Rezension (5/5*) zu Fette Fee: Roman von Claudia Brendler.

Mikka Liest

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14. Februar 2015
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Hilter am Teutoburger Wald
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Buchinformationen und Rezensionen zu Fette Fee: Roman von Claudia Brendler
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Unerwartet bewegend

Handlung:

Jill wollte eigentlich mal Schauspielerin werden. Oder noch besser: Dichterin. Tatsächlich ist sie aber Komödiantin, und das nicht mal erfolgreich. Über ihre letzte Nummer lacht schon lange keiner mehr, und "ganz nett" schwebt über ihr wie ein Damoklesschwert. Und so langsam wird es eng, denn sie kann sich ihre Wohnung schon lange nicht mehr leisten. Zu ihrer eigenen Überraschung findet sie tatsächlich einen neuen Agenten, mit dessen Hilfe sie ihre Karriere ankurbeln will - aber der will erstmal Ideen für ein umwerfendes neues Programm sehen.

Jill zieht kurzerhand zu ihrem Ex-Freund Armin, aber der Kuss der Muse lässt auf sich warten, und Armins übergewichtige Teenager-Tochter Felicia macht es Jill auch nicht eben leicht. Der neue Agent macht Druck: ihre Ideen gefallen ihm alle nicht. bissig und gewagt soll Jills neues Programm sein! Als die verzweifelte Komödiantin-wider-Willen durch einen Zufall mitbekommt, dass die fettleibige Felicia Geschichten schreibt, in denen sie eine schlanke, wunderschöne Fee ist, kommt ihr der zündende Gedanke... Dumm nur, dass ihr das Mädchen wirklich ans Herz wächst.

Meine Meinung:

"Fette Fee" ist eines dieser wunderbaren Bücher, von denen man sich eigentlich nur ein paar seicht-unterhaltsame Stunden und vielleicht ein paar Lacher verspricht, die sich dann aber klammheimlich von hinten anschleichen, um einen heimtückisch mit Lebensweisheit und ganz großen Gefühlen zu überraschen. Und ja, Humor und Unterhaltung gibt es trotzdem.

Ich fand die Geschichte großartig. Originell und witzig und emotional und dramatisch und herzerwärmend... Außerdem unheimlich spannend, denn ich wollte unbedingt wissen, ob Jill noch rechtzeitig die Kurve kriegt, bevor sie etwas etwas Unverzeihliches tut und die unsichere Felicia, die ohnehin schon unter mangelndem Selbstvertrauen und sogar Selbsthass leidet, bis ins Mark verletzt! Klar, Jill fühlt sich ja selber nicht wohl bei dem Gedanken, fiese Witze über einen übergewichtigen Teenager mit viel Fantasie zu reißen, aber das ist genau die Art von Programm, die ihr neuer Agent von ihr erwartet.

Mein Mantra beim Lesen war: "Tu's nicht, tu's nicht, tu's nicht, tu's NIIIIiiiiicht!!!" Außerdem wollte ich natürlich wissen, ob Jill vielleicht doch ihren Weg als Dichterin findet, ob es zwischen Armin und ihr noch mal funkt, oder ob Felicias unterkühlte Mutter Birgit endlich kapiert, dass sie ihrer Tochter nicht guttut.

Am Anfang war ich mir nicht sicher, ob ich Jill mögen würde. Sie trinkt zu viel, sie reißt krampfhaft bemühte Witze, und sie ist so darauf bedacht, immer eine Rolle zu spielen, dass sie völlig vergessen hat, wer sie eigentlich ist. Aber im Laufe des Buches merkt man doch, dass sich hinter den ganzen schlechten Kalauern vielleicht keine perfekte Frau versteckt, aber doch eine, die man ins Herz schließen kann.

Felicia tat mir am Anfang eigentlich nur unheimlich leid, denn sie erfährt von allen Seiten Spott und Hohn, und ihre Eltern merken gar nicht, dass sich ihre Tochter nicht mit Diätplänen und Psychotherapie "reparieren" lässt. Im Laufe des Buches zeigt sich dann auch, dass sie viele Talente und tolle Eigenschaften hat, nur sehen die meisten Menschen nicht über ihren enormen Leibesumfang hinweg.

Die Autorin traut sich was mit ihren Charakteren, denn sie lässt sie manchmal gnadenlos scheitern und vor allem auch ab und an richtig miese, unsympathische Entscheidungen treffen. Sie sind egoistisch, aber sie sind auch verletzlich, und irgendwie machen sie sich gegenseitig zu besseren Menschen. Wobei das auch nicht immer so einfach funktioniert, aber man drückt ihnen auf diesem Weg die Daumen.

Jedenfalls hat es mir leidgetan, das Buch zuzuklappen und mich von den Charakteren zu verabschieden, denn ich habe sie sehr liebgewonnen, und die Geschichte hat mich wirklich bewegt.

Den Schreibstil fand ich perfekt für die Geschichte. Er ist locker, mit viel Humor, aber er bringt auch ernstere Themen und zwiespältigere Emotionen wunderbar rüber.

Fazit:

Eine gescheiterte Komödiantin, die nur noch EINE Chance bekommt, ein umwerfendes Programm auf die Beine zu stellen. Ein fettleibiges Mädchen, das Geschichten schreibt, in denen es eine wunderschöne, schlanke Fee ist - und dadurch ganz ungewollt zum "Star" dieses Programms wird. Als der Komödiantin klar wird, dass sie sich selber nicht mehr im Spiegel in die Augen schauen kann, wenn sie verletzende Witze auf Kosten anderer Menschen macht, ist es vielleicht schon zu spät.

Die Autorin erzählt diese Geschichte mit ganz viel Gefühl für das Zwischenmenschliche und ist dabei zwar humorvoll, verzichtet aber auf platte Stereotypen und kann den Leser bei allem Humor auch bewegen. Ganz locker werden dabei durchaus auch schwierige Themen angesprochen.