Machandel: Roman

Buchseite und Rezensionen zu 'Machandel: Roman' von Regina Scheer
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5 von 5 (2 Bewertungen)

Inhaltsangabe zu "Machandel: Roman"

Regina Scheer spannt in ihrem beeindruckenden Debütroman den Bogen von den 30er Jahren über den Zweiten Weltkrieg bis zum Fall der Mauer und in die Gegenwart. Sie erzählt von den Anfängen der DDR, als die von Faschismus und Stalinismus geschwächten linken Kräfte hier das bessere Deutschland schaffen wollten, von Erstarrung und Enttäuschung, von dem hoffnungsvollen Aufbruch Ende der 80er Jahre und von zerplatzten Lebensträumen.

Format:Gebundene Ausgabe
Seiten:480
EAN:9783813506402

Rezensionen zu "Machandel: Roman"

  1. 5
    16. Nov 2021 

    Ein Flecken im deutschen Nordosten und seine Geschichten

    Machandel ist ein sehr abgelegener Flecken in der nordostdeutschen Landschaft. Und doch findet sich hier eine illustre Schar von Personen ein, die ein gutes und spannendes Abbild deutscher Geschichte und deutscher Befindlichkeiten von den Schrecken des Zweiten Weltkriegs bis zu den Wende- und Nachwendezeiten der beiden Deutschlands. So jedenfalls hat es Regina Scheer in ihrem Roman „Machandel“ angeordnet und ihren Lesern erzählt.
    • Da ist Clara, deren Familie vor Ihrer Zeit eine Nachkriegsvergangenheit in Machandel hat. Die es wieder an diesen Ort zurückzieht und die deshalb mit ihrem Mann und zwei Töchtern ein altes, verfallenes Haus auf dem Gelände des Gutshofes in Machandel erwirbt und unter den nicht einfachen Bedingungen des DDR-Versorgungsmarktes renoviert. Ab diesem Zeitpunkt findet sie und ihre Familie hier immer wieder einen Rückzugsort von dem quirligen und durch die Nachstellungen des DDR-Regimes vergifteten Berlins.
    • Da ist Johanna, die als Flüchtling aus dem von den Russen eingenommenen Ostpreußen in Machandel strandet und dort als Pflegekraft auf ihren späteren Ehemann, den DDR-Funktionär Hans trifft.
    • Da ist Jan, Sohn von Johanna und Hans, der eine idyllische Kindheit in Machandel verlebt, bevor er als Schuljunge in den Ernst des Lebens eingeführt wird, als seine Eltern ihn nach Berlin holen und er dann Schüler eines gestrengen DDR-Eliteinternats wird. Er wird später die DDR mit einem Ausreiseantrag verlassen und in den Westen gehen, wo sich seine Spur fast komplett verliert.
    • Da ist Natalja, die von den Nazis als Fremdarbeiterin aus der Ukraine nach Machandel verschleppt wird und die nach dem Krieg nicht wieder in ihre Heimat zurückkehren kann, wo ihr allein Verfolgung und Lager drohe würde.
    • Da ist Marlene, die als Kind noch die Verantwortung erhält für ihre große Geschwisterschar, da Vater und Mutter tot bzw. im Lager sind. Als ihr der Gutsverwalter zwanghaft etwas zu nahe gekommen ist, wird sie in eine Anstalt für geistig Kranke abgeschoben, die sie im Dritten Reich nicht überleben kann.
    Und das sind nur die für mich wichtigsten Figuren dieses überreichen Panoramas an deutschen Gestalten. Regina Scheer bringt diese Figuren und ihre Geschichten sehr gekonnt und mit einer durchaus soghaft wirkenden Sprache alle in ihrem Erzählstrang unter. Dabei wechselt sie kapitelweise die Perspektive, in jedem Kapitel steht eine dieser Figuren im Mittelpunkt und durch deren Sichtweise blickt der Leser auf das weitere Geschehen. So bleibt der Überblick erhalten. Sowieso ist und bleibt der Flecken Machandel der rote Faden und Kulminationspunkt dieses empfehlenswerten Romans. Leseempfehlung! 5 Sterne

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  1. 5
    21. Mär 2017 

    Mecklenburgische Melancholie...

    Als Clara 1985 ihren Bruder Jan vor seiner Ausreise aus der DDR nach Machandel begleitet, findet sie in dem mecklenburgischen Dorf eine verwunschene Sommerkate. Hierhin zieht sie sich mit ihrer jungen Familie vor den turbulenten politischen Entwicklungen in Ostberlin zurück. Zu Beginn ahnt sie nicht, wie sehr ihre persönliche Geschichte mit diesem Dorf verwoben ist. Schon ihr Vater, der Kommunist und von den Nazis verfolgte Hans Langer, fand hier in den letzten Kriegstagen Zuflucht, bevor er im neuen Staat Minister wurde. Doch nun kehrt sein Sohn diesem Staat den Rücken, und seine Tochter engagiert sich in Bürgerbewegungen.

    Regina Scheer spannt in Manchandel den Bogen von den 30er Jahren über den Zweiten Weltkrieg bis zum Fall der Mauer und in die Gegenwart. Sie erzählt aus der Perspektive von Clara, ihrem Vater Hans, dem jungen Dissidenten Herbert, der ukrainischen Zwangsarbeiterin Natalja und der 1943 vor den Bomben von Hamburg nach Mecklenburg geflohenen Emma von den Anfängen der DDR, als die von Faschismus und Stalinismus geschwächten linken Kräfte hier das bessere Deutschland schaffen wollten. Sie erzählt von Erstarrung und Enttäuschung, von Lebenslügen und Sich-Einrichten, vom hoffnungsvollen Aufbruch Ende der 80er Jahre und von zerplatzten Lebensträumen.

    "Seit fünfundzwanzig Jahren gehört Machandel, dieses abgelegene Dorf auf dem Malchiner Lobus der Endmoräne, zu meinem Leben. Vorher war ich nie hier gewesen. Dabei sind meine Eltern sich hier begegnet, und mein Bruder Jan, das wusste ich immer, wurde im Schloss von Machandel geboren. Aber Jan ist vierzehn Jahre älter als ich, und bei meiner Geburt im Jahr 1960 wohnte meine Familie schon lange in Berlin. Unsere Großmutter, die in Machandel geblieben war, starb kurz danach, es gab keinen Grund mehr für einen von uns, in dieses Dorf zu fahren. Dachte ich." (S. 14)

    Was für ein Roman! Regina Scheer gelingt hier ein großer Wurf, eine vielschichtige Erzählung mit zahlreichen Ebenen und Metaebenen. Nicht allein, dass hier wechselnd aus fünf verschiedenen Perspektiven erzählt wird, wodurch nicht etwa Verwirrung gestiftet, sondern deutlich wird, dass dasselbe Zeitgeschehen von verschiedenen Personen vollkommen unterschiedlich erlebt und bewertet werden kann. Darüber hinaus verwebt Scheer das Thema 'Machandel' auf vielfältige Weise mit der Erzählung - das fiktive Dorf in Mecklenburg hat seinen Namen von den Wacholderbäumen erhalten, die im niederdeutschen Machandelbäume genannt werden und rund um das Dorf anzutreffen sind. Clara befasst sich in ihrer Doktorarbeit außerdem mit dem Grimmschen Märchen 'Machandel' und mit dessen Deutungsmöglichkeiten, und der Autorin gelingt es, hier stets auch einen Bezug zwischen dem Märchenhaften und der Realität herzustellen. Den einzelnen Personen widmet sich Regina Scheer mit einer sorgfältigen Hingabe und schildert das Geschehen mit differenzierten Details, ohne jemals Gefahr zu laufen, sich zu verzetteln. Dafür allein meine Hochachtung.

    "Ich spürte und wusste allmählich, dass an diesem Ort, in unserem eigenen Haus, etwas geschehen war, das nicht vergessen war, das sich jederzeit plötzlich zeigen konnte, als ein Schmerz in Nataljas Gesicht, als ein Verstummen im Gespräch der Frauen am Bus, in der Geste, mit der sie sich kaum merklich von Wilhelm abwandten. Dieses Ungesagte verwob sich für mich mit dem Märchen vom Machandelboom, es machte mich traurig. Dennoch fuhren wir so oft wie möglich nach Machandel, als würden wir nur an diesem Ort festhalten können, was uns allmählich verloren ging." (S. 190 f.)

    Wie ging es mir nun mit der Lektüre? Ich habe das Lesen als unglaublich intensiv erlebt. Durch die geschilderte Vielschichtigkeit habe ich lange für den Roman gebraucht, da ich nach einigen Seiten stets das Gefühl hatte, 'satt' zu sein. Eine Fülle an Informationen, Emotionen, Nachdenkenswertem wollte verarbeitet werden, so dass ich das Buch immer wieder zur Seite legte. Abgesehen von meiner Faszination über die gelungene Komposition des Romans war die Lektüre auch überaus interessant. So viel Wissenswertes zum Zeitgeschehen in der DDR vom Zweiten Weltkrieg bis zur Wende und darüber hinaus habe ich erfahren - und gleichzeitig gemerkt, dass es dort nicht DEN Traum gab, sondern viele Träume, und dass die Anstrengungen auch der damaligen Opposition nicht zwangsläufig in dieselbe Richtung zielten. Da waren Enttäuschungen vorprogrammiert. Die Melancholie zieht sich so auch durch die Erzählung.

    "Immer wieder erfuhr ich, wie scheinbar Vergangenes in die Gegenwart führt, wie es immer um dasselbe geht - um Menschen und ihre Träume, um Macht und Ohnmacht. Und die Dinge sind selten so, wie sie scheinen." (S. 423)

    Auch wenn die unterschiedlichen Perspektiven dazu beitragen, dass das Zeitgeschehen nicht eindimensional präsentiert wird, waren mir persönlich nicht alle gleich lieb. Aus Claras Sicht wird das Geschehen am häufigsten geschildert, und sie war es auch, der ich mich am nähesten gefühlt habe. Eher unangenehm waren mir teilweise die (zum Glück eher seltenen) Schilderungen aus der Perspektive von Claras Vater, weil hier oftmals eine Fülle von Informationen auch zu Sozialismus und Kommunismus stakkatoartig auf mich einprasselten, mit unzähligen, mir meist unbekannten Namen und oft nur angedeuteten Zusammenhängen, was ich als anstrengend empfand. Doch in der Summe ist dieser Roman ein faszinierendes Kaleidoskop deutscher Zeitgeschichte vom Krieg bis zur Wende und darüber hinaus...

    Überaus beeindruckend!

    © Parden

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