Apeirogon

Buchseite und Rezensionen zu 'Apeirogon' von Colum McCann
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5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Apeirogon"

Autor:
Format:Taschenbuch
Seiten:608
EAN:9783499271878

Rezensionen zu "Apeirogon"

  1. Es gibt immer zwei Seiten, immer

    „Ein Stein führt zu einer Kugel. Der nächste Selbstmordanschlag führt zum nächsten Luftangriff. Und immer so weiter.“ (Zitat Seite 288)

    Inhalt
    Abir Aramin, ein Mädchen aus Palästina, ist erst zehn Jahre alt, als sie von einem jungen israelischen Grenzpolizisten erschossen wird. Zehn Jahre davor war die junge israelische Studentin Smadar Elhanan bei einem Anschlag von drei Selbstmordattentätern getötet worden. Bassam Aramin, Abirs Vater, und Rami Elhanan, Smadars Vater, treffen zum ersten Mal in einer Gruppe von trauernden Menschen aufeinander, Israelis und Palästinenser, die nahe Angehörige und Freunde in diesen langen Jahren des Nahost-Konflikts verloren haben. Sie erkennen, dass sie eine gemeinsame, tiefe Trauer eint, und der Wunsch nach Frieden. Das ist der Beginn einer Freundschaft und des gemeinsamen, unermüdlichen Einsatzes für den Frieden.

    Thema und Genre
    Diese Geschichte ist ein facettenreicher politischer Roman, geschrieben in einer sehr poetischen Erzählsprache. Die Figuren sind fiktiv und stehen dennoch für ungezählte reale Schicksale, wie sie in diesem Konflikt täglich passieren. Es geht um Palästina und die israelische Besatzung. Dieser zeitlos aktuelle Roman ist 2020 erschienen, doch hat er in diesen Wochen eine nochmals neue Brisanz erhalten. Diese Geschichte ist ein Plädoyer dafür, friedlich Seite an Seite zu leben, zu lernen, miteinander auszukommen.

    Erzählform und Sprache
    Ein Apeirogon ist eine Figur mit einer zählbar unendlichen Menge an Seiten. So wird auch diese Geschichte in zwei Mal fünfhundert kurzen Kapiteln mit vielen unterschiedlichen Themen und Informationen geschildert, der erste Teil in einer Aufwärtsbewegung von eins bis fünfhundert Abschnitten, der zweite Teil als Abwärtsbewegung von fünfhundert bis zurück zu eins. Erzählt wird jedoch nicht nur die Geschichte von Rami und Bassam, sondern diese ist eingebettet in eine weite Fülle von Ideenschnipseln, sei es die politische Lage betreffend, die Geschichte Palästinas, die Menschen, aber auch die Natur, immer wieder taucht das Thema Zugvögel auf, die Schwingen der Freiheit über die von Menschen errichteten Mauern hinweg. Die Sprache ist bilderreich, intensiv, poetisch und beeindruckend.

    Fazit
    Apeirogon ist ein eindringlicher Roman mit einer zeitlos beklemmenden Aktualität. Kurz gesagt geht es darum, dass es immer zwei Seiten gibt, immer. „Jenseits von Richtig und Falsch liegt ein Ort; dort treffen wir uns.“ Diese auf Seite 312 zitierte Aussage stammt von dem persischsprachigen Dichter und Gelehrten Dschalāl ad-Dīn Muhammad Rūmī und besser, als mit dieser Aussage, kann der Inhalt dieses epischen Romans nicht zusammengefasst werden. Wer dieses Buch noch nicht gelesen hat, sollte dies tun, jetzt, genau jetzt.

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  1. Plädoyer gegen Israels Besatzung des Westjordanlands

    Apeirogon habe ich vor zwei Jahren gelesen und rezensiert.

    Private Trauer und das Engagement zweier Väter (Palästinenser, Israeli) zeigen die Mechanismen der Unterdrückung und die Vorausetzungen für Frieden

    Apeirogon – was ist das denn? Klingt griechisch und nach Geometrie (Oktogon) … ich komme darauf zurück.

    Geht es euch auch so? Je mehr man versucht, einen der vielen Konflikte in der Welt zu verstehen, desto mehr Verwirrung. Alles ist so kompliziert, so unüberschaubar, so verworren, alles hat so viele Seiten... so viele Seiten und Ecken wie ein Apeirogon (griech.), eine mathematisch unendlich zählbare Figur.

    So ist es auch mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt, der seine Wurzeln zudem tief in der Vergangenheit hat. Man fragt sich, wie man das verstehen oder erklären soll. Es wird nicht gehen und so hat es wohl auch der Autor Colum McCann empfunden, der das für seinen Roman aber auf grandiose Weise gelöst hat. So wie dieser Konflikt aus vielen Facetten oder Mosaiksteinchen besteht, so auch dieser Roman: 1001 kleine Kapitel, oft nur ein Satz oder ein Foto.

    Das ist auch der Grund, warum man die vielen Seiten schneller gelesen hat als man denkt. Allerdings liest es sich nur mengenmäßig leicht, inhaltlich dagegen weniger, denn es ist bedrückend und traurig, was wir alles erfahren.

    Es geht um die Unterdrückung und Demütigung der Palästinenser, exemplarisch am Schicksal zweier Familien, zweier Väter dargestellt, die beide ihre Töchter durch Gewalt verloren haben: Smadar wurde bei einem palästinensischen Selbstmord-Attentat getötet, Abir von einem jungen israelischen Grenzsoldaten.

    Anstatt aber mit Hass zu reagieren und auf Rache zu sinnen, freunden sich der Palästinenser Bassam Aramin und der 20 Jahre ältere Israeli jüdischen Glaubens Rami Elhanan an – beide übrigens reale Personen – und engagieren sich für das Ende der israelischen Besatzung des Westjordanlandes, das sie für das Haupthindernis für Friedensgespräche halten.

    'Es wird erst vorbei sein, wenn wir reden.' (Kap. 1)
    Eindringlich schildert McCann an Alltagsszenen, wie es für Palästinenser ist, unter der Besatzung zu leben, mit all' ihren Einschränkungen und demütigenden Vorfällen. Man muss sich allerdings darüber im Klaren sein, dass der Autor etwas einseitig Partei ergreift – so sehe ich es zumindest. Das ist keine Kritik, sondern eher ein Punkt, über den zu diskutieren wäre wie überhaupt über so viele Sätze in diesem Buch, das einen Teil der Problematik eines Zusammenlebens zeigt.

    Colum Mc Cann hat eine ungewöhnliche Art des Erzählens gewählt: 1001 Kapitel und Kapitelchen, in denen viel Wissenswertes und viel Interessantes vermittelt wird und wo wir oft durch Wiederholungen eindringlich an der Lebensgeschichte der Hauptpersonen teilnehmen. Ich habe nun ein besseres Bild dieses kleinen militarisierten Landes mit seiner Mauer, die je nach Einstellung Schutz- oder Friedensmauer oder rassistisch und Schandmauer genannt wird.

    Es wird aus dem Briefwechsel zwischen Freud und Einstein zitiert und die Frage aufgeworfen, was man tun könne, um die Aggressionen der Menschen zu unterdrücken und Kriege zu verhindern.

    'Alles, was Gemeinsamkeiten zwischen den Menschen schafft, wirkt dem Krieg zwangsläufig entgegen.' (Freud / eBook 254)

    Das klingt alles großartig und nachdenkenswert – warum dann nur 4 Sterne statt 5? Mir ist klar, dass der Autor wegen der Komplexität des Themas nicht alle Aspekte berücksichtigen kann, aber ich hätte mir trotzdem gewünscht, er hätte einige Kapitel weggelassen und statt dessen andere Mosaiksteinchen ausgesucht, um auf die Zahl 1001 zu kommen. So interessiert mich eine Aufzählung von Vogelnamen oder Patiencen viel weniger als die Rolle, die andere Länder in diesem Konflikt spielen. Nur in ein paar ganz wenigen Sätzen wird die Rolle der USA (Geldgeber, Waffenlieferant, etc.) genannt und die eines ganz großen Waffenexporteurs (die BRD) gar nicht.

    Noch viel wäre zu sagen, zu fragen, vieles gäbe es zu diskutieren. Am besten liest jeder dieses Buch selbst, denn trotz meiner kleinen Kritikpunkte kann ich nur eine klare Leseempfehlung aussprechen und dieses Buch jedem ans Herz legen.

    P.S. Ich habe meine Bewertung auf 5 Sterne angehoben.

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