Als die Welt zerbrach

Buchseite und Rezensionen zu 'Als die Welt zerbrach' von John Boyne
4.75
4.8 von 5 (4 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Als die Welt zerbrach"

1946. Drei Jahre nach dem katastrophalen Ereignis, das ihre Familie zerriss, fliehen eine Mutter und ihre Tochter von Polen nach Paris. Blind vor Sorge und Schuldgefühlen ahnen sie nicht, wie schwer es ist, der Vergangenheit zu entkommen. Fast achtzig Jahre später führt Gretel Fernsby in ihrem Londoner Villenviertel ein ruhiges Leben, Welten entfernt von der traumatischen Kindheit. Als eine junge Familie in die Wohnung unter ihr zieht, hofft sie, dass die eingespielte Hausgemeinschaft nicht aus dem Gleichgewicht gerät. Doch der neunjährige Henry weckt Erinnerungen, denen sie sich nicht stellen will. Gretel steht plötzlich vor der Wahl zwischen ihrer eigenen und Henrys Sicherheit. Gewinnt die Verantwortung, oder macht sie sich mitschuldig, wie damals? Wenn sie jetzt eingreift, riskiert sie, Geheimnisse preiszugeben, die sie ein Leben lang gehütet hat …

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:416
Verlag: Piper
EAN:9783492071970

Rezensionen zu "Als die Welt zerbrach"

  1. 5
    30. Sep 2023 

    Meisterhaft

    Die Idee zu diesem Buch finde ich schon großartig. Die kleinste und unbedeutendste Figur aus "Der Junge im gestreiften Pyjama" zur Hauptperson der Rückschau auf die Ereignisse des ersten Buches und deren Analyse zu machen, ist eine raffinierter Einfall.
    Und gleichzeitig ist dieser Umstand so realistisch. Wie viele Kinder werden traumatisiert und müssen mit dem Trauma lange Jahre leben bzw. versuchen, es zu verstehen und zu verarbeiten?! Wie sehr wird das Leben der Jüngsten und Unschuldigsten von den Taten Erwachsener beeinflusst, geprägt, wenn nicht sogar zerstört, u.a. da sie sich im Gefüge der Schuld verstrickt fühlen?

    John Boyne hat ein meisterhaftes Buch zu diesem Themenkomplex verfasst und beweist eine gute psychologische Einsicht und tiefe Menschenkenntnis. Auch die Umsetzung und der Schreibstil ist erneut gekonnt. Die Stimmen der jugendlichen und der sehr betagten Hauptprotagonistin werden verflochten und lassen ein vielschichtiges Bild des zweiten Weltkrieges und dessen Konsequenzen für Gretel entstehen. Ein zutiefst berührendes Buch!

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  1. Wann ist man schuldig

    Die liebenswerte 90-jährige Gretel Fernsby verbringt ihren Lebensabend in einem Londoner Villenviertel. Ihr ruhiges Leben wird durch den Einzug einer kleinen Familie in die Wohnung unter ihr aufgerüttelt. Sie ahnt nicht, dass der neunjährige Henry sie an ein enges Familienmitglied von ihr erinnert. Um Henry zu retten, muss sich Gretel entscheiden, ob sie sich weiter verstecken will oder sich ihren vergangenen Dämonen stellen muss.

    John Boyne versteht es, die Leserschaft von Anfang an in seinen Bann zu ziehen. Auch wenn man den ersten Teil "Der Junge im gestreiften Pyjama" nicht kennt, wird man von dieser Geschichte gefesselt. Mir hat der warme Erzählstil und die spürbare Nähe zu den Protagonisten sehr gefallen. Die Sprecherin Elisabeth Günther verleiht dieser emotionalen Handlung zusätzlich noch eine besondere Note. Ich konnte mich nur schwer von der Erzählung trennen. Die knapp 11 Stunden Hörzeit vergingen wie im Flug.

    Der Autor lässt anfangs im Jahr 2022 die 90-jährige Gretel als Ich-Erzählerin zu Wort kommen. Sie berichtet von ihrem gemütlichen Leben in ihrer großzügigen Londoner Stadtwohnung, plaudert über ihr Verhältnis zu ihrem Sohn, der wieder einmal heiraten möchten. Sie verbringt ihre Tage ruhig und mit wenig Abwechselung. Man kann sich sehr gut diese nette alte Dame vorstellen.

    Der Sprung in das Jahr 1946 zeigt eine andere Gretel. Zusammen mit ihrer Mutter ist das deutsche Mädchen von Polen nach Paris geflohen. Beide bemühen sich, ihre Herkunft zu verheimlichen. Statt - wie gewohnt - in sehr guten Verhältnissen zu leben, schlagen sie sich dank ihrer Ersparnisse mehr schlecht als recht durch. Die junge, quirlig und neugierige Gretel ist sehr sympathisch und man nimmt Anteil an ihrem Leben als Flüchtling.

    Erst nach und nach werden immer mehr Details aus Gretels Leben aufgedeckt. Es gibt viele dunkle, grausame Schatten, die sie ihr Leben lang begleitet und bedrückt haben. Als Hörerin war ich oft gefühlsmäßig hin- und hergerissen. Die Deutsche Geschichte ist voller Gräueltaten und niemand sollte davon kommen, der Schuld auf sich geladen hat. Doch ganz so einfach ist die Schuldzuweisung rückblickend nicht. Nicht nur Gretel ringt um eine Entscheidung, sondern auch ich konnte mich selbst nach langem Nachdenken nicht so einfach festlegen, wie Gretel handeln sollte.

    Es geht um Schuld, Verbrechen und dem Selbsterhaltungstrieb, der in jedem Menschen steckt.

    Ein Hörerlebnis, welches mich noch lange Zeit beschäftigt hat.

    Großartig, wenn SchriftstellerInnen es verstehen, geschichtliche Elemente gekonnt in Romanhandlungen zu verweben und ihren Teil zum Nichtvergessen beitragen. Ein wunderbares, sehr empfehlenswertes Hörbuch.

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  1. Gelungenes Meisterwerk

    Anfangs war ich skeptisch, ob ich John Boynes Bücher früher nur gut fand, weil ich jung genug war. Oft habe ich es schon erlebt, dass Autor*innen, die eigentlich Kinderbücher schreiben, plötzlich ein Buch für ältere Leser*innen verfassen möchten und dann aber nicht den richtigen Ton treffen. Boyne aber hat es geschafft.
    Gretel, Brunos Schwester (ja, der Junge, dessen bester Freund an jenem Ort einen gestreiften Pyjama trug) ist mittlerweile über 90 Jahre alt und lebt in London im Exil unter einer anderen Identität. In drei Abschnitten wird die Gegenwart und die Vergangenheit Gretels miteinander verwoben und die Leser*innen können sich ein Bild von ihrer Flucht machen. Gretel flieht nicht nur vor den Alliierten, die die Konzentrationslager befreiten, sondern auch vor ihrer eigenen Vergangenheit und ihrer Identität. Boyne stellt somit eine neue "Gretelfrage": Sind die Kinder aus der Zeit des Nationalsozialismus auch Mitschuld an dem, was geschehen ist? Hätten sie danach darüber reden müssen? Ist es ok, dass Gretel davon nichts mehr wissen möchte?
    Gretel wirkt am Anfang eher unzugänglich, taut aber mit der Zeit immer mehr auf und durch die Episoden aus ihrer Vergangenheit, wird ihr Verhalten auch für die Leser*innen verständlich. Boyne hat eine Protagonistin erschaffen, mit der die Leser*innen mitfühlen und deren Probleme ans Herz gehen. Das Buch ist bestimmt keine Gute-Nacht-Geschichte, aber ein wichtiger Beitrag zur modernen Literatur!

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  1. Lässt einen Schuld jemals los?

    Wird einen die Schuld, die man auf sich geladen hat, jemals loslassen?
    Gretel ist die Tochter des KZ-Kommandanten. Nachdem der Vater 1946 hingerichtet wurde, fliehen ihre Mutter und Gretel nach Paris, um unter neuem Namen ein neues Leben zu beginnen. Doch man kann die Vergangenheit nicht ablegen, wie den Namen oder wie ein Kleidungsstück. Gretel ist Schuld am Tod ihres Bruders und diese Schuldgefühle lassen sie nicht los.
    Mir war nicht bewusst, dass dieses Buch die Fortsetzung von „Der Junge im gestreiften Pyjama“ ist. Auch wenn ich den Vorgängerband nicht gelesen habe, so kann man diesen Roman auch ohne Vorkenntnisse lesen. Die Geschichte wechselt immer wieder zwischen der Gegenwart und der Vergangenheit.
    Gretels Eltern haben ihre Tochter indoktriniert und Gretel war eigentlich zu jung, um das zu hinterfragen. Doch es war auch eine traumatische Kindheit. Die Flucht nach Paris bringt keine Erleichterung, denn das Geschehene hängt ihnen nach. Nachdem die Mutter verstorben ist, geht Gretel zunächst nach Australien, um dann in England den Rest ihres Lebens zu verbringen. Sie heiratet Edgar, einen Geschichtsprofessor und lebt mit ihm in Mayfair. Nach Edgars Tod bleibt sie alleine zurück in der schönen Wohnung. Sie ist hochbetagt, als das Ehepaar Darcy-Witt mit ihrem kleinen Sohn Henry in die Nachbarwohnung einzieht. Erinnerungen kommen hoch und als Gretel erkennt, was für ein Mensch der Vater von Henry ist, muss sie eine Entscheidung treffen.
    Auch wenn mich die Geschichte berührt hat, so war mir Gretel nicht so sympathisch, dass sie mir nahekam.
    Es ist ein sehr emotionaler Roman, der mir gut gefallen hat.

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