfinden, in Gedanken oder durch Worte, die zunächst wie selbstverständlich erscheinen.

    Aber in der Regel taucht sie bei Baldwin mit aller Wut und Brutalität auf. Diese Wut und Brutalität findet sich auch in seinem Sprachstil wieder. Wüsste ich es nicht besser, hätte ich angenommen, dass dieser Roman von einem jungen Mann geschrieben wurde, der seine Wut über die Ungerechtigkeit in dieser Welt hinausschreit. (Tatsächlich war Baldwin 49 Jahre alt, als er diesen Roman schrieb)

    Er nimmt dabei kein Blatt vor den Mund, benennt die Dinge beim Namen und zeigt sie ungeschönt in all ihrer Hässlichkeit. Das Lesen dieses Romanes wühlt daher auf. Um so besonders und wohltuend sind daher die Momente seiner poetischen und liebevollen Schilderung der Beziehung von Tish und Fonny sowie das Miteinander und der starke Zusammenhalt ihrer Familie.

    Fazit:
    Ein Roman, der die Diskriminierung in der Gesellschaft aufs Heftigste kritisiert. Er fasziniert durch den Sprachstil des Autors, dem es gelingt, Kraft und Wut mit Poesie zu vereinen.
    Leseempfehlung!

    © Renie

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  1. Schwarz und weiß

    Schwarz und weiß

    Clementine Rogers, genannt Tish, und Alonzo Hunt, genannt Fonny, leben in Harlem in den Siebzigern. Die beiden kennen sich seit sie Kinder waren, nun mit 19 und 22 sind sich beide einig, dass sie zusammengehören. Sie suchen sich einen alten Speicher und mieten ihn. Fonny möchte Kunstarbeiten aus Holz herstellen, nebenher zu seiner Arbeit versucht er damit voranzukommen.
    Doch dann geschieht das unfassbare. Eine Frau sagt aus, dass Fonny sie vergewaltigt habe. Bell, ein Polizist, den Fonny aus einer anderen Situation kennt, hat ihn angeblich in der Gegend gesehen. Als Fonny bei der Gegenüberstellung identifiziert wird, muss er ins Gefängnis. Ein Schwarzer hat wenig Chancen, dass System sieht nicht vor, dass er unschuldig ist. Niemand glaubt ihm!
    Tish erfährt fast zeitgleich von ihrer Schwangerschaft, sie ist verzweifelt. Doch ihre Mutter und ihr Vater wollen dem jungen Paar helfen, Fonny muss wieder auf freien Fuß kommen. Ernestine, Tishs Schwester, hilft auch wo sie nur kann. Lediglich von den Hunts kommt wenig Unterstüzung, nur Frank, Fonnys Stiefvater tut was er kann. Die eigene Mutter sieht in Fonny einen Nichtsnutz, und das nur, weil seine Hautfarbe dunkler ist als ihre.

    Dies ist das Grundgerüst der Handlung. Das, was die Geschichte für mich aber ausmacht, findet zwischen den Zeilen statt. Man spürt förmlich wie James Baldwin hier etwas näher bringt, was von hoher Bedeutung ist. Er klagt dabei nicht an, er lässt nur Bruchstücke einfließen, die erkennen lassen, wie unfair die Menschen sind, wenn ein Betroffener die falsche Hautfarbe hat. Am Beispiel von Fonnys und Tishs Geschichte kann ich nunmehr gut erahnen, was es heißt zu dieser Zeit schwarz zu sein. Der Anwalt gibt sein Bestes, ist mit vielem nicht einverstanden was abläuft, dennoch können sich alle glücklich schätzen ihn zu haben, denn ihm geht es um Gerechtigkeit. Doch wird diese Geschichte gut ausgehen?

    Beale Street Blues ist ein Roman, der zum nachdenken anregt. Er prangert das weiße Gefängnissystem an und versucht auf die Missstände aufmerksam zu machen. Erschienen erstmalig 1974 hat er, was dieses Thema angeht, allerdings nichts an Aktualität verloren. Auch heute gibt es Minderheiten die ausgegrenzt werden, die wenig oder gar keine Gerechtigkeit erhalten.

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  1. Eine Geschichte wie ein traurig-süßer Song

    Es ist die Geschichte von Tish (19) und Fonny (22) im New York der 70er Jahre. Beide sind schwarz und in Harlem aufgewachsen. Sie kennen sich seit sie Kinder waren, sind erst Freunde und später Liebende geworden.

    Fonny sitzt im Gefängnis — wegen eines Verbrechens, das er nicht begangen hat. Ihm wird vorgeworfen, eine Puerto Ricanerin vergewaltigt zu haben. Doch der Vorwurf basiert auf einer falschen Aussage des Opfers, für deren Manipulation der weiße Polizist Bell verantwortlich ist.

    Tish ist schwanger. Sie erzählt erst Fonny, dann ihrer und schließlich seiner Familie davon. Die Reaktionen könnten kaum unterschiedlicher sein. Für Fonny ist das Baby ein Lichtstrahl, der ihm in der dunklen Zeit im Gefängnis hilft, den Verstand nicht zu verlieren. Tishs Familie reagiert liebevoll und leistet große Unterstützung. Von Fonnys Familie freut sich nur sein Vater. Fonnys Mutter und seine Schwestern, Betschwestern wie sie im Buche stehen, zeigen keinerlei christliche Nächstenliebe oder Hilfe. Im Gegenteil: Fonnys Mutter verflucht Tish und das Baby. Damit sind Tish und ihre Familie auf sich allein gestellt und die Einzigen, die sich um die Freilassung von Fonny bemühen.

    Tish und ihre Familie arbeiten hart, um den weißen Anwalt bezahlen zu können, der Fonny aus dem Gefängnis holen soll. Der Anwalt recherchiert, macht das Opfer der Vergewaltigung ausfindig und ersinnt einen Plan. Tishs Mutter soll mit der Frau sprechen und sie überzeugen, ihre Aussage zu korrigieren. Währendessen wird die Anklage gegen Fonny immer wieder verschoben.

    Das Geschehen wird aus der Perspektive von Tish als Ich-Erzählerin erzählt. Sie spricht bzw. schreibt Slang, was sie sehr glaubwürdig macht. Während Tish von dem aktuellen Geschehen im Gefängnis und von ihrer Schwangerschaft erzählt, flicht sie Rückblicke ein und erzählt, wie Fonny und sie sich als Kinder angefreundet und später verliebt haben. Sie erzählt von ihren Familien und von ihrem Leben in Harlem. Dabei offenbart Tish ganz beiläufig bittere Wahrheiten über die Diskrimierung der Schwarzen durch die Weißen, aber auch über die Diskrimierung der Schwarzen und anderer Ethnien untereinander. Wenn Tish anderen Personen beschreibt, gehört hierzu immer der Farbton ihrer Haut. Ein hellerer Hautton und glattes Haar gelten selbst unter Schwarzen als Schönheitsmerkmale. Der Rassissmus hat offenbar so tiefe Wurzeln geschlagen, dass er von den Betroffen zum Teil adaptiert worden ist.

    Es geht in dem Roman auch um Musik. Der Titel nimmt Bezug auf die Beale Street in Memphis, die als Heimat des Blues gilt. Es wird viel gesungen, vor allem in der Kirche. Songtitel werden erwähnt. Auch die Geschichte hat den Charakter eines Blues. Einerseits ist die Geschichte traurig und voller Gewalt, gleichzeitig ist sie voll Liebe und läßt Platz für Hoffnung.

    Die dtv-Ausgabe enthält ein sehr lesenswertes Nachwort von Daniel Schreiber mit einer Vielzahl interessanter Hintergrundinformationen und klugen Gedanken. Seiner Einschätzung habe ich nichts mehr hinzuzufügen: „Jede rassistische Gesellschaft, scheint der Roman zu sagen, führt zu einer Spirale der Gewalt, an deren Ende die Frauen stehen.“

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  1. Ein Roman wie ein Bues

    Ein Blues bringt traurige Stimmung zum Ausdruck. Aber nicht nur. Er transportiert auch Überlebenswillen und Hoffnung auf Erlösung. Diese Mischung findet man auch in James Baldwins Roman: "Beale Street Blues".

    Der Roman spielt in New York, genauer in Harlem der 70er Jahre. Die Erzählerin Tish, eine junge Afroamerikanerin, besucht ihre große Liebe (Fonny) im Gefängnis und teilt ihm mit, dass sie schwanger ist. Schon auf den ersten Romanseiten werden wir hineingeworfen in die belastende Lebenssituation der Protagonisten. Im weiteren Verlauf erzählt Tish vom Beginn ihrer Liebe zu Fonny, von ihrer Familie und ihrem Kampf um Fonny und um ihr Baby. Die Erzählzeit verläuft nicht linear, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kreuzen sich. Dadurch entsteht Spannung beim Lessen. Man wartet auf noch offene Erklärungen für Ereignisse oder hat Vorahnungen für zukünftige Entwicklungen. Die Hintergründe für die Inhaftierung Fonnys z.B. erfährt man erst relativ spät im Roman.

    James Baldwin schreibt wie immer eine poetische, manchmal fast pathetische Sprache, die aber nie überfrachtet ist. Er kann intensive Gefühle atmosphärisch dicht beschreiben. Beim Lesen spürt man regelrecht die Liebe zwischen Tish und Fonny und auch den engen und liebevollen Zusammenhalt in ihrer Familie. Diese Wärme kontrastiert mit der Kälte und dem Hass, der ihr von der Welt der Weißen entgegen schlägt. So beschreibt Tish die Bedrohung, die von einem rassistischen Polizisten für sie ausgeht: " Wenn dieses Auge (des Polizisten) daoben gezwungen ist, dich zu bemerken, wenn du in dem unsagbar frostigen Winter existierst, der hinter dem Auge lebt, bist du gezeichnet, gezeichnet, gezeichnet wie ein Mann in einem schwarzen Mantel, der auf der Flucht durch den Schnee kriecht."

    Rassistische Weiße auf der einen Seite und ihre schwarzen Opfer auf der anderen Seite? Nein, so einfach sieht der Autor die Welt nicht. In seinem Roman gibt es auch Weiße, die Tish unterstützen (z.B. ein Anwalt) und auf der anderen Seite Schwarze, in diesem Fall sogar Verwandte von Fonny, die nicht mit Tish solidarisch sind (diese Verwandten haben hellere Haut als Tish und fühlen sich deshalb überlegen).
    Tishs Mutter sucht in Porto Rico nach Entlastungszeugen für Fonny und erlebt, dass Porto Ricaner noch ärmer sind als Afroamerikaner in Harlem. Unvermittelt findet sie sich, als nordamerikanische Lady" auf der anderen Seite wieder.
    James Baldwin zeigt in seinem Roman, dass Diskriminierung, die Abwertung von Menschen durch Menschen, nicht nur zwischen Weiß und Schwarz stattfindet, sondern ein grundsätzliches Problem in Gesellschaften ist. Tishs Mutter sagt nach ihrem Besuch in Porto Rico: " Ich kann kein Spanisch, und sie können kein Englisch. Aber wir hocken auf der gleichen Müllhalde. Aus dem gleichen Grund."

    Der Roman "Beale Street Blues" von James Baldwin ist ein trauriger Roman, der jedoch Hoffnung zulässt. Ein Roman wie ein Blues.

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  1. Ein Roman wie ein Bues

    Ein Blues bringt traurige Stimmung zum Ausdruck. Aber nicht nur. Er transportiert auch Überlebenswillen und Hoffnung auf Erlösung. Diese Mischung findet man auch in James Baldwins Roman: "Beale Street Blues".

    Der Roman spielt in New York, genauer in Harlem der 70er Jahre. Die Erzählerin Tish, eine junge Afroamerikanerin, besucht ihre große Liebe (Fonny) im Gefängnis und teilt ihm mit, dass sie schwanger ist. Schon auf den ersten Romanseiten werden wir hineingeworfen in die belastende Lebenssituation der Protagonisten. Im weiteren Verlauf erzählt Tish vom Beginn ihrer Liebe zu Fonny, von ihrer Familie und ihrem Kampf um Fonny und um ihr Baby. Die Erzählzeit verläuft nicht linear, Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft kreuzen sich. Dadurch entsteht Spannung beim Lessen. Man wartet auf noch offene Erklärungen für Ereignisse oder hat Vorahnungen für zukünftige Entwicklungen. Die Hintergründe für die Inhaftierung Fonnys z.B. erfährt man erst relativ spät im Roman.

    James Baldwin erwendet wie immer eine poetische, manchmal fast pathetische Sprache, die aber nie überfrachtet ist. Er kann intensive Gefühle atmosphärisch dicht beschreiben. Beim Lesen spürt man regelrecht die Liebe zwischen Tish und Fonny und auch den engen und liebevollen Zusammenhalt in ihrer Familie. Diese Wärme kontrastiert mit der Kälte und dem Hass, der ihr von der Welt der Weißen entgegen schlägt. So beschreibt Tish die Bedrohung, die von einem rassistischen Polizisten für sie ausgeht: " Wenn dieses Auge (des Polizisten) daoben gezwungen ist, dich zu bemerken, wenn du in dem unsagbar frostigen Winter existierst, der hinter dem Auge lebt, bist du gezeichnet, gezeichnet, gezeichnet wie ein Mann in einem schwarzen Mantel, der auf der Flucht durch den Schnee kriecht."

    Rassistische Weiße auf der einen Seite und ihre schwarzen Opfer auf der anderen Seite? Nein, so einfach sieht der Autor die Welt nicht. In seinem Roman gibt es auch Weiße, die Tish unterstützen (z.B. ein Anwalt) und auf der anderen Seite Schwarze, in diesem Fall sogar Verwandte von Fonny, die nicht mit Tish solidarisch sind (diese Verwandten haben hellere Haut als Tish und fühlen sich deshalb überlegen).
    Tishs Mutter sucht in Porto Rico nach Entlastungszeugen für Fonny und erlebt, dass Porto Ricaner noch ärmer sind als Afroamerikaner in Harlem. Unvermittelt findet sie sich, als nordamerikanische Lady" auf der anderen Seite wieder.
    James Baldwin zeigt in seinem Roman, dass Diskriminierung, die Abwertung von Menschen durch Menschen, nicht nur zwischen Weiß und Schwarz stattfindet, sondern ein grundsätzliches Problem in Gesellschaften ist. Tishs Mutter sagt nach ihrem Besuch in Porto Rico: " Ich kann kein Spanisch, und sie können kein Englisch. Aber wir hocken auf der gleichen Müllhalde. Aus dem gleichen Grund."

    Der Roman "Beale Street Blues" von James Baldwin ist ein trauriger Roman, der jedoch Hoffnung zulässt. Ein Roman wie ein Blues.

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  1. Ein brandaktueller Klassiker zwischen Liebe und Schmerz

    Dieses Buch ist besonders. Es hat ganz viel mit Musik zu tun. Nicht nur der Titel, sondern auch viele Anlehnungen sowie die Überschriften der beiden Teile des Buches haben musikalische Bezüge und sind Texten zahlreicher Songs entnommen. Das heißt aber nicht, dass man musikalische Fachkenntnis benötigt, um die Geschichte zu verstehen. Es genügt, wenn man sich den Rhythmus, die Charakteristik des Blues vor Augen führt: Das ist ein Musikstück, das Tragik, Hoffnung, Liebe und Schmerz miteinander vereint. Die „Beale Street“ gilt als die Heimat des Blues, sie ist eine Straße in Downtown Memphis/Tennessee. Hier leben viele Afroamerikaner in Armut ohne Perspektive im sozialen Abseits.

    In einer kurzen Vorbemerkung der deutschen Ausgabe hat Baldwin geschrieben: "Jeder in Amerika geborene Schwarze ist in der Beale Street, ist im Schwarzenviertel irgendeiner amerikanischen Stadt geboren, ob in Jackson, Mississippi, oder in Harlem in New York: Alle 'Nigger' stammen aus der Beale Street. Die Beale Street ist unser Erbe. Dieser Roman handelt von der Unmöglichkeit und von der Möglichkeit, von der absoluten Notwendigkeit, diesem Erbe Ausdruck zu geben."

    Die Geschichte handelt in der Hauptsache von Tish und Fonny. Sie sind ein junges Paar, das sich von Kindheit an kennt und füreinander bestimmt zu sein scheint:
    „… ich wurde seine kleine Schwester, und er wurde mein großer Bruder. (…) Und so wurden wir füreinander das, was dem anderen fehlte.“ (S. 24)

    Die schwangere Tish erzählt von ihrem Verlobten Fonny, der im Gefängnis einsitzt. Sie erzählt sehr authentisch, mitunter poetisch und stellt nach und nach die weiteren Mitglieder der Familien vor, berichtet von Alltagserlebnissen, die dem Leser ein realistisches Bild über das Leben der Schwarzen in Harlem geben. Tish hat liebevolle Eltern und eine Schwester, die nicht einfach ist, aber auf die man sich fest verlassen kann. Fonny wird nur von seinem Vater geliebt. Die gottesfürchtige, ständig betende Mutter und die Schwestern verachten ihn. Allerdings hat Tishs Familie den jungen Mann längst ins Herz geschlossen. Dieser Familienzusammenhalt ist einzigartig, macht die schweren Zeiten erträglich.

    Nach und nach wird klar, dass Fonny eine Vergewaltigung zur Last gelegt wird, die er nicht begangen hat. Dass man ihn trotzdem anklagt, scheint der Willkür des Vollzugs- und Rechtssystems geschuldet zu sein. Officer Bell, der ihn festnahm, ist ein Rassist und Lügner. Die gesamte Gesellschaft ist rassistisch, selbst die Schwarzen untereinander haben eine an die Schattierung der Hautfarbe angelegte Hierarchie.

    Tishs Schwester Sis hat den Anwalt Hayward engagiert, dessen Bezahlung für die Familie ein Kraftakt ist. Er macht aber keine großen Hoffnungen:
    „Wollen Sie damit sagen“, fragte ich, „es gibt keine Chance, dass wir in diesem Fall an die Wahrheit rankommen?“
    „Nein, das will ich damit nicht sagen“. (…) „Die Wahrheit zählt nicht bei einem Fall. Was zählt ist – wer gewinnt.“ (S. 105)

    Hayward setzt sich für seinen Mandanten ein, durchleuchtet das Umfeld der beteiligten Personen und entwirft eine Strategie. Dieser Rechtsfall bildet den spannenden Plot des Romans. Nebenbei erfährt der Leser viel über das Leben der Schwarzen Gemeinde, über deren Lebensumstände, über die Schwierigkeit einen guten Job zu bekommen, über die Vorurteile, mit denen sich die Menschen konfrontiert sehen.

    Die Bedingungen im Gefängnis werden durch Daniel verdeutlicht, einen alten Freund von Fonny. Ihm wurde seinerzeit ein Autodiebstahl angelastet, den er mangels Fahrfähigkeit gar nicht begangen haben konnte:
    „Aber ich hab nichts gemacht. Sie haben mit mir gespielt, weil sie es konnten. Und ich hab noch Glück, dass es nur zwei Jahre waren, echt.“ (S. 114)
    Daniel ist infolge traumatisiert, hat Schwierigkeiten, sein Leben in den Griff zu kriegen.

    Es sind diese Schicksale, die neben dem Hauptplot rund um den Kampf um Fonnys Freiheit dieses Buch so berührend, so realistisch machen. Es sind auch nicht alle Schwarzen in diesem Buch gut, ebenso wenig wie alle Weißen schlecht sind. Es gibt überall Graubereiche und Ausnahmen von der Regel. „Beale Street Blues“ lässt einen nicht unberührt zurück. Es hat wirklich eine Ambivalenz von Liebe und Schmerz in sich und zeigt die Facetten einer stark rassistischen amerikanischen Gesellschaft auf. Ein bewegendes Buch, ein Klassiker - brandaktuell und wichtig. Baldwin hat ein enormes Talent, Gefühle ohne Pathos in einfühlsame Worte zu kleiden.
    Volle Lese-Empfehlung von mir!

    Ich bin gespannt, ob der DTV-Verlag noch weitere Werke von Baldwin neu auflegt. Die ersten beiden (dieses und "Von dieser Welt") haben mir richtig gut gefallen und Lust auf mehr gemacht.

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  1. Kampf gegen die Willkür der weißen Justiz

    Der Roman erzählt von zwei jungen Schwarze in New York Anfang der 1970er Jahre.

    Tish, die eigentlich Clementine heißt und aus deren Ich-Perspektive die Geschichte geschildert wird, ist 19 Jahre alt und schwanger. Mit dem Vater des Kindes - Fonny, getauft auf den Namen Alonzo Hunt, ist seit ihrer Kindheit befreundet. Irgendwann ist aus ihrer Freundschaft Liebe geworden.

    Zu Beginn des Romans erfahren wir, dass Fonny im Gefängnis sitzt. Er wird beschuldigt eine Puertoricanerin vergewaltigt zu haben - ein Verbrechen, das er nicht begangen hat, das steht außer Frage - für Tish, aber auch für die Leser*innen.

    Während Tishs Familie, ihre Eltern und ihre Schwester Ernestine sie im Kampf gegen die Justiz unterstützen, hat Fonny von seiner bigotten Mutter und seinen Schwestern wenig Hilfe zu erwarten, nur sein Vater Frank bemüht sich Geld für den Anwalt Mr Hayward aufzubringen.

    "Wir waren jetzt seine Familie, die einzige Familie, die er hatte: Jetzt hing alles von uns ab." (85)

    Die Gräben zwischen Fonnys Mutter und Tish sind groß, sie werden unüberwindlich, nachdem sie erfährt, dass sie Großmutter werden soll.

    "Wahrscheinlich nennst du eure Lüsternheit Liebe", sagte sie. "Ich nicht. Ich hab immer gewusst, dass du meinen Sohn zugrunde richtest. Du hast einen Teufel in dir - ich hab´s immer gewusst. Mein Gott hat es mir vor vielen Jahren eingegeben. Der Heilige Geist wird das Kind in deinem Bauch verschrumpeln lassen." (79)

    In drastischer, sehr vulgärer Sprache beschreibt Baldwin die Auseinandersetzungen zwischen den Frauen und den Familien, gleichzeitig schildert er sehr sensibel die erste gemeinsame Liebesnacht zwischen Tish und Fonny, deren gemeinsame Vergangenheit immer wieder in Rückblende erzählt wird, in denen wir auch erfahren, warum ausgerechnet Fonny der Vergewaltigung angeklagt wird und wie sein Traum ein Künstler zu werden, zu platzen droht.
    Wird es Tish und dem Anwalt gelingen, seine Unschuld zu beweisen und ihn aus dem Gefängnis herauszuholen, in dem er langsam zugrunde geht?

    Bewertung
    Beale Street Blues ist 1974 im Original erschienen und ist Baldwins zweiter Roman. Der Autor, der bereits 1987 im Alter von 63 Jahren an Krebs gestorben ist, gilt zwar als großer schwarzer Intellektueller, der sich aktiv in der Bürgerrechtsbewegung engagiert hat, erhält jedoch lange nicht die Beachtung, die er verdient hat, wie Daniel Schreiber im Nachwort feststellt. Vielleicht lag es daran, dass Baldwin schwarz und schwul gewesen ist, und den Schwarzen nicht schwarz genug.

    In Beale Street Blues,

    "eine[..] Metapher für die schwarze Halbwelt [...] für schwarze Viertel, in denen ausweglose Armut und verzweifeltes Vergnügen das Leben bestimmten und in denen Sucht, Gewalt und Liebe Hand in Hand gingen" (214),

    kritisiert er offen den Rassismus, der dazu führt, dass ein unschuldiger Schwarzer aufgrund der Aussage eines weißen Polizisten, der die Zeugin manipuliert hat, im Gefängnis landet. Die Ohnmacht, die Fonny, Tish und ihre Familie empfinden, ist mit Händen greifbar. Sie haben einfach keine Chance gegen dieses weiße System:

    "Die Kinder kriegen eingetrichtert, dass sie einen Dreck wert sind, und alles, was sie um sich herum sehen, ist der Beweis dafür. Sie kämpfen und kämpfen, aber sterben wie die Fliegen und begegnen sich dann auf dem Müllhaufen ihres Lebens, wie die Fliegen." (46)

    Erstaunt hat mich der Rassismus unter den Schwarzen. Fonnys Mutter, die eine hellere Haut als Tish hat, verachtet diese dafür - und übernimmt damit das Wertesystem der weißen Gesellschaft.

    Schreiber hat im Nachwort eine Feststellung über den Roman getroffen, der ich uneingeschränkt zustimmen kann: "Jede rassistische Gesellschaft [...] führt zu einer Spirale der Gewalt, an deren Ende Frauen stehen." (216)

    Sie sind die Leidtragenden, selbst der liebevolle Fonny schlägt Tish, die das als normal empfindet!

    Der Roman bietet keine Antworten, keine Lösungen, er führt den Leser*innen vor Augen, wie eine rassistische Gesellschaft aussieht - die Lehren daraus müssen wir selbst ziehen.

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