Barbara stirbt nicht: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Barbara stirbt nicht: Roman' von Alina Bronsky
4.25
4.3 von 5 (15 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Barbara stirbt nicht: Roman"

Format:Kindle Ausgabe
Seiten:252
Verlag:
EAN:

Rezensionen zu "Barbara stirbt nicht: Roman"

  1. Sehr gut beobachtet

    Walter und Barbara sind seit Jahrzehnten ein Ehepaar. Barbara hat sich immer um alles gekümmert: um die Kinder, um den Haushalt, um Walter. Doch eines morgens wacht Walter auf und es riecht nicht nach Kaffee. Barbara ist nicht aufgestanden, sie ist krank, bleibt liegen. Ganz plötzlich muss Walter sich selbst und seine Frau versorgen. Schon an den kleinsten alltäglichen Dingen scheitert er. Bis Walter eine Facebookgruppe eines Fernsehkoches entdeckt und tatsächlich kochen lernt.

    Das hört sich doch zunächst nach amüsanter Unterhaltungslektüre über schrullige Senioren an. Walters Bemühungen, seine Tollpatschigkeit und sein stoischer Ton erzeugen auch Heiterkeit. Doch je länger man an „Barbara stirbt nicht“ von Alina Bronsky liest, umso mehr bleibt einem das Lachen im Halse stecken.
    In Walter und Barbaras Ehe gab es strikte Regeln. Er war der Herr im Haus, sie hatte sich zu fügen. Walter ist engstirnig, ignorant, denkt in vorgefassten Schablonen. Er verweigert sich der Wirklichkeit, lässt Barbara nicht die medizinische Behandlung zukommen, die sie bräuchte. Solange Barbara nur genug isst, stirbt sie nicht, wird alles gut.

    „Jeder Depp auf der Straße hat eine Meinung, die mehr zählt als meine. Ist sie eure Frau? Ist jemand dabei, Tag und Nacht, jede verdammte Sekunde? ….. Ich sag’s euch: Barbara stirbt nicht.«

    Walters Wandlung zum Hobbykoch ist ja ganz reizend. Bis er selbst auftaut, bevor er aufhört Tiefkühlgerichte aufzutauen, ist noch ein langer Weg.

    Freilich kann man sagen, besser spät als nie, aber seine Entwicklung ist nur aus der Not geboren. Glücklicherweise für das Buch wird Walter auch zum Schluss kein Softie und behält seine Schroffheit. Jahrzehntelange Verhaltensmuster lassen sich wohl wirklich nicht so einfach abstreifen.
    Genaugenommen möchte ich gar nicht wissen, wie viele Partnerschaften heute noch auf dem Walterprinzip beruhen, und das nicht nur bei den älteren Semestern. So gesehen war das Buch weniger berührend als sehr genau beobachtet. Das Stück dramatische Familiengeschichte zum Schluss war mir dann einen Tick zu viel.

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  1. Eine große Herausforderung

    Walter Schmidt kennt es nicht anders, als dass seine Frau Barbara ihn umsorgt und ihm den Rücken freihält. Das findet er auch ganz richtig so. Doch dann wird Barbara krank und Walter ist ziemlich überfordert, denn niemals hat er den Herd bedient oder den Staubsauger. Zum Glück gibt es das Internet, das Hilfe in allen möglichen Lebenslagen verspricht. Doch er ist ein bärbeißiger Typ, der nicht gut mit anderen Menschen kann.
    Diese Geschichte lädt dazu ein, oft lauthals zu lachen, doch oft bleibt einem das Lachen im Halse stecken. Der Schreibstil ist locker und leicht zu lesen.
    Walter Schmidt ist ein Mann, der etwas aus der heutigen Zeit gefallen zu sein scheint. Dass seine Frau sich stets um Haus und Garten gekümmert hat, ist für ihn ganz selbstverständlich. Auch dass sie immer für ihn da war und ihn betüddelt hat, war doch richtig so – oder? Nun muss er sich also selbst ans Werk machen, spürt, dass alles nicht einfach ist, aber ist dennoch der Meinung, dass Barbara manches hätte besser machen können. Der alte Grantler hat aber auch eine Menge Vorurteile und er ist stur. Dass er dann auch noch ein Geheimnis offenbaren will, das komischerweise alle aber schon kennen, macht es nicht leicht für ihn.
    Man muss Walter nicht unbedingt mögen, aber die Situation sorgt dafür, dass er sich weiterentwickelt. Man spürt, wie sehr er seine Frau braucht und dass er sich sorgt. Leider merkt er zu spät, was er an seiner Frau hatte.
    Obwohl die Geschichte humorvoll ist, hat sie doch auch Tiefgang. Mir hat sie gefallen.

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  1. 5
    23. Nov 2021 

    Jetzt iss doch mal was!

    Walter Schmidt ist ein schwieriger Mensch. Er ist ein Miesepeter, ein Mann voller Prinzipien, ein Mann, der immer Recht hat und ein Mann, der mit anderen Menschen möglichst wenig zu tun haben will. Der Alltag ist klar durchstrukturiert. Walters Welt dreht sich nur um ihn, und solange seine Ehefrau Barbara sich an Walters ureigenes Naturgesetz hält, ist alles in Ordnung – sowohl für ihn als auch für sie. Barbara hat über die langen Jahre, die die beiden miteinander verheiratet sind, gelernt, sich mit dieser Situation zu arrangieren. Sie macht es Walter nett, ein sauberes Zuhause, ein voller Kühlschrank, regelmäßige Mahlzeiten, die jeden Tag zu selben Uhrzeiten auf den Tisch kommen. Walters Alltag verläuft wie am Schnürchen. Doch eines Morgens wacht Walter auf und stellt fest, dass das Schnürchen einen Knoten hat. Denn Barbara ist krank, bleibt im Bett und Walter ist den Gefahren des Alltags hilflos ausgeliefert. Um zu überleben, muss er lernen Kaffee zu kochen, den Hund zu versorgen, die Einkäufe zu tätigen und all das zu machen, was Barbara über all die Jahre unternommen hat, damit es Walter gutgeht. Walter empfindet Barbaras Erkrankung zunächst als Angriff auf sein persönliches Wohlbefinden. Mit der Zeit muss er jedoch feststellen, dass Barbara ernsthaft krank ist und ihre Genesung nicht von einem Teller Eintopf, den Walter mittlerweile gelernt hat zu kochen abhängt. „Jetzt iss doch mal was“ – eine Aufforderung, die Walter häufiger an Barbara richten wird, denn solange Barbara isst, stirbt sie nicht und ist auf dem Weg der Besserung. Davon ist er fest überzeugt.

    Während der Wochen und Monate von Barbaras Erkrankung erleben wir eine Entwicklung bei Walter, die man ihm nicht zugetraut hätte. Er lernt zu „überleben“. Vom anfänglichen unselbständigen Miesepeter wird er zu einem Miesepeter, der lernt, allein durchs Leben zu kommen, wobei er sich auch gern von anderen helfen lässt. Walter beginnt, sich auf andere Menschen einzulassen. Er, der immer seine Ruhe haben wollte und für den Freundschaften überflüssig waren, lässt andere Menschen ein kleines Stück weit in sein Leben. Mehr verkraftet er noch nicht. Denn ein Mensch wie Walter kann sich nicht von heute auf morgen ändern, das wäre unglaubwürdig.

    „Barbara stirbt nicht“ ist ein besonderer Roman, der von der Entwicklung seines Protagonisten lebt. Walter ist anfangs ein Ekel, der für viele komische Momente gut ist. Seine ersten Kontakte mit der Hausarbeit und dem Kochen waren großes Kino, die mir sehr viel Spaß bereitet haben. Nichtsdestotrotz wird der Ernst der Lage um Barbaras Erkrankung nicht außer Acht gelassen. Walters Bemühungen um Barbaras Genesung haben etwas Tragisches, das sehr berührend ist, aber ohne rührselig zu sein. Parallel zu Barbaras wachsendem Verlust ihrer Lebensenergie, verliert Walter auch seine Ich-Bezogenheit - eine Entwicklung, die für mich sehr glaubhaft dargestellt ist und dem Ende trotz aller Traurigkeit über Barbaras Erkrankung eine positive Note gibt.

    © Renie

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  1. 4
    22. Nov 2021 

    Herr Schmidt lernt kochen...

    Walter Schmidt ist ein gefühlsarmer Despot. Auch als Rentner kommt er nicht auf die Idee, sich mit seiner Frau Barbara die Aufgaben im Haushalt zu teilen. Frauensache, ganz klar. Als Barbara aber plötzlich im Bett liegen bleibt, kann Herr Schmidt es gar nicht fassen. Wer soll ihm nun seinen Kaffee kochen? Nun, er lernt es mühsam und durch Fehlschläge, und als die ewigen Vorräte in der Gefriertruhe sich dann doch allmählich dem Ende zuneigen, bemüht sich Herr Schmidt sogar, das Kochen zu erlernen. Die Tipps des Fernsehkochs Medinski sowie die Follower auf dessen Facebook-Seite unterstützen ihn bei diesem Prozess.

    Walter Schmidt ist ein konventionell eingestellter, festgefahrener Charakter mit klaren Haltungen und Einstellungen gegenüber Gott und der Welt. Die Rollenverteilung im Haushalt ist für ihn ebenso unumstößlich wie seine Meinung über Obdachlose und Ausländer. Auf mich wirkte er durch seine Borniertheit und seine Unfähigkeit in so vielen alltäglichen Dingen (Kaffeekochen, hallo?!) deutlich älter als er war, irgendwie wie aus einer anderen Generation stammend. Ich habe mir jedoch sagen lassen, dass es solche Typen durchaus auch heute noch geben soll. Schlimm genug.

    Was ihn außerdem kennzeichnet ist seine Unfähigkeit und sein Unwille, über seine Gedanken und Gefühle zu sprechen. Er stößt seine Bekannten wie seine Kinder regelmäßig vor den Kopf und scheint dies entweder nicht zu registrieren oder aber es ist ihm vollkommen egal. Barbaras Bettlägerigkeit führt jedoch dazu, dass seine Kinder nun häufiger auftauchen als in den Monaten und Jahren davor – ein Umstand, mit dem sich Herr Schmidt nur ungern arrangiert. Doch auch wenn er sich offenbar weigert, über den Zustand seiner Frau auch nur nachzudenken, geschweige denn mit jemand anderem darüber zu sprechen, zeigen seine hilflosen Bemühungen zuweilen doch das Ausmaß seiner Sorge und den Versuch, Barbara etwas Gutes zu tun.

    Der Leser / die Leserin erfährt von den Geschehnissen ausschließlich aus der Perspektive des Herrn Schmidt, so dass der Umstand, dass er manches nicht wahrhaben und nicht wirklich hinschauen will, einiges mehr erahnen als wirklich erkennen lässt. Ein Sympathieträger wird Herr Schmidt auch am Ende nicht sein, zumal sich im Verlauf einiges aus seiner Vergangenheit entpuppt, was ihn durchaus in keinem positiven Licht stehen lässt. Aber es findet ein langsamer Wandel statt – nicht vom Saulus zum Paulus, oh nein, aber das wäre ja auch kaum glaubwürdig, aber immerhin zu einem Menschen, der beginnt, mal nicht mehr nur sich selbst wahrzunehmen.

    Sprachlich ist der Roman recht einfach gehalten, der Schreibstil ist flüssig zu lesen. Dennoch gelingt es der Autorin, in wenigen Sätzen viel und auch etliches zwischen den Zeilen zu transportieren. Insgesamt fand ich den Roman weniger berührend und warmherzig als ich erwartet (und erhofft) hatte, humorvoll ist er dagegen an einigen Stellen durch die überzogene Darstellung schon. Zwischen Lachen und Kopfschütteln ist alles dabei. Dabei sorgt die Gesamtsituation jedoch meist dafür, dass einem das Lachen gleich wieder im Halse stecken bleibt.

    Alina Bronsky gelingt der Spagat zwischen ernsthafter Literatur und Humor an den meisten Stellen gut, ich persönlich hätte mir nur mehr Warmherzigkeit à la Ove (aus „Ein Mann namens Ove“ von Fredrik Backman) gewünscht.

    © Parden

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  1. Tragikomische Ehegeschichte mit Tiefgang

    Barbara und Walter Schmidt waren ein Ehepaar alter Schule: Er verdiente das Geld, sie kümmerte sich um den Haushalt und die (mittlerweile erwachsenen) Kinder. Seit einigen Jahren im Ruhestand hat sich bei der Aufgabenverteilung nichts Wesentliches geändert: Barbara macht alles, Walter nichts.

    „Als Herr Schmidt Freitagfrüh aufwachte und den Kaffeeduft vermisste, dachte er zuerst, dass Barbara im Schlaf gestorben sein könnte.“ (Erster Satz) So ist es zum Glück nicht, aber trotzdem funktioniert Barbara nicht mehr, denn nach einem Sturz im Bad muss sie fortan das Bett hüten. Zunächst reagiert Walter eher ungehalten und mürrisch auf die abrupte Änderung seiner Gewohnheiten. Bei alltäglichen Handgriffen wie Kaffeekochen oder gar Mahlzeiten Zubereiten ist Walter völlig überfordert. Die sich daraus ergebenden Misslichkeiten, die Dialoge mit der hilfsbereiten Bäckereiverkäuferin oder seinem Sohn haben durchaus eine parodistische Note.

    Sobald die reichlichen Vorräte im Gefrierschrank aufgebraucht sind, muss sich Walter etwas einfallen lassen. In seiner Hilflosigkeit entwickelt er eine unbedarfte Fürsorge Barbara gegenüber. „Du musst auch essen, Barbara“, wird eines seiner Leitmotive. Wer isst, wird nämlich auch wieder gesund (wenn es doch nur so einfach wäre…). Auf der Facebookseite des Fernsehkochs Medinski holt sich Walter Rat, er scheut sich nicht zu fragen und lernt beflissen, einfache Gerichte zuzubereiten.

    Im Zuge des Romans, der überwiegend die Perspektive von Herrn Schmidt, wie Walter fast durchgängig genannt wird, einnimmt, lernt man das Ehepaar besser kennen. Walter hat Zeit seines Lebens eine selektive Wahrnehmung gehabt: Dinge, die ihm unpassend erscheinen oder nicht in sein Konzept passen, werden konsequent ausgeblendet. Das Verhältnis zu seinen Kindern ist dadurch angespannt, auch für den Enkel hat er sich bislang nie interessiert. Folglich ist es Walter lästig, dass die Familie jetzt aus Sorge um die Mutter regelmäßig vorbeischaut und sein Leben zusätzlich durcheinander bringt.

    Was als reine Komödie beginnt, bekommt durch den Fortgang der Geschichte und Walters Rückblicke immer mehr Tiefe. Walter Schmidt wird kein Sympathieträger, dazu ist er einfach zu verschroben, aber man bekommt ein gewisses Verständnis für ihn durch seine Herkunft und Biografie. Was mit Barbara los ist, bleibt lange ungeklärt. Ihre Krankheit sowie der unterschiedliche Umgang damit bleibt das Schwere im Roman. Die Geschichte lebt von der Interaktion der direkt und indirekt Beteiligten. Dazu gehören die Herren von Walters Männerstammtisch, seine Jugendfreundin Hanne, die enge Familie, Facebookfreunde oder die Frauen von Barbaras Kirchenkreis. Alle wollen auf ihre Art einem Mann helfen, der sich eigentlich nur die Rückkehr in sein altes, gewohntes Leben wünscht, der möchte, dass Barbara isst und wieder gesund wird, der alles ausblendet, was er nicht sehen will.

    Wer die vorhergehenden Romane Alina Bronskys mochte, wird auch diesen gerne lesen. Die Autorin versteht es, Walters Lebensuntüchtigkeit auf humorvolle Weise darzustellen. Es ist fesselnd, den Protagonisten zu beobachten, seine unbeholfenen Bemühungen um Eigenständigkeit und Fürsorge zu verfolgen. Die zahlreichen Dialoge sind kurzweilig und (tragi-)komisch. Walter Schmidt macht durch die Krankheit seiner Frau eine Veränderung durch, er bekommt neue Einsichten, möchte manchen Fehler wieder gutmachen. Trotzdem bleibt er ein sehr ambivalenter Charakter, der seine Umwelt und den Leser zuweilen vor den Kopf stößt. Gerade das macht die Figur glaubwürdig. Es ist eben keine Entwicklung vom Saulus zum Paulus, sondern sie bleibt authentisch im Rahmen von Walters Anlagen und Möglichkeiten.

    Auch wenn manches aus meiner Sicht überzeichnet wird, ist „Barbara stirbt nicht“ ein sehr lesenswerter Roman, der sich mit den Schwierigkeiten eines hoffentlich überholten Lebensmodells auseinandersetzt und zahlreiche Empfindungen beim Leser hervorzurufen vermag.

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  1. Niemand ist zu alt, um sich zu ändern

    Herr Schmidt, Hausgerätetechniker im Ruhestand und seit 52 Jahren verheiratet, kann weder eine Kaffeemaschine bedienen noch eine Kartoffel kochen. Bisher war das auch nie nötig, hat doch Barbara, seine Frau, ihn vorbildlich umsorgt in der neuen Küche, seinem Geschenk zur Goldenen Hochzeit und allein „Barbaras Reich“. Doch eines Tages fehlt der gewohnte morgendliche Kaffeeduft, Barbara ist im Badezimmer zusammengebrochen und steht, als er sie mühsam ins Bett verfrachtet hat, nicht mehr auf. Herrn Schmidts Glaube an Barbaras unerschütterliche Gesundheit erweist sich als tragischer Irrtum.

    Ende der Alltagsroutine
    Es war keine Liebesheirat, eher eine Verpflichtung, als sich ein Kind ankündigte. Viel Arbeit musste Herr Schmidt in Barbara investieren, den russischen Akzent abtrainieren, sie aufpäppeln, monatelange Küchenmissgeschicke ertragen, den Widerstand seiner Mutter überwinden und verhindern, dass man in dem Dorf bei Frankfurt, in das er und seine Mutter als Flüchtlinge gekommen waren, mehr als nötig auffiel. Und doch scheint sich das Ehepaar Schmidt eingerichtet zu haben, jeder in seinem eng begrenzten Zuständigkeitsbereich, Herr Schmidt in der Erwerbsarbeit, Barbara zuhause. Nun wird die gewohnte Routine unterbrochen und Herr Schmidt durch die Vertreibung aus seiner Komfortzone aus der Bahn geworfen. Oder sorgt er sich doch um Barbara?

    Küche statt Krankenpflege
    Alina Bronsky erzählt die Geschichte konsequent in personaler Erzählweise aus der Sicht von Herrn Schmidt, der als einziger nie mit seinem Vornamen, Walter, genannt wird. Da er Barbaras Krankheit nicht beim Namen nennt, erfahren wir weder, worunter sie leidet, noch direkt, wie es ihr geht. Für die medizinische Behandlung, später den Pflegedienst, sind die beiden Kinder Sebastian und Karin zuständig, zu denen Herr Schmidt schon lange einen wenig herzlichen Kontakt pflegt. Wie Barbaras Krankheit verdrängt Herr Schmidt auch hier, womit er nicht umgehen kann: Sebastians schwarze (Ex-)Frau mit dem Enkel sowie Karins lesbische Beziehung zu Mai, für ihn lediglich ihre „beste Freundin“.  Nur die sich häufenden Besuche und besorgte Nachfragen aus Barbaras erstaunlich großem, Herrn Schmidts überschaubarem Bekanntenkreis lassen die tatsächliche Dramatik erahnen.

    Herr Schmidt dagegen wirft sich in die Küchenarbeit, unterstützt von der Bäckereiverkäuferin, dem Fernsehkoch Medinski und dessen Internet-Fangemeinde. Dass Barbara von seinen immer komplizierteren Koch- und Backversuchen immer weniger essen kann, ist ein weiterer Hinweis auf ihren sich verschlechternden Gesundheitszustand. Dabei ist Herr Schmidt sicher:

    "Wenn sie gut isst, wird sie gesund." (S. 129) 

    "Barbara geht es gut. […] Das Wichtigste ist, dass sie nicht verhungert. Dafür sorge ich. […]“ (S.211)

     Die offenbare Ignoranz ihres Vaters irritiert auch Karin:

    „Papa. Ich verstehe, es ist schwer.“
    „Nichts ist schwer. Lass mich.“
    „Papa. Deine Reaktionen sind verstörend. Das muss aufhören. Wir können doch nicht die ganze Zeit vor Ort sein.“
    „Das hoffe ich.“ (S. 164/165)

    Humorvoll, aber nicht belanglos
    "Barbara stirbt nicht" ist weniger skurril als vorherige Romane von Alina Bronsky wie "Baba Dunjas letzte Liebe" oder "Der Zopf meiner Großmutter", obwohl Herr Schmidt mit seiner aberwitzigen Lebensuntüchtigkeit durchaus solche Züge aufweist. Seine Wandlung vom unsensiblen, politisch unkorrekten Kotzbrocken zum einigermaßen empathiefähigen Zeitgenossen, der mir wider Willen sympathischer wurde, ist humorvoll-leicht, bisweilen schräg und immer kurzweilig beschrieben, wobei mir seine Facebook-Karriere oder das alte Familiengeheimnis zu übertrieben waren. Sehr gelungen sind dagegen die lebenserhaltenden Verdrängungsmechanismen, ein literarisches Thema, das mich immer wieder zu fesseln vermag. "Barbara stirbt nicht" ist deshalb nur vordergründig ein leichtes Wohlfühlbuch. Auf den zweiten Blick entdeckt man mehr.

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  1. Wie komme ich im Haushalt zurecht, wenn die Frau krank ist?

    "Seine nächste Idee war, Karin anzurufen und zu fragen, wie man Kaffee kocht. Als Frau musste sie sowas wissen." (Buchauszug)
    Rentner Walter Schmidt ist ein Mann der Traditionen und alter Schule. Was den Haushalt und die Küche anbelangt, hat er sich noch nie die Hände schmutzig gemacht. Nicht einmal Kaffee kochen kann er, den dies hat bisher alles immer Ehefrau Barbara gemacht. Um so erstaunter ist er, als er eines Morgens nicht mit Kaffeeduft geweckt wird. Barbara findet er stattdessen auf dem Boden des Badezimmers wieder. Leicht verletzt weigert sie sich, vehement zum Arzt zu gehen. Stattdessen liegt sie fast nur noch im Bett und schläft. Zwar ist die Gefriertruhe voll, doch Schmidt weiß nicht mal mit dem, was anzufangen. Erst mithilfe des Fernsehkochs Medinski, dem Internet und Freunden, beginnt in Walter eine Umkehr.

    Meine Meinung:
    Das Lied "Mein Gott Walter" oder das Ekel Alfred aus "Ein Herz und eine Seele" kommt mir bei Schmidts Art sofort in den Sinn. Er ist ein Mann, der wirklich hilflos ist ohne seine Frau. Man merkt sofort, dass Barbara ihren Mann ein Leben lang verwöhnt und bemuttert hat. Kein Wunder also, das er nichts zustande bringt, als Barbara nun krank im Bett liegt. Wie sehr es um Barbara steht, das erfährt man nur so nebenbei, das Hauptaugenmerk gehört hier eigentlich wirklich nur Walter oder Herrn Schmidt, wie er in der Geschichte genannt wird. Der humorvolle, zynische Schreibstil der Autorin bringt einem Walters Charaktere und Eigenart wahrlich zum Schmunzeln. Als ehemaliger Flüchtling ist er mit den Eltern nach Deutschland gekommen und hat dann trotzdem Abraten der Mutter, die Russin Barbara geheiratet. Die jedoch scheint, wie es früher normal war, mit dem Haushalt und den Kindern voll aufzugehen. Kein Wunder also, das Walter nach all den Jahren keine Ahnung hat, wie man einen Kaffee aufbrüht, geschweige eine Maschine bedient. Umso mehr erstaunt es mich, wie Walter sich im Laufe des Buches entwickelt. Den eines muss man ihm lassen, ehrgeizig ist der Mann. Was er möchte, packt er an und schafft es dann irgendwann auch. Allerdings wird alles von ihm akribisch notiert und aufgeschrieben und wehe, er bekommt von seinen Freunden und Helfern keine genauen Angaben. Allerdings hat mich Walters grimmige, boshaft Art seinen Mitmenschen und Kindern gegenüber schon ein wenig verärgert. Da wundert es mich schon, dass die meisten ihm recht freundlich begegnen. Vielleicht liegt es daran, weil viele Barbara kennen und mehr über ihren Zustand wissen? Ich frage mich nur, wie er so in der früheren Berufswelt zurechtkam. Sonderbar finde ich außerdem Barbaras Zustand, in den uns die Autorin eigentlich nie richtig einweiht. Die zusätzliche Überraschung am Schluss hätte ich jetzt nicht gebraucht und das offene Ende hat mich dann doch etwas enttäuscht. Trotzdem bekommt das Buch von mir 4 von 5 Sternen, da es mich gut unterhalten hat.

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  1. Rührend, Bewegend und Urkomisch

    „Barbara stirbt nicht“ ist doch tatsächlich mein erster Alina Bronsky Roman (Shame on me!). Mir wurde viel Gutes zu dem Buch berichtet, weshalb ich recht hohe Erwartungen hatte. Diese wurden auch erfüllt, so viel kann ich schon mal sagen. Aber erstmal zum Inhalt…
    Im Fokus steht Walter Schmidt, ein Mann der ganz ganz ganz alten Schule. Während seine Frau Barbara sich um Haus und Hof gekümmert hat, hat er das Geld nach Hause gebracht – wie man das als guter Mann so macht. Aber was tut man(n), wenn die Frau plötzlich gesundheitlich nicht mehr in der Lage ist den Haushalt zu schmeißen? Diese Frage muss sich Walter zwangsweise im Roman stellen und lernt dabei nicht nur wie man Betten macht, sondern auch für’s Leben.
    Das Buch hat mich abwechselnd zum Lachen und weinen gebracht. Walter Schmidt ist ein alter Mann den man sich als Frau definitiv nicht wünscht. Grummelig, miesepetrig und ohne (Haus)Frau völlig aufgeschmissen. Die Beschreibung von Walter Schmidt war so herrlich überzogen, dass ich echt lachen musste, insbesondere weil er selbst mit den einfachsten Haushaltsanforderungen schlicht überfordert war. Zudem fand ich den Schreibstil der Geschichte sehr angemessen und passend. Während Barbara immer mit ihrem Vornamen erwähnt wird, erfährt der Leser erst sehr spät von Walter. Dieser wird nämlich zunächst nur mit Herr Schmidt angesprochen, was ein wunderschönes Stilmittel ist. Im Grunde wird man als Leser auch erst nach und nach mit Walter warm. Ebenso wie Walter nach und nach mit seinen neuen Lebensumständen warm wird und sich zurechtfinden muss. Rührend fand ich, wie er sich an die alten Zeiten mit Barbara erinnert und seine Liebe zur ihr wiederfindet. Da scheint viel in Routinen und Alltag untergegangen zu sein. Manchmal weiß man auch erst zu schätzen was man hat, wenn man es nicht mehr hat.
    Etwas überzogen fand ich den Handlungsstrang rund um Medinski. Das hätte ich nicht gebraucht. Aber es hat auch nicht gestört. Die Geschichte hat vor allem durch viel Ungeschriebenes gelebt, weil man als Leser oft im Dunkeln gelassen wird und sich dann selber überlegen muss, was die Autorin wohl gemeint hat.
    Alles in allem hat mir das Buch sehr gut gefallen und es wird nicht mein letzter Bronsky gewesen sein.

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  1. 4
    22. Okt 2021 

    Herr Schmidt kümmert sich - und wie!

    Normalerweise sind die Hauptfiguren in Filmen und Büchern Sympathieträger – nicht so in dem neuen Buch von Alina Bronsky. Herr Schmidt, wie er konsequenterweise die gesamten 251 Seiten genannt wird, mag die Menschen nicht. Und sie ihn genauso wenig – bis vielleicht auf Lydia. Und Hanne. Und vielleicht Heike. Aber egal, Herr Schmidt ist am liebsten für sich, zusammen mit seiner Frau Barbara, die seine geliebte Ordnung für ihn aufrecht hält. Doch eines Morgens wacht er auf – und da ist nichts und niemand. Kein Kaffeeduft und keine Barbara, es

    "... schien ihm plötzlich am wahrscheinlichsten, dass Barbara auf dem Weg in die Küche tot umgefallen war."

    Umgefallen ist sie, doch sie lebt und liegt im Bad. Mühsam bringt er sie ins Bett, wo sie die nächsten Tage und Wochen verbringen wird. Und für Herrn Schmidt brechen neue Zeiten an. Er ist davon überzeugt, dass er sie wieder auf die Beine bringen wird (im Gegensatz zu seinem Umfeld) und übernimmt nun die Verantwortung für Küche und Haushalt. Und dass, wo er nicht einmal weiß, wie man Kaffee oder Kartoffeln kocht.

    „Ach, Walter. In Wasser, im Topf.“ Er mochte es nicht, wie sie ihm Sachen erklärte. „Wo sind die Kartoffeln denn?“ „In der Speisekammer. Im Korb. Schälen brauchst du nicht.“ „Wie heiß soll das Wasser sein? Wie viel Grad?“ „Ach, Walter.“ „Wie lange drin lassen?“ „Bis es fertig ist.“ Er begann selbst innerlich zu kochen. „Wann weiß ich, dass sie fertig ist?“ „Piks sie mit der Gabel an.“

    Doch wider Erwarten findet er sich allmählich zurecht und zu seiner eigenen Überraschung scheint es ihm sogar Freude zu bereiten.

    Sicherlich kann man das Buch als leichte und immer wieder humorvolle (wenn auch nicht urkomische) Lektüre einer Wandlung vom miesepetrigen Egozentriker hin zum offeneren mitfühlenden alten Herrn lesen, aber das würde dieser Geschichte nicht gerecht werden. Denn fast schon nebenbei lässt Alina Bronsky immer wieder einfließen, dass es für diese mürrische und grollende Art des Herrn Schmidt durchaus einen guten Grund gibt. Die Zeit, die er als Russlanddeutscher, geboren während des 2. Weltkrieges in der Sowjetunion verbrachte, war wahrscheinlich sehr schwierig. Dort als potentielle Spione und Verräter gebrandmarkt, wurde diese Volksgruppe schikaniert, ausgebeutet und lebte in den erbärmlichsten Verhältnissen. Kein Wunder, dass sich Herr Schmidt einen Panzer zulegte, um nie mehr Schwäche zu zeigen.

    „Du kannst mir gar nicht wehtun“, sagte er langsam und deutlich. „Niemand von euch kann mir wehtun.“

    „Wir waren doch gerade erst weg von den Russen, und seien wir ehrlich, Barbara war damals eine von denen.“

    Es ist ein Buch, dass nur vordergründig humorvoll erscheint, tatsächlich aber voller Tragik über ein recht verkorkstes Leben ist sowie ein Plädoyer, Menschen nicht nur nach dem ersten Augenschein zu beurteilen (und Anderes natürlich auch nicht ;-)).

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  1. Mein Gott, Walter!

    Walter Schmidt hat sich in seinem Alltag gemütlich eingerichtet. Der Rentner lebt mit seiner russischstämmigen Frau Barbara ein einfaches, aber komfortables Leben im eigenen Häuschen. Die Ehe hält schon mehr als 50 Jahre, die Kinder sind längst erwachsen. Eines Morgens kippt seine Gattin im Bad um und will nicht mehr das Bett verlassen. Für Herrn Schmidt, der noch nicht einmal selbst eine Tasse Kaffee kochen kann, beginnt plötzlich eine schwierige Zeit…

    „Barbara stirbt nicht“ ist ein Roman von Alina Bronsky.

    Meine Meinung:
    Der Aufbau ist schlicht: Der Roman ist in unzählige Abschnitte unterteilt. Erzählt wird in chronologischer Reihenfolge aus der Perspektive von Walter, allerdings mit mehreren Zeitsprüngen.

    Der Schreibstil ist auf den ersten Blick unspektakulär. Jedoch ist es der Autorin wunderbar gelungen, viel Atmosphäre zu transportieren und zwischen den Zeilen zu erzählen. Der Roman ist gekennzeichnet durch zahlreiche Dialoge.

    Mit Herrn Schmidt steht ein älterer Protagonist im Vordergrund. Seine beleidigende, nörglerische, oft unverschämte Art qualifiziert ihn nicht zum Sympathieträger. Dennoch kommt man ihm recht nahe, sodass ich Mitgefühl mit ihm empfinden konnte. Walter ist extrem alltagsuntauglich, vor allem was den Haushalt angeht. Mit solchem „Frauenkram“ wollte er sich nie auskennen. Auch seine ablehnende Haltung in Bezug auf Andersartigkeit verschafft ihm keine Pluspunkte bei mir. Seine Schwächen werden Stück für Stück entlarvt. Tatsächlich gibt es aber solche Exemplare Mann im wahren Leben, weshalb ich die Charakterzeichnung nicht übertrieben finde. Die übrigen Figuren inklusive Barbara bleiben dagegen eher blass.

    Inhaltlich bringt der Roman ernste Themen wie Krankheit und Tod mit Humor in Verbindung. Nicht nur einmal blieb mir beim Lesen jedoch das Lachen im Hals stecken. Die Geschichte hat es geschafft, auf rund 250 Seiten unterschiedliche Emotionen bei mir zu wecken - obwohl und manchmal auch gerade weil sich der Protagonist seinen Gefühlen nur sehr schwer stellen kann.

    Die Handlung an sich ist im Grunde ziemlich übersichtlich. Dennoch hat mich der Roman keineswegs gelangweilt. Die Frage nach dem Zustand Barbaras baut eine gewisse Spannung auf. Zum Ende hin gibt es zudem eine überraschende Enthüllung. Nur in ein oder zwei Aspekten ist mir die Geschichte zu sehr drüber, was dem positiven Gesamteindruck aber keinen Abbruch tut.

    Das knallige Cover passt zum Inhalt des Romans. Beim Titel bin ich ein wenig zwiegespalten, was ich an dieser Stelle aber lieber nicht ausführen möchte.

    Mein Fazit:
    „Barbara stirbt nicht“ von Alina Bronsky ist ein unterhaltsamer und anrührender Roman, der Tragik und Komik vereint. Eine empfehlenswerte Lektüre mit Charme.

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  1. Naive Läuterungsgeschichte

    Kurzmeinung: Nett

    Walther Schmidt hat sich sein Leben lang nur dann in der Küche blicken lassen, wenn er sich zum Essen setzte. Er hat ein altmodisches Weltbild über, na ja, die Welt halt und ein patriarchalisches Rollenverständnis. Er verdient das Geld, sie versorgt ihn. Seiner jungen Frau Barbara, die er seinerzeit aus dem Ostblock hat, setzte er eine sehr lange Weile lang exakte Vorgaben, man könnte sagen, er gängelte sie. Walther ist kein leicht zu nehmender Ehemann. Und ist er ein Partner?

    Andererseits zeigte sich schon damals, am Anfang seiner Ehe, sein liebenswertester Zug, nämlich seine Loyalität. Die Anfangsversuche Barbaras in der Küche werden nicht kommentiert, er isst widerspruchslos alles, was ihm vorgesetzt wird und er verteidigt seine Frau gegenüber seiner Mutter. Kann man mehr verlangen? Mit der Zeit läßt er auch die Leine locker, gewährt außerhäusige Freiheiten und im Haushalt hat Barbara sowieso das Sagen. Als Barbara eines Tages krank wird, und nicht mehr aufsteht, wendet sich das Blatt. Walther übernimmt den Haushalt.

    Der Kommentar:
    Der Roman „Barbara stirbt nicht“ erinnert mich an das Lied von Johanna von Koczian „Das bisschen Haushalt ist doch gar nicht schwer, sagt mein Mann, das bisschen Haushalt macht sich nenbenher, sagt mein Mann.“ Ein lustiges Liedchen, das in den 1970er Jahren für Schmunzeln sorgte. Und hier liegt das Problem des Romans, der ohne Zweifel unterhält und die Entwicklung seiner Figur humorvoll begleitet: Der Roman wirkt antiquiert. Eine naive Läuterungsgeschichte wie aus den 70ern. Vielleicht brauchen wir wieder leichtere Kost in unserer komplizierten Welt? Allerdings sind die Walthers unserer Zeit ganz anders gestrickt. Sie sind gegen alles, marschieren mit Pegida und wählen AfD.

    Was an dem Roman schätzenswert ist, sind zwei Dinge, erstens die Entdeckung, dass aus Gewöhnung Liebe werden kann und zweitens, dass es Situationen gibt, denen mit Worten nicht beizukommen ist. Manchmal muss man das Schicksal kommentarlos hinnehmen. So wie Walther es tut.

    Fazit: Der Roman ist etwas aus der Zeit gefallen. Liebenswert. Auch lesenswert? Das muss man selbst entscheiden. Eins ist er jedenfalls nicht: zeitgemäß.

    Verlag: KiWi, 2021
    Kategorie: Humor

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  1. 4
    16. Okt 2021 

    Oder stirbt sie doch

    Barbara und Walter Schmidt sind schon lange verheiratet. Eigentlich war Barbara nicht die erste Wahl, aber ein Kind war unterwegs. Der Alltag schien genau durchgeplant, Barbara versorgte den Haushalt und Walter machte, was er meinte. Doch eines Morgens stürzte Barbara im Bad und war danach nicht mehr in der Lage aufzustehen. Und nun erledigt Herr Schmidt alles und Barbara schläft und isst nicht. Die Kinder sind aus dem Haus und Herr Schmidt will auch nicht, dass sie zu häufig kommen. Dafür lernt er, sich mit dem Computer zu befassen. Schließlich muss er irgendwo erfahren, wie er Barbara etwas Leckeres zubereiten kann.

    Die Schmidts sind schon ein seltsames altes Ehepaar, wobei Barbara in sich zu ruhen scheint und Walter vor sich hingrantelt und schnappt, wenn sich mal jemand nach seinem Befinden erkundigt. Obwohl Barbara offensichtlich krank ist, will Walter davon nichts wissen. Barbara stirbt nicht, sie isst nur nicht, aber Walter wird schon dafür sorgen, dass alles wieder in die Reihe kommt. Dass seine ganze Umgebung das anders sieht, ficht Walter nicht an. Doch bei aller Brummigkeit, öffnet sich Walter doch ein wenig und wagt einen großen Schritt, der Barbara gefallen soll.

    Mit humorvollen Worten und teilweise beißendem Witz schildert die Autorin das Eheleben von Walter und Barbara, dass wohl auf seinen letzten Abschnitt zugeht. Walter, der immer wollte, dass sie in Deutschland nicht schon wegen ihres Akzents auffallen, hat seine Frau wohl erzogen. Seiner Meinung nach hat er sich in die Ehe gefügt und sein Bestes gegeben. Und er hat die zarte Barbara den ganzen Haushalt erledigen lassen. Über seine Gefühle spricht Walter nicht, da nutzen auch alle gut gemeinten Worte nichts. Gerade wenn sich alles in ihm zusammenzieht, wird er besonders bärbeißig, auch seinen Kindern gegenüber. Bei Beginn der Lektüre dieses witzigen Romans, der einem manchmal auch das Lächeln auf den Lippen gefrieren lässt, wird man direkt in die Handlung gezogen. Zwar fehlen einige Hintergrundinformationen, aber man ist gleich mitten drin im Leben von Walter und Barbara. Und so bewirkt die Handlung, dass man reagiert und reflektiert. Wie haben die eigenen Eltern gelebt? Wie hätte man selbst es gemacht? Mit leichten Worten geschrieben, widmet sich die Autorin durchaus ernsten Themen und ihre teils eigenwillige Herangehensweise macht den Roman sehr lesenswert.

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  1. 5
    30. Sep 2021 

    Wenn die Ehefrau krank wird

    Jeden Morgen wurde Herr Schmidt vom herrlichen Kaffeeduft geweckt, den seine Frau Barbara für ihn kocht. An diesem Morgen aber fehlt der Kaffeeduft in der Wohnung. Irritiert entdeckt der Rentner seine Ehefrau Barbara im Badezimmer auf dem Fußboden liegend. Die Frau blutet an der Stirn, ist sehr schwach auf den Beinen und muss zurück ins Bett. Ab sofort ist Walter auf sich selbst gestellt, denn Barbara ist offensichtlich sehr krank.

    Der Hauptprotagonist dieses kurzweiligen Romans ist unbestritten der Rentner Walter Schmidt, von der Autorin stets Herr Schmidt genannt. Als Mann der alten Schule in der Buchbeschreibung dargestellt, ist er für mich alles andere als das. Er ist unsensibel, unhöflich, stur und irgendwie weltfremd geblieben. Er ruft nicht mal den Arzt, der Barbara untersuchen sollte. Es nur gut, dass diese Eheleute, das vor 52 Jahren geheiratet haben, erwachsene Kinder haben.

    Nicht nur vom Kaffeekochen hat der altmodische Walter keine Ahnung. Er weiß nicht mal, wie man die eingefrorenen Produkte auftauen und aufwärmen kann. Erst nach dem seine tüchtige Frau Barbara das Bett hüten muss, lernt er langsam sie als Hausfrau und patente Frau zu schätzen. Die neue Situation stellt ihn auf harte Probe und er muss sich als Ehemann, Vater und Hausmann beweisen.

    Auch die übrigen Protagonisten des Romans sind lebendig dargestellt. Hier beweist die Autorin ihre hervorragende Beobachtungsgabe. Sie schreibt fesselnd, liefert tolle Dialoge, die mal schmunzeln lassen, dann wieder die Tränen der Rührung in die Augen drücken.

    „Barbara stirbt nicht“ ist ein flüssig geschriebener und scheinbar leicht zu lesender Roman. Das täuscht aber, denn der Roman ist keine leichte Kost. Alle seine Figuren, aber vor allem die Hauptakteure der dramatischen Handlung, zeichnen mit ihren Verhalten und mit ihrer Denkweise großartige Bilder unserer so unterschiedlichen Gesellschaft. Viele aktuelle Probleme kommen in dem Buch zu Sprache und lassen mich, als Leserin, nachdenklich zurück.

    Fazit: eine klare Leseempfehlung!

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  1. 5
    29. Sep 2021 

    Eine tragisch-komische Geschichte

    Eines Morgens wacht Walter Schmidt auf und wundert sich über den fehlenden Kaffeeduft, der ihn sonst dank seiner Frau immer schon erwartet. Zunächst noch verärgert über den nicht vorhandenen Kaffee, ist der aber bald sein geringstes Problem: Seine Frau Barbara steht nicht mehr auf und nichts ist mehr wie es einmal war.
    Eigentlich möchte man Walter Schmidt am Anfang nicht mögen – seine Gedanken und Äußerungen, was die Situation und insbesondere seine kranke Frau angeht, sind einfach zu krass – aber im Laufe der Geschichte kann man gar nicht anders. Er ist ein schrulliger, alter Mann mit scheinbar verbohrten Ansichten und es macht großen Spaß, zu beobachten, wie er durch die neue Situation mehr und mehr Abstand zu diesen gewinnt und tatsächlich eine große Entwicklung durchläuft.
    Es ist eine tragisch-komische Geschichte. Vor allem am Anfang habe ich, schon allein wegen der Episoden rund um seine Kaffeekochversuche (wer hätte gedacht, dass das so schwierig sein kann!), oft laut lachen müssen. Gleichzeitig gelingt es dem Buch aber, nicht nur mit schwarzem Humor an der Oberfläche zu kratzen, sondern Stück für Stück auch tiefer in das Leben und die Gedanken von Walter Schmidt vorzudringen.
    Alina Bronsky hat diesen Protagonisten brillant geschrieben – ohne Schnörkel, aber unheimlich plastisch und authentisch. Die zahlreichen Nebencharaktere empfand ich als ebenso gelungen. Für mich war das Buch von Anfang bis Ende ein großer Lesegenuss und ich werde Walter Schmidt bestimmt nicht so schnell vergessen.

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  1. Ein Mann wie ein Dinosaurier

    Ach Walter, möchte ich unwillkürlich ausrufen, als er am frühen Morgen aufwacht und den vertrauten Kaffeeduft vermisst. Wo ist Barbara? Die sich doch immer um alles gekümmert hat, den Haushalt gestemmt, die Kinder großgezogen und vor allem Walter jeden Wunsch von den Lippen abgelesen hat.

    Barbara liegt im Bad, sie ist gestürzt, kann sich kaum noch bewegen. Walter schafft sie wieder ins Bett und überdenkt nun seine Lage. Wie war das mit dem Kaffee, wo ist das Pulver, wieviel Wasser braucht er und vieles mehr. Und Barbara will einfach nicht mehr aufstehen.

    Die Kinder machen sich Sorgen, unausgesprochen klingt auch immer ein Vorwurf an Walter mit.

    Walter ist ein Dinosaurier, eine Gattung Mann, die man ausgestorben glaubte, von denen es sicher noch einige Exemplare gibt. Eine Ehe, die mehr als ein halbes Jahrhundert andauerte und von der Walter überzeugt ist, dass es das Beste war, was seiner Frau passieren konnte. War er nicht großzügig, als er sie heiratete, als sie schwanger wurde, obwohl seine Mutter nichts von Frauen aus dem Osten hielt. Den Akzent und die Neigung seltsame Dinge zu kochen hat er ihr abgewöhnt, aber hat er sich einmal gefragt ob Barbara glücklich war?

    Walter erfindet sich neu, ganz langsam zwar, aber nun lernt er seine Frau aus einer neuen Perspektive kennen. Erstaunt stellt er fest, was für Anker, ein Halt sie für ihn war und nun will er das für sie sein.

    Ein tolles Buch, bitterböse in weiten Teilen, wird Walter aber nicht nur an den Pranger gestellt. Die Autorin berichtet und überlässt mir die Deutung. Aus vielen kleinen Rückblicken und Gedanken Walters ersteht das Bild dieser Ehe. Das hat mir sehr gut gefallen. Die Wandlung eines nicht sehr empathischen Mannes ist sehr schön ausgefallen. Alina Bronsky kann die Menschen in all ihren Facetten sehr wahrhaft beschreiben und stellt damit für den Leser eine Nähe zu den Protagonisten her.

    Ich war von „Barbara stirbt nicht“ restlos begeistert und konnte das Buch nicht aus der Hand legen.

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