1913: Der Sommer des Jahrhunderts (Hochkaräter)

Buchseite und Rezensionen zu '1913: Der Sommer des Jahrhunderts (Hochkaräter)' von Florian Illies
4.5
4.5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "1913: Der Sommer des Jahrhunderts (Hochkaräter)"

Format:Taschenbuch
Seiten:320
EAN:9783596193240

Rezensionen zu "1913: Der Sommer des Jahrhunderts (Hochkaräter)"

  1. Ein Schlaglicht auf das Vorkriegsjahr

    Das Jahr vor dem Ersten Weltkrieg, ein Jahr voller gegenseitiger Versicherungen, dass der europäische Frieden gefestigt ist und alle Beteiligten frohen Mutes, mit neuen Ideen in die Zukunft blicken. Das Jahr 1913 wird, wenn man dem Autor Glauben schenkt, von Kunst und Liebe beherrscht. Gutgelaunt, mit festem Blick auf Wien, Paris und Berlin, zählt Illies alle Ereignisse und Befindlichkeiten zeitgenössischer Persönlichkeiten und ihrer Musen auf. Von Januar bis Dezember, von Louis Armstrong bis Graf Zeppelin, vom alten Adel bis zum vorbestraften Kunstmaler, wird der Leser weich gebettet und darf sich auf gute Unterhaltung freuen, mit vermurksten Liebesbriefen, zögerlichen Anträgen, unvorbereitete Weltreisen und Bünde, die sich schließen und im Streit wieder zerbrechen.

    In der Kunst bricht sich der Kubismus Bahn, ein erfolgloser österreichischer Maler geht in die Politik, Freud und sein Schüler Jung gehen getrennte Wege, Wien scheint eingeschlafen, Paris dafür erwacht zu sein und überhaupt scheinen alle durcheinanderzulaufen, auf der Suche nach neuen Zielen, der großen Liebe, der neuen Erkenntniss.

    Und wenn man genau hinschaut in diesem Wimmelbild (ein Dank an Wanda), dann scheint die einzige Konstante, die verschwundene Mona Lisa aus dem Louvre zu sein. Dabei hatte sie sich auch nur auf den Weg in ihre Heimat begeben.

    Und dann, mit nachlassendem Licht, schwindet auch die Hoffnung auf Frieden, tauchen erste Zweifel und apokalyptische Zukunftsvisionen in Wort und Bild auf.

    Was ist Ursache, was ist Wirkung? Diese Frage stellte sich mir in diesem Kaleidoskop des bunten Allerlei. Waren alle zu sehr mit sich selbst beschäftigt, blind für das Große Ganze, oder waren alle dermaßen gelangweilt vom frommen Verlauf der Geschichte, dass der Kampfgeist heraufbeschworen wurde?

    Ich aber glaube, dass es im gemeinen Fussvolk, welches in diesem Werk keine Stimme hat, gebrodelt hat.

    Illies beschreibt mit fröhlichem Ton ein buntes, aufregendes Europa. Die Liste seiner Zeitgenossen scheint komplett, ja erschlägt zuweilen, birgt aber auch so manchen intimen Einblick, der mich staunen ließ. Der Schwerpunkt liegt auf Kunst und Kultur und nur hie und da lugt die Politik mit drohendem Unheil durch den Vorhang. Die Stimmung in der arbeitenden Bevölkerung wird völlig ausgeblendet und so könnte man schnell auf die Idee kommen, dass es mindestens zwei eigenständige Kreisläufe gegeben hat, die sich nicht auf derselben Erde gedreht haben.

  1. 5
    26. Dez 2018 

    Die Geschichte eines Jahrhundertjahres

    Mit „1913 – Der Sommer des Jahrhunderts“ von Florian Illies habe ich in der vergangenen Woche ein Buch gelesen, um das ich mich sehr lange gedrückt habe, da ich es in dem Raster von fiktionaler Literatur und Sachbuch nur schwer einordnen konnte und mich deshalb einfach nicht entscheiden konnte. Nun habe ich es gelesen und weiß immer noch nicht, wie fiktional und/oder wie historisch/real es ist. Wie es in dieser Skala einzuordnen ist. Es präsentiert uns tatsächlich reale Einblicke in das Leben von Menschen, maßgeblich Künstlern, die Repräsentanten der im Jahr 1913 aufflackernden Moderne sind. Und bindet diese kleinen literarischen Miniaturen dann zu einem Blumenstrauß von Situationen zusammen, der in dieser Form ungemein literarisch und somit fiktional wirkt, ohne aber den realen Bezug zu der historischen Situation jemals zu verlieren, sondern im Gegenteil als Essenz alles das herauszufiltern, heraus zu liften scheint, was die Zeit ausmacht und zu dieser besonderen gemacht hat.
    Es geht darum, „die ungeheure ungleichzeitige Gleichzeitigkeit, die das Jahr 1913 vor allem ausmacht, angemessen zu schildern.“(76) schafft Illies mit dem Buch dann eine angemessene Schilderung? Schwer zu sagen. Ungewöhnlich ist sie auf jeden Fall. Er erzählt die Geschichte der Moderne „als einmal komische, mal herzzerreißende Seifenoper,“ schrieb die Washington Post. Ist das statthaft? Keine Ahnung, wieviel Vereinfachung, Glättung und auch wie viel Ersonnenes in all den von Illies geschilderten Lebenssituationen der Berühmtheiten liegen, aber egal: es bereitet ungemeines Vergnügen! Das Jahr 1913 wird darin ungemein lebendig. Das Jahr ist ein „Moment höchster Blüte und zugleich ein erstes Aufflackern des Untergangs“ (Klappentext), das Illies hier als Jahrhundertjahr schildert.
    Monat für Monat fasst Illies ungemein dicht recherchierte, besondere Szenen aus dem Arbeits- und Liebesleben von Berühmtheiten zusammen. Die große Kunst des Buches besteht dann darin, dass auf den ersten Blick Unverbundenes nebeneinandergestellt wird und dennoch zu einem Ganzen gestaltet ist und so beim Leser ankommt.
    Ich kann nur möglichst vielen Lesern raten, sich auf dieses literarische Experiment lesend einzulassen und sich köstlich unterhalten zu lassen. 5 Sterne für einen absoluten Höhepunkt meines Lesejahres 2018.