Als lebten wir in einem barmherzigen Land: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Als lebten wir in einem barmherzigen Land: Roman' von A. L. Kennedy
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Inhaltsangabe zu "Als lebten wir in einem barmherzigen Land: Roman"

Soll man Unbarmherzigen gegenüber barmherzig sein? Anna unterrichtet an einer Grundschule und möchte immer noch die Welt verbessern. Wie vor fünfundzwanzig Jahren, als sie in Edinburgh mit einer Gruppe von Straßenkünstlern gegen die Kriegs- und Sozialpolitik der englischen Regierung demonstrierte. Was sie damals nicht ahnte: Einer ihrer Kumpane war ein V-Mann, der sie alle verriet. Nun stellt sie dem Peiniger nach. Doch bis wohin reicht das Böse – und kann Anna sich selber davon freihalten? Ein Meisterwerk der moralischen Beunruhigung. In ihrem unnachahmlichen Stil, in dem sich Ironie und Empathie verbinden, erzählt A.L. Kennedy von der Möglichkeit der Liebe der Menschen füreinander.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:464
EAN:9783446276246

Rezensionen zu "Als lebten wir in einem barmherzigen Land: Roman"

  1. Eine Wutrede, die keiner so richtig versteht.

    Kurzmeinung: Mich ratlos am Kopf kratz - zu hoch für mich?

    England nach dem Brexit. Mitten in der Corona-Zeit. Die Icherzählerin hat sich wie viele andere Menschen in ihre private Nische zurückgezogen. Sie ist eine engagierte Grundschullehrerin und verunsichert durch die vielen sich widersprechenden Anordnungen der staatlichen Führung. Früher, so stellt sich heraus, war sie eine Aktivistin. Eine von der harmlosen Sorte, die in Strassentheatermanier streikende Menschen unterhalten und ermutigen wollte. Eines Tages wurde ihre Gruppe, das Chaos-OrkestrA, unterwandert.

    In zwei Erzählsträngen stellt die Autorin ihr Thema vor, es ist eine Thematik, die sich mir nicht ganz erschließt, es handelt sich im weitesten Sinne um einen Rundumschlag gegen die britische Regierung und/oder die Oberschicht, gegen die, die das Sagen haben und andere bevormunden, ausnutzen und schikanieren. In langen, endlos sich windenden Monologen beklagt sich die Ich-Erzählerin. Ihre Wutrede ist verworren und hört sich überdies sehr nach Querulantentum und der Entwicklung von Verschwörungstheorien an. Da ist nämlich noch die Sache mit den Stilzchen. Stilzchen sind die namenlosen Kumpane vom Rumpelstilzchen. Es sind diejenigen, die dir ans Leder wollen, die man aber nie zu fassen bekommt. Sagt Anna, die Grundschullehrerin.

    Der ganzen Story kann man nicht so richtig trauen, es fehlt ihr jegliche Glaubwürdigkeit, denn die Unterwanderung der Theatergruppe durch einen Polizeispitzel, mutet, gelinde gesagt, seltsam und kryptisch an: es mag sich dabei um eine multiple gestörte Persönlichkeit handeln, die mit sich selber spricht und Auftragsmorde ausführt, eine Art mörderischer Robin Hood: es werden "die Bösen" getötet. Allerdings: nix Genaues weiß man dann doch nicht.

    Fazit: Dass die ganze Geschichte vollkommen verrückt und abgefahren ist, ist nicht ihr größter Mangel, sondern die gewundene, ausufernde Erzählweise, die vom Höxken aufs Stöksken kommt und nie Klartext redet. Jegliche Spannung bleibt dabei auf der Strecke und befördert die Story, die bis dato schon in ihren Anfängen sträflich gelangweilt hat, für mich vollends ins literarische Abseits.

    Kategorie: keine Ahnung, was das war.
    Verlag: Hanser, 2023

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  1. Provokant - und zugleich ein Bekenntnis zur Humanität

    Mein Lese-Eindruck

    Der Titel und auch das beeindruckende Cover zeigen es schon: wir leben eben nicht in einem barmherzigen Land. Die Autorin zeichnet ein provozierendes Bild des zeitgenössischen Englands nach dem Brexit. Das mag ein Grund dafür sein, dass das Buch bisher in England keinen Verleger gefunden hat.

    Im Mittelpunkt stehen zwei Menschen, zwei Ich-Erzähler: einmal Anna, eine idealistische und engagierte Lehrerin, die sich nach Kräften bemüht, ihrem Sohn und ihren Schülern während des Lockdowns gerecht zu werden. Und dann „Buster“, der sich in Studententagen Annas Straßentheatergruppe angeschlossen und dann als Polizei-Spitzel die Gruppe vor Gericht gebracht hatte.

    Annas Erzählstimme ist ein einziger Monolog, in dem sie ihr Leben, ihren Alltag, ihre Gedanken und vor allem ihre Wut zu Papier bringt. Dagegen erzählt Buster wesentlich sachlicher, gelegentlich fast zynisch und legt seine Aufgabe als Undercover-Agent und Auftragsmörder dar.

    Was macht Anna so wütend?
    Es ist nicht nur der Verrat Busters, sondern die gesamte Situation. Sie beobachtet sehr differenziert das Auseinanderdriften der gesellschaftlichen Gruppen, und die zunehmende Verarmung der Mittel- und Unterschichten empört sie genauso heftig wie in ihren Studententagen, als sie mit ihrer Straßentheatergruppe Streikende unterstützte und gegen soziale Ungleichheit kämpfte. Sie sieht die Ursachen der Situation im schamlosen Machtstreben und dem ausufernden Egoismus einer Führungsschicht, die kein soziales Gewissen kennt.

    Diese Gruppe bezeichnet Anna als die Stilzchen nach dem Märchen der Gebrüder Grimm, wo das Rumpelstilzchen aus Stroh Gold spinnt und als Lohn das Kind der Königin einfordert. Dieses Bild löst Anna auf: die Gruppe der Stilzchen interessiert sich nicht für andere Menschen, sondern nur für Gold, nur für das eigene Fortkommen, nur für die Festigung ihrer eigenen Machtposition, nur für ihre eigenen Vorteile. „Was zählt, ist die Demonstration der absoluten Macht.“ Und so wird Annas Text eine wütende und auch verzweifelte Anklage gegen die Ungerechtigkeiten ihrer Zeit und ihres Landes.

    Ein zweites Märchen spielt eine Rolle: das Märchen vom Barmherzigen Land. Dieses Land verzeiht auch vielfachen Mördern, und es wird gegen Ende des Romans eine besondere Rolle spielen. „ Ohne Barmherzigkeit werden die normalen Menschen zu den neuen Stilzchen.“

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