Am Anfang war Gewalt

Buchseite und Rezensionen zu 'Am Anfang war Gewalt' von Mark Jones
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Inhaltsangabe zu "Am Anfang war Gewalt"

Diskussionen zu "Am Anfang war Gewalt"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:432
EAN:9783549074879

Rezensionen zu "Am Anfang war Gewalt"

  1. Teilweise von falschen Prämissen ausgehend

    Mark Jones beschreibt in seiner Studie "Am Anfang war Gewalt. Die deutsche Revolution 1918/19 und der Beginn der Weimarer Republik" die Gewaltexzesse der Freikorpstruppen, die im Auftrag der neuen Reichsregierung gegen die Spartakisten eingesetzt wurden, wobei vor allem die Ereignisse in Kiel, Berlin und München in den Fokus gerückt werden. Ein besonderes Anliegen ist ihm dabei, zu schildern, wie sich aus einer Spirale von tatsächlichen Gräueltaten der Spartakisten, Gerüchten und Autosuggestion die besondere Gewalt entwickelt hat, die nahezu alle Linken zu Freiwild für die Regierungstruppen gemacht hat, was nun wiederum deren Gräueltaten hervorrief, für die es weiß Gott genug Beispiele gibt. Das alles ist Jones auch weitgehend gelungen, wenngleich er sich meiner Ansicht nach bisweilen auf etwas dünnes Eis begibt, wenn er Gewalttaten der Linken als nicht beweisbare Gerüchte deklariert, die von anderen Historikern durchaus nicht in Frage gestellt werden. Aber wie soll nach 100 Jahren da die Wahrheit noch gefunden werden?

    Aber andere Aspekte stören mich weit mehr:

    1. Auch wenn Jones es selbst bisweilen relativiert, so zieht er doch eine gerade Linie von den Vorgängen 1918/19 zu den um vielfach gesteigerten Gewaltexzessen während des Dritten Reiches. Unbestritten und durchaus nicht neu ist die Tatsache, dass viele der ehemaligen Freikorpssoldaten von 1933 bis 1945 noch eine wichtige Rolle spielten (als Beispiel sei hier der im Buch gar nicht erwähnte Lagerkommandant von Auschwitz, Höss, erwähnt). Doch ist deren Gewaltbereitschaft tatsächlich erst durch die Wirren der Republikgründung entstanden? Meiner Ansicht nach vernachlässigt Jones da doch die Entmenschlichung und Verrohung, die der Erste Weltkrieg bei vielen Frontsoldaten hinterlassen hat.

    2. Jones beschreibt die tatsächliche Gefahr, die von der extremen Linken ausging, als relativ gering. Ob das zutrifft oder nicht, mögen andere entscheiden, aber Tatsache ist, dass Liebknecht, Luxemburg und andere in der beschriebenen Phase in Punkto Verbalradikalismus sich nicht hinter den Regierungsverlautbarungen verbergen mussten. Immer wieder riefen sie zur Vollendung der Revolution und zum Sturz der Arbeiterverräter Ebert und Scheidemann auf. Konnte in der damaligen unübersichtlichen Situation wirklich jemand erkennen, wer sich durchsetzen würde? Jones Vorwurf an die SPD, sich mit dem Teufel eingelassen zu haben, um den (eingebildeten) Beelzebub zu verjagen, trifft zu, aber gab es andere Optionen? Das Beispiel der russischen Revolution war damals ja noch ganz frisch, und die Art und Weise, wie die Bolschewisten die anfangs auch bürgerliche Revolution pervertierten, stand den damals Handelnden ja deutlich vor Augen, und das waren ja beileibe keine Phantasmagorien. In diesem Kontext geht im Übrigen Jones Vorwurf an deutsche Historiker, den Streit um die Legitimität der Gewalt in der Gründungsphase der Weimarer Republik im "besten Fall bruchstückhaft" zu untersuchen und "im schlimmsten Fall auf eine kritiklose Apologie der Gründerväter der ersten deutschen Demokratie" hinauszulaufen zu lassen, an der Realität vorbei. Das mag vielleicht für die Zeit der Fünfziger und sechziger Jahre gelten, als die deutsche Geschichtsschreibung von eher nationalkonservativen Historikern bestimmt wurde, doch seitdem wird der sogenannte Ebert-Groener-Pakt, der Beschluss der Zusammenarbeit der neuen Reichsregierung mit der Reichswehr, indirekt also die Grundlage der späteren Gewaltexzesse, durchaus kritisch gewürdigt, was sich auch in jedem mir bekannten Oberstufenlehrwerk wiederfindet.

    3. Noch unhaltbarer ist die Generalkritik an der Geschichtsschreibung im Punkt des "Schießbefehls" Noskes, der den Freikorpsverbänden quasi einen Freibrief für die Jagd auf die Linken ausstellte. Jones schreibt auf Seite 255: "Die Erinnerung an Noskes Schießbefehl ist in den letzten zwei Jahrzehnten (seit der Wiedervereinigung, Matzbach) eher noch unpopulärer geworden, da Historiker die Existenz historischer Vorspiele und Weichenstellungen für den Nationalsozialismus herunterzuspielen versuchen". Ich weiß ja nicht, welche Historiker Jones da im Auge hat, aber einen Vorwurf kann man der deutschen Historiographie sei 1968 definitiv nicht machen, nämlich den, dass sie sich nicht dieser Thematik stellt. Stellvertretend für viele sei hier der der programmatische Titel "Hitler war kein Betriebsunfall" von Fritz Fischer, der im Übrigen ein Vor 68ere war, genannt.

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