Als wir uns die Welt versprachen: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Als wir uns die Welt versprachen: Roman' von Romina Casagrande
3.65
3.7 von 5 (3 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Als wir uns die Welt versprachen: Roman"

Als die Südtirolerin Edna in einer deutschen Zeitschrift ein Bild ihres Kinderfreundes Jacob sieht, macht sie sich auf den Weg über die Alpen, um eine alte Schuld zu begleichen. Vor einem ganzen Leben mussten Edna und Jacob unter härtesten Bedingungen bei schwäbischen Landbesitzern schuften, wie Tausende arme Bergbauernkinder vor ihnen. Der Zweite Weltkrieg riss sie auseinander. Zu Fuß, mit Bus und Zug und ihrem Papagei Emil im Gepäck, beginnt Edna unbeirrt eine Reise voller berührender und überraschender Begegnungen. Dieser Roman nimmt uns mit auf einen inspirierenden Weg zu Freundschaft und Freiheit – wenn wir uns gegenseitig helfen, können wir alles schaffen.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:480
Verlag: FISCHER Krger
EAN:9783810500090

Rezensionen zu "Als wir uns die Welt versprachen: Roman"

  1. Gemischte Gefühle

    Die neunzigjährige Südtirolerin Edna lebt sehr zurückgezogen mit ihrem Papagei Emil. Ihr Leben verläuft in ruhigen, regelmäßigen Bahnen. Als sie aber in einer deutschen Zeitschrift das Bild ihrer Freundes Jacob sieht, bricht sie aus ihrer beschaulichen Zurückgezogenheit auf. Mitsamt ihrem Papagei macht sie sich auf den Weg, über die Alpen, bis nach Ravensburg. Dort hatte sie als junges Mädchen zusammen mit tausenden anderen ,,Schwabenkindern“ auf einem Hof schwere Arbeit leisten müssen und unter menschenunwürdigen, fast sklavenähnlichen Bedingungen gelebt. Dort hatte sie auch in Jacob einen Freund gefunden, der ihr Mut und Trost gegeben hatte. Doch bei einem Fluchtversuch wurden sie auseinandergerissen. Noch heute plagen Edna deshalb Schuldgefühle, die sie nun, fast am Ende ihres Lebens, zu dieser Reise treiben. Zu Fuß, mit Bus und Zug und ihrem Papagei beginnt Edna diese beschwerliche Reise, die aber zu vielen überraschender Begegnungen und berührenden Momenten führen. Auf dem Weg beginnt Edna sich zu öffnen und nach und nach lässt sie so auch ihre lang verdrängten Erinnerungen an die Oberfläche kommen. So erfährt der Leser in immer wieder eingestreuten Passagen von Ednas Leben auf dem oberschwäbischen Hof, von den Ungerechtigkeiten, dem Heimweh, den Zudringlichkeiten der Männer….
    ,,Als wir uns die Welt versprachen“ erzählt wie schon die Kinderbücher ,,Hungerweg“ von Othmar Franz Lang oder ,,Das verkaufte Glück“ von Manfred Mai vom Schicksal der Schwabenkinder. Jedoch wird Casagrande in manchem deutlicher und konkreter, was in den Kinderbüchern nur angedeutet wurde.
    Allerdings erscheint mir die beschwerliche Reise, teilweise zu Fuß, mitsamt dem Papagei und Übernachtungen teils im Freien für eine Frau in diesem Alter wenig realistisch, die ,,wundersamen Begegnungen“ Ednas auf ihrer Reise wirken zum Teil etwas konstruiert und eher schräg. Auch bleibt so einiges offen, z.B. warum Edna nicht schon früher nach Jacob gesucht hat.
    Der Roman ist auf jeden Fall lesenswert, vor allem die historischen Passagen sind bedrückend und sehr bewegend. Der ,,moderne“ Teil konnte mich allerdings nicht so überzeugen und noch weniger begeistern.

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  1. Eine berührende Wanderung

    Netzgestöber im Dezember 2020. Ein literarischer Adventskalender. Auf einem Cover ein kleines Mädchen. Über dem Cover steht: „Ein Stück unerzählte Geschichte: das berührende Schicksal der Schwabenkinder“. Darunter: „Zwei Kinder, tausend Schicksale und eine wundersame Reise über die Alpen zwischen Italien und Deutschland.“
    Ich musste da etwas verwechselt haben. Hätte mich jemand nach den Schwabenkindern gefragt, dann wäre die Antwort gewesen, dass Kinder aus Schwaben sich auf reichen Bauernhöfen verdingten weil deren Eltern nicht die ganze Familie ernähren konnten. Doch es war genau andersrum: Bergbauernkinder aus Tirol, Vorarlberg, der Schweiz und Lichtenstein zogen alljährlich insbesondere nach Oberschwaben als Saisonarbeitskräfte.

    Über Netgalley erhalte ich das eBook aus den Fischer - Verlagen als Rezensionsexemplar. Also verfolgte ich diese wundersame Reise und nun lest, was ich dazu zu sagen habe.

    Jacob und Edna sind zwei dieser Kinder, die sich vor Jahrzehnten auf einem solchen Bauerhof trafen und Freunde wurden. Es ist ein großer Hof, der sich viele Kinder leisten konnte. Wurden die Jungen und Mädchen noch durch Pater Gianni über das Gebirge geleitet, hier gab es keinen Beschützer mehr. Im Gegenteil:
    „Der Kirschbaum war ihre Zuflucht, ein geheimer Ort, an dem sie sich sicher fühlten, selbst wenn es auf dem Hof keine Sicherheit gab. Geheim konnte man den Ort eigentlich auch nicht nennen, denn der Hof war ein Ungeheuer mit vielen Augen, die alles sahen, und Ohren, die sogar ihre Gedanken hören konnten.“

    Viele Jahrzehnte später betrachtet eine alte Frau in Castelbello, in der Nähe der italienisch-österreichischen Grenze, im Magazin Stern ein Bild. Ein alter Mann ist in einem Krankenhaus eingeliefert wurden. Eine Schlammlawine hatte ihn in Folge eines Unwetters im eigenen Haus überrascht. Das linke Augenlid, welches von einer Narbe gekennzeichnet war, hing schwer herunter und bedeckte den Augapfel. Unverwechselbar, dieses Lid... Jacob Kneip, heißt er, doch kannte Edna den Familiennamen des Jungen nicht, doch es konnte nicht anders sein...

    Mit Edna beginnt Emil die Reise über die Alpen. Emil ist ein Papagei, ein besonders schlauer und Edna hat ihn schon sehr lange in Obhut. Sie hat ihn in Obhut, seitdem der rennende, der fliehende Jakob den Karren nicht mehr erreichte, mit dem sie davon fuhr...

    „Sie sah einen Jungen vor sich, mit diesen traurigen Augen und dem Schnitt am linken Lid, rot wie eine offene Wunde. Er rannte. Sah seine Hand, die sich nach ihr ausstreckte, während die Welt um ihn, die schneebedeckten Bäume, die Steine auf dem Weg verschwammen. Wie ein Pfeil schnellte er vor in dem Versuch, sie zu erreichen, streckte den schmutzverkrusteten Arm nach ihr aus. Doch sie sah ihn nur an. Anstatt sich hinauszulehnen und ihm auf den Karren zu helfen, der immer mehr Meter voller Schlamm und Wind zwischen sie legte, saß sie einfach starr da, gelähmt vor Furcht.“

    Edna wandert also los auf der Route die dieses Bild hier zeigt. Es ist eine abenteuerlich Reise. Eine Menge Leute lernt sie kennen. Camper, Biker, Hippies könnte man sagen, eine Motorradgang hilft ihr am Schluss weiter zu kommen, viele Kilometer geht sie auch zu Fuß, manchmal kommt sie ein Stück mit Bus und Bahn vorwärts. Edna im Hexenwald, an der Bar der schamlosen Gartenzwerge, am Meer zwischen den Bergen, auf dem Pilgerpfad und beim Wald-Rave... Am Anfang hat sie eine Art Transportkarren für den Paradiesvogel dabei, der ihr „Guten Morgen, Zimperliese!“ zukrächzt. „Zimperliese“, das hatte Emil von Jacob, der Ednas Anker auf dem Bauernhof war, auf dem einige Mädchen Ungeheuerliches erleben und erleiden mussten.

    Ob es Edna schaffen wird? Ein anderes Mädchen wird sich wundern, als es den Vogel „Guten Morgen, Zimperliese!“ sagen hört, dieser Spruch war ihr wohlbekannt...

    * * *
    Das Buch. Es ist eine berührende Freundschaft, die sich da vor dem Leser auftut, eine, die letztlich verstehen lässt, warum eine alte Frau einen solchen Weg auf sich nimmt, auf fast genau derselben Route, die sie schon einmal ging zwischen den Weltkriegen. Es ist nämlich keine Geschichte aus dem 19. Jahrhundert, in dem der Höhepunkt der halb verkauften Schwabenkinder lag.
    Es ist in dieser Geschichte nicht die Rede davon, dass Edna zwischendurch, über den Winter nach Hause gekommen wäre, mit zwei Satz Kleidung und wenigen Gulden als Lohn.

    Vor uns liegt eine Geschichte mit vielen Sprüngen in die Vergangenheit und zurück in die Gegenwart. Dabei beschränkt sich die Handlung nicht nur auf das, was Edna und Emil auf der Reise alles widerfährt, einschließlich „Killepitsch“, oder was sich auf dem Schwabenhof abspielt. Der Edna folgt noch eine Freundin sowie deren Mann und Enkel, die sich mehr Sorgen um sie machen, als sie selbst wahrhaben will. Es ist also über die innige Freundschaft der beiden Schwabenkinder hinaus ein Freundschaftsbuch.

    Das Schicksal der Schwabenkinder macht fassungslos. Regelrechte „Hütekindermärkte“ gab es in Ravensburg, Friedrichshafen und Kempten. Nicht vermittelte Kinder fuhren mit der Bahn weiter nach Ravensburg. Die Schulpflicht war ausgesetzt in den Heimatländern und am Zielort für „Ausländer“ nicht bindend. Als diese 1921 eingeführt wurde, nahm das „Schwabengehen“ ab. Kinder, die statt auf dem Feld oder im Stall in der Schule waren, lohnten nicht mehr. [1] Es ist ja nicht so, dass das Schicksal der "verkauften" Kinder niemanden rührte: Es gab sogar einen "Schutzverein" und einem Pfarrer erlaubte der zuständige Bischof das Fahrrad, damit er die Kontrakte und die Behandlung der Kinder aus den Bergen überprüfen konnte. [2] Vielleicht ist dieser Pfarrer Gianni, der Edna über die Alpen führte, so ein freundlicher Typ gewesen.

    Es läuft einem kalt den Rücken runter, liest man so etwas im 21. Jahrhundert und doch: auch heute gibt es Gegenden in der Welt, in denen Kinder mit noch weniger auskommen müssen. Da hilft auch nicht, dass die Zustände auf den Höfen unterschiedlich gewesen sind, wie die unten eingefügten Dokumentationen zeigen.

    Die Umstände, unter denen Edna und Jacob lebten sind das eine, der Schwerpunkt unserer Geschichte ist diese berührende Freundschaft, die gegenseitig hielt, über Jahrzehnte hinweg.

    Ein gutes Buch. Ein bewegendes Buch.

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  1. 3
    12. Mär 2021 

    Paradiesvogel

    Die alte Dame Edna Weiß lebt allein in ihrem Haus mit Garten in Tirol. Der Papagei Emil, der sich manchmal wie ein Paradiesvogel fühlt, ist ihr einziger Gefährte. Ihr ganzes Leben lang hat Edna an Emils ersten Besitzer gedacht, den Jungen Jakob, mit dem sie als Schwabenkind im fernen Deutschland geschuftet hat. Jakob hat ihr vor langen Jahren zur Flucht verholfen und sie haben sich nie wieder gesehen. Und nun hat sie in einer Zeitschrift von Jakob gelesen und endlich macht sie sich auf den Weg zu ihm, Emil im Schlepptau. Auf dem Weg ist es unvermeidlich, dass die Erinnerungen aufsteigen.

    Die Autorin hat mit ihrem Debüt ein Thema aufgegriffen, von dem vielleicht nicht so viel bekannt ist. Bis ins letzte Jahrhundert hinein wurden Kinder aus kargen Gegenden Norditaliens nach Süddeutschland geschickt, um dort auf Bauernhöfen teilweise sehr schwere Arbeiten zu verrichten. Man kann sagen, die Kinder wurden verkauft und wie ein Besitz wurden sie dann häufig auch behandelt. Dass da der Gedanke an eine Flucht aufkommen kann, verwundert nicht. In welcher Zwangslage müssen die Eltern gewesen sein, um ihre Kinder zeitweilig gegen Geld aufzugeben. Um ihren Jugendfreund zu besuchen geht Edna diesen schweren Weg erneut und lässt die Erinnerungen auf sich wirken. Gleichzeitig steht sie neuen Begegnungen offen gegenüber.

    Ein kleines literarisches Denkmal für Kinder, die auf dem Weg und auch bei den Bauern etliches durchleiden mussten, welche eine wunderbare Idee. Geschichtliches in eine berührende Geschichte verpackt, dass lässt einen sicher zu solch einem Roman greifen. Nur geraten manche Beschreibungen etwas verschwommen und Edna wirkt manchmal etwas sehr versponnen, so dass man ihr kaum abnehmen kann, dass sie diesen beschwerlichen Weg schaffen kann. Dennoch bleibt die sympathische alte Dame präsent und man drückt ihr die Daumen, dass sie ihr Ziel erreicht. Ein schöner Familienroman, mit dem ein Thema aus dem Vergessen geholt wird, dass diese Aufmerksamkeit wirklich verdient.

    3,5 Sterne

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