Ava liebt noch
Das Cover ist sehr schön, fast poetisch, und trifft das Thema meiner Meinung nach sehr gut. Eine Frau, deren Alter nicht durch Farbe oder Falten erkennbar ist. Im Mittelpunkt die sinnlich roten Lippen. Für mich heißt das, die Sinnlichkeit oder das Verlangen nach Liebe bleibt, egal wie alt man ist.
Der Titel verführt schnell dazu zu denken : Ava lebt noch. Vielleicht ist es genau das, was dahinter steht.
Mir lief es kalt über den Rücken, als in einem fiktiven Gespräch unter Müttern diese mit " die Blusenträgerin " oder " die Schwarzhaarige mit der miesen Laune " bezeichnet wurden. Mehr Reduktion geht nicht. Denkste. In dem Gespräch, bei dem es auch über Sex geht und alle von einem jungen Mann ( Kieran?) schwärmen bezeichnen sie sich als Dörrfleisch.
So überzogen habe ich es, selbst drei Kinder aufgezogen, nicht erlebt. Aber viele Parallelen gibt es im Buch, bei denen man denken kann, ja, bin ich.
Sehr gut gelungen ist das Ende finde ich. Du auch? Dann finde es heraus.
Ava lebt mit ihrer Familie in einem Einfamilienhaus am Rande einer Neubausiedlung. Als sie hergezogen sind, zählten ihre Bedürfnisse noch, aber im Laufe ihrer Familienplanung, ist sie mit jedem Kind mehr verschwunden, seit dem Dritten, ihrem Sohn Nico, ist sie unsichtbar geworden. Der Spagat zwischen Elternabenden, Hausarbeiten, Hausaufgaben, Wäsche, Einkauf und Kochen, kostet sie alle Kraft. Wenn ihr Mann am Abend aus der Kanzlei kommt, sind Avas Augen vor Erschöpfung zugefallen. Sie hat es aufgegeben, das leidige Thema anzusprechen. Sie dürfe sich nicht beschweren, es ginge ihnen doch besser denn je. Wenn er sie berühren will, weist sie ihn zurück, ist es satt, sich verpflichtet zu fühlen, auch im Schlafzimmer noch zu performen.
Unsere Ehe ist wie eine Zimmerpflanze, über deren Pflege wir nichts wissen, weil ihr immer ein bisschen Wasser gereicht hat, um zu überleben. Und jetzt lässt sie Blätter hängen und wir stehen staunend davor, sehen zu, wie sich die Blätter gelb verfärben und einrollen, und fragen uns, was sich verändert hat. S. 42
Ava hetzt durch den Supermarkt, bis sie ihn neben den Windeln sieht. Er räumt die Babybreigläschen in die Regale. Unter seinem T-Shirt zeichnen sich die definierten Schultermuskeln ab. Vor ihr kniet der leibhaftige Adonis. Sie greift nach den Windeln, will schnell weg, aber er spricht sie an, rät ihr zu einer anderen Packung. Jetzt weiß er, der ihr Sohn sein könnte, dass sie Mutter ist, dass ihre beste Zeit hinter ihr liegt. Scham rötet ihr Gesicht.
Avas zweitälteste Tochter Mia hat genug vom Tennis. Ihre Mutter überredet sie zu einem Schwimmkurs. Sie begleitet die umgezogene Mia in das Hallenbad. Der Schwimmlehrer, der sie begrüßt, ist kein Geringerer als ihr Adonis, der sich Kieran nennt. Seine azurblauen Augen glänzen und wecken etwas in Ava, das sie längst vergessen hat. Verlangen.
Fazit: Das ist die beste Liebesgeschichte, die ich je gelesen habe. Vera Zischke hat alles richtig gemacht. Sie spielt mit dem Tabu, ältere Frau findet jungen Mann und macht es glaubhaft. Sie zeigt ihre leere Protagonistin, ausgesaugt vom Muttersein, wie viel die Kinder ihr abverlangen, wie selbstverständlich und entmenschlicht ihr Dasein ist. Ihren Mann, der so beschäftigt damit ist, erfolgreich zu sein und allein darin das Allheilmittel sieht, dass es allen gut geht. „Es geht uns doch gut Ava“! Dann spürt Ava sich wieder, ist wieder ein Mensch, geschätzt und als wertvoll erachtet. Es ist eben genau das, was die Gesellschaft gemeinhin von Frauen erwartet, in der Rolle des Fußabtreters und Putzlumpen aufzugehen, klaglos die besten Jahre ihres Lebens zu verschenken und darin Glückseligkeit zu finden. Das alles macht die Autorin sichtbar und sie berührt. Ich bin von Anfang an in die Geschichte geglitten und habe, wie die Protagonistin schwimmen gelernt. Vera Zischke war meine emotionale Schwimmlehrerin und das hat so gutgetan. Was für ein gefühlvolles, kluges Debüt, dem ich etliche Leserinnen und vor allem Leser wünsche.
Ein Glücksgriff
Normalerweise lese ich keine Liebesromane. Aber hier interessierte mich das Thema „Altersunterschied“, zu dem ich parallel „Die einzige Geschichte“ von Julian Barnes hörte. Ungekürzte Lesung. Dort wird allerdings das Thema „Altersunterschied“ völlig anders behandelt, bzw. aufbereitet.
Und: Natürlich war ich neugierig auf den Fortgang und das Ende von „Ava liebt noch“ und habe immer so sehr gehofft, dass es keine spießige Auflösung gibt.
Ich habe den Roman in nur sechs Tagen verschlungen, denn er ist so glaubhaft, nachvollziehbar und auch spannend geschrieben, dass eine wahre Geschichte zugrunde liegen MUSS.
Zu Beginn fühlt Ava sich wie eingefroren, steckt sie doch im Perpetuum Mobile des Haushalts mit drei kleinen Kindern fest. Am Anfang ist ihr Sohn Nico fünf Jahre alt, Tochter Lana ist zehn und Mia, die Älteste, ist zwölf Jahre alt. Der Ehemann findet, dass es völlig ausreicht, wenn er nur das Geld ranschafft. Es ist genug Geld, der Rest ist ihm egal. Hauptsache, Ava funktioniert wie am Fließband ohne Aussetzer.
Als die seit mehr als zwölf Jahren „in Aspik eingelegte Hausfrau“ aber beim ungeliebten wöchentlichen Großeinkauf im Supermarkt Kieran kennenlernt, haut es sie um. Sie beginnen bald eine Affäre. Und Ralf, der Ehemann, der sonst wirklich überhaupt nichts mehr merkt, kommt erstaunlicherweise schnell dahinter. Was nun?
Das Cover ist chic, zeitgemäß und passt. Der Schreibstil knallt rein und die Seiten blättern sich wie von selbst um. Ein Glücksgriff eben.
Einen Stern werte ich ab für schlunziges Lektorat, so wird aus Lana, z. B. S. 90, plötzlich Jana auf S. 189. Zudem gibt es auch noch eine wirkliche andere Jana. So was kann ich nicht ausstehen. Auch noch eine weitere Begebenheit ödet mich an, die ich hier aber nicht verraten kann, ohne zu spoilern.
Ansonsten, Fazit: Prickelnd, tolle Akteure, super Debüt. Klasse gemacht. Flüssig, fetzig, ein echter Seitenumblätterer: LEST! ****