Rezension: Wild Truth (deutscher Titel) von Carine McCandless *****

Marley

Autor
7. Oktober 2014
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Melbourne
Carine McCandless erzählt über ihre Kindheit, ihre Familie, ihr späteres Leben, ihren Bruder, zu dem sie eine starke Bindung hatte, der freiwillig in die Wildnis von Alaska ging, um dort Antworten und Frieden zu finden. 1992 starb der damals 24-Jährige Chris nach mehr als 100 Tagen allein in der Wildnis. Der Rückweg über einen Fluss, der inzwischen durch die Schneeschmelze angeschwollen war, war ihm versperrt - er verhungerte. Kaum jemand konnte begreifen, warum es Chris in die Einsamkeit zog. Jon Krakauer schrieb einen Bestseller über Chris - Into the Wild - später wurde der Film von Sean Penn verfilmt. Carine McCandless wurde damals fürs Buch und für den Film konsultiert, sie entschloss sich dazu die Wahrheit für sich zu behalten, um sich und ihre Familie zu schützen. In ihrem Buch The Wild Truth sagt sie dazu, dass sie damals mit 21 Jahren noch die Hoffnung hatte, dass ihre Eltern sich ändern würden.

Daran hatten ihre Eltern weder ein Interesse, noch sahen sie die Notwendigkeit zu reflektieren. In bizarren Beispielen erfährt man wie die Eltern der McCandless Geschwister ticken. Man erfährt von Gewalt gegen die Kinder, gegen die Mutter, von narzisstischen Eltern, einem sadistischen Vater, ständig laut streitende Eltern. Von Lügen, die sie munter verbreiten und sich ihre Wahrheit damit zurechtrücken, von Manipulationen, der Zweitfamilie inklusive sechs Kinder, die der Vater teilweise vor, teilweise während der Beziehung zu seiner Zweitfrau zeugte, die er erst heiraten konnte, als seine Erstfrau endgültig genug von ihm hatte und die Scheidung einreichte. Man erfährt, dass die McCandless Kinder materiell bevorzugt wurden, dass die anderen sechs Geschwister nach der Trennung vom Vater glücklicher aufwuchsen.

Die Familiengeschichte ist die einer dysfunktionalen Familie, in der die Kinder lange Zeit denken, die Verhältnisse seien normal. Chris und Carine kommen langsam dahinter, dass andere Kinder ganz anders leben, dass ihre Eltern lügen, aber von ihnen bedingungslose Wahrheit fordern. Chris, der seine jüngere Schwester stets und ständig beschützt, mit ihr manchmal versucht das Haus zu verlassen, wenn die Eltern mal wieder lautstark streiten und es abzusehen ist, dass die Situation eskaliert. Chris, der zu dem Zeitpunkt erst neun Jahre alt ist, Chris, der mit seiner Schwester an diesem Sonntag zur Kirche geht - weil die Familie eigentlich jeden Sonntag gemeinsam zur Kirche geht. Chris und Carine die Jahre niemandem erzählen, was in ihrer Familie passiert. Carine erzählt später auch von schönen Erinnerungen, Carine macht bewusst, wie und warum eine gestörte Familie bis zu einem gewissen Grad funktioniert.

Der Zusammenhalt der beiden Geschwister ist nicht überraschend, auch nicht, dass sie irgendwann ihre eigenen Wege gehen müssen. Chris geht diesen Weg nach seinem Collegeabschluss. Die Eltern haben viel Wert auf Bildung gelegt und Chris hat das Gefühl seinen Eltern diese Befriedigung geben zu müssen, um endlich frei zu sein. Er bricht den Kontakt zu seinen Eltern komplett ab, reißt durch Amerika, um in Alaska unbeabsichtigt sein Ende zu finden. Carine bleibt alleine zurück und muss sich mit ihren wohlhabenden Eltern arrangieren, zumindest, bis sie volljährig ist. Um dann ihre eigenen Fehler zu begehen, aus denen sie im Gegensatz zu ihren Eltern, immer wieder lernt, sonst hätte sie dieses wunderbar informative, intime Buch über ihre Familie nicht schreiben können.
 
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