Kostbare Tage

Buchseite und Rezensionen zu 'Kostbare Tage' von Kent Haruf
4.9
4.9 von 5 (21 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Kostbare Tage"

Es ist der letzte Sommer für Dad Lewis am Rand der Kleinstadt Holt – die er nie verließ, im Gegensatz zu seinem Sohn Frank, zu dem es keinerlei Kontakt mehr gibt, oder Tochter Lorraine, die nun zur Unterstützung zurückkehrt. Aber es kommen auch neue Gesichter und mit ihnen Geschichten: Die kleine Alice zieht im Nachbarhaus bei ihrer Großmutter ein, und der neue Reverend Lyle hat nicht nur mit den eigenwilligen Anwohnern, sondern auch mit der eigenen Familie zu kämpfen.

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:272
EAN:9783257071252

Rezensionen zu "Kostbare Tage"

  1. Sein letzter Sommer...

    Nachdem der Autor den interessierten Leser bereits mit "Unsere Seelen bei Nacht", "Lied der Weite" und "Abendrot" nach Holt entführt hat, geht es auch in diesem Roman an den gleichen zauberhaften Ort mit seinen besonderen Bewohnern. Dieser Teil kann von jedem gelesen werden, egal ob die Vorgänger bekannt sind oder nicht, aber einen Haruf kann man sich eigentlich immer gönnen.

    In der Geschichte geht es um Dad Lewis, dessen Leben langsam aber sicher ein Ende nimmt. Der Sommer wird sein letzter sein. Wie fühlen sich die letzten Lebenstage mit Krankheit an? Hat man alles richtig gemacht im Leben? Tut der Tod weh?

    Das Besondere bei Haruf ist gewiss die sehr gefühlvolle Erzählweise, die mich als Leser völlig in seinen Bann gezogen hat. Schon allein aufgrund des Schreibstils war ich emotional ergriffen und mitgenommen.

    Die Kleinstadt, in der sich jeder kennt, erinnerte mich stark an mein eigenes Umfeld und so kamen bei mir direkt Heimatgefühle auf. Man fühlt sich wohl beim Lesen und mag die dargestellten Figuren sehr.

    Dad Lewis hat einiges hinter sich im Leben. Die Päckchen, die er zu tragen hat, haben mich doch sehr erstaunt. Besonders berührt hat mich das Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Egal wie viele Steine das Leben einem in den Weg legt, eine Familie sollte immer zusammenhalten. Mir hat gefallen, dass er vor seinem Ableben noch einiges klären will, sich aber wie im echten Leben nicht immer alles klären lässt und auch Wunden zurückbleiben.

    Die Sprünge zu anderen Figuren oder in andere Zeiten waren stets nachvollziehbar und schlüssig. Nie bin ich in der Handlung ins Schwimmen gekommen oder habe etwas nicht verstanden, eher fühlte es sich so an als wäre ich ein Teil der Geschichte.

    Der Roman hat sich für mich kurzweilig lesen lassen, aber mich emotional ganz schön aufgewühlt. Die Grundstimmung hatte für mich stets einen Hauch von Düsternis, was bei einem bevorstehenden Tod aber wahrscheinlich normal ist.

    Fazit: Der Ausflug nach Holt hat sich auf jeden Fall gelohnt, da mache ich gern wieder einen Abstecher hin. Klare Leseempfehlung von meiner Seite.

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  1. Kostbares Kleinod

    Es ist der letzte Roman, den der amerikanische Autor Kent Haruf kurz vor seinem Tod schrieb. Der Roman „Kostbare Tage“ ist ein Buch über das Sterben, angesiedelt in der fiktiven Kleinstadt Holt in Colorado, das sich unaufgeregt auf das Wesentliche konzentriert. Der Rückblick des sterbenden Dad auf sein Leben ist genaue Beobachtung, tröstliches Lesen und mit seinen starken Frauengestalten und rührenden Szenen eine äußerst lohnende Lektüre.

    Dad Lewis bekommt am Anfang des Sommers die vernichtende Diagnose, dass er nur noch wenige Wochen zu leben hat. Krebs zwingt ihn, der sein ganzes Leben als Eisenwarenhändler in der Kleinstadt Holt verbrachte, in die Knie. Er erinnert sich an Vergangenes, an seinen verlorenen Sohn Frank, der die Familie wegen eines Streits mit Dad verließ und nie zurück kehrte, an einen Angestellten, der ihn betrog und sich später das Leben nahm. Liebevoll beim Sterben begleitet wird er von seiner Ehefrau und von seiner Tochter, inzwischen auch fast fünfzigjährig. Unterstützung findet die Familie bei einer Nachbarin und bei zwei Freundinnen, die ebenso Mutter und Tochter sind.
    Gegenüber zieht mit der Enkeltochter der Nachbarin junges Leben ein, Alice ist mit ihrer sprühenden Jugend der Gegenpol für das Ende von Dad. Während er dahinsiecht umschwirren die Frauen die kleine Alice, die Radfahren lernt und zusammen mit den kinderlosen Frauen neue Kleider kauft oder Sommerpicknick veranstaltet.

    Völlig unaufgeregt, mit sehr genauem Blick erzählt Kent Haruf die Geschichte von Dad. Es ist ein Abgesang auf sein enges Leben in Holt, das durch die Menschen Weite gewinnt und wichtig erscheint. Voller Offenheit agieren die Frauen, die Dad umsorgen, den Brummbären und Starrkopf, der seinem Sohn Frank die Homosexualität auch jetzt nicht nachsehen kann.
    Trivialitäten und existenzielle Dinge treffen aufeinander, wenn das Leben schwindet, und Kent Haruf hatte die Gabe, das sehr genau und völlig ohne Pathos einzufangen. Er schreibt bravourös über die scheinbaren Belanglosigkeiten des Lebens, gemächlich und manchmal scharf an kitschigen Tränen vorbei, dafür mit umso mehr Zärtlichkeit für Alltägliches mit kleinen Glücksmomenten.
    Wie ein breiter Strom, der ganz ruhig fließt, liest sich sein Buch, und nur ganz wenige Stellen verursachen Unruhe im gemütlichen und äußerst angenehmen Lesesog.
    Manche Szenen stehen dazu im scharfen Kontrast und stecken voller pralles Leben, wenn zum Beispiel vier Frauen in der flirrenden Sommerhitze zusammen mit der kleinen Alice nach einem Sommerpicknick nackt im Kuhtrog baden und sich danach, nur von Rindviechern beobachtet, in der Sonne trocknen lassen.

    Kent Haruf hat sich auf bemerkenswerte Weise in das Ende und das Zerrinnen eines Lebens hineinversetzt, äußerst detailgenau und unaufgeregt. Er hat ein Jahr vor seinem Tod ein Kleinod geschaffen, das tröstlich am Lebensende und lebensbejahend zugleich ist, voller schöner, trauriger und schmerzlicher Momente zum Sterben in der Sommerhitze Colorados.

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  1. Wenn das Ende naht

    Dad Lewis weiß. es ist sein letzter Sommer in der Kleinstadt Holt, irgendwo im Mittleren Westen der USA, wo der Blick über Getreidefelder weit reicht. Kent Haroufs "Kostbare Tage" fängt mit dem Tag an, an dem der Arzt Lewis sagt, dass er nichts mehr für ihn tun kann, dass er seine Angelegenheiten regeln muss und ihm nur noch wenige Wochen zu leben hat. Den Herbst wird er nicht mehr erleben.

    Manche Menschen haben eine bucket list der Dinge, die sie in ihrem Leben sehen wollen, der Orte, die sie besuchen wollen. Dad Lewis, der die Kleinstadt nie verlassen hat, hat nichts dergleichen. Er hatte ein kleines, unspektakuläres Leben, mit dem er im großen und ganzen zufrieden war: Die Eisenwarenhandlung, die er aufgebaut hat und die er auch mit über 70 weiter geleitet hat, bis er eben zu krank dafür war. Zwei Kinder - Tochter Lorraine kommt nun nach Holt zurück, um die Familie zu unterstützen. Zu Frank, dem Sohn, gibt es seit Jahren keinen Kontakt. Dass sein Sohn schwul ist, hat Dad Lewis nie verwunden. Während die Zeit verrinnt und sich sein Zustand immer weiter verschlechtert, kommt Lewis ins Nachdenken über diesen Bruch, unter dem vor allem seine Frau Mary leidet, die zwischen den beiden Männern zu vermitteln versuchte und sich nach wie vor nach Frank sehnt.

    Dad Lewis weiß, er hat sich um ein anständiges Leben bemüht, auch wenn er nicht alles richtig machte. Mary allerdings ist der große Treffer in seinem Leben. Wenn Harouf dieses alte Ehepaar beschreibt, dass nach einem halben Jahrhundert zärtlich-liebevoll miteinander umgeht, das auch in der Krise erst einmal an den anderen und seine Bedürfnisse und Nöte denkt - das ist eine ebenso wunderschöne wie unspektakuläre Liebesgeschichte.

    Die Erzählweise Haroufs entspricht der weiten Landschaft und dem gemächlichen Tempo der Kleinstadt, in der alles etwas langsamer zu gehen scheint - selbst wenn einem wie Dad Lewis die Lebenszeit zwischen den Fingern verrinnt. Ruhig, ohne zu hadern, verbringt die Familie die verbleibende Zeit. Nachbarn kommen zur Unterstützung, die Gemeindeschwester bringt schmerzstillende Medikamente. Dad Lewis hat das Glück, zu Hause sterben zu können, ohne Intensivmedizin im Krankenhaus, ohne strapazierende Therapien, die das Ende nur herauszögern können. Es ist etwas Tröstliches und Ruhiges in dieser Art, langsam aus dem Leben zu schwinden.

    "Kostbare Tage" enthält Wehmut, aber keine Resignation. Es ist ein Buch vom Abschiednehmen und Loslassen, von Dankbarkeit für das, was war und starken Frauenfiguren, die nach den Maßstäben der aufgeregten Internetgesellschaft zwar unscheinbar und unspektakuläre sein mögen, die als alte und alternde Frauen übersehen und unsichtbar gemacht werden, die aber ohne große Worte und ohne Aufsehen Courage, Solidarität und Tatkraft zeigen.

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  1. Ich reise gedanklich immer wieder gern nach Holt!

    Ich reise gedanklich immer wieder gern nach Holt!

    Kostbare Tage von Kent Haruf

    Ein Wiedersehen mit der fiktiven Kleinstadt Holt ist immer wie eine Rückkehr nach Hause. Man fühlt sich direkt geborgen und aufgehoben im Schoß der ansässigen Familien. Auch wenn es dort natürlich, wie woanders auch, kleine und größere Probleme und Sorgen gibt.

    In diesem Roman des Autors Kent Haruf erleben wir die letzten Wochen von Dad Lewis, der todkrank, auf sein Ende wartet. Er lässt sein Leben noch einmal Revue passieren, schließt mit der ein oder anderen Sache ab, aber alles lässt sich nicht immer klären, bevor man diese Welt verlässt. Das bringt der Autor sehr gut rüber, er schildert alles neutral mit einer enormen Gabe alles wesentliche auf den Punkt zu bringen ohne anzuklagen oder zu verurteilen. Alte Wunden werden aufgerissen, die man zu Lebzeiten verdrängen konnte, wie das verschwinden des eigenen Sohnes, den Dad damals nicht verstehen konnte. Dessen Sexualität er nicht gutheißen konnte, und ihn so aus dem Haus getrieben hat.
    Dad Lewis wird von seiner Frau und der Tochter umsorgt, ein Akt der sehr gefühlvoll dargestellt wird. Haruf verleiht dem Tod eine gewisse Würde in seinen Schilderungen. Diese Szenen habe ich mit großem Respekt gelesen.
    Doch die Geschichten aus Holt haben noch viel mehr zu bieten. Typisch sind auch, wie ich finde, die Verknüpfungen der Bewohner untereinander. Lorraine, Dads Tochter, reist an, um der Mutter zur Hand zu gehen und lernt direkt Alice kennen, die nebenan eingezogen ist. Das Kind lebt nun bei ihrer Großmutter, da ihre Mutter verstorben ist. Lorraine hat ein Kind verloren und man spürt während des Lesens von Anfang an, dass sich dort etwas anbahnt, dass Menschen zueinander finden werden, sich gegenseitig auffangen werden.
    Erwähnenswert wäre da noch Reverend Lyle, der neu in der Stadt ist. Er hat Mut, hat aber ebenfalls sein Päcklein tragen. Seine Geschichte empfinde ich so interssant, dass ich mir wünsche, sie in einem weiteren Roman weiterverfolgen zu können.
    Dies sind nur ein paar Beispiele, alle zu erwähnen, würde den Rahmen meiner Rezension sprengen und sicher auch den Reiz des Lesens nehmen. Daher möchte ich allen nur wärmstens empfehlen in Holt vorbeizuschauen. Es lohnt sich!

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  1. Zurück in Holt

    In Kostbare Tage nimmt uns Kent Haruf wieder mit nach Holt, einer kleinen Stadt mitten in Colorado. Diesmal beleuchtet er das Schicksal von Dad Lewis, und dessen letzten Tage. Dad hat Krebs im Endstadium und seine Tochter Lorraine kommt nach Hause um ihrer Mutter bei der Pflege zu helfen. Wie in Kleinstädten üblich unterstützen auch Nachbarn und Freunde die Familie. So kommen die Johnssons, Mutter und Tochter, immer wieder vorbei und auch die Nachbarin Berta-May und ihr Enkelin Alice helfen wo sie können. Nach und nach erfahren wir auch ihre Geschichten und auch die des Pfarrers Lyle und seiner Familie wird erzählt.

    An sich ist es kein aufregendes Buch, der Autor erzählt einfach aus dem Alltag. Und doch kommen immer wieder Themen hoch, die unsere Gesellschaft beleuchten, wie Homophobie, Patriotismus und Sterbebegleitung. Der Schreibstil ist fast emotionslos und da die wörtliche Rede im Text nicht wirklich hervorgehoben wird, hat man manchmal das Gefühl, dass der Text ein wenig mehr Ecken und Kanten vertragen hätte. Trotzdem hat mich gerade die Geschichte Dads sehr berührt, macht er sich am Ende doch noch einmal Gedanken darüber was alles nicht so gut in seinem Leben gelaufen ist.

    Als Wohlfühlbuch würde ich es nicht bezeichnen, allerdings bewirkt der ruhige Schreibstil tatsächlich eine gewisse Entschleunigung, sofern man sich drauf einlassen kann.

    Von mir bekommt das Buch eine Leseempfehlung. Besonders möchte ich auch die schöne Gestaltung des Buches durch den Verlag hervorheben, der Leinenumschlag unter der schön gestalteten Cover macht auch das haptische Erlebnis zu einem Genuss.

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  1. Letzte Segnung

    Kennt ihr das, wenn ein Buch euch bitterlich zum Weinen bringt, ihr aber dennoch zutiefst froh seid, es gelesen zu haben? Weil es ein Stück Leben und all dessen Facetten in ein einzigartiges, sprachlich kostbares Gewand hüllt? Ich fühlte geradezu Dankbarkeit gegenüber dem Autor, auch wenn viele Passagen des Buches mir bis auf die Knochen ins Fleisch schnitten.⠀

    Kent Haruf schrieb diesen Roman über das Sterben eines alten Mannes kurz vor seinem eigenen Tod, was dem Leser geradezu aus den Seiten entgegenhallt.⠀

    Aus seinen Worten spricht eine fundamentale Wahrheit, eine bedingungslose und zugleich behutsame Authentizität. Er redet den unvermeidlichen Verlust nicht klein oder romantisiert ihn, stellt ihn vielmehr als natürlichen Teil des Lebens dar.⠀

    Ich habe selten eine so berührende Schilderung des Sterbeprozesses gelesen.⠀

    Besonders bewegte mich, dass der Autor nichts schönt oder verschweigt, dem Protagonisten, ‘Dad’ Lewis, dabei aber immer seine Würde lässt. Auch wenn Dads Ehefrau ihm den knochigen Hintern oder die Genitalien wäscht, weil er es selber nicht mehr kann, ist das nicht erniedrigend, sondern vor allem ein Bild bedingungsloser Liebe.⠀

    Er stirbt nicht im Krankenhaus, nicht an Maschinen angeschlossen. Seine Frau und seine Tochter sind bei ihm, rund um die Uhr, machen ihm die letzten Tage so angenehm wie möglich. Nachbarn und Freunde kommen vorbei, bringen Essen und plaudern mit ihm; er regelt seine Angelegenheiten, soweit ihm das möglich ist, und veranlasst noch ein paar gute Taten, die ihm am Herzen liegen.⠀

    Das hat etwas sehr Herzerwärmendes, Positives, gewürzt mit einer leisen Prise Humor – und gleichzeitig blutete mir beim Lesen das Herz.⠀

    Das könnte leicht zum Trauerkitsch werden, aber nein…⠀

    Denn der Autor zeigt Dad Lewis als grundlegend guten Menschen, beleuchtet aber auch seine Schwächen und seine größten Fehler. Vor allem das zerbrochene Verhältnis zu seinem Sohn Frank steht im Mittelpunkt – den hat Dad durch hilflos-zornige Intoleranz aus seinem Leben vergrault. Er kann ein sturer alter Bock sein, ein zorniger Patriarch.⠀

    Amerikanische Kleinstädte waren in Franks Jugend nicht unbedingt Orte, in denen man ungestraft von der vermeintlichen Norm abweichen konnte – sind es vielerorts wohl immer noch nicht. Dad war nicht vorbereitet darauf, einen Sohn zu haben, der “anders” war, hatte nicht das emotionale Handwerkszeug, um damit umzugehen.⠀

    Obwohl man spürt, dass er zu keinem Zeitpunkt aufhörte, Frank zu lieben, tat er dennoch nie den Schritt, zu sagen: es tut mir leid, das war falsch von mir, bitte verzeih mir. Er kann nicht aus seiner Haut, zu tief verwurzelt sind Homophobie und das Idealbild eines Sohnes, der Frank nie sein kann.⠀

    Andere Charaktere ergänzen Dads Geschichte, bringen aber auch ihre eigenen Probleme und Thematiken mit. Haruf ist ein Meister darin, mit einfachen Worten Charaktere zu schreiben, die einem nahe kommen. Dabei beschreibt er auch ihre Schwächen so, dass man sie erkennt, aber nicht verurteilt. ⠀

    Da ist zum Beispiel die kleine Alice, die gerade ihre Mutter verloren hat und daher einen anderen Blick auf Tod und Trauer einbringt. Dreht sich ansonsten viel des Romans um die Vergangenheit, schlägt Alice den Bogen in die Zukunft und wird zum Trost und Rettungsanker für zwei Frauen, denen der Lebensmut abhanden gekommen ist.⠀

    Oder da ist Reverend Lyle, der nach Holt zwangsversetzt wurde, weil er sich für einen homosexuellen Priester einsetzte. In Holt macht er sich nicht nur Freunde – das Buch spielt nach 9/11, und die Leute wollen keine Predigten über Versöhnung hören, sondern schreien nach Rache. Sein Sohn schämt sich für ihn, ist wütend und ratlos und will einfach nur noch weg aus Holt…⠀

    Harufs Sprache kann so viel in so wenigen einfachen Worten ausdrücken. Sie eröffnen eine mühelose Weite: man sieht geradezu die Felder vor sich und hört den Wind, der darüberpfeift. Man sieht die Charaktere, kann sich ihr Lächeln, ihr Stirnrunzeln und ihre kleinen Marotten vorstellen.⠀

    Die Sprache ist klar, manchmal geradezu nüchtern, immer aufs Wesentliche reduziert – und dennoch ausdrucksstark und cineastisch. Es sind die kleinen Momentaufnahmen des alltäglichen Lebens, die Kent Haruf so meisterhaft beherrscht. Obwohl sie für die eigentliche Handlung meist kaum eine Rolle spielen, sind sie echte Highlights; positive und hoffnungsvolle Episoden sorgen im Zusammenspiel mit den ernsten Themen für Balance.⠀

    Fazit:⠀

    Dad Lewis liegt im Sterben, gepflegt von seiner Frau und seiner Tochter, besucht von Freunden, Nachbarn und Angestellten. Er regelt seine Angelegenheiten, bereut nur wenig – wäre da nicht sein Sohn Frank, den er vor vielen Jahren in intolerantem Zorn vertrieb. Der Autor gibt auch vielen Menschen in seinem Umfeld eine Stimme, zeigt ihre Hoffnungen, Ängste und Wünsche – ein chaotisches Kaleidoskop der menschlichen Natur.⠀

    Kent Haruf hat, kurz vor seinem eigenen Tod, ein so schmerzliches wie wunderbares Buch über das Sterben und dessen Unvermeidlichkeit geschrieben. Bei aller Trauer, bei allem Schmerz, enthält das Buch dennoch vor allem Hoffnung und Liebe.⠀

    Der Titel ist passend: Dad Lewis’ letzte Tage sind kostbar, für ihn selbst und für die Menschen, die ihn lieben.⠀

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  1. 5
    23. Jul 2020 

    Leben und Tod...

    Es ist der letzte Sommer für Dad Lewis am Rand der Kleinstadt Holt – die er nie verließ, im Gegensatz zu seinem Sohn Frank, zu dem es keinerlei Kontakt mehr gibt, oder Tochter Lorraine, die nun zur Unterstützung zurückkehrt. Aber es kommen auch neue Gesichter und mit ihnen Geschichten: Die kleine Alice zieht im Nachbarhaus bei ihrer Großmutter ein, und der neue Reverend Lyle hat nicht nur mit den eigenwilligen Anwohnern, sondern auch mit der eigenen Familie zu kämpfen.

    Das Leben ist rau in Holt, Colorado. Das durften wir ja bereits in den ersten beiden Bänden der 'Plainsong-Trilogie' erfahren. Ländlich die Umgebung, karg die Landschaft, spielt die Erzählung diesmal nicht wie zuvor in den 60er oder 70er Jahren des vorigen Jahrhunderts, sondern zu Beginn des neuen Jahrtausends. Erneut agieren hier nur ein paar wenige Figuren, wobei man diesmal nur noch auf Spuren 'alter Bekannter' aus den vorherigen Romanen trifft.

    Im Zentrum der Erzählung steht Dad Lewis, der von seinem Arzt mit einer tödlichen Diagnose entlassen wurde und sich nun auf seine letzten Lebenswochen einzurichten hat. Seine Frau Mary versucht es ihm so bequem wie möglich einzurichten und ist froh, als Lorraine, ihrer beider Tochter, beschließt, für die letzten Wochen ihres Vaters nach Hause zu kommen. Dad Lewis nimmt langsam Abschied vom Leben, von seinen Lieben, von Liebgewonnenem - und versucht mit sich ins Reine zu kommen. Denn nicht alles in seinem Leben war so, dass er es im Nachhinein nicht hätte anders machen wollen.

    Neben Dad Lewis und seiner Familie widmet sich Kent Haruf aber auch einigen anderen Figuren, deren Perspektive immer wieder eingestreut wird. Eine alte Nachbarin der Familie Lewis beispielsweise und ihre Enkelin Alice, deren Mutter vor kurzem verstorben ist und die nun bei ihrer Großmutter lebt. Oder auch die beiden Johnson-Frauen - Willa, seit 30 Jahren Witwe, und ihre ungebundene Tochter Alene, die nach ihrer Pensionierung als Lehrerin wieder in ihr Elternhaus zurückgekehrt ist. Eine weitere wichtige Figur ist der Prediger Rob Lyle , der von Denver nach Holt strafversetzt wurde und mit seiner Familie seither versucht, Teil der Gemeinde zu werden.

    In dem heißen Sommer in Holt plätschert das Leben vor sich hin, fließt langsam und träge vorbei, und aus alldem ragen einzelne Inseln an Einsamkeit hervor. Das Leben mit einem absehbaren Ende gehört dazu, das wird hier sehr deutlich - denn rund um den drohenden Tod fließt das Leben weiter. Durch die wechselnden Perspektiven wirkt das ganze nicht zu schwer, sondern macht deutlich, dass das Leben ein Fluss ist, in dem wir vielleicht ein Stück des Wegs gemeinsam gehen können oder aber immer wieder einmal aufeinander zutreiben, bevor jemand endgültig versinkt oder ins Meer gespült wird.

    Dennoch gibt es in diesem Roman einige berührende Szenen - und obschon es durchaus sein kann, dass Kent Haruf eigene Gedanken und Empfindungen hat einfließen lassen angesichts seiner eigenen Krebserkrankung, haben diese Szenen des Abschieds vom Leben auch etwas Allgemeingültiges. Ich musste beim Lesen sehr oft an die letzten Wochen meines Vaters denken - oder auch daran, was in der Situation für mich wohl wichtig wäre. Es sind Lebensthemen, die da mal so eben im Plauderton an uns herangetragen werden, unaufgeregt, doch eindeutig präsent, unmöglich zu umschiffen.

    Unaufgeregt präsentiert Kent Haurf auch die Charaktere. Positive wie negative Facetten treten zutage, nüchtern dargestellt ohne zu beschönigen oder zu dramatisieren und stets ohne Wertung. Dies ist eine Besonderheit, die sich in allen Romanen des verstorbenen Autors findet und die mir außerordentlich gut gefällt.

    Einsamkeit, Traurigkeit, (fehlende) Lebensentwürfe oder -perspektiven - ein durchweg melancholischer Ton zieht sich durch den Roman. Anrührend aber nicht kitschig, offen aber niemals abwertend - das beherrscht Kent Haruf einfach. Die Begegnungen, die Akzente der Mitmenschlichkeit - sie sind es, die die Einsamkeit zuweilen auflösen und die selbst angesichts mancher Schrecknisse für Hoffnung und Trost sorgen.

    Als Kontrapunkt für die schweren Lebensthemen setzt der Autor Alice, das kleine Mädchen, das die Zukunft repräsentiert. Das Leben geht weiter. Immer. Irgendwie.

    Es ist, wie Bernhard Schlink auf dem Umschlag des Romans schreibt: "Kent Haruf nimmt uns mit, wohin wir nie wollten, und bald wollen wir von dort nicht mehr weg."

    Genau.

    © Parden

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  1. Kostbare Lektüre

    ,,Tja, das war's dann", sagt Dad Lewis nach seiner Krebsdiagnose zu seiner Frau Mary. Ihre Antwort lautet: ,,Ich möchte nicht, dass du schon gehst." So undramatisch, fast sachlich erzählt Kent Haruf vom letzten Sommer, den Dad Lewis in der fiktiven Kleinstadt Holt in der Nähe von Denver erlebt. Dabei lässt gerade die lakonische und sachliche Erzählweise dem Leser viel Raum für Emotionalität, die dadurch, dass sie nicht explizit ausgedrückt wird, umso eindringlicher wirkt.
    Dad Lewis verlebt seine letzten Wochen und Tage mit seiner Frau Mary und der Tochter Lorraine, die zur Unterstützung ihrer Eltern nach Holt zurückkehrt. Dad Lewis sitzt auf der Terrasse, schaut auf die vertraute Landschaft, die Nachbarhäuser, bekommt Besuch von seinen Angestellten, den Nachbarn oder dem neuen Reverend, der mit seinen Ansichten keinen leichten Stand in der Gemeinde hat. Diese eigentlich alltäglichen Begegnungen bekommen eine besondere Bedeutung, da es vielleicht letzte Begegnungen sein werden. Auch diese Szenen werden unaufgeregt geschildert, Dad Lewis' Krankheit wird von allen, vor allem von ihm selbst, recht sachlich, aber knapp thematisiert. So bleibt ihm Zeit, noch offene Angelegenheiten zu klären. Lorraine und Mary fahren mit ihm noch einmal durch die kleine Stadt und besuchen Orte, die Dad Lewis noch einmal sehen möchte. So kann er Erinnerungen aufleben lassen und gleichzeitig Abschied nehmen. Sehr bewegend fand ich, wie liebevoll und vertraut die Familie und insbesonders auch die Eheleute miteinander umgehen. Allerdings beschäftigen Dad Lewis auch unangenehme Gedanken und Träume. Zu seinem Sohn Frank hat er nach einem bösen Streit seit Jahren keinen Kontakt mehr. Auch Marys Suche nach dem ,,verlorenen Sohn" verläuft erfolglos. Und so spricht Dad Lewis in den stillen Nachtstunden mit ihm und auch mit seinen verstorbenen Eltern.
    Wie in den anderen Romanen von Kent Haruf gibt es Nebenfiguren und mit ihnen neue Geschichten. So zieht z.B. die kleine Alice im Nachbarhaus ein. Nach dem Tod ihrer Mutter lebt sie nun bei ihrer Großmutter. Ihre Jugend verleiht der teils doch sehr melancholischen Stimmung einen zarten Hoffnungsschimmer.
    ,,Kostbare Tage" ist keine leichte Lektüre, sondern ein berührender und vielschichtiger Roman über Liebe, Vertrauen und Lebensfreude, aber auch über Kummer, Abschied, Sterben und Fehler im Leben, die nicht immer wiedergutzumachen sind.

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  1. Der gute Mensch von Holt

    Holt, Colorado: Dad Lewis liegt im Sterben. Unheilbar an Krebs erkrankt bleibt ihm nicht mehr viel Zeit. Seine Frau Mary kümmert sich in seinen letzten Tagen rührend um ihn. Auch seine Tochter Lorraine reist an, um der Mutter beizustehen und vom Vater Abschied zu nehmen. Nach und nach kommen Nachbarn, Freunde, seine Angestellten vorbei, um ein letztes Mal nach Dad zu sehen. Auch Reverend Lyle, der neue Gemeindepfarrer stattet ihm einen Besuch ab. Lyle hat selbst mit eigenen Problemen zu kämpfen, seine Familie droht auseinanderzubrechen, seine Ansichten werden nicht von jedem gut geheißen. Währenddessen lebt sich die achtjährige Alice in der Gemeinschaft ein. Das Mädchen wohnt seit dem Tod ihrer Mutter bei ihrer Großmutter Bertha May. Das Mädchen wird von Lorraine und den Johnson Frauen, die verwitwete Willa und ihre Tochter Alene, ins Herz geschlossen.
    Schon zum vierten Mal entführt Kent Haruf den werten Leser nach Holt, Colorado. Es sind „Kostbare Tage“ von denen der 2014 verstorbene amerikanische Autor erzählt. Holt ist eine fiktive Kleinstadt, nicht unbedingt ein Wohlfühlort, kein Ort, an den es einen hinzieht. Dort leben bodenständige Menschen mit ganz alltäglichen Sorgen, Wünschen, Träumen, Freuden und Kummer. In dem Kent Haruf die Menschen genau beobachtet, ihnen größte Achtsamkeit und Respekt entgegenbringt, lässt er den Leser eine tiefgehende Bindung zu seinem Personal eingehen.
    „Im Schatten der Bäume blieb er vor den Häusern stehen, warf einen Blick durch die Fenster, die in den Sommernächten geöffnet waren, und beobachtete die die Leute. Die kleinen Dramen, die tägliche Routine.“
    Genauso wie Reverend Lyle durch die Straßen von Holt geht, in die Häuser der Menschen schaut, so schaut Kent mit fotografischem Realismus hin.
    Mit den Geschichten aus Holt spiegelt er wohl einen guten Querschnitt der amerikanischen Bevölkerung in ländlichen Kleinstädten. Es gibt dort gute Menschen und weniger gute. Doch noch nie bin ich einem von Kent Harufs Protagonisten so ambivalent gegenüber gestanden wie Dad Lewis.
    Dad Lewis ist für mich nicht „der gute Mensch von Holt“, wie es zunächst scheinen mag. Dad hat sich ein gutes Leben in Holt aufgebaut. Er hat einen kleinen gut gehenden Eisenwarenladen ein gutes Auskommen. Seine Frau Mary ist ihm, anders kann man es nicht ausdrücken, treu ergeben. Seine Tochter Lorraine liebt und achtet ihn. Doch es gibt dunkle Flecken in Dads Leben. Es gibt Entscheidungen, die er getroffen hat und die gar nicht mal so sehr sein Leben beeinträchtigt haben als das anderer Menschen.
    Warum heißen Sie so? Das fragt die kleine Alice, als sie Dad kennenlernt.
    Wie denn?
    Dad.
    Weil ich eine Tochter habe, wie du. Als sie zur Welt kam, haben die Leute angefangen mich so zu nennen.
    Doch Dad ist ein Vater, der auch einen Sohn hat. Einen Sohn, den er nie erwähnt, von dem er nie erzählt. Der homosexuelle Frank verließ die Familie mit 19, ohne Schulabschluss. Einen Sohn, den Dad sogar in seinen Todesfantasien nur als Versager sehen kann.
    Auch in einem anderen Fall plagten ihn Schuldgefühle, die er mit finanzieller Zuwendung bereinigen konnte. Ob Dad nur aus schlechtem Gewissen, Anstand, moralischem Imperativ oder reiner Nächstenliebe gehandelt hat, beliebt der Interpretation des Lesers vorbehalten.
    Was hätte ich anders tun können, ist wohl eine Frage, die sich viele Sterbende stellen. Es sind nicht nur die letzten Tage des Abschiednehmens „kostbare Tage“, Tage der Danksagung. Jeder Tag ist kostbar und man sollte keine Zeit damit vergeuden, Menschen, an denen einem etwas liegt, zu missachten. Warte nicht darauf, etwas später zu erledigen. Sag denen, die du liebst, dass du sie liebst. Lass dich nicht durch Stolz, gesellschaftliche Konventionen, falschen Glauben davon abhalten, andere Menschen anzunehmen, wie sie sind. Revidiere deine Entscheidungen, wenn du erkennst, dass sie falsch waren. Jeder Tag ist kostbar.
    Leben und Sterben, das sind zwei Nachbarn. In Holt hat die nachbarschaftliche Gemeinschaft einen hohen Stellenwert. Es ist wunderbar mitzuerleben, wie sich die Frauen in dieser Geschichte über Generationen hinweg, von der alten Willa Johnson zu der jungen Alice, solidarisieren.
    Der trostspendende Lesestoff scheint im Kern des Buches jäh unterbrochen, als Reverend Lyle den Versuch wagt, die Bergpredigt wörtlich zu interpretieren. Die christliche Nächstenliebe prallt auf den stumpfen Patriotismus des Amerikas nach 9/11.
    „Kostbare Tage“ ist ein vielschichtiger Roman, ein Aufruf zur Versöhnung, ein unglaublich achtsamer Bericht über Sterbebegleitung, ein Plädoyer für das Leben. Kent Haruf hat dieses Buch kurz vor seinem Tod geschrieben. Seine raue Prosa reibt und kratzt wie ein alter Lieblingspullover.

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  1. 5
    10. Jul 2020 

    Alltägliches auf ganz besondere Weise präsentiert. Ein Highlight

    Die Geschichte spielt Anfang des 21.Jahrhunderts und, wie alle bisherigen Romane des Autors, in Holt, einem fiktiven Städtchen im US Bundesstaat Colorado in der Nähe von Denver.

    Der Roman beginnt traurig:
    Ein Arzt im Denver Krankenhaus eröffnet dem 77 jährigen Dad Lewis, dem Besitzer der Eisenwarenhandlung in Holt, dass er an einer tödlichen Krankheit leidet, die ihn noch vor dem Herbst dahinraffen wird.

    Zu Hause geht es dramatisch weiter: Seine Ehefrau Mary bricht im Wohnzimmer ohnmächtig zusammen und wird dann mit dem Krankenwagen ins Krankenhaus gebracht.

    Schließlich kommt ihre Tochter Lorraine, eine Mittfünfzigerin aus Denver, um sich um ihre Eltern zu kümmern.

    Im Zentrum des 352 seitigen Romans steht das Ehepaar Lewis.
    Wir erleben Dad’s letzte Wochen, Tage und Stunden mit und erfahren Einiges aus dem einfachen, aber bewegten Leben der beiden Eheleute und ihrer Kinder Lorraine und Frank, dem „verlorenen Sohn“.

    Daneben lernen wir einen Teil der anderen Bewohner des Städtchens kennen. Es sind dies Menschen, mit denen Dad und Mary zu tun haben.

    Da ist die alte Nachbarin Berta May, eine treue Seele, die sich seit Neuem um ihre achtjährige Enkelin Alice kümmern muss, weil ihre Mutter an Brustkrebs verstorben ist und ihr Vater sich schon vor Jahren vom Acker gemacht hat.

    Wir lernen Reverend Rob Lyle kennen, einen Endvierziger, der vor kurzem mit Frau und Sohn nach Holt zwangsversetzt worden ist, weil er sich an seinem früheren Wirkort Denver aus Sicht der Kirche daneben benommen hat. Seiner Familie fällt der Start in diesem kleinen Städtchen nicht leicht und auch hier überschlagen sich die Ereignisse.

    Ausserdem bekommen wir einen Einblick in das Leben der Johnson Frauen. Es sind dies die Witwe Willa und ihre heimgekehrte, unverheiratete 60 jährige Tochter Alene, ehemalige Lehrerin, die eine gescheiterte Liebesbeziehung hinter sich hat und traurig darüber ist, keine eigene Familie zu haben.

    Nach und nach lernen wir die o. g. Protagonisten näher kennen. Wir tauchen in deren Alltag und Gedankenwelt ein und werden auf diese Weise selbst ein Teil der Kleinstadt Holt, in der Klatsch und Tratsch keine unerhebliche Rolle spielt.

    Dabei beschreibt der Autor seine Charaktere nicht eindimensional, sondern in all ihrer Komplexität. Sie erwachen zum Leben und man kommt ihnen nahe. Es sind Figuren mit Ecken und Kanten, in deren Alltag und Innenwelt man einen guten Einblick bekommt.

    Rührend und bewegend liest es sich, wie Mary und Lorraine sich ihrem Ehemann und Vater in dessen letzter Lebensphase zuwenden. Man kann sich nur wünschen, in der Sterbephase so liebevolle und treue Begleiter an seiner Seite zu haben.

    Es ist interessant, mitzuerleben, wie Dad seine letzte Lebensphase erlebt und gestaltet.

    „Kostbare Tage“ ist ein zutiefst menschlicher Roman, der ernste und zugleich alltägliche Probleme aufgreift.
    Es geht um das Thema Verlust in all seinen Varianten... Jugend, Gesundheit, das Leben als Solches, Mutter, Kind, Heimat, Freunde, Ehemann.
    Es geht um das Altern, um Krankheit und den bevorstehenden Tod, um ein verwaistes Kind, dessen Mutter gestorben und Vater unbekannt ist.
    Und es geht um Trauer und Verbitterung über verpasste Gelegenheiten, über Familienstreitigkeiten.

    Der Schwere und Ernsthaftigkeit dieser Themen, setzt der Autor ein Gegengewicht an Lebendigkeit, Lebensfreude, Hoffnung, Freundlichkeit, Offenheit, Nächstenliebe, Hilfsbereitschaft und herzerwärmender Zugewandtheit entgegen.

    Während er die schmerzlichen und fast alltäglichen Seiten des Lebens sehr nachvollziehbar, absolut realistisch und lebensnah beschreibt, tendiert er dazu, die angenehmen und erfreulichen Seiten des Lebens etwas zu überzeichnen.
    Das hat mich zunächst ein bisschen stutzig gemacht und ambivalent zurückgelassen, weil sich Kent Haruf in diesen Momenten gefährlich nah an die Grenze des Unrealistischen, Kitschigen und Schnulzigen herangewagt hat.
    Aber eben nur herangewagt. Er hat diese Grenze niemals überschritten. Denn diese dem Schweren gegenübergestellten herzerwärmenden, bezaubernden und feinfühlig erzählten Episoden sind niemals komplett abwegig. Sie sind schwer vorstellbar und unwahrscheinlich, aber eben doch möglich und vor allem wünschenswert.
    Letztlich überwog das Gefühl, dass diese Seite der Medaille zwar etwas überspitzt, aber gleichzeitig rührend, berührend, idealistisch und voller Hoffnung und Glaube an das Gute im Menschen und an der Welt dargestellt wurde.

    Ich habe den Eindruck, dass der Autor zeigen möchte, dass es im Leben letztlich um Beziehung und Liebe geht. Er möchte, meine ich, ausdrücken, dass dadurch Vieles ertragen und kompensiert werden kann und dass bei all der Schwere im Leben eben auch das Positive existiert.

    Kent Haruf beschreibt alltägliche Begebenheiten dermaßen bildhaft, feinfühlig und berührend, dass ich nur staunen und ihn dafür bewundern kann.

    Ein Highlight, das man m. E. unbedingt lesen muss.

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  1. Der letzte Sommer von Dad Lewis

    Holt, eine Kleinstadt im Herzen Colorados, mitten in den Great Plains: Dad Lewis (77) ist unheilbar an Lungenkrebs erkrankt. Die Ärzte geben ihm nicht mehr viel Zeit. Und so ist es der letzte Sommer, den er zusammen verlebt mit seiner fürsorglichen Frau Mary und der gemeinsamen Tochter Lorraine, die zu ihrem sterbenden Vater geeilt ist. Nur Sohn Frank, zu dem die Eltern keinen Kontakt mehr haben, steht dem Sterbenden nicht zur Seite. Im Gegensatz zu den Nachbarn und anderen bekannten Bewohnern der Stadt, die Dad am Krankenbett Gesellschaft leisten. Auch der neue Reverend Lyle stattet dem Kranken einen Besuch ab. Immer deutlicher wird, dass einige in der Stadt auch mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen haben…

    „Kostbare Tage“ ist ein Roman des bereits verstorbenen Autors Kent Haruf. Das Buch ist der „Plainsong“-Reihe zuzuordnen, die im fiktiven Ort Holt spielt.

    Meine Meinung:
    Der Roman besteht aus 39 Kapiteln mit einer angenehmen Länge. Erzählt wird aus der Sichtweise unterschiedlicher Personen. Dieser Aufbau funktioniert prima.

    Der Schreibstil ist schnörkellos, unaufgeregt und recht nüchtern, gleichzeitig jedoch eindringlich, atmosphärisch dicht und einfühlsam. Er ist darüber hinaus von viel wörtlicher Rede gekennzeichnet. Dem Schriftsteller gelingt es, auch mit wenigen Worten viel ausdrücken und mit seinen Landschaftsbeschreibungen beeindruckende Bilder zu schaffen.

    Die Geschichte baut nur sehr lose auf den Romanen „Lied der Weite“ und „Abendrot“ auf und lässt sich ohne Vorkenntnisse verstehen. Sie lässt sich unabhängig lesen, wobei ich dennoch empfehlen würde, die Bücher in dieser Reihenfolge zu lesen.

    Im Mittelpunkt steht Dad Lewis, der in seinen letzten Tagen auf ein Leben zurückblickt, das viele glückliche, aber auch weniger glückliche Momente hatte. Vor allem auf seiner Familie liegt ein Fokus. Aber auch der Reverend und seine Familie, die Johnsons sowie Großmutter und Enkelin nebenan spielen eine wichtige Rolle. Wie schon in seinen früheren Romanen zeichnet der Autor ein vielschichtiges und authentisches Bild der Protagonisten, die als Menschen mit Ecken und Kanten dargestellt und dennoch nicht bloßgestellt werden.

    Gleich mehrere Schicksale und Probleme werden thematisiert. Tod, Abschied, Verlust, Trauer und Krankheit, diese Aspekte rahmen die Geschichte ein. Vor allem das langsame Sterben Dads hat mich sehr bewegt. Aber der Roman handelt auch von Enttäuschungen in der Liebe, Vertrauensbruch, Loyalität und unverrückbaren Überzeugungen. Wieder einmal geht es auch um seelische Abgründe, um Schwächen, um Fehler und um Schuldgefühle, aber auch um Hoffnungsschimmer. Dargestellt werden unterschiedliche Facetten der Menschlichkeit. Dabei bleibt die Handlung stets realistisch und kommt ohne Kitsch aus.

    Das vom Verlag gewohnt reduzierte Cover mit dem Gemälde drückt die Stimmung des Romans gut aus. Auch der Titel ist treffend gewählt, wobei ich das amerikanische Original („Benediction“) noch prägnanter und dadurch vielleicht auch ein wenig passender finde.

    Mein Fazit:
    Auch mit „Kostbare Tage“ konnte mich Kent Haruf überzeugen und berühren. Ein Lesehighlight in diesem Jahr, das ich nicht nur Liebhabern schöngeistiger Literatur wärmstens ans Herz legen kann.

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  1. Mit jedem Menschen stirbt ein Stück Welt

    "Wie leicht wird der Gedanke, zu sterben, wenn alle vorangehen, die man liebt." (Arthur Stahl)
    Dad Lewis Tage sind gezählt, der Krebs ist inzwischen so weit fortgeschritten, sodass er nur noch wenige Tage hat. Seine Frau Mary betreut ihn so gut es geht, bis sie selbst erschöpft zusammenbricht. Dad hat die Kleinstadt Holt nie verlassen, fast sein ganzes Leben hat er seine Eisenwarenhandlung geführt. Während Tochter Lorraine die letzten Tage sich um ihre Eltern kümmert, haben alle seit Jahren nichts mehr von ihrem Bruder Frank gehört. Doch es gibt durchaus auch neue Gesichter in Holt. Nach dem Tod ihrer Mutter lebt die kleine Alice nun bei ihrer Großmutter und Dads Nachbarin. Reverend Lyle und seine Familie sind ebenfalls neu in der Kirchengemeinde. Jedoch sie werden nicht von allen Anwohnern herzlich aufgenommen. Zum Glück bringt der Sommer außer Leid und Tod auch noch ein wenig Wärme, Spaß, Freude und Hoffnung nach Holt. Doch für Dad wird es ein innehalten, um ein letztes Mal seine Leben Revue zu passieren.

    Meine Meinung:
    Ich war mir erst gar nicht so sicher, ob ich bei dieser Leserunde mitmachen soll, doch im Nachhinein bin ich sehr froh darüber. Der Schreibstil ist äußerst warmherzig, emotional und bildhaft in Episoden geschrieben. "Kostbare Tage" spielt irgendwann nach 9/11, da dieses Attentat erwähnt wird. Und da der Autor selbst 2014 nach schwerer Krankheit verstarb, hat er sicher einen Teil seiner eigenen Erfahrungen in diesem Buch niedergeschrieben. In verschiedenen Episoden erlebe ich einige Anwohner der Kleinstadt Holt, ihre Nöte, Kummer und Sorgen, jedoch durchaus auch schöne Tage. Doch in der Hauptsache geht es um den Sterbeprozess von Dad Lewis. Der Autor zeigt in diesem Buch ein bisschen die eigene Verletzlichkeit und Situationen auf, die im Laufe eines Lebens passieren können. Er zeigt mir die verletzte Seele von Lorraine, die ihre Tochter bei einem Autounfall verlor. Alice, die nicht nur mit dem Tod ihrer Mutter klarkommen muss, sondern die sich jetzt in einer ganz neuen Umgebung zurechtfinden muss. Alene nach einer Liebesaffäre mit einem verheirateten Mann und den Folgen, lebt sie nun zurückgezogen bei ihrer alten Mutter Willa. Außer den täglichen Ritualen haben die beiden kaum Abwechslung. Da tut es ganz gut, dass sie sich ein wenig um Alice und Mary kümmern können. Sehr berührt hat mich jedoch Dads Rückblenden in sein Leben, besonders emotional wird das Sterben von Dad geschildert, sodass dies sicherlich für die Leser nicht immer einfach ist. Traurig ist die kühle Haltung gegenüber seinem Sohn Frank, der deshalb seiner Familie den Rücken zukehrt. Wie gerne würde er jetzt alles ungeschehen machen, um ihn noch einmal sehen zu dürfen. Ein letztes Mal, versucht er alles zu regeln, was noch zu regeln geht. Was habe ich oft Tränen in den Augen, wenn ich die respektvollen, einfühlsamen Worte von Kent Haruf hier lese! Ich muss sagen, das ist schon ganz großes Kino, was der Autor uns hier zu Papier bringt. Ich fühle mich als, säße ich mitten im Zimmer um Dad beim Sterben zusehen. Dabei beschönigt er nichts in diesem Prozess, im Gegenteil für mich fühlt es sich an, als wenn die Seele so langsam aus dem Menschen entweicht. Zwischendrin darf ich allerdings noch ein paar schöne Szenen erleben, die ich mir sehr gut bildlich vorstellen konnte. Doch Themen wie Glaube, Homosexualität, Vergebung, Schuld und Hoffnung spielen ebenfalls eine große Rolle in diesem Buch. Am Ende bleibe ich zwar ein wenig traurig zurück, jedoch blicke durchaus versöhnt und hoffnungsvoll in die Zukunft dieser Menschen. Denn selbst wenn man sich vor dem Tod vielleicht nicht mit allen persönlich versöhnen kann, so bietet uns der Autor hier eine ganz besondere Lösung. Für mich ist dieses mein besonderes Jahreshighlight, dem ich gerne mehr als 5 von 5 Sterne geben würde.

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  1. Jeder Tag ist kostbar

    Wieder lässt der Autor den Leser am Leben der amerikanischen Kleinstadt Holt teilhaben. Im Mittelpunkt steht der Dad Lewis, sein ganzes Leben Eisenwarenhändler im Städtchen. Sein Leben geht nun zu Ende. In den letzten Tagen sind seine Frau Mary und seine Tochter Lorraine an seiner Seite, auch Nachbarn und Freunde begleiten ihn.

    Von ihren Wünschen und Enttäuschungen erzählt dieses Buch. Immer in einer nur vordergründig einfachen Sprache. Aber das ist die große literarische Kunst des viel zu früh verstorbenen Autors.

    Mit großer Empathie begegnet Haruf seinen Protagonisten und das hat mich tief berührt und ich bin sicher, kein Leser wird sich diesem Buch ganz entziehen können. Wenn der immer schwächer werdende Lewis sich an glückliche Zeiten und große Enttäuschungen erinnert, wenn er den Bruch mit seinem Sohn bedauert und sein Leben Revue passieren lässt, bin ich ganz an seiner Seite.

    Wie immer in den Holt-Romanen erzählt der Autor auch episodenhaft von Menschen, die im Ort leben und ihn prägten. Da ist die alte Dame, die ihr verwaistes Enkelkind aufnimmt, die ältliche Lehrerin, die nach einer großen Enttäuschung wieder bei der Mutter lebt und alle finden allmählich zu einem inneren Frieden.

    Auch zeitgeschichtliches klingt an, wenn der Pfarrer vom Lucas-Evangelium predigt und den Friedensgedanken in den Vordergrund rückt, wo die meisten Bürger dem beginnenden Irak-Krieg voller Patriotismus sehen.

    Ich habe schon andere Bücher des Autors gelesen und auch wenn ich einen anderen Favoriten habe, so ist es doch ein Buch das sich unbedingt zu lesen lohnt.

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  1. 5
    07. Jul 2020 

    Warmherzig und tröstend

    „ Kostbare Tage“ ist der letzte Roman des amerikanischen Schriftstellers Kent Haruf, der 2014 gestorben ist.
    Schauplatz ist wieder das fiktive Städtchen Holt im Mittleren Westen, im Bundesstaat Colorado, in dem alle Bücher von Kent Haruf angesiedelt sind.
    Im Mittelpunkt steht hier der 77jährige Dad Lewis, der gleich zu Beginn eine grausame Diagnose bekommt. Er hat Lungenkrebs im Endstadium, nur noch wenige Wochen bleiben ihm.
    „ Er saß auf der Veranda, trank und hielt die Hand seiner Frau. Er würde also sterben. ...Noch ehe der Sommer vorbei war, wäre er tot. ...Man würde seinen Namen auf einen Grabstein meißeln, und dann wäre es so, als hätte es ihn nie gegeben.“
    Aber Dad ist nicht allein. Seine Frau Mary ist ständig bei ihm und versucht, ihm die letzten Tage so angenehm wie möglich zu machen. Auch Tochter Lorraine kommt aus Denver angereist, um für ihre Eltern da zu sein.
    Dan bleibt noch genügend Zeit, um Abschied zu nehmen; seiner Frau und seiner Tochter zu sagen, dass er sie liebt, dass er sie immer geliebt hat. Er hat auch noch die Kraft, alles Geschäftliche für seinen Eisenwarenladen zu regeln. Er macht einen Ausflug mit Frau und Tochter, um sich zu verabschieden von den Orten und Plätzen, die sein Leben ausgemacht haben. Und er hat Zeit, sich zu erinnern: an Stationen in seinem Leben, an Entscheidungen, die er getroffen hat, an Fehler und Versäumnisse. Am stärksten belastet ihn, dass er seinen Sohn Frank aus dem Haus getrieben hat. Dieser ist seit Jahren weg, hat jeglichen Kontakt zu seinen Eltern abgebrochen. Vor allem Mary leidet furchtbar darunter.
    Es geht aber nicht nur um die Familie Lewis in diesem Roman, auch andere Bewohner der Kleinstadt spielen eine Rolle.
    Da ist die Nachbarin Berta May, die sich nach dem Krebstod ihrer Tochter um ihre Enkelin, die 8jährige Alice kümmert. Das kleine Mädchen ist ein Gegenpol zu den Erwachsenen mit ihrem Kummer und Leid. Sie steht für die Zukunft und ein Stück Hoffnung. Von seinem Fenster aus beobachtet Dad, wie Alice die ersten Fahrversuche mit ihrem neuen Rad unternimmt. Auch für die ältere Willa und deren Tochter Alene ist Alice ein Lichtblick. Alene fühlt sich alt und einsam, seit ihre Beziehung zu einem verheirateten Mann in die Brüche ging.
    Holt ist aber nicht nur ein Ort der nachbarschaftlichen Fürsorge. Der neue Pfarrer bekommt bald die provinzielle Engstirnigkeit zu spüren. Dabei hoffte Reverend Rob Lyle auf einen Neuanfang für sich . Von seiner früheren Arbeitsstelle wurde er weg beordert, weil er sich für einen homosexuellen Kollegen eingesetzt hatte. Doch als er an einem Sonntag die Gläubigen in der Kirche aufruft, die Bergpredigt wörtlich zu nehmen, wird er als „ Terroristenfreund“ beschimpft. Lyle verliert danach nicht nur seine Arbeit, sondern gleichzeitig seine Familie. Seine Frau, die ihn früher für seine Prinzipien bewunderte, hat mittlerweile kein Verständnis mehr für seine radikalen Ansichten, die nur Ärger bringen. Und sein pubertierender Sohn fühlt sich in Holt von Anfang an nicht wohl und unverstanden von seinem Vater.
    Es gibt neben all dem Tragischen auch schöne Szenen im Buch. So nehmen z.B. Lorraine, Alene, Willa und Alice ein ausgelassenes Bad in einem Rindertrog; drei Generationen von Frauen, nackt und voller Lebensfreude.
    Der letzte Abschnitt im Buch beschreibt die letzten Tage von Dad. Selten habe ich eine so berührende und gleichzeitig wahrhaftige Beschreibung vom Sterben gelesen. Die Kräfte lassen nach, Dad liegt nur noch im Bett. Er halluziniert, sieht Menschen aus seiner Vergangenheit, mit denen er noch seinen Frieden machen muss. Seine Frau Mary legt sich zu ihm , umarmt ihn und sorgt dafür, dass er wenig leiden muss. So, im Kreis seiner Liebsten, sollte jeder sterben dürfen.
    Auch wenn das Sterben eines alten Mannes im Zentrum steht, ist der Roman nicht deprimierend, sondern voller Trost und Herzenswärme. Kent Haruf schreibt hier wieder mit so viel Menschenkenntnis und Liebe zu seinen Figuren. Er wertet und urteilt nicht, sondern zeigt einfache Menschen, die mit den Anforderungen des Lebens fertig werden müssen. Die Weite der Landschaft, das Treiben der Natur vermitteln nicht nur ein sinnliches Bild, sondern stehen oft symbolisch für Stimmungen und Gefühle.
    Kostbare Tag - das sind nicht nur die letzten Tage im Leben eines Menschen, kostbar sollten alle Tage sein. Es geht darum, sie zu etwas Besonderem zu machen, um nicht am Ende seine Versäumnisse zu bedauern.
    Die Rede des Reverends an ein junges Paar ist vielleicht die Botschaft des Buches:
    „Wenn man Liebe hat, kann man ein wahrhaftiges Leben führen, und wenn Sie sich gegenseitig lieben, können Sie alles ergründen und akzeptieren, was Sie nicht verstehen und verzeihen, was Sie nicht kennen oder nicht mögen. Liebe ist alles. Sie ist geduldig und grenzenlos, mitfühlend und langmütig.“
    Ich kenne alle ins Deutsche übersetzte Bücher von Kent Haruf und alle sind außergewöhnlich. Ich werde sie vermissen, die Bewohner von Holt.

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  1. TOP 5-Kandidat 2020

    „Wir brauchen viele Jahre, bis wir verstehen, wie kostbar Augenblicke sein können.“ (Ernst Ferstl)

    „Als sie nach Hause kamen, ging die Sonne gerade unter, und die Luft kühlte allmählich aus.“ (S. 8)

    Ja, es ist ungewöhnlich, eine Rezension mit zwei Zitaten zu starten. Aber bei besonderen Büchern darf man auch die Pfade der Norm (kurzzeitig) verlassen. So ein besonderes Buch ist „Kostbare Tage“ von Kent Haruf. Es war mein erster Ausflug in den fiktiven Ort Holt, aber es ist klar, dass es nicht bei diesem einen Ausflug bleibt – zu sehr hat mich Kent Haruf mit seiner Geschichte um Dad Lewis berührt.

    Dad Lewis, Besitzer eines Eisenwarenhandels in Holt, hat Krebs im Endstadium und nur noch kurze Zeit zu leben. Somit ist klar, dass die Lektüre keine leichte ist. Und doch: Kent Haruf drückt nicht mit Absicht auf die Tränendrüse. Wenn man Tränen vergießt, dann höchstens, weil er so einfühlsam, so empathisch und so voller Respekt von dem schreibt, was uns alle erwartet: dem Tod. Er tabuisiert ihn nicht, er holt ihn mitten ins Leben, fordert uns (die Leser*innen) auf, die kleinen Augenblicke (mögen sie noch so „unscheinbar“ im Augenblick ihres Erlebens zu sein) zu genießen, um dann (am Ende) mit sich und der Welt im Reinen gehen zu können.

    Kent Haruf erzählt uns in „Kostbare Tage“ von Trauer, Verlust, offenen Rechnungen, aber auch von Liebe und (später) Anerkennung – von dem was zählt, wenn du alleine bist, wenn du jemanden brauchst, der dich auffängt.

    Und er erzählt von Dingen wie dem ersten Fahrrad, dem gemeinsamen Baden von vier Generationen Frauen – jede mit den körperlichen Kennzeichen des entsprechenden Alters „gesegnet“; dabei umschifft er aber geschickt mit empathischen Worten Kitsch und billige Phrasen. Hier zeigt er wahre Schreibkunst!

    Es gibt noch so viel, was in diesen 345 Seiten passiert, aber statt diese Rezension episch auszubreiten, hier nur noch die Empfehlung: lest „Kostbare Tage“ und hütet diesen Schatz.

    Glasklare Empfehlung und 5*!

    „Draußen vor dem Schlafzimmer wurde es plötzlich dunkel, eine Wolke zog vorbei, und dann fing es an zu regnen. Der Regen prasselte nieder. Als wäre plötzlich ein dunkler Vorhang gefallen.“ (S. 325)

    ©kingofmusic

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  1. Ein brillanter Erzähler

    Kostbar sind die Tage für Dad Lewis, denn wegen seiner unheilbaren Lungenkrebserkrankung sind sie gezählt. Auf dem Heimweg vom Arztbesuch mit seiner Frau Mary nimmt der 77-Jährige die Landschaft besonders intensiv wahr, sieht er sie doch mutmaßlich zum letzten Mal:

    "Sie ließen Denver hinter sich, dann die Berge, fuhren zurück auf die Hochebene: Salbeisträucher, Palmlilien, Moskito- und Büffelgras auf den Weiden, Weizen und Mais auf den bestellten Feldern. Von beiden Seiten des Highways gingen unter dem klaren blauen Himmel Landstraßen ab, alle gerade wie Zielen in einem Buch, mit nur wenigen vereinzelten Kleinstädten auf dem flachen offenen Land." (S. 7)

    Wenig später sind sie zurück in Holt, jener fiktiven Kleinstadt in Colorado, in der alle sechs Romane von Kent Haruf (1943 – 2014) angesiedelt sind:

    "Die Main Street mit nur einer einzigen Ampel, die an der Ecke Second Street von rot auf grün sprang und wieder zurück, das drei Blocks umfassende Geschäftsviertel, die alten Backsteingebäude mit den hohen Blendfassaden, die Post mit ihrer ausgebleichten Flagge, die Häuser zu beiden Straßenseiten der Main Street, die Straßen im Westen, nach Bäumen benannt und die im Osten, nach amerikanischen Städten benannt, den Highway 34, der die Main Street kreuzte und in beiden Richtungen aufs flache Land führte, die Weizen und Maisfelder, die örtlichen Weideflächen, …, und die blauen Sandhügel in der dunstigen Ferne." (S. 77)

    Kleinstadtleben
    Eine eingeschworene Gemeinschaft ist dieses Holt, jeder weiß über jeden Bescheid, Veränderungen sind unerwünscht. Ein Mann wie Reverend Rob Lyle, den man wegen seiner Parteiname für einen schwulen Pastor hierher strafversetzt hat, muss sich für seine Auslegung der Bergpredigt als „Terroristenfreund“ beschimpfen und verprügeln lassen. Nur wenige wollen, wie die alte Witwe Willa Johnson, seine Visionen hören.

    Starke Frauen
    Überhaupt die Frauen: Sie sind hier für Gefühle, Menschlichkeit, Liberalität und Hilfsbereitschaft zuständig. Mary und ihre aus Denver herbeigeeilte Tochter Lorraine pflegen Dad hingebungsvoll während dieser letzten Wochen. Ihre Nachbarin Berta May, die ihre verwaiste achtjährige Enkelin Alice aufzieht, packt ganz selbstverständlich mit an, genauso wie Willa und ihre Tochter Alene, die darüber eine endgültige Rückkehr nach Holt in ihrem Ruhestand nachsinnt. Frauen mit schweren Schicksalsschlägen und doch voller Herzenswärme und gelegentlichen Ausbrüchen von Lebensfreude.

    Zeit für eine Bilanz
    Dad Lewis dagegen kann nur schwer Gefühle zeigen. War sein Leben glücklich? 

    "Oh ja, ich war glücklich. Abgesehen von einer Sache." (S. 147)

    Die „eine Sache“ ist der Weggang seines Sohnes Frank, dessen Homosexualität der Vater nicht akzeptieren konnte. Nun begegnet er Dad nur noch in seinen Tagträumen.

    Immer wieder gern in Holt
    Gefreut habe ich mich über kurze Hinweise auf Figuren aus anderen Romanen Harufs, die Brüder McPheron, Victoria oder Rose Tayler aus Lied der Weite und Abendrot. Zeitlich ist Kostbare Tage später angesiedelt, jedoch vor dem unvergleichlichen Finale Unsere Seelen bei Nacht.
    Auch in meinem vierten Roman von Kent Haruf haben die alltäglichen Probleme der US-Kleinstadtbewohner aus dem Mittleren Westen nichts von ihrer Faszination eingebüßt. Wie immer wechseln sich Szenen der Trauer und Melancholie ab mit solchen der Hoffnung und Freude. Nach wenigen Zeilen war ich wieder mittendrin und genauso gefesselt wie jedes Mal, obwohl ich immer noch nicht ganz genau weiß, warum.    

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  1. Tage des Abschieds und Tage der Hoffnung

    Dieses ist der vierte Roman, den ich von Kent Haruf gelesen habe. Wieder ist die Geschichte im fiktiven Städtchen Holt im Umkreis der Großstadt Denver in Colorado (USA) angesiedelt. Zu Figuren aus vorangegangenen Romanen gibt es nur sehr lockere Verbindungen, so dass man „Kostbare Tage“ völlig unabhängig lesen kann, zumal er einen Zeitsprung von mindestens 30 Jahren zu den Vorgängern vollführt.

    Im Mittelpunkt des Romans steht der selbständige Eisenwarenhändler Dad Lewis. Gleich auf den ersten Seiten erhält er eine äußerst negative ärztliche Prognose: Dad ist unheilbar an Krebs erkrankt, er muss sich mit seinem baldigen Tod auseinander setzen: „Noch ehe der Sommer vorbei war, wäre er tot. Anfang September würde man draußen auf dem Friedhof, drei Meilen östlich der Stadt, Erde über ihn schütten, auf das, was von ihm übrig war. Man würde seinen Namen auf einen Grabstein meißeln, und dann wäre es so, als hätte es ihn nie gegeben.“ (S. 10)

    Doch Dad kann sich glücklich schätzen. Mit Mary hat er eine verständnisvolle Gattin an seiner Seite, die ihn umsorgt und pflegt. Als es für sie allein zu schwer wird, kommt Tochter Lorraine, um die beiden zu unterstützen. Der bevorstehende Tod wird von allen Beteiligten als unumstößlich akzeptiert. Es geht im Folgenden darum, Dad seine verbleibende Zeit möglichst angenehm zu gestalten und ihm einen würdevollen Abschied zu ermöglichen. Auch der Kranke selbst denkt über sein Leben nach. Dabei treten unter anderem Situationen in sein Bewusstsein, mit denen er nicht im Reinen ist, von denen er glaubt, falsch gehandelt oder Fehler begangen zu haben. Im Rahmen seiner Möglichkeiten bemüht er sich um eine Wiedergutmachung, was sehr glaubwürdig und empathisch beschrieben wird. Die größte offene Wunde ist sein Sohn Frank, der schon vor Jahren untergetaucht ist und zu dem die Eltern keinerlei Kontakt mehr haben. Im Verlauf des Romans erhält der Leser immer tiefere Einblicke in das komplizierte Verhältnis zwischen Vater und Sohn.

    Aber auch weitere interessante Figuren bevölkern die kleine Stadt Holt, „in der nichts passiert, ohne dass alle Leute es mitkriegen“ (S. 31). Der neue Pfarrer, Reverend Lyle Wesley, ist in der Gemeinde angekommen und wird misstrauisch beäugt. Er ist Idealist, fordert den Glauben seiner Gemeinde heraus. Auch sein Sohn John hat große Schwierigkeiten, in Holt Fuß zu fassen, obwohl er zum ersten Mal verliebt ist.
    Berta May ist die hilfsbereite Nachbarin, deren Tochter vor nicht langer Zeit dem Brustkrebs erlegen ist. Enkeltochter Alice lebt nun bei ihrer Oma. Alice ist ein besonderes Mädchen. Wahrscheinlich haben die Lebensumstände sie schnell reifen lassen, auf alle Fälle ist sie sehr sensibel. Sie kann wunderbar mit den Menschen ihres Umfeldes umgehen und verbreitet – ohne es bewusst zu wollen – eine positive, hoffnungsvolle Aura.

    Man lernt die Johnson-Frauen Willa und ihre Tochter Alene kennen, zwei Frauen, die beide ihr eigenes Päckchen zu tragen haben. Weiterhin hat Dad zwei treue Mitarbeiter, die ihn regelmäßig besuchen und mit den Neuigkeiten aus der Firma versorgen.

    All diese Figuren sind miteinander vernetzt und werden unglaublich plastisch und wirklichkeitsnah beschrieben. Man entwickelt eine große Nähe zu ihnen, wie ich sie nur bei sehr wenigen Büchern empfunden habe. Im Städtchen Holt geht es zudem sehr familiär zu. Als Leser wird man sofort in dieses Flair hineingezogen. Kent Haruf hat eine einzigartige Art, seine Geschichte zu entwickeln, die Charaktere aufzubauen und in ihrer Vielschichtigkeit abzubilden, dass es eine Freude für das Leserherz ist: Völlig unpathetisch und frei von Kitsch.

    Der Roman konzentriert sich auf einen Sterbeprozess, wie ich ihn noch niemals realistischer dargestellt gelesen habe. Haruf schildert die Malaisen des Alters, den zunehmenden Verfall des Körpers ohne Übertreibung oder Diskreditierung. Er malt aber dabei kein Bild der Trostlosigkeit, sondern beschreibt auch viele wunderschöne Momente, die seine Figuren in diesem Zusammenhang erleben dürfen. Ergänzt werden sie durch bildhafte Naturbeschreibungen, die die Handlung teilweise metaphorisch unterstreichen. Der Autor webt dadurch sehr viel Hoffnung und Lebenszuwendung in seine Geschichte ein. Alter, Sterben und Abschied gehören zum Leben – dieser Selbstverständlichkeit wird hier sehr einfühlsam Rechnung getragen, ohne Angst davor zu erzeugen.

    Ich lese das Buch als einen Appell, sich dem Leben stets positiv zuzuwenden. Jedes Leben hat gute und schlechte Tage. Auf ihre Art sind sie alle kostbar. Trotz der traurigen Grundstimmung erwächst sehr viel Positives aus den einzelnen Episoden. Der Roman hat mich restlos überzeugt, er wird ein Jahreshighlight werden. Ein Herzensbuch! Unbedingt lesen!

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  1. Abschied nehmen

    Auch der neue Roman von Kent Haruf spielt in der fiktiven Kleinstadt Holt in Colorado, ist jedoch im Gegensatz zu seinen Vorgängern - "Lied der Weite" und "Abendrot" sowie "Unsere Seelen bei Nacht" - im neuen Jahrtausend angesiedelt, wahrscheinlich kurz nach 9/11. Auch die Figuren spielen in den anderen Romanen keine Rolle, so dass uns neue, andere Schicksale erwarten.

    Im Mittelpunkt der Handlung steht Dad Lewis, der Besitzer der Eisenwarenhandlung in Holt.
    Gleich zu Beginn der Handlung erfahren wir, dass Dad Lewis wahrscheinlich nicht mehr lange zu leben hat:
    "Leider habe ich keine allzu guten Nachrichten für sie, sagte der Arzt." (7)

    Metaphorisch bietet Haruf mehr Informationen, indem die Tageszeit oder auch das Wetter symbolischen Charakter zeigen.
    "Als sie nach Hause kamen, ging die Sonne gerade unter, und die Luft kühlte allmählich ab." (8)

    Dad Lewis bleibt ein Sommer, um sich vom Leben und seinen Lieben zu verabschieden. Dies ist der Erzählstrang, der am meisten Raum im Roman einnimmt. Seine Frau Mary begleitet seinen Sterbeprozess, bleibt an seiner Seite, unterstützt von ihrer Tochter Lorraine, die aus Denver angereist ist, um die letzten Wochen in der Nähe ihres Vaters zu sein.
    Doch die Familie ist nicht vollständig, denn Lorraines jüngerer Bruder Frank hat keinen Kontakt mehr zu seinen Eltern. Während Mary darunter leidet, scheint Dad Lewis mit diesem Thema abgeschlossen zu haben. Im Verlauf der Handlung erfahren wir aus Rückblicken, dass Franks Homosexualität zum Bruch mit dem Vater geführt hat, dem es nicht gelingt, dies zu akzeptieren. Werden sie sich vor Dad Lewis Tod versöhnen?

    Dies ist nicht der einzige Konflikt, der Dad Lewis beschäftigt. Einst hat er einen Angestellten entlassen, der Einnahmen veruntreut hat, und ihn gezwungen, Holt zu verlassen. Daraufhin hat sich Clayton umgebracht, eine Frau und zwei Kinder hinterlassen. Auch daran denkt Dad Lewis zurück - er will in Frieden gehen.

    Ein weiterer Handlungsstrang rankt sich um Willa und Alene Johnson - Mutter und Tochter, die mit den Lewis befreundet sind.Während Dad Lewis am Ende seines Lebens steht, hat Alene das Gefühl, jenes bereits erreicht zu haben. Offenkundig hat sie eine unglückliche Liebe hinter sich und will keine traurige alte Frau werden.
    "Ich werde sterben, ohne jemals gelebt zu haben. Es ist so lächerlich. So absurd. Alles ist so sinnlos." (65)

    Die beiden freunden sich mit Alice an, die bei ihrer Großmutter Berta May, Nachbarin der Lewis, lebt, nachdem ihre Mutter an Krebs gestorben ist. Alice wird eine Art Ersatzkind und in einer der schönsten Szenen des Romans baden vier Frauengenerationen gemeinsam nackt.

    Alice, Lorraine, Alene und Willa - in der Beschreibung ihres Körpers und dem Vergnügen, dass sie beim Baden in einem kalten Wassertrog an einem heißen Tag empfinden, offenbart Haruf seine sensible Art zu erzählen. Er begegnet seinen Figuren mit Empathie, beschreibt ohne zu werten, überlässt es den Leser*innen sich eine Meinung zu bilden.

    Neben diesen Figuren, die in Holt verhaftet sind, steht der neue Reverend Lyle, der aus Denver nach Holt strafversetzt wurde. Sein pubertierender Sohn John Wesley fühlt sich in der Kleinstadt nicht wohl, daran ändert auch seine Freundin nichts, die ihm vorwirft:
    „Du wirst noch alles kaputtmachen, merkst du das nicht? Du siehst ja nicht mal, was du vor der Nase hast. (...) Du träumst rückwärts.“(80)

    Auch die Frau des Reverend möchte zurück nach Denver, vor allem nach einer denkwürdigen Predigt Lyles, in der - das war der Tenor der Leserunde - Haruf seinen amerikanischen Traum zu Papier bringt. Es könnte ein Amerika geben, das statt in den Krieg gegen die Terroristen zu ziehen, großzügig ist, das seine Stärke dafür einsetzt etwas zu erschaffen.
    "Wir werden eure Straßen und Highways reparieren, eure Schulen ausbauen, eure Brunnen und Staudämme modernisieren, eure alten Denkmäler und eure Kulturgüter retten, eure Tempel und Moscheen renovieren. Genauer gesagt: Wir werden euch lieben." (186)

    Eine Botschaft, die konträr zum derzeitigen Kurs der amerikanischen Außenpolitik steht und die bei den Anwohnern von Holt größtenteils für Unverständnis sorgt. Eine mutige Botschaft, die Haruf hinterlässt und die sich auch auf der Ebene der Figuren widerspiegelt.

    Sein Protagonist Dad Lewis möchte Frieden schließen, sich aussöhnen und Liebe geben, auch wenn ihm das im Leben nicht immer gelungen ist.
    "Vergib mir, flüsterte er. Ich habe eine Menge Dinge versäumt. Ich hätte es besser machen können." (291)

    Es sind "kostbare Tage", die wir als Leser*innen miterleben dürfen. Die letzten Tage Dad Lewis, der Abschied nimmt. Aber auch kostbare Momente erleben wir, z.B. wenn Dad seiner Tochter sagt, er liebe sie oder das gemeinsame Mahl bei Willa und Alene, die Lyle in seinem Traum unterstützen und das gemeinsame generationenübergreifende Baden. Das ist es, was am Ende bleibt und kostbar ist.

    Ein wunderbarer Roman!

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  1. Kleinstadtleben in Colorado

    Kostbar sind die letzten Tage von Dad Lewis in der Kleinstadt Holt. Es bleibt ihm nicht mehr viel Zeit. Er ist zum Sterben verurteilt. Sein ganzes Leben hat er Holt nicht verlassen, dort sich eine Existenz mit einem Eisenwarenhandel aufgebaut. Zusammen mit seiner Frau Mary und den beiden Kindern Frank und Lorraine. Inzwischen hat er allerdings seit vielen Jahren keinen Kontakt mehr zu Frank. Die Sehnsucht seinen Sohn noch mal zu sehen und mit ihm ins Reine zu kommen ist groß. Lorraine eilt direkt zu ihren Eltern um der Mutter bei der Pflege zu helfen. Auch die Nachbarschaft unterstützt sich gegenseitig in diesen neuen Situationen. Das macht diesen kleinen liebenswerten Ort aus.

    Ins Nachbarhaus ist die kleine Alice eingezogen bei ihrer Großmutter. Auch sie hat ein Schicksal zu bewältigen. Ihre Mutter starb an Krebs und nun lebt sie in Holt und versucht sich zaghaft einzuleben.

    Gar nicht einleben will sich allerdings der Sohn von Reverend Lyle John Wesley. Denn der Umzug von Denver ist für den Jungen schwer zu ertragen. Auch sein Vater hat es schwer, sich den Bewohnern von Holt anzunähern. Seine sonntäglichen Predigten kommen nicht gut an bei den konservativen Bürgern der Kleinstadt. Die familiären Probleme machen ihm dazu auch noch zu schaffen.

    So still und leise, wie "Dad" gelebt hat, so leise haucht er auch sein Leben aus. Mit den Rückblenden bekommt der Leser einen guten Eindruck, wie der Protagonist war und was ihn umtrieben hat. Kent Haruf verstand sein Handwerk. Es wird nie langweilig in seinen Geschichten. Auch drückt er nicht auf die Tränendrüsen. Das Leben ist wie es ist. Dem muss jeder früher oder später ins Auge blicken. Wer diesen Art von Büchern mag, dem kann ich auch diesen Band der Holt-Reihe wieder empfehlen.

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  1. Ein einfühlsamer, kluger Roman

    „Von beiden Seiten des Highways gingen unter dem klaren blauen Himmel Landstraßen ab, alle gerade wie Zeilen in einem Buch, mit nur wenigen vereinzelten Kleinstädten auf dem flachen, offenen Land.“ (Zitat Seite 7)

    Inhalt
    Dad Lewis aus Holt, Colorado, erfährt, dass er nur noch wenige Wochen zu leben hat. Es ist Sommer und umsorgt von seiner Ehefrau Mary und seiner Tochter Lorraine blickt er in Gedanken und Träumen auf sein Leben zurück, genießt die Sommertage und den Blick in die Natur. Langjährige Nachbarn kommen zu Besuch und auch Rob Lyle, der neue Reverend, der immer wieder Probleme bekommt, weil er die alten, festgefahren Ansichten und Einstellungen der Menschen verändern will. Wie Frank, der Sohn von Mary und Dad Lewis, der vor vielen Jahren den Kontakt zu ihnen abgebrochen hat. Leise und beständig vergehen die Tage und der Abschied rückt näher.

    Thema und Genre
    In diesem Roman, der wieder in der fiktiven Kleinstadt Holt in der Nähe von Denver, Colorado, spielt, geht es um das geerdete, genügsame Leben in einer kleinen Stadt, um Schicksal, Freundschaft, Familie und das Abschiednehmen am Ende eines langen Lebens.

    Charaktere
    Dad Lewis ist ein Mann mit Prinzipien und so trifft er auch seine Entscheidungen. Die Folgen dieses Handelns aus Überzeugung beschäftigen ihn noch in seinen letzten Lebenstagen. In diesem Roman sind es die einzelnen Personen, ihre Gefühle und Gedanken, welche die Handlung tragen, Dad Lewis, Mary, Lorraine, Frank, Rudy und Bob, Berta May und Alice, Willa und Alene Johnson, Lyle und sein Sohn John Wesley. Genau und mit viel Einfühlungsvermögen beobachtet und schildert der Autor das Leben der Menschen, den Zusammenhalt einer Nachbarschaft in der Enge einer Kleinstadt, die im Gegensatz zur Weite der Natur steht.

    Handlung und Schreibstil
    Dieser dritte und letzte Band der Plainsong-Trilogie spielt einige Jahre nach den beiden ersten Teilen. Abgesehen von einigen kurzen Erwähnungen lernen wir uns bisher unbekannte Einwohner von Holt kennen und erhalten in einzelnen Episoden einen Einblick in ihr Leben und ihr Schicksal. Im Mittelpunkt der Handlung steht der schwer kranke Dad Lewis. In diesen Wochen seines letzten Sommers nimmt er Abschied, erinnert sich an die wichtigsten Ereignisse in seinem arbeitsreichen Leben, an Entscheidungen, die er getroffen hat, und deren Auswirkungen. Rückblenden füllen die Gegenwart mit weiteren Details. Die Sprache schildert eindrucksvoll das karge Leben in der fiktiven Kleinstadt Holt, den Sommer mit Hitze und leisen Sommerabenden, als Gegensatz dazu stehen die einfachen, klaren Dialoge.

    Fazit
    „Du träumst rückwärts“, heißt es auf Seite 80 und diese Aussage klingt durch alle Seiten dieses Romans. Für Träume ist im Alltag von Holt wenig Platz und am Ende eines Lebens überwiegen die Erinnerungen. Ein leiser, wehmütiger und gleichzeitig tröstlicher, positiver Roman.

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  1. 5
    12. Jun 2020 

    Ein berührendes Ende

    Der 77jährige Dad Lewis erhält eine Krebsdiagnose und damit verbunden die Nachricht, daß er nur noch kurze Zeit zu leben hat. Vor diesem Hintergrund spielt sich der Roman ab. Schauplatz ist auch in diesem Fall wieder der fiktive Ort Holt in Colorado.

    In der idyllischen Kleinstadt, die aus der Zeit gefallen zu scheint, begegnet man als Leser einer Auswahl von Bewohnern mit unterschiedlichstem Schicksal. Erst mal Dad Lewis' Ehefrau Mary und seiner Tochter Lorraine, die nach Holt kommt, um bei der Pflege des Vaters behilflich zu sein. Dann die Nachbarin Berta May, die ihre Enkelin Alice bei sich aufgenommen hat. Außerdem erleben wir das Mutter-Tochter-Gespann Johnson, Reverend Rob Lyle mit Familie und den Angestellten in der Eisenwarenhandlung von Dad Lewis. Sie alle sind vereint in einer Gemeinschaft, die sich gegenseitig ohne viele Worte hilft, respektiert und zur Seite steht.

    Dad will die Zeit nutzen, um seine Hinterlassenschaft, die Eisenwarenhandlung geregelt zurückzulassen. Er möchte sie an Lorraine übergeben. Das überrascht sowohl die Tochter als auch die Angestellten, die allesamt nicht glücklich über diesen Wunsch sind. Außerdem erfährt man als Leser einige Geheimnisse zu den einzelnen Figuren, u.a. bezüglich Homosexualität oder außerehelichem Verhältnis.

    Dieser Roman war für mich - wie schon die Vorgänger - entschleunigend. Der Schreibstil des Autors ist ruhig, unaufgeregt, berührend und emotional. Sehr gut gefiel mir der Rückblick auf sein Leben und damit verbunden der Ausflug zur Farm der beiden mittlerweile verstorbenen Brüder aus Flüchtiges Glück. Die Bewohner, die der Leser in diesem Buch kennenlernt, sind zumeist in gesetzterem Alter, lediglich Alice belebt die Stimmung positiv, obwohl auch sie bereits einen schweren Schicksalsschlag verkraften mußte. Es ist ein schmerzliches Abschiednehmen, das am Ende, trotz aller Anstrengungen und Hoffnung, nicht in allen Bereichen gelingt.

    Ich empfehle auch diesen Band gerne weiter!

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