Altes Land: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Altes Land: Roman' von Dörte Hansen
4.35
4.4 von 5 (6 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Altes Land: Roman"

Zwei Frauen, ein altes Haus und eine Art von Familie


Das „Polackenkind“ ist die fünfjährige Vera auf dem Hof im Alten Land, wohin sie 1945 aus Ostpreußen mit ihrer Mutter geflohen ist. Ihr Leben lang fühlt sie sich fremd in dem großen, kalten Bauernhaus und kann trotzdem nicht davon lassen. Bis sechzig Jahre später plötzlich ihre Nichte Anne vor der Tür steht. Sie ist mit ihrem kleinen Sohn aus Hamburg-Ottensen geflüchtet, wo ehrgeizige Vollwert-Eltern ihre Kinder wie Preispokale durch die Straßen tragen – und wo Annes Mann eine Andere liebt. Vera und Anne sind einander fremd und haben doch viel mehr gemeinsam, als sie ahnen.


Mit scharfem Blick und trockenem Witz erzählt Dörte Hansen von zwei Einzelgängerinnen, die überraschend finden, was sie nie gesucht haben: eine Familie.


Format:Kindle Edition
Seiten:289
EAN:

Rezensionen zu "Altes Land: Roman"

  1. Nicht gedeihen, nicht blühen, nur bleiben.“

    Flüchtlinge waren Vera und ihre Mutter Hildegard, als sie vor mehr als 60 Jahren ins Alte Land kamen, Flüchtlinge aus Ostpreußen, geduldet am Hof von Ida Eckhoff. Richtig zugehörig hat sich Vera dort nie gefühlt. Doch eines Tages steht ihre Nichte Anne vor der Tür mit ihrem Sohn Leon, geflohen aus Hamburg-Ottensen, vor dem saturierten Leben in der Großstadt, vor einer gescheiterten Liebe.

    Ich habe einmal gelesen, dass Österreicher*innen mit diesem Buch nicht so zu Recht kämen, weil uns der Zugang zu dem Landstrich, der Geschichte, dem Platt fehlt. Ich kann das so nicht nachvollziehen. Auch bei uns gibt es auch alte Dörfer, alte Männer, vom Krieg versehrt, Vertriebene, mit dem Land Verwurzelte und von der Bourgeoisie Übersättigte, alte Schachteln, altes Land. Ich denke die Geschichte, die Dörte Hansen erzählt ist universell. Und sie erzählt bravurös. Die Autorin hat ein ungemeines Gespür. Für die Figuren, von denen sie berichtet. Bei allem Kummer, Ängsten, Verlusten geht sie sorgsam mit ihnen um. „Mein armes kleines Kind“, sagt der fünfjährige Leon, um seine alte Tante Vera zu trösten.

    Vera, die Verschrobene, von der Mutter verlassen, dem Stiefvater treu verbunden, die keine Wurzeln schlagen wollte und doch festgewachsen ist auf diesem Hof. „Nicht gedeihen, nicht blühen, nur bleiben.“ Und wie konnte sie nur darauf vergessen, ein Kind zu wollen.

    Es sind starke Bilder, mit denen Dörte Hansen ihre Figuren zeichnet, stark und aussagekräftig. Die stolze Hildegard, immer den Rücken gerade, den Kopf hoch, auch wenn der Hals dreckig ist. Als Mutter hat sie versagt: „Treibeis, immer kalt, nie zu packen“.

    In der übernächsten Generation wird sich Anne manchmal ein anderes Leben wünschen. „Man durfte erschöpft sein…, gestresst und ungekämmt, auch ungeschminkt, das alles ging, nur mutterglücklos, das ging nicht.“ Anne, deren Kindheit darin bestand, zu bestehen, denn nur zu genügen, genügte nicht.

    Dörte Hansen spannt einen wunder breiten Bogen, humorvoll, satirisch, melancholisch. Behutsam ist für Frau Hansen kein Schlagwort. Altes Land ist mir ein Herzensbuch geworden.

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  1. 5
    10. Mär 2017 

    Ein Wohlfühlbuch!

    Hach, so muss ein Wohlfühlbuch sein! Eine grundsätzlich humorvolle Grundstimmung, die sich von dunkel gestimmten Protagonisten nicht vertreiben lässt (höchstens ganz kurz ;-)); Figuren, in denen man sich auch in den schlechten Eigenschaften wiedererkennt - doch nie so sehr, dass es zuviel wäre; eine Beschreibung der Realität, aber ohne in Klischees zu verfallen; Gefühle ohne Kitsch, schöne wie schmerzhafte. Und nicht zuletzt eine Geschichte die zeigt, wie sehr Menschen durch ihre Vergangenheit geprägt werden, im Guten wie im Schlechten. Dass das Alles dazu noch in einer wunderbaren, exakten und bilderreichen Sprache geschildert wird, macht das Lesen letzlich zu einem puren Vergnügen.
    Obwohl es so leicht fällt, sich bei dieser Lektüre wohl zu fühlen, ist das Thema alles andere als seicht: Flüchtlinge - wenn auch in einem anderen Zusammenhang, als der erste Gedanke wahrscheinlich vermuten lässt. Eine junge Mutter verlässt den Vater ihres Kindes, der eine neue Liebe gefunden hat, und zieht zu ihrer eigenbrötlerischen Tante ins Alte Land, wo diese seit Jahre alleine lebt. Beiden ist nicht nach der Gesellschaft der jeweils Anderen zumute, aber die Eine weiß nicht wohin, die Andere kann aus eigener Erfahrung nur zu gut nachempfinden, wie das ist - und hilft. Nach und nach werden die Geschichten der beiden Frauen und ihrer Familie erzählt wie auch die der Nachbarschaft, zu denen nicht nur Bauern gehören, sondern auch zugezogene Städter, (Luxus-)Flüchtlinge auch sie. Vergangenes, das bis in die Gegenwart wirkt, wird wieder hervorgeholt und so manche Widersprüchlichkeiten des Lebens voller Vergnügen beschrieben wie in dem nachfolgenden Beispiel:
    "Carsten wuchsen all die Widersprüche in seinem Leben manchmal ziemlich über den Kopf. Vollholz und Fertigparkett, mittags Kohlrouladen und abends Basenfasten, Urtes harter Futon und Herthas lenorweiche Biberbettwäsche, der Terror mit dem Alten und das schöne, kalte Astra, Schulter an Schulter nach Feierabend auf der Bank vor der Werkstatt, wenn es dann wieder gut lief. Pentatonische Konzerte in der Aula von Urtes Rudolf-Steiner-Schule und Puzzle-Abende mit seinen Eltern, Ravensburger, 5000 Teile, das große Korallenriff. Zu dritt hatten sie das ruckzuck fertig."
    Alles in allem ein Buch, wie man es sich wünscht: Unterhaltung mit Anspruch!

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  1. 3
    28. Aug 2016 

    War mir etwas zu kühl, frostige Stimmungen, trotzdem lesenswert

    Ich habe das Buch am Freitag, 26.8., schon beendet. Ich bin nur nicht dazu gekommen, eine Rezension dazu zu schreiben. Zu dem Buch bin ich ein wenig zwiegespalten. Einerseits fand ich die Themen in dem Buch recht interessant, andererseits bin ich sehr schlecht in die Lebensgeschichten reingekommen. Gerade am Anfang hatte ich so meine Mühe und musste erneut zur ersten Seite zurückblättern, weil sich mir die Namen einfach nicht einprägen wollten. Als schließlich beim zweiten Anlauf die Namen der Figuren Gesichter bekamen, wurden sie mir allmählich vertraut, aber ich konnte mir nicht jede Figur merken und nicht jede Figur fand ich interessant. Die Atmosphäre in dem Buch fand ich außerdem arg unterkühlt und mit Ausnahmen von Anne und Karl Eckhoff waren mir die anderen Figuren schier unsympathisch. Das habe ich selten bisher gehabt. Aber es kommt vor und deshalb fällt es mir so schwer, über dieses Buch eine Rezension zu schreiben.
    Der Schreibstil hat mir auch nicht immer zugesagt, manchmal wirkten die Sätze auf mich wie abgehackt ... Über manche Szenen musste ich allerdings lachen, wirkten recht lustig, humoristisch.

    Außerdem waren das für mich viel zu viele Personen, auf so wenigen Buchseiten. Jeder Mensch hat darin so seine eigene Geschichte. Es gab demnach jede Menge Geschichten zu lesen … Mir war dies allerdings ein wenig zu überfrachtet, einfach auch, weil die Themen und die Menschen recht ernst waren.

    Ich tat mir sehr schwer mit Vera Eckhoff. Eine recht kalte Person, die im Wald sämtliche Wildtiere abknallt und sie ohne mit der Wimper zu zucken zu Wurst verarbeitet. Das waren sehr blutige Szenen. Die Autorin hat diese recht detailliert beschrieben, als Vera die abgeschossenen Tiere zerlegt hat. Man hörte dabei die Knochen knacken. Auch wenn Vera Eckhoff ihre ureigene Psychologie hat, weshalb sie so geworden ist, wie sie ist, habe ich trotzdem kein Verständnis für ihre Gier nach Fleisch ... Erst im höheren Alter hörte sie mit dem Töten auf. Leider hat sie ihr Trauma als Flüchtlingskind nicht aufgearbeitet … Auch ihre Mutter hat ihr Trauma nicht aufgearbeitet und verlässt ihre Tochter, bis die Vergangenheit sie schließlich einholt …

    Karl Eckhoff, der Sohn von Ida Eckhoff, kommt nach dem Zweiten Weltkrieg mit einem Hinkefuß zurück. Seine Mutter erkennt die inneren Nöte ihres Sohnes nicht. Auch Karl ist durch den erlebten Krieg traumatisiert. Aber für die Mutter, die nicht in der Lage ist, in das Innere ihres Sohnes zu schauen, vergleicht ihn stattdessen mit zurückgekehrten Soldaten, denen verschiedene Körperteile fehlen, betrachtet Karls Leid als gering. Karl habe es nicht so schwer erwischt und so bagatellisiert sie seinen Hinkefuß. Karl hat nicht den Mut, über seine Kriegserlebnisse zu sprechen. Ida Eckhoff, auch eine sehr kalte Person, die Opfer ihrer eigenen Kälte wurde ...

    Karl war mir sympathisch, weil er es war, der sich um die kleine Vera gekümmert hat. Er hat ihr Spielsachen gebaut, Schlittschuhe geschenkt, sie auf der Schaukel bis zu den Baumkronen angestoßen. Doch Karl war psychisch sehr angeschlagen, zog sich in seine eigene Welt zurück. Später war es Vera, die sich verantwortungsbewusst um Karl gekümmert hat …

    Die kleine Vera sprach auch nur das Nötigste, beobachtete aber recht intensiv ihre neue Welt, ihre neue Heimat, in der hauptsächlich Plattdeutsch gesprochen wurde ...

    Flüchtlinge waren in dem Dorf nicht erwünscht und sie wurden als Polackenpack beschimpft. Vera kam mit ihrer Mutter aus Ost-Preußen. Sie wird hier alt, verlebt in dem alten Land über sechzig Jahren …

    Bis eines Tages ihre Nichte Anne mit ihrem kleinen Sohn Leon auftaucht … Anne ist alleinerziehende Mutter. Christoph, der Vater des Kindes, hat eine neue Freundin, Marion, Lektorin eines Buchverlages. Christoph schreibt Krimis. Er nimmt sein Kind regelmäßig zu sich ...
    Anne, die sich verantwortungsvoll um Leon kümmert, und sich immer für ihr Kind einzusetzen weiß, war mir sehr sympathisch gewesen. Sie muss allerdings lernen zu akzeptieren, dass Leon ein neues Geschwisterchen bekommt und Christoph nicht mehr ihr Partner ist. Marion ist hochschwanger ...

    Anne ist Vegetarierin und ernährt auch Leon vegetarisch. Die Erzieherin nimmt die vegetarische Haltung nicht wirklich ernst, da Leon im Kindergarten Gulasch als seine Lieblingsspeise auserkoren hat … Ich fragte mich, welche Haltung hat die Autorin selbst zu einer fleischlosen Ernährung? Was will sie denn beweisen, dass Leon Fleisch mag, dass vegetarischessen sinnlos ist? Dass Fleisch schmecken kann, das zweifelt niemand an, man kann trotzdem auf Fleisch verzichten. Außerdem weiß Leon gar nicht, dass Gulasch das Fleisch eines getöteten Tieres ist …

    Ich mache nun hier Schluss.

    Mein Fazit?

    Auch wenn mir das Buch nicht besonders gut gefallen hat, hat es mich als Leserin sehr betroffen gestimmt. Nun habe ich aber so gar nichts zu dem Buchtitel geschrieben. Ich möchte nur kurz anfügen, dass das Landleben sehr hart ist, es aber von den Städtern stark idealisiert wird, die die Lebensweise der Bauern abwertend betrachtet haben und sie diese für mehr oder weniger primitiv hielten.

    Dann kommt hinzu, dass die ProtagonistInnen keine Psychohygiene betrieben haben, und ihnen nichts anderes übrig blieb, als mit dem Trauma bis zu ihrem Lebensende zu leben. Karl litt für den Rest seines Lebens recht heftig unter der Posttraumatischen Belastungsstörung, weil er keine Gelegenheit fand, sich mit seinen Kriegserlebnissen auseinanderzusetzen. Dabei fällt mir das Buch von dem Psychoanalytiker Alexander Mitscherlich "Die Unfähigkeit zu trauern ein", dass Menschen, die ihr Trauma nicht aufarbeiten, sie gezwungen seien, die Geschichte zu wiederholen.

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  1. Eigenwillige Charaktere im Alten Land

    Inhalt
    Im Vordergrund dieses Roman stehen einerseits die eigenwilligen Figuren und das Alte Land selbst, das geographisch an den Elbufern südlich von Hamburg liegt.
    Die Chronologie der Ereignisse wird immer wieder von Rückblicken unterbrochen und es wird aus verschiedenen personalen Perspektiven erzählt, so dass man zu Beginn eine Weile braucht, um im Roman anzukommen. Dazu tragen auch die vielen unterschiedlichen Figuren bei, wobei im Mittelpunkt Vera Eckhoff und ihre Nichte Anne stehen.

    Vera Eckhoff ist die Tochter von Hildegard von Kamcke, eine am Ende des 2.Weltkrieges aus Ostpreußen vertriebene Adlige, die gemeinsam mit ihrer kleinen Tochter Fürchterliches auf der Flucht erlebt hat.
    Anne vergleicht ihre Großmutter Hildegard mit den vereisten Blüten im Frühjahr, "Frostschutz durch Vereisung" (S.270), es sei ihre einzige Möglichkeit gewesen, das Traum der Flucht zu überstehen.

    Hildegard und ihre Tochter Vera finden notgedrungen Unterschlupf im Hause Ida Eckhoffs, einer Bäuerin des Alten Landes, Witwe und Mutter eines Frontsoldaten. Vera und Ida nähern sich behutsam an, während Hildegard nicht bereit ist, die Opferrolle einzunehmen. Als Idas Sohn Karl aus dem Krieg zurückkehrt, ist er nur noch ein Schatten seines früheren Selbst.

    "Ihr Hoferbe Karl Eckhoff, stark und hoffnungsvoll, war im Krieg geblieben. Einen Pappkameraden hatten sie ihr zurückgebracht. Freundlich und fremd wie ein Reisender saß ihr Sohn auf der Hochzeitsbank und schickte Rauchringe in den Himmel. Und in den Nächten schrie er." (S.14)

    Ida kann mit diesem traumatisierten jungen Mann nicht umgehen, während Hildegard ihn trotzdem heiratet. Im Haus kämpfen die beiden Frauen erbittert gegeneinander. Als Hildegard eigenmächtig ein Klavier kauft und im Haus Möbel umstellt, wählt Ida den Tod - ein Ereignis, das Vera nachhaltig prägt und sie zeitlebens glauben lässt, das Haus dürfe nicht verändert werden.

    Doch Hildegard ist nicht für das Leben im Alten Land geschaffen und so heiratet sie einen Bauernsohn mit Potential und verlässt Karl und ihre Tochter. Sie baut sich in Hamburg ein neues Leben auf, gemeinsam mit der zweiten Tochter Marlene. Die Berührungspunkte der Halbschwestern sind gering und obwohl Hildegard Vera zurückgelassen hat, gibt es ein Band zwischen Hildegard und Vera, das Marlene verschlossen bleibt.

    Vera bleibt im Alten Land, im Haus, bei Karl.

    "Sie war auf Ida Eckhoffs Hof gespült worden wie ein Ertrinkender auf eine Insel. Um sie herum war immer noch das Meer, und Vera hatte Angst vor diesem Wasser. Sie musste bleiben auf ihrer Insel, auf diesem Hof, wo sie zwar keine Wurzeln schlagen konnte, aber doch festwachsen an den Steinen, wie eine Flechte oder ein Moos. Nicht gedeihen, nicht blühen, nur bleiben." (S.42)

    Sie wird Zahnärztin - umgeben von ihren Trakehnern und Weimaranern lässt sie keinen Mann wirklich an sich heran.
    Der Einzige, der ihr etwas bedeutet, ist ihr Nachbar Heinrich von Lübbe, der schwer daran trägt, dass keiner seiner Söhne den Hof übernehmen will und der seine Frau ganz früh verloren hat. Die Beziehung zwischen den beiden spiegelt die Unfähigkeit Veras wider, auf andere Menschen zuzugehen, Vertrauen zu haben, sich die Chance zu eröffnen, aufzublühen. Erst mit dem Auftauchen ihrer Nicht Anne ändert sich das.

    Anne ist Marlenes Tochter, sie hat ihre viel versprechende Musikerkarriere aufgegeben, als ihr kleiner Bruder sie überstrahlt.

    "Erst alles und dann gar nichts mehr. Licht aus. Totale Sonnenfinsternis mit sechzehn. Kein Mensch sah ein begabtes Kind, wenn ein begnadetes den Raum betrat." (S.24)

    In ihrer stillen Verzweiflung macht sie eine Schreinerlehre, lebt mit einem Autor und dem gemeinsamen Sohn Leon in Hamburg-Ottensen - umgeben von selbst ernannten Über-Müttern, denen Anne sich unterlegen fühlt.

    "Die meisten Mütter auf dem Spielplatz trugen diese Camper-Schuhe. Sie hinterließen lange, kringelige Lochmusterspuren im Spielplatzsand, wenn die Frauen, wie gutmütige Familienhunde, die Schnuller und Trinkflaschen apportierten, die ihre Kleinkinder aus den Buggys warfen." (S.26)

    Nachdem ihr Ehemann sich in seine Verlegerin verliebt, flüchtet Anne ins Alte Land zu ihrer verschrobenen Tante. Das Arrangement lautet, das Haus, von dem Vera glaubt, es dulde keine Veränderungen, wieder auf Vordermann zu bringen.
    Ob das Haus sich diese Behandlung gefallen lässt?

    Die sich schrittweise aufbauende Beziehung der beiden Frauen spielt auf der Figurenebene eine wichtige Rolle, aber auch die Realität des Lebens im Alten Land beansprucht viel Raum im Roman.

    Exemplarisch stehen sich hier Dirk zum Felde - ein konventioneller Bauer, der mit Pestiziden arbeitet und für den der Ertrag seiner Apfel- und Kirschbäume existentiell wichtig ist - und der das Landleben verklärende Journalist Burkhard Weißwerth - der erkennen muss, dass die Realität eine andere ist, als in den Zeitschriften dargestellt - gegenüber.

    Präzise stellt die Autorin die Sorgen und Nöte der Bauern dar, aber auch die Illusion der Städter über das romantische Landleben. So verkauft Dirk zum Felde seine konventionell angebauten Äpfel einem ortsansässigen Biobauern, der die Äpfel dann einfach in seine Kisten umfüllt.

    "Die Touristen fuhren zurück in ihre Mietwohnungen und Reihenhäuser, und ihr hübsches Bild vom Landleben hatte nicht eine Schramme abgekriegt. Ein Leben in Kalenderbildern, und alles so gesund, sie kamen immer wieder." (S.154)

    Bewertung
    Es ist ein eigenwilliges Figurentableau, das die Autorin vor uns ausbreitet. Figuren, die teilweise schwer zugänglich sind -wie Vera Eckhoff -, teilweise etwas überspitzt dargestellt werden - wie Burkhard Weißwerth -, die aber auch Identifikationsmöglichkeiten bieten - wie die sympathische Anne.
    Aufgrund der unterschiedlichen Perspektiven und der häufigen Verwendung der erlebten Rede, erhalten wir Einblicke in das Seelenleben und die Gedanken der verschiedenen Figuren.
    Sie öffnen sich den Lesenden und überlassen uns eine Bewertung ihres Verhaltens. Dialoge sind sparsam eingesetzt und viele Ereignisse werden nur mit wenigen Worten angedeutet.

    "Finger an die Mütze, Abfahrt. Bloß kein Wort zu viel. Als hätte man nur einen kleinen Vorrat, der bis zum Lebensende reichen müsste." (S.255)

    Die Mentalität des Wegsehens, des Nicht-Wahrhaben-Wollens der Traumatisierung durch Krieg, Tod und Verlassenwerden legt die Autorin offen - sie sieht nicht weg und zeigt, auf, wie das Nicht-Gesehen-Werden zu psychischen Verletzungen führt, die anhalten.
    Wie Karls nächtliche Träume vom Krieg, die schließlich in der Angst zu schlafen münden, oder Annes Unsicherheit und ihre Ängste, die von ihrer "kalten" Mutter herrühren, die selbst wiederum von ihrer Mutter nicht gesehen wurde.

    Neben diesem Beziehungsgeflecht rückt das Alte Land in den Fokus. Die Autorin stellt den harten Kampf um die Existenz dar, bezieht dabei aber keine klare Position in der Frage um biologischen oder konventionellen Anbau von Obst. Nur die romantisierende Vorstellung des Landlebens nimmt sie aufs Korn und räumt damit auf.

    Sperrige Charaktere, sparsame Worte, ein Roman, der fordert, der mich aber trotzdem in seine Handlung hineingezogen hat und der auch viele komische, fast schon satirische Szenen aufweist, über die ich lachen konnte.

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  1. "Von mi gift dat nix"

    Im Jahr 1945 kommt Vera mit ihrer Mutter Hildegard von Kamcke im Alten Land an, sie sind aus Polen geflohen.
    Dort versuchen sie bei Ida Eckhoff unterzukommen, doch die beschimpft sie nur als Polacken ("Woveel koomt denn noch vun jau Polacken?") , aber Karl der Sohn der geschädigt aus dem Krieg zurückgekehrt ist kümmert sich um die beiden und heiratet Hildegard.
    Die Situation auf dem Hof ist schwierig, da sich die beiden Frauen nicht verstehen.
    Daraufhin erhängt sich Ida Eckhoff auf dem Dachboden, weil sie mit der ganzen Situation nicht mehr zurecht kommt.
    Einige Zeit danach verlässt die schwangere Hildegard Karl und die 14 jährige Vera.
    Sie zieht nach Hamburg wo sie mit ihren neuen Ehemann eine Familie gründet.
    Vera muss derweil sich bei Karl ihr Leben aufbauen, was nicht immer einfach ist mit dem gebrochenen ehemaligen Soldaten.
    Aber sie schafft es, studiert in Hamburg und kehrt dann wieder zu Karl zurück und arbeitet als Zahnärztin

    Jahre später,Karl ist inzwischen tot, kommen zwei neue Flüchtlinge ins Alte Land, es sind Veras Nichte Anne mit ihrem Sohn Leon.
    Sie hat ihren Freund verlassen weil er sich in eine andere verliebt hatte und da sie nicht zu ihrer Mutter nach Hause wollte suchte sie Obhut bei ihrer Tante. Bei haben viel gemeinsam auch wenn sie das erst mit der Zeit feststellen.

    "Altes Land" ein Roman über das Elend einen Flüchtlingsfamilie, die Suche nach einer neuen Heimat in einem fremden Land.
    Vera die immer auf der Suche nach der Heimat ist, aber auch Anne die so gar keine Heimat in ihrem Leben besitzt und nach Anerkennung sucht. Beide haben Mütter die ihnen nicht die Liebe geben konnten die sie brauchten.

    Meine Meinung:
    Das Buch ist ein gelungenes sprachliches Werk das durch seine melancholische, ernste,bedrückende und ab und an humorvolle
    Erzählweise sicher nicht immer einfach zu lesen ist.
    Auch die vielen verschiedenen Personen und Szenen mit denen die Autorin immer wieder hin und her springt sind
    anspruchsvoll und ab und an auch etwas verwirrend.
    Sätze auf Plattdeutsch findet man in diesem Buch ebenso wieder, die aber so verständlich sind das selbst ich als Schwabe sie verstehen konnte.
    Lediglich wegen der vielen Szenenwechsel die für mich nicht immer einfach war kann ich nicht die volle Punktzahl geben.

    Mich hat dieses Buch eher zum nachdenken gebracht, was doch für harte und unerbittliche Zeiten manche Menschen doch nach dem
    Krieg mitmachen mussten. Und das Verletzungen die man in der Kindheit erlebt nicht so einfach wegwischen kann.
    "Dit Huus is mien un doch nich mien, de no mi kummt, nennt’t ook noch sien." So stand es am Giebel des Hauses

    Von daher vergebe ich gute 4 von 5 Sternen.

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  1. Altes Land

    Dörte Hansen hat treffend beschrieben, wie einsam sich ein geflüchtetes Kriegskind fühlte, als es die Menschen in der neuen Heimat als Fremdling abstempelten und es dann noch von der eigenen Mutter auf Abstand gehalten wurde, war vorprogrammiert, dass es zur Einzelgängerin wurde. Am Schluss dann doch noch eine schöne Überraschung. Aber lesenSie selber ....

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