1000 Jahre Freud und Leid: Erinnerungen

Buchseite und Rezensionen zu '1000 Jahre Freud und Leid: Erinnerungen' von  Ai Weiwei
5
5 von 5 (1 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "1000 Jahre Freud und Leid: Erinnerungen"

Diskussionen zu "1000 Jahre Freud und Leid: Erinnerungen"

Autor:
Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:416
EAN:9783328602316

Rezensionen zu "1000 Jahre Freud und Leid: Erinnerungen"

  1. Zwei inspiriende Leben

    Ich hatte mich vor dem Lesen nie groß mit der Person Ai Weiwei beschäftigt. Durch die Medien war mir der Name zwar ein Begriff, aber ich wusste nicht mehr, als dass er etwas sonderbare, moderne Kunst fabriziert und in China als politischer Gegner gilt. Dann ging es los mit dem Lesen...

    Zunächst einmal hat mir das Erzähl-Konzept zugesagt. Recht chronologisch erzählt Ai Weiwei zuerst die Geschichte seines Vaters Ai Qing, dann seine eigene Geschichte. Ai Weiwei selbst sagt, dass er seinem verstorbenen Vater durch das Erzählen von dessen Geschichte näher kommen wollte. Und in Hinblick auf seinen eigenen Sohn Ai Lao wollte er auch seine eigene Geschichte niederschreiben, damit sein Sohn später lesen kann, was Ai Weiwei für ein Mensch gewesen sei.

    Beide Lebensgeschichten sind eng mit der politischen Geschichte Chinas verknüpft. Der Vater, Ai Qing, war Kommunist und ein berühmter Dichter. Als Kommunist war er unter den Kuomintang im Gefängnis. Später, als die Kommunisten in China an die Macht gelangten und Ai Qing es wagte, zaghafte Kritik an der Politik Maos zu üben, wurde er als Rechtsabweichler gebrandmarkt und es folgten Jahre der Schikane in Arbeits- und Umerziehungslagern.

    Ai Weiwei selbst verbrachte Jahre seiner Kindheit zusammen mit seinem Vater in einem solchen Lager. Die Zustände, die er schildert, sind erschreckend. Sie lebten in einem Erdloch, wo alles aus gestampfter Erde bestand. Sie heizten mit einem selbstgebautem Ofen. Ai Weiwei, der damals noch ein Junge war, hatte die Aufgabe, das Brennholz zu sammeln. Zuerst ging er zu Fuß und wurde dabei im Wald von einem Wolf beobachtet. Später hatte er ein Fahrrad, das aber zu groß war, sodass er nur eine halbe Umdrehung lang in die Pedale treten konnte, wenn diese oben war. Er transportierte dann das Holz auf dem Gepäckträger und hielt manchmal an einer Pfütze, um daraus zu trinken. Im Frühling bekam er davon immer Durchfall. Das sind Schilderungen, die sich bei mir sehr eindrücklich eingebrannt haben.

    Später, nach dem Tod Mao Zhedongs, wurde Ai Qing begnadigt und die Familie zog zurück in ihr Haus in Peking.

    Als junger Mann ging Ai Weiwei zum Kunststudium nach New York. Er war damit einer der ersten Chinesen, die China seit Beginn der kommunistischen Ära verließen. Das Studium brach er nach kurzer Zeit ab und irrte als illegaler Einwanderer durch die Straßen New Yorks, schlug sich mit Gelegenheitsjobs durch. Irgendwann entschloss er sich, nach China zurück zu kehren. Er war sehr rebellisch und engagierte sich für die unterschiedlichsten Angelegenheiten. Zum Beispiel fuhr er mit einem Filmteam nach Sechuan, nachdem dort bei einem Erdbeben viele Schulen eingestürzt waren. Er interviewte die Menschen vor Ort und untersuchte Baumängel an den Schulen. Außerdem betrieb er einen Blog, in dem er die Unterdrückungskultur der chinesichen Regierung offen kritisierte. Ich staune wie viel er hatte provozieren können, bevor er verhaftet wurde. Bestimmt hat es damit zu tun, dass ihm in der Kunstszene inzwischen international der Durchbruch gelungen war, und dass er eben der Sohn einer berühmten Dichters war. Ich glaube, wenn sich eine gewöhnliche Person der chinesischen Führung gegenüber Ähnliches erlaubt hätte, wäre sie bereits tot. Aber ja, irgendwann wurde auch Ai Weiwei verhaftet und in ein Geheimgefängnis gebracht, wo zwei Wärter jede seiner Aktionen auf Schritt und Tritt begleiteten, wo alle seine Aktionen zeitlich genau getaktet waren und wo er vor jeder Handlung nach Erlaubnis fragen musste. Die Schilderungen aus diesem Gefängnis sind wirklich absurd. Nach der Haft folgte ein Jahr Hausarrest, bevor sich Ai Weiwei die Gelegenheit bot, seiner Freundin und seinem Sohn zu folgen, die mittlerweile nach Berlin ausgereist waren. Seitdem lebt Ai Weiwei im Exil, bringt sich aber auch dort politisch ein, zum Beispiel mit einer Dokumentation über Flüchtlinge auf den griechischen Mittelmeerinseln.

    Ich finde, die Erfahrungen Ai Weiweis inspirieren dazu, mutiger zu sein und außerhalb von festen Mustern zu denken. Sie zeigen aber auch auf, was für Schrecken daraus entstehen kann, wenn Autokraten an der Macht sind. Politik geht uns eben doch alle etwas an. Sie ist mit unserem Leben verwoben.

    Teilen