Atlas der abgelegenen Inseln

Buchseite und Rezensionen zu 'Atlas der abgelegenen Inseln' von Judith Schalansky
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5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Atlas der abgelegenen Inseln"

Fünfzig Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde
Buch mit Leinen-Einband
Dass es immer noch Orte gibt, die schwer zu erreichen sind, erscheint uns heute nicht mehr vorstellbar. Judith Schalansky aber hat sie gesammelt: fünfzig entlegene Inseln, die in jeder Hinsicht weit entfernt sind, entfernt vom Festland, von Menschen, von Flughäfen und Reisekatalogen. Aus historischen Begebenheiten

und naturwissenschaftlichen Berichten spinnt die Autorin zu jeder Insel eine Prosaminiatur, absurd-abgründige Geschichten, wie sie nur die Wirklichkeit sich auszudenken vermag, wenn sie mit wenigen Quadratkilometern im Nirgendwo auskommen muss. Sie handeln von seltenen Tieren und seltsamen Menschen - von gestrandeten Sklaven und einsamen Naturforschern, verirrten

Entdeckern und verwirrten Leuchtturmwärtern, meuternden Matrosen und vergessenen Schiffbrüchigen, braven Sträflingen und strafversetzten Beamten, kurzum: von freiwilligen und unfreiwilligen Robinsons.

Nicht zuletzt fasziniert dieser außergewöhnliche Atlas durch seine aufwendige und besonders schöne Gestaltung. Kunstvoll illustriert und durchgehend in fünf Sonderfarben gedruckt, zeigt er nach Ozeanen geordnet alle Inseln im jeweils identischen Maßstab. Damit entführt uns Judith Schalansky zu fünfzig entlegenen

Orten - von Tristan da Cunha bis zum Clipperton-Atoll, von der

Weihnachts- bis zur Osterinsel - und beweist, dass die abenteuerlichsten Reisen immer noch im Kopf stattfinden: mit dem Finger auf der Landkarte.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:144
Verlag: Mare Verlag
EAN:9783866481176

Rezensionen zu "Atlas der abgelegenen Inseln"

  1. 5
    31. Dez 2017 

    Irgendwo im Nirgendwo...

    Die Einsamkeit liegt im Nordpolarmeer - und Amsterdam mitten im Indischen Ozean, doch weit weg von den farbenblinden Pingelapesen. Wohl verrückt geworden? Aber nein, das sind nur drei der insgesamt fünfzig Inseln, die Judith Schalansky in diesem außergewöhnlichen Atlas vorstellt.

    Moment mal: Wer liest denn wohl einen Atlas? "Ich nicht!", hätte ich vor einem Blick in dieses Buch im Brustton der Überzeugung gesagt, und tatsächlich fand ich die schulisch genutzten Diercke-Exemplare meist eher staubig und ziemlich langweilig. Doch Judith Schalansky hat sich den Exoten gewidmet, unzugänglichen Fleckchen Erde, weitab in den Ozeanen der Welt, oft so weit entfernt von ihrem Mutterland, dass sie nicht mehr auf die nationalen Karten passen: "Fünfzig Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde." Eben.

    Dieser Untertitel macht neugierig, und nach einem ersten Durchblättern war mir klar, wie unterschiedlich diese dargestellten Inseln sind. Sei es von der Entstehung her (vulkanischen Ursprungs oder entstanden durch die Abglagerungen von Korallen oder das Ergebnis von Aufwerfungen durch die Verschiebung tektonischer Platten), sei es bezogen auf das Klima (tropische Bedingungen bis hin zur unwirtlichen Eiswüste) oder aber auch hinsichtlich der Entdeckungsgeschichte, der Nutzung, der Bewohnbarkeit... Was sich jetzt vielleicht doch lesen mag wie 'typsich Atlas', wird hier aber eher 'nebenbei' vermittelt.

    "Viele abgelegene Inseln erweisen sich als doppelt unerreichbar. Der Weg zu ihnen ist lang und beschwerlich, die Anlandung lebensgefährlich bis unmöglich, und selbst wenn sie gelingt, entpuppt sich das so lang ersehnte Land häufig genug - als hätte man es nicht schon geahnt - als öde und wertlos (...) Nicht selten macht sich bei den wenigen Besuchern vor Ort das blanke Entsetzen breit, und im Angesicht des deutlich begrenzten Raumes schleicht sich wie von selbst der beunruhigende Gedanke an das Risiko ein, zurückgelassen zu werden und bis ans Ende der Tage hier, auf einer einsamen Insel, ein Dasein fristen zu müssen." (S. 15 ff.)

    Judith Schalansky versteht den Begriff 'Atlas' eher in seiner ursprünglichen Bedeutung: 'Theatrum orbis terrarum' - 'Theater der Welt' - und versucht diesem in ihren Schilderungen gerecht zu werden. Gerade die Abgeschlossenheit der Inseln und ihre abgelegenen Positionen führen, sofern sie bewohnt sind, oft zu skurrilen Auswüchsen menschlichen Verhaltens. Eine unumgängliche Kindstötung im Sinne einer Geburtenkontrolle findet sich hier ebenso wie Vergewaltigung, Mord und Kannabalismus, selbsternannte Könige und Kaiserinnen genauso wie Völkerrechtsbrüche durch das Initiieren ökologischer Katastrophen oder auch das Zünden von Atombomben.

    "Das Paradies mag eine Insel sein. Die Hölle ist es auch." (S. 18)

    Dieser außergewöhnliche Atlas fasziniert neben dem ungewöhnlichen Schwerpunkt auch durch seine aufwändige und liebevolle Gestaltung. Kunstvoll illustriert, zeigt er nach Ozeanen geordnet alle Inseln im jeweils identischen Maßstab. Dem jeweiligen Ozean ist auf leuchtendem Orange gedruckt eine Übersichtskarte vorangestellt, so dass die Lage der im Anschluss näher vorgestellten Inseln deutlich wird. Dabei sind die Landmassen der Kontinente nur in schemenhaftem Grau angedeutet, was die Aufmerksamkeit auf die Inseln selbst lenkt.

    Der Vorstellung der einzelnen Inseln ist jeweils eine Doppelseite gewidmet: rechts auf blauem Hintergrund die graphische Darstellung des Eilandes (eben wie in einem Atlas), links Wissenswertes zu der Insel. Dabei befinden sich die grundlegenden Informationen wie der Name der Insel in verschiedenen Sprachen, die genaue Lage, die Darstellung auf der Weltkugel, die Entfernungen zu den nächstgelegenen Landmassen sowie ein Zeitstrahl, auf dem die wichtigsten Ereignisse rund um das Eiland festgehalten wurden, im oberen Drittel der Seite. Die anderen zwei Drittel der Seite sind nicht etwa der Nutzung der Insel gewidmet, den klimatischen oder topographischen Gegebenheiten, sondern, zu meiner positiven Überraschung, jeweils einer besonderen Anekdote, die sich auf der jeweiligen Insel zugetragen hat.

    "Jedoch sind es gerade die schrecklichen Begebenheiten, die das größte erzählerischen Potenzial haben und für die Inseln der perfekte Handlungsort sind. Während die Absurdität der Wirklichkeit sich in der relativierenden Weite der großen Landmassen verliert, liegt sie hier offen zutage. Die Insel ist ein theatraler Raum: Alles, was hier geschieht, verdichtet sich beinahe zwangsläufig zu Geschichten, zu Kammerspielen im Nirgendwo..." (S. 19)

    Diese Anekdoten sind lehrreich und unterhaltsam, stellen historische und naturwissenschaftliche Informationen in den Vordergrund - und vor allem den Menschen selbst. Von gestrandeten Sklaven ist hier ebenso die Rede wie von einsamen Naturforschern, verirrten Entdeckern und verwirrten Leuchtturmwärtern; meuternde Matrosen schaffen sich ebenso ihr Refugium wie vergessene Schiffbrüchige, Sträflinge sind kaum besser dran als ihre Bewacher. Hier lässt sich mindestens so viel über die menschliche Natur lernen wie über die sachlichen Fakten zu den Inseln.

    Fünfzig entlegene Inseln, die garantiert in keinem Reisekatalog auftauchen, die aber, sorgfältig recherchiert wie hier, in jedem Fall gut sind für eine interessante und lehrreiche Lektüre. Nicht nur das Durchblättern lohnt sich hier, der Atlas will tatsächlich gelesen werden. Und das habe ich gerne und mit wachsendem Vergnügen getan.

    © Parden

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