Baby Jane: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Baby Jane: Roman' von Sofi Oksanen
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5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Baby Jane: Roman"

Als die Ich-Erzählerin die charismatische und attraktive Piki kennenlernt, verliebt sie sich Hals über Kopf. Doch erst nach einiger Zeit wird ihr klar, dass Piki Geheimnisse vor ihr hat: Durch eine Angststörung ist sie im Alltag stark eingeschränkt und ist unfähig, einfachste Tätigkeiten auszuführen. Deshalb ist sie abhängig von ihrer Exfreundin Bossa, die Dinge wie Einkaufen und Wäschemachen für sie erledigt. Doch die Erzählerin will diese Intimitäten nicht hinnehmen. Zu Eifersucht und Misstrauen gesellen sich ihre eigenen psychischen und finanziellen Probleme – und es dauert nicht lange, bis sich der schwelende Konflikt zwischen ihnen gewaltsam entlädt. Oksanens zweiter Roman ist ein scharf beobachtetes Porträt einer toxischen Beziehung in Anlehnung an Robert Aldrichs Film »Was geschah wirklich mit Baby Jane?« Ungemütlich und schonungslos zeigt die Autorin auf, wie schnell und brutal psychische Krankheiten die darunter Leidenden an den Rand der Gesellschaft katapultieren können.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:224
EAN:9783462004090

Rezensionen zu "Baby Jane: Roman"

  1. Frech, funny, frivol - aber das ist es nicht allein.

    Kurzmeinung: Ein Lesehighlight. Leseempfehlung.

    Drei Frauen, Piki, Bossa und die Icherzählerin führen eine ungewöhnliche Dreiecksbeziehung. Die Icherzählerin hätte in einem Interview wahrscheinlich wie seinerzeit Lady Di zum Besten gegeben „it was a bit crowded“. Es ist aber nicht Bossa, die ihre innige Liebesbeziehung zu Piki torpediert, sondern etwas anderes, wie so oft lauert der Feind im Inneren des Menschen.

    Der Kommentar:
    Es kommt nicht allzu oft vor, dass die Protagonisten eines Romans psychisch kranke Menschen sind. Und dass eine Autorin, die dies geschehen lässt, ihre Protagonisten nicht in ein altbackenes, langweiliges und depressives Setting framt. Dass hier das Gegenteil der Fall ist, genau dafür mag ich „Baby Jane“. Wir befinden uns durchaus in einem anrüchigen Milieu. Aber dürfen wir darüber die Nase rümpfen? Die Menschen in dieser Umgebung versuchen, ihr Leben zu leben - wie überall.

    Ich begrüße es zudem, dass Sofie Oksanen, in dem schon 2005 in Finnland veröffentlichten Roman einige heiße Eisen anpackt: Lesbische Liebe unter psychisch Kranken ist nicht das heiße Thema ! sondern es ist die psychische Krankheit per se. Piki ist zwangsgestört und hat heftige Panikattacken, die Icherzählerin hat ähnliche Symptome, ist zudem depressiv und antriebslos. Da haben sich ja zwei gefunden, denkt man als Leserin und das ist auch so, denn alsbald wird man von der Autorin nicht nur ins Milieu geführt, sondern auch in absonderliche Geschäftsmodelle und Geschäftspraktiken, denn die Frauen, die nicht mehr in der Lage sind, einer geregelten Tätigkeit außer Haus nachzugehen, verdienen sich ihr Geld mit dem Handel von Sexfetischen. Befremdlich, aber findig. Und lustig!

    Manchmal fragt man sich jedoch schon, ob die Frauen überhaupt gesund werden wollen. Es ist nicht leicht, aber schließlich haben es schon viele geschafft, sich ihren Ängsten zu stellen. Aber das sagt sich leicht, wenn man nicht betroffen ist. Ein weiteres heißes Eisen, das die Autorin anpackt, ist Sterbehilfe.
    Das Ganze ist ein krasses Buch, sowohl vom Inhalt wie auch vom Stil her, ich mag es sehr, einerseits, weil es frisch und frech ist und andererseits weil man nicht recht weiß, ob man der Erzählstimme so richtig trauen darf. Ja, und natürlich, weil wir sehr viel mehr Romane über psychische Beeinträchtigungen brauchen, die nicht Null Acht Fünfzehn sind, sondern fetzig und mit modernem Sound. Eine kleine stilistische Kostprobe: „Stundenlang hingen wir am Telefon und träumten so heftig, dass die Hörer ganz zuckrig waren“. Man darf es freilich nicht übertreiben mit solchen Bildern und Sätzen, sonst geht die Wirkung flöten.

    Ich fühlte mich super unterhalten und ließ mich ohne Widerstand in die mir fremde Welt hineinziehen. Dass, wie eine Rezensentin, vielleicht zu Recht, bemängelte, kein Hintergrund zu den Protas geliefert wurde, hat mich nicht gestört. Nicht gestört und nicht gefehlt. Der Fokus dieses Romans liegt woanders, auf der lebenszerstörenden Kraft der Krankheit selbst. Doch obwohl der Roman funny Anteile hat, geht Sofi Oksanen nicht leichtfertig mit der schweren Thematik um und zerkalauert sie. Nein, im Gegenteil, sie zeigt Empathie, drückt aber nicht auf die Tränendrüse. Die Protagonisten werden auch nicht verklärt. Nur weil man krank ist, heißt das nicht, man ist ein guter Mensch. Allerdings auch nicht das Gegenteil. Ergo: Sofi hat (wieder?) alles richtig gemacht.

    Fazit: Ein frecher und mutiger Roman. Mehr davon.

    Kategorie: Anspruchsvoller Roman
    Kiepenheuer & Witsch, 2023

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  1. 5
    20. Jan 2023 

    „Von den falschen Taten die allerfalschesten.“

    Mit „Baby Jane“ erscheint dieser Tage der zweite Roman der finnisch-estnischen Autorin Sofi Oksanen, ins Deutsche übersetzt von Angela Plöger. Dieser 2005 erstmals auf Finnisch erschienene Roman enthält bereits alle Bestandteile späterer Werke der Autorin. Es geht um die toxische Beziehung eines lesbischen Paares, verwebt darin das Leben mit und den sozialen Abstieg aufgrund von psychischen Erkrankungen, wirft einen Blick auf den Broterwerb im Zwielicht der Gesellschaft und verortet das Ganze in der Homosexuellenszene Helsinkis.

    Wie auch schon in ihrem aktuellstem Werk „Hundepark“ erfahren wir gleich zu Beginn, in welchem Zeitraum sich die Romanhandlung abspielen wird. So legt die Autorin die Handlung von 1995 bis 2005 an. Die Ich-Erzählerin berichtet uns von ihrem Ankommen in der Gay Szene Helsinkis Mitte der 1990er Jahre. Dort initiiert wird sie durch die burschikose Piki. Eine Beschützerin, die die sehr feminine Erzählerin aufnimmt und mit Haut und Haaren in eine leidenschaftliche, lesbische Beziehung umschließt. Doch das Glück beginnt nach und nach zu bröckeln. Durch einen Zeitsprung nach nur wenigen Seiten des Buches ans Ende des genannten Zeitraums erfahren wir, dass diese Liebesbeziehung nicht gut ausgehen wird.

    Oksanen nimmt uns ganz selbstverständlich mit in die lesbische Beziehung der beiden Protagonistinnen, führt uns ein in die Szene Helsinkis, die noch halb in verborgenen Nachtclubs stattfindet und mit den Ausläufern der AIDS-Epidemie zu kämpfen hat. Sie hebt das Tabu um die Beschreibung lesbischer Sexualität auf und beschreibt intensiv die erste, leidenschaftlich-sexuelle Phase der Liebesbeziehung. Und genauso ungeschönt bewegen sich die Frauen auf eine Katastrophe zu und wir erkennen nach und nach die toxischen Anteile der Beziehung. Denn die Ich-Erzählerin, selbst an Depressionen erkrankt, erfährt nicht nur immer mehr über die stark einschränkenden psychischen Erkrankungen ihrer Geliebten und verstrickt sich in (Co-)Abhängigkeiten zu ihr, sondern findet sie auch heraus, dass eine längst verflossene Ex-Freundin Pikis, Bossa, ebenso in einer Abhängigkeit zu Piki steht und sie durch Aufrechterhaltung wiederum einer Abhängigkeit von Piki zu ihr ein gefährliches Beziehungsgeflecht heraufbeschwört. Immer stärker gewinnt die Phrase „Leidenschaft, die Leiden schafft“ hier an Bedeutung und lässt bei den Leser:innen schlimme Vorahnungen aufkommen. Es ist dabei hervorzuheben, dass die Autorin nicht einem Narrativ folgt, indem nur eine Person in der Beziehung zu deren Untergang beiträgt, sondern alle Beteiligten Fehler machen. So sagt die Erzählerin über sich selbst an einer Stelle, die habe „von den falschen Taten die allerfalschesten“ begangen. Das Aufschlüsseln dieser Beziehungsdynamiken und der entsprechenden Mechanismen gelingt der Autorin einfach ganz hervorragend.

    Besonders eindrücklich schafft es Oksanen - mal wieder - sehr gut recherchierte, gesellschaftliche Themen in den Romanplot einfließen zu lassen, ohne dass es belehrend wirkt. So erfahren die Lesenden sehr viel über psychische Erkrankungen, deren Behandlung und der, wenn nicht genügend finanzielle Ressourcen vorhanden sind, soziale Abstieg, der damit in Verbindung stehen kann. Somit verbindet sie nicht nur den Themenbereich „class“ mit psychischer Gesundheit sondern auch sexueller Orientierung. So müssen sich die Protagonistinnen einen Broterwerb (rund um sexuelle Fetische) im Zwielicht der Gesellschaft suchen, ein Themenkomplex, der immer wieder in den Werken Oksanens eine Rolle spielt. So packt sie nicht einfach nur aktuelle Problemthemen in einen Roman und erwähnt diese Probleme nur am Rande, um sie in den Ring zu werfen und en vogue zu sein. Nein, sie verhandelt ausgesuchte Bereiche, die wie oben bereits erwähnt, sehr ausführlich und gut recherchiert sind. So ist dieser Roman nicht nur erzählerisch interessant sondern auf jeden Fall ebenso intellektuell anregend.

    Sprachlich geht die Autorin gewohnt schonungslos und rasant vor. Sie nimmt kein Blatt vor den Mund und das muss man mögen. Ich mag ihre Sprache, in der tollen Übersetzung von Angela Plöger, ebenso sehr, wie den Aufbau des Romans mit seinem zu Beginn angedeutetem Unheil, welches aber en detail erst ganz zum Schluss zutage gefördert wird und überrascht. So avanciert der Roman zu einem echten Pageturner mit Niveau. Ich wurde in die Geschichte dieser Frauen, die nicht mit aber auch nicht ohne einander sein können, hineingezogen und habe entsprechend das Buch kaum weglegen können. Wegen mir hätte der Roman gern den Umfang von „Hundepark“ haben können. So bleibt es aber ein kleiner, rasant erzählter Roman, der mich trotzdem vollkommen überzeugt hat vom schriftstellerischen Können der Autorin.

    Wer also den Sprung in eine ungemütliche, schonungslose und gleichzeitig literarisch ansprechende Geschichte wagen möchte, dem empfehle ich diesen Roman aus dem Frühwerk von Sofi Oksanen sehr. Ein kleines Highlight in diesem noch jungen Jahr 2023.

    5/5 Sterne

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