50

Rezensionen zu "50"

  1. 5
    13. Apr 2021 

    Genial konstruiert

    "50" ist nun das dritte Buch, das ich von dem japanischen Autoren Yokoyama lese und es gefiel mir sogar noch besser als die Vorgänger.

    Zunächst einmal ist die Aufmachung des Hardcovers großartig. Tolle Haptik, tolles Cover, tolle Farbgebung der Seitenansicht. Ein Genuss, dieses Buch in die Hand zu nehmen.

    Die Story ist - wie von Yokoyama erwartet - detaillreich konstruiert und insgesamt eher ruhig. Man darf hier keine Krimi erwarten in dem Schlag auf Schlag große Dramen passieren. Die leisen Töne sind jedoch nicht weniger spannend und in all ihren Details wichtig für die Handlung.

    Im Verlauf des Buches wechseln wir von einer Perspektive in eine andere: mal lesen wir aus Sicht eines Ermittlers der Polizei, mal aus Sicht eines Staatsanwaltes, mal aus Sicht eines Verteidigers usw.

    Jeder hat andere Kenntnisse von dem Fall und auch der/die Leser/in ist nie voll im Bilde. Immer mehr Bruchstücke bieten sich zum Miträtseln.

    Die eigentliche Kriminaltat wird schon zu Beginn beschrieben: ein Polizist hat seine Frau auf deren Wunsch wegen fortschreitender Alzheimererkrankung erwürgt. Zwei Tage später zeigt er sich selbst an. Doch was geschah in der Zwischenzeit.

    Darum aber auch um die Verpflechtungen und Abläufe von Polizei und Justiz drehen sich hier die verschiedenen Handlungsstränge. Yokohama gibt uns Einblick in japanische Abläufe, Konfentionen und Gesellschaftsnormen.

    Ingesamt hochinteressant und intelligent aufgebaut. Solch einen Krimi vergisst man nicht schon wenige Tage nach dem Ende.

    Ich hoffe sehr, dass der Atrium-Verlag noch mehr Werke des Autors ins Deutsche übersetzt.

    Teilen
  1. Für wen lebst Du?

    Der japanische Schriftsteller und Journalist Hideo Yokoyama wurde hierzulande durch seinen Kriminalroman 64 bekannt, der 2019 den deutschen Krimipreis gewann. Das vorliegende Buch 50 ist in Japan bereits 2002 erschienen.

    Zum Inhalt:

    Der Polizeibeamte Soichiro Kaji stellt sich der Polizei und gibt an, dass er seine an Alzheimer erkrankte Ehefrau auf ihren eigenen Wunsch hin getötet hat. Allerdings geschah diese Tat schon vor zwei Tagen. Was hat Kaji in dieser Zeit gemacht? Ein Versuch der Selbsttötung wurde offensichtlich abgebrochen und außerdem wurde er gesehen, wie er nach Tokio ins berüchtigte Kabuki-Viertel fuhr. Was wollte dieser ehrenhafte Polizist in diesem Rotlichtviertel? In Kajis Wohnung findet sich eine Kalligraphie mit den Worten: "Der Mensch lebt fünfzig Jahre". Kaji ist 49, für wen will er dieses eine Jahr noch leben?

    "Für wen lebst Du?", das ist die zentrale Frage dieses Buches. Die Geschichte wird aus sechs verschiedenen Perspektiven, aber fortlaufend erzählt und jeder der Protagonisten stellt sich im Verlauf diese Frage. Vieles mutet für unsere deutschen, bzw. europäischen Maßstäbe seltsam an. So steht die Ehre sehr im Vordergrund. Der Polizist, der seine Frau umbringt, "beschmutzt" die Ehre der gesamten Polizeipräfektur. Dass er danach nicht Selbstmord begeht, sondern auch noch in ein zwielichtiges Viertel fährt, bringt die gesamte Organisation in Verruf und somit auch unter Druck. Die starken und autoritären Hierarchien sind in der westlichen Welt auch eher ungewöhnlich. Der Untergeordnete darf seinen Vorgesetzten keinesfalls widersprechen, ohne seine Karriere zu gefährden.

    Der Schreibstil ist ruhig und distanziert und hätte durchaus etwas mehr Tempo vertragen. Durch die Perspektivwechsel gerät das Schicksal Kajis zeitweise in den Hintergrund, das hat mir nicht so gut gefallen. Die Auflösung ist allerdings originell und unerwartet.

    Alles in allem war es hochinteressant diese Geschichte aus einer, für mich sehr fremden und stellenweise auch befremdlichen Kultur zu lesen.

    Teilen