Aus ihrer Sicht: Roman

Rezensionen zu "Aus ihrer Sicht: Roman"

  1. nicht nur aus ihrer Sicht

    Alessandra ist das Mädchen, aus dessen Sicht dieses Buch geschrieben wurde.
    Sie wächst in einem ärmlichen römischen Haushalt auf, zusammen mit ihren Eltern und der Hausdienerin.
    Die Mutter, eine feinsinnige Pianistin, die als Klavierlehrerin Geld verdienen muss ist ihre absolute Bezugsperson, der sie in jeder Hinsicht ähnlich ist.
    Sie öffnet ihr die Augen und schärft ihre Sinne für die Umwelt, die Natur, das Leben der Frauen des Südens, wo man heiratet um Kinder zu bekommen, das Leben der Männer des Südens, die erst spät nach Hause kommen, erwarten, dass das Essen auf dem Tisch steht und die Hemden gebügelt sind. Die Männer, die ihr Leben getrennt von den Frauen führen, geschuldet der Tradition, der Erziehung, der Religion und der Armut, sind das ewige Thema.
    Alessandras Eltern leben so.
    Der Vater ist innerlich und äußerlich fern von den Frauen der Familie, ein kleiner Beamter, der keinerlei Interesse oder gar Verständnis hat für die Sensibilität und Feinsinnigkeit von Frau und Tochter, im Gegenteil, er verhöhnt, verlacht und verbietet sogar.
    So sieht das Männerbild von Alessandra aus, bis sie jemanden heiratet, von dem sie will, dass er ganz anders sein soll.
    Alessandra hat eine naive Vorstellung von der idealen Liebe, ähnlich der, wie man sie in den englischen Romanen des 19. Jahrhunderts findet, romantisch, mädchenhaft, märchenhaft, ewiges Verliebtsein, niemals sich ändernd. Sie soll nicht den Zwängen des alltäglichen Lebens unterworfen sein.
    Alessandras Leben ist völlig verschieden von dem typischen Leben der damaligen italienischen Frau und doch ist es ihr nicht genug, sie will den Freiraum, den sie hat nicht selbst füllen. Sie will wahrgenommen werden, unbedingt reflektiert werden, in der Person ihres Geliebten. Sie ist übersensibel, sie steigert sich hinein in diese nicht zu stillende Sehnsucht nach dem absoluten Aufgehen in der Person des Geliebten. Bis zu einer tiefen Verzweiflung.
    Ihr Mann lebt in seiner Männerwelt und kann ihr das was sie braucht nicht geben. Kein erfahrener Mensch ist um sie, der ihr das Leben erklären könnte.
    Und so nimmt das Schicksal seinen Lauf.

    Alba de Céspedes hat ein Buch geschrieben vom Erwachsenwerden, vom Erwachsensein, ein Buch von Männern und Frauen, ein Buch von grundverschiedenen Arten zu leben, von früher und von heute und vor allem ein Buch von der Liebe, die, nicht richtig verstanden, zu einer großen Qual werden kann.
    Ihr Buch erfüllt die Kriterien der guten Literatur: prodesse et delectare, nützen und erfreuen, belehrend und unterhaltend.

    Unbedingt lesenswert ist im Nachwort die Analyse von Barbara Vinken.

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    01. Mär 2023 

    Enttäuschend!

    Alba des Cespedes, 1911 in Rom geboren und 1997 in Paris gestorben, war eine italienische Schriftstellerin, Journalistin und Widerstandskämpferin. Der Suhrkamp-Verlag lädt nun die deutsche Leserschaft ein, die fast vergessene Autorin zu entdecken. 2022 erschien ihr Roman „ Das verbotene Notizbuch“ und nun „ Aus ihrer Sicht“, das als ihr Hauptwerk angekündigt wurde. Beide Romane sind Neuübersetzungen.
    „ Das verbotene Notizbuch“ habe ich gerne gelesen und war nun voller Vorfreude auf diesen Roman.
    Die Geschichte beginnt in den späten 1920er Jahren und endet kurz nach der Befreiung Roms durch die Alliierten im Jahr 1944. Protagonistin ist Alessandra Corteggia, die Ich- Erzählerin. Sie wächst in kleinbürgerlichen Verhältnissen auf. Der Vater ist ein steifer Bürokrat, während die Mutter, aus einer Künstlerfamilie stammend, sich für schöngeistige Dinge interessiert. Die Ehe des ungleichen Paares wird durch den Tod des dreijährigen Sohnes noch stärker belastet. Alessandra, kurz danach geboren, fühlt sich als mangelhafter Ersatz für den Bruder. Die Verbindung zur Mutter aber ist inniglich. Die, eine begabte Pianistin, verschafft dem Mädchen Zugang zu Musik und Literatur. Aber gleichzeitig legt sie den Grundstock für das idealisierte Bild von der Liebe, das Alessandra ihr Leben lang hat.
    Nach dem tragischen Tod der Mutter wird die Heranwachsende zu Verwandten in den Abruzzen geschickt. Zur Großmutter gibt es eine enge Beziehung, obwohl deren archaische Vorstellung vom Matriarchat konträr zu Alessandras Vorstellung vom Leben steht.
    Als ihr beinahe erblindeter Vater plötzlich ohne Dienstmädchen dasteht, nutzt sie die Gelegenheit, um nach Rom zurückzukehren. Sie führt ihm den Haushalt und nimmt gleichzeitig ein Studium auf.
    Dort trifft sie den um einige Jahre älteren Philosophiedozenten Francesco und verliebt sich unsterblich in ihn. Die beiden heiraten, aber die Ernüchterung kommt bald. Francesco ist im Widerstand tätig. Seine ganze Energie gilt dem politischen Kampf. Seine Frau vermisst nun schmerzhaft die zärtlichen Gesten, die intensiven Gespräche von früher. Doch ein Austausch darüber findet zwischen den Eheleuten nicht statt. Alessandra verrichtet geduldig die anfallenden Arbeiten im Haus und trägt mit ihrem Bürojob wesentlich zum Unterhalt bei. Innerlich aber leidet sie unter der Alltagsroutine und der Lieblosigkeit in ihrer Ehe, liegt nachts wach „ hinter der Mauer abgewandter Schultern.“
    Daran ändert sich auch nichts, als Francesco nach den Zeiten im Untergrund und im Gefängnis endlich wieder daheim ist. Schließlich „befreit“ sich Alessandra in einer Verzweiflungstat.
    Das klingt nun alles sehr nach viel Spannung und Dramatik. Doch schon lange habe ich mich nicht so durch ein Buch gequält.
    Die Autorin prangert hier die patriarchale Gesellschaft zu jener Zeit an. Die Frauen werden umworben bis zur Hochzeit, danach haben sie sich mit ihrer Rolle als Hausfrau und Mutter zufrieden zu geben. An ihnen hängt die ganze Arbeit und die Verantwortung für die Familie. Männer bestimmen und Frauen und Kinder haben sich zu fügen.
    Die Ehe ist für Alba de Cespedes das Ende einer jeden Liebe. Es gibt keine einzige glückliche Ehe im Roman. Entfremdung, Untreue, Gleichgültigkeit oder Kälte bestimmen das Zusammenleben. Alessandra wünscht sich eine Ehe, die auf bedingungsloser Liebe basiert und nicht auf Gewohnheit oder Pragmatismus.
    Natürlich teile ich die Forderung der Autorin nach Gleichberechtigung der Geschlechter. Und zu einer glücklichen Beziehung gehört der Austausch auf Augenhöhe unbedingt dazu.
    Aber diese Botschaft habe ich bald verstanden, trotzdem wird sie mir auf über 600 Seiten wieder und wieder erklärt.
    Das Buch hat eindeutige Längen und ermüdet in seiner Redundanz.
    Konnte mich die atmosphärisch dichte Beschreibung der Kindheits- und Jugendjahre noch einigermaßen fesseln, war meine Geduld spätestens mit der Liebesgeschichte zu Ende. Die Hauptfigur hat mich regelrecht genervt mit ihrer schwärmerischen und naiven Idealisierung der Liebe.
    Erwartet habe ich, wie es der Klappentext suggeriert, die Emanzipation einer Frau vor dem Hintergrund der politischen Verhältnisse jener Zeit. Doch Faschismus und Krieg kommen nur am Rande vor. Wissen um die politischen Verhältnisse wird vorausgesetzt, Mussolini selbst tritt nur als „ arrogante Stimme“ aus dem Radio auf.
    Ja, es stimmt. Alessandra arbeitet zeitweise tatsächlich für den Untergrund, aber weniger aus politischer Überzeugung, sondern vielmehr um so ihrem inhaftierten Mann nahe zu sein, ihm ebenbürtig zu sein.
    Das Nachwort von Barbara Vinken am Ende des Buches geht auf die Bedeutung und Grundaussage von Alba de Cespedes ein.
    Der Roman hat für mich Patina angesetzt. Er wirkt, auch durch seine Schreibweise, leicht verstaubt. Und er verletzt eine der Grundregeln der Literatur: Du sollst mich nicht langweilen!

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  1. Alba de Céspedes, geb. 1911

    Alba de Céspedes, geb. 1911 war eine italienische Schriftstellerin mit kubanischem Vater, die sich für die Rechte der Frauen einsetzte. Zwei ihrer Bücher, die schon früher bei uns erschienen waren, wurden jetzt neu aufgelegt.

    Aus der Sicht einer Frau, nämlich Alessandras, die ca. 1920 in Italien geboren wurde, wird ein Leben erzählt. Als Kind hatte sie es nicht einfach. Alessandro, ihr Bruder, war im Alter von drei Jahren ertrunken und von klein an stand neben ihr das Phantombild des hochbegabten Bruders.
    Sehr anschaulich und lebendig wird das Leben der Familie in einem großen Mietshaus in Rom geschildert. Trotz weniger Einnahmen war ein Dienstmädchen üblich. Der Vater als Ernährer entsprach dem damaligen Rollenbild des alleine bestimmenden Familienoberhauptes, alle Arbeiten im Haus waren einzig Sache der Hausfrau. Kleine Freiräume und positive Erlebnisse schufen sich die Frauen durch ihre Freundschaften und Treffen während der Abwesenheit der Männer.
    A.s Mutter, eine schöne, gebildete und elegante Frau, war eine gute Pianistin und trug mit Klavierstunden zum Familieneinkommen bei, musste alle Einkünfte jedoch dem Oberhaupt der Familie aushändigen. Sie legte bei der Erziehung ihrer Tochter viel Wert auf Schulbildung, Literatur und Musik, was in diesen Kreisen nicht üblich war, da das einzige Ziel einer Frau sein sollte, zu heiraten und Kinder zu bekommen.
    „Meiner Mutter war es zu verdanken, dass ich ein glückliches Kind geworden war. Sie hat mich gelehrt, mich mit wenigen materiellen Dingen zu begnügen und mich mit allem anderen reich zu fühlen.“
    Von Anfang an erzeugt der anschauliche und einfühlsame Sprachstil eine Atmosphäre, die den Leser tief in das Leben dieser Zeiten eintauchen lässt. Überhaupt liegt die besondere Stärke des Buches im Reichtum des sprachlichen Ausdrucks, mit dem C. ihre Welt beschreibt und von den Ereignissen erzählt. Die Übersetzerin hat m.E. eine sehr gute Arbeit geleistet.
    „In dieser Straße beanspruchen die Bäume den ganzen Raum, knorrige Platanen, deren lange dichtbelaubte Äste voller Vögel sich miteinander verflechten, so dass der Blick zum Himmel versperrt ist. Die Häuser sind hoch und düster. Und abends setzen sich die Bewohner des Erdgeschosses ans Fenster um das bisschen frische Luft zu schnappen, das zwischen Blättern und Mücken zu ihnen dringt... Hinter ihnen sind dunkle, schäbige Räume zu erkennen und in ihren Augen liegt eine unendliche Traurigkeit.“
    Nach tragischen Ereignissen wurde A. als Heranwachsende vom Vater zur Großmutter auf ein Dorf in die Abruzzen geschickt, wo sie lernen sollte, sich zu fügen, auch wollte man sie dort verheiraten. In der kurzen Verbindung mit Paolo erfährt der Leser von ihren hohen und romantischen Ansprüchen an die Liebe:
    „Aber ich war nicht glücklich. Immer lag ein dichter Schleier zwischen diesem Spaziergang und einem glücklichen Spaziergang......Seit dem Tod meiner Mutter erschufen Worte nicht mehr die poetische, faszinierende Welt um mich her, in der ich mich lebendig fühlte. Ich wusste, nur wenn ich mit einem Mann in dieser Sprache würde reden können, würde ich Liebe und Glück erfahren.“
    Auf dem Land waren die Machtverhältnisse anders, denn die Großmutter war eine starke Frau, die bestimmte. Sie erkannte die Fähigkeiten Alessandras, ließ sie weiter lernen und wollte sie zur Erbin einsetzen. Das Leben auf dem Land, das Zusammenleben mit der Großfamilie und dabei die Veränderungen A.s durch das Heranwachsen zur Frau, bestimmen diesen Abschnitt, der bis etwa zur Mitte des Buches geht. Mit Beginn des Krieges musste A. nach Rom zurück, weil ihr Vater sie brauchte.
    Nun die lange zweite Hälfte des Buches, etwa parallel zur Zeit des 2. Weltkriegs. Hier wurden die Ereignisse zu ausführlich dargestellt, auch wenn sie zum Vorangehen der Handlung nicht viel beitrugen, was dem Fluss des Lesens eher schadete.
    Alessandra lernt Francesco kennen und lieben und heiratet ihn. F. ist Dozent der Philosophie und politisch engagiert, während des Krieges im antifaschistischen Untergrund. Für ihn stehen Beruf und Politik an erster Stelle im Leben, auch er erwartet von seiner Ehefrau seine Ziele zu unterstützen, auf eigene zu verzichten.
    Als sie zu ihrem Vater bei der Hochzeit sagt, dass sie glücklich ist, hat er treffend erkannt ...“Ich dachte, für dich würde es schwer sein, glücklich zu werden“ Tatsächlich war sie in ihrer Ehe nicht glücklich, ihre Erwartungen von Liebe und Ehe verstand ihr Mann nicht. Lange Zeit war sie alleine, da F. im Widerstand arbeitete oder verhaftet war. Sie tat alles, um seine Liebe und Anerkennung zu finden, engagierte sich selbst im Widerstand, was der Vorstellung Francescos von einer Ehefrau jedoch widersprach. Einem anderen Mann, der sie sehr liebte, widerstand sie und träumte weiter von der Erfüllung ihrer Liebe zu F.. Als sie nach seiner Rückkehr fühlte, dass ihre Hoffnungen niemals erfüllt werden können, befreite sie sich aus dieser Ehe wie sich ihre Mutter aus ihrer befreite, nur auf eine andere Art.

    Die Stärke des Romans liegt zum einen in seinem einfühlsamen und sehr anschaulichen Schreibstil, der den Leser in die geschilderten Situationen versetzt und starke Bilder erzeugt. Zum anderen wird die Rolle der Frau im Italien der damaligen Zeit mit all ihrer Problematik dramatisiert. Die Schwäche sehe ich in der unangemessenen Ausführlichkeit im zweiten Teil, der nur ausdauernde Leser bis zum Ende durchhalten lässt.

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  1. Eine problematische Liebesgeschichte im faschistischen Italien

    Die Seelenqualen und Eheprobleme einer jungen Frau – von wegen Politisierung oder Emanzipation, langweilig, 300 Seiten zu viel

    Die ersten Sätze fand ich noch interessant: 'Ich begegnete Francesco Minelli zum ersten Mal am … 1941 in Rom' (9), aber dann kommt dieser Mann Hunderte von Seiten nicht mehr vor. Statt dessen wird in epischer Breite, in für mich langweiliger Ausführlichkeit die Kindheit und Jugend von Alessandra ausgebreitet, was sie geprägt und beeinflusst hat: die Probleme der Mutter, der frauenfeindliche, tyrannische Vater, die Freundin. Da wäre weniger mehr gewesen. Vor allem hatte ich den Eindruck, dass immer das Gleiche noch einmal geschildert wurde.

    Kapiteleinteilungen gibt es im ganzen Buch von 614 Seiten nicht, wohl aber Einschnitte, z.B. nach dem Tod der Mutter. Ein neuer Lebensabschnitt beginnt, der mir im Buch am besten gefallen hat: Alessandra wird zu den Verwandten des Vaters in die ländlichen, ärmlichen Abruzzen geschickt, trifft dort auf Onkel und Tanten, die alle im großen Gutshaus leben und wo erstaunlicherweise eine Frau das Sagen hat: die ehrwürdige Großmutter, die Padronin. Sie hat ihre festgefügten Ansichten, wie eine Frau zu leben hat.

    'Frauen müssen ein Leben führen, das ihrem Wesen und ihrer Natur, ihren Gefühlen und ihren Impulsen entgegensteht. Deshalb müssen sie sehr stark sein.' (209)

    Alles, was sie zum Frauen-Männer-Thema sagt, klingt durchaus klug, ist aber ein herkömmliches, archaisch anmutendes Frauenbild, dem Alessandra nicht entsprechen kann und will. Sie hat ihre eigenen Ansichten – womit sie natürlich aneckt – und setzt durch, dass sie ihr Examen machen darf, weil sie später studieren will. Die Großmutter mag sie, erkennt aber, dass das Leben in den Abruzzen nichts für Alessandra ist und lässt sie zurück nach Rom gehen, zum Vater, der inzwischen fast blind ist und Hilfe braucht.

    Und jetzt fängt Alessandra an, mich richtig zu nerven. Wirkte sie in den Abruzzen noch selbstbewusst und ein bisschen rebellisch, so ordnet sie sich nun komplett dem gängigen Frauenbild unter. Sie führt ihrem Vater den Haushalt und lässt sich von ihm tyrannisieren. Dazu hat sie einen Bürojob und studiert nebenbei.

    'Da wurde mir klar, dass nur Männer Stärke und Sicherheit besaßen.' (270) - 'Fast alle Frauen verrichteten zu Hause die Arbeit eines Dienstmädchens...' (446). Mal nebenbei bemerkt, was für eine verächtliche Einstellung den Dienstmädchen gegenüber, auch die von Frauen vertreten!

    Und endlich kommt der anfangs erwähnte Francesco ins Spiel, ca. 10 Jahre älter, Dozent für Rechtsphilosophie und Antifaschist, der in der Widerstandsbewegung aktiv ist und unter Polizeibeobachtung steht. Sie verlieben sich, heiraten, aber Alessandra kommt mit der Eintönigkeit und der Routine des Ehelebens nicht zurecht. Sie vermisst die anregenden Gespräche, die Verliebtheit der ersten Zeit und hat den Eindruck, dass Francesco ihr nie zuhört. Da alles aus ihrer Sicht geschildert wird, kann ich nicht beurteilen, inwieweit sie Recht mit ihren Eindrücken hat.

    Francesco hat wegen seines Engagements große Probleme, muss sich verstecken, wird verhaftet und als er zurück kommt und natürlich weiterhin in der Resistenzia aktiv ist, hat sie nur im Kopf, mit ihm 'in den Park zu gehen' (574). Da kann ich nur sagen: armer Francesco!

    Wie es weiter geht, wie es endet, soll wie immer nicht verraten werden, denn ein ganz klein wenig Spannung soll für eventuelle Leser erhalten bleiben.

    Allerdings kann ich dieses Buch aus folgenden Gründen nicht empfehlen:

    Es ist langweilig:
    Es ist zu redundant. Die immer wieder gleichen Szenen und Probleme wiederholen sich. Ohne Rezensionsverpflichtung hätte ich vorzeitig abgebrochen.

    Männer- und Frauenbild:
    Ständig wird den Männern vorgeworfen, dass sie die Frauen ausnutzen und auf KKK reduzieren: Kinder, Küche, Kirche. - 'Männer und ihr tyrannisches, egoistisches System' (30). Das mag in Teilen stimmen, aber das verächtliche Bild, das hier von Männern gezeichnet wird, gefällt mir ebenso wenig. De Céspedes lässt kaum ein gutes Haar an ihnen: 'Die Männer sind alle gleich. Männer bringen nur Unglück' (161) und weitere derartige Verallgemeinerungen.

    'Sie (die Männer) glaubten, die Liebe sei für ihre Lebensgefährtinnen nur ein kurzes Märchen gewesen, ein leichtes Hochgefühl, das nötig war, um Hausfrau und Mutter zu werden und dann ihr ganzes Leben dem Einkaufen und der Küche zu widmen.' (109)

    Der Klappentext weckt falsche Erwartungen
    Er suggeriert, dass sich Alessandra in den Abruzzen 'politisiert', aber das stimmt nicht. Sie setzt zwar für sich durch, dass sie ihre Examen in der Schule machen darf, aber politische Aktionen ihrerseits kommen erst nach 500! Seiten vor, als sie kurz für den Widerstand tätig ist. Aber auch das hat keinen politischen Hintergrund, sondern sie tut es nur wegen und gegen Francesco, der sie zu ihrer eigenen Sicherheit in die Abruzzen hatte schicken wollen. Von Politisierung kann also auch hier keine Rede sein. Da frage ich mich, ob der/die VerfasserIn des Klappentextes das Buch überhaupt gelesen hat.

    '...dass ich das alles getan hatte, um auch die Seite von ihm kennenzulernen, unter der ich litt...' (561) – 'Das war meine Art, mit dir zu sprechen, dich zu erreichen.' (567)

    Fazit: leider keine Lese-Empfehlung

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    18. Feb 2023 

    Furchtbar langweilig

    „Aus ihrer Sicht“, der dritte Roman der Autorin, erschien bereits 1949. Er spielt vor dem Hintergrund des italienischen Faschismus; seine Heldin, Alessandra, ist die Tochter einer begabten Pianistin, die ihre Träume für die Ehe mit einem Beamten aufgab. Nach dem Freitod der Mutter lebt sie eine Weile bei Großmutter auf dem Land; zurück in Rom verliebt sie sich in Francesco, einen älteren Philosophiedozenten, der sich in der Resistenza engagiert. Nach ihrer Heirat ziehen sie in eine gemeinsame Wohnung, und die hypersensible, romantische Alessandra, die sich geschworen hat, niemals eine Ehe wie ihre Eltern zu führen, beginnt, an ihrem Ehealltag zu verzweifeln.

    De Céspedes beschreibt ein immer noch aktuelles Phänomen: Der romantische, liebevoll interessierte Liebhaber fällt im Alltag in sein eigentliches Wertesystem zurück. Nicht die Liebesbeziehung steht an erster Stelle, sondern der Beruf und seine persönlichen Neigungen. Allerdings kann uns in der Gegenwart ihre monokausale Erklärung nicht mehr überzeugen: Es ist nicht die Institution der Ehe, die dafür verantwortlich ist, sondern eine komplexe Genderkonditionierung - was uns in Zeiten der Pandemie wieder einmal vor Augen geführt worden ist.

    Zwar thematisiert der Roman auch den antifaschistischen Widerstand und kritisiert im Besonderen die Ablösung der faschistischen Doktrin durch das Diktat des Konsums, eingeführt durch die amerikanische Besatzungsmacht. Aber letztlich ist die Historie nicht mehr als eine Folie für Alessandras Kampf darum, in ihrer Ehe wahrgenommen zu werden. Sie sieht ihrem Mann beim Schlafen zu und verzweifelt an "... der unüberwindlichen Mauer männlicher Schultern." Manches liest sich durchaus gegenwärtig: „Wenn sie in ihrer Karriere […] einen Fehler machen, ist ihnen das peinlich, doch niemals ist es ihnen wichtig, keinen Fehler in der Liebe zu machen.“ Frauen hingegen wissen, dass es nichts Wichtigeres gibt als die Liebe. „Aber Männer mögen keine Frauen, die so etwas begreifen. Sie kapseln sich lieber ab […].“. An anderer Stelle wiederum mutet der Roman eher altmodisch an: Alessandra hätte mit Tomaso, einem Freund ihres Mannes, die Gelegenheit, ihre Sehnsucht nach Nähe und Intimität zu stillen, aber sie will die „Reinheit“ ihrer Liebe nicht beschmutzen und versagt sich diese Erleichterung. De Céspedes erlaubt ihrer Protagonistin nicht, sich von ihrer Liebe zu emanzipieren und, so wie die Männer, ihre Bedürfnisse an die erste Stelle zu setzen. Stattdessen belässt sie ihre Protagonistin in ihrer Unfreiheit. Daher lese ich den Roman nicht, wie er häufig interpretiert wird, als feministisches Statement, sondern als eine fast schon kitschige Ode an die Liebe.

    Alessandra geht ebenfalls in den antifaschistischen Widerstand, aber aus den falschen Gründen: Sie hofft, ihrem Mann endlich auf Augenhöhe begegnen zu können. Aber zwischen Mann und Frau ändert sich nichts, obwohl die Frauen im Krieg ihre Gleichwertigkeit vielfach bewiesen haben. Alessandras Ohnmacht mündet in einer Verzweiflungstat; der Roman ist der Rückblick darauf, „aus ihrer Sicht“ geschrieben.

    So dramatisch Story und historischer Hintergrund klingen, der Roman löst sein Versprechen der Spannung nicht ein. Die ersten 100 Seiten fand ich noch leidlich interessant, aber die Message ist bald klar; sie muss nicht in endlosen Variationen wiederholt werden. Dennoch werden die Empfindungen der Protagonistin so minutiös und kleinteilig beschrieben, dass mein Interesse dafür zusehends schwand. Im Mittelteil, also gut 300 Seiten lang, fand ich die Längen fast unerträglich, und erst im letzten Fünftel konnte mich der Text wieder fesseln. Spannung entsteht nur daraus, dass man auf die Bestätigung eines Verdachtes hinliest, nämlich den, dass Alessandra diesen Text im Gefängnis schreibt. Dafür aber ist der Spannungsbogen zu lang und muss zu viel überbrücken. Die kluge Analyse in Barbara Vinkens Nachwort steckt einem gleich eine ganze Lichterkette auf; mit dem langatmigen, anstrengenden Leseerlebnis versöhnte es mich jedoch nicht.

    Fazit: Ein frühes, feministisches Manifest, das durch Redundanz langweilt, veraltete Schlüsse zieht und mit seiner antiquiert kompromisslosen Überhöhung des Liebesideals nicht mehr überzeugen kann.

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