Rezension Rezension (5/5*) zu Eine überflüssige Frau von Rabih Alameddine.

Momo

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10. November 2014
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Buchinformationen und Rezensionen zu Eine überflüssige Frau von Rabih Alameddine
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Bücher alleine machen nicht glücklich ...


Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Ich habe wieder mal so viele Klebezettelchen zwischen den Seiten haften, die ich aber nicht alle bearbeiten kann, um nicht zu viel zu verraten. Aber symbolisch zeigt es, wie viel der Autor zu dem Thema zu sagen hat ...

Es ist intellektuell sehr tiefgründig, wenn mir auch viele Gedanken der Protagonistin Aaliya ein wenig belastend erschienen sind, auch wenn sie berechtigte Gründe für diese Gedanken hat. Aber schon der Titel Eine überflüssige Frau hat für mich etwas Schweres.

Ein Mensch, der aus einer dominant patriarchalischen Gesellschaft stammt, in der es viele von Männern geführte Bürgerkriege gibt und die Frau, die nicht den Normen ihrer Gesellschaftsordnung entspricht, da kann ich mir schon sehr gut vorstellen, wie eine Frau wie Aaliya sich fühlen muss: ungeliebt und überflüssig ...

Eine Frau, die ganz in der Welt der Bücher lebt und dort abtaucht, dass man denkt, sie benötigt keine andere Welt. Sie findet dort ihre PartnerInnen und ihre FreundInnen. Eine Frau, die die Romanfiguren besser kennt, als die Figuren aus ihrem realen Leben … Aaliya bezeichnet sich auch nicht wirklich als ein Menschenfreund … Auf Menschen bezogen, identifiziert sie sich eher mit einem Blinddarm, da der Blinddarm ein überflüssiges Anhängsel sei. Dieser und andere sind schon recht trübe Vergleiche. Mich stimmte es ein wenig traurig, dass eine Gesellschaft einen Menschen so etwas fühlen lässt. Eine Frau, die lieber mit einem Gewehr das Bett teilt, als mit einem Mann, der sich nicht mit den Bedürfnissen einer Frau auseinandersetzen möchte. Und die Frau für die Impotenz ihres Mannes verantwortlich gemacht wird. Aaliya gebraucht hier das Bild eines Moskitos mit einem schlaffen Rüssel. :D

Recht betroffen haben mich auch die Szenen zwischen Aaliya und ihrer Mutter gemacht. Der vernichtende Umgang von Frauen mit Frauen innerhalb der Familie wird hier in den Vordergrund gerückt. Frauen, die davon überzeugt sind, dass es richtig ist, sich den Vorstellungen und Erwartungen der Männer unterzuordnen, weil sie selbst es nicht geschafft haben, sich dagegen zu stellen … Eine Mutter, die scheinbar nur ihre Söhne liebt, weil sie nicht anders zu lieben gelernt hat ... Eine Mutter, die den Kontakt zu ihrer Tochter abgebrochen hat, als die Ehe in die Brüche ging, und erst wieder auf sie zuging, als sie im hohem Alter ein Pflegefall wird, und die Söhne, die sie so sehr liebt, sie nicht mehr haben wollten …

Auch von ihrem Umfeld her wird Aaliya gemieden. Gleichgesinnte findet die Protagonistin in den Figuren ihrer Bücher. Figuren und AutorInnen, die ebenso einsam sind wie sie selbst. AutorInnen, die das Leben nicht ausgehalten haben. Sie alle begannen einen Suizid. Sie nennt eine Reihe von bekannter AutorInnen aus der westlichen Welt.

Aaliya befasst sich mit Gedanken, inwieweit die Kunst eine Welt verändern kann? Ist die Kunst in der Lage, die Gedanken eines Menschen so zu wandeln und das Leben danach zu richten, um die Welt damit besser zu machen?

Zitat:

[zitat]Riesen aus Literatur, Philosophie und Kunst haben mein Leben beeinflusst, aber was habe ich aus diesem Leben gemacht? Ich bleibe ein kleiner Fleck in einem tosenden Universum, das sich kaum um mich schert. Ich bin nichts weiter als Staub, ein Staubpartikel - Staub zu Staub. Ich bin ein Grashalm, auf den der Stiefel des SA-Mannes tritt.[/zitat]

In Beirut wurden die Ehen arrangiert, und noch immer Bürgerkriege geführt. Wie schwer ist das Leben einer belesenen libanesischen Frau in solch einer Gesellschaft? Welche Entwicklungschancen hat sie? Immerhin genießt sie eine eigene Wohnung mit einem Lesezimmer, davon hätte Virginia Woolf aus ihrer Zeit nur träumen können, wenn ich an ihr Essay Ein eigenes Zimmer denke, aber das reicht nicht aus. Tief in ihrem Inneren sehnt sich Aaliya nach Liebe und Zugehörigkeit, aber nicht nach den vorgegebenen Maßstäben ... So wichtig, wie die Bücher ihr sind, hat sie trotzdem Angst nach ihrem Ableben mit ihnen eingeäschert zu werden ...

Viele Episoden stimmten mich dermaßen nachdenklich bis traurig, da nicht mal Aaliyas Großnichten und Großneffen jemals etwas über ihre Existenz erfahren haben … Wie kann man einen Menschen dermaßen ignorieren?

Mehr möchte ich nicht verraten.

Mein Fazit?

Ich denke, dass selbst in unserer modernen Gesellschaft es Frauen gibt, die, nicht einer Institution wie die der Ehe angebunden sind, und sogar auch partnerlos leben, recht häufig Mitleid ernten. Es gibt Frauen, die sich bewusst für so ein Leben entschieden haben und oftmals werden sie mit Fragen konfrontiert, eher mit angedeuteten Fragen, weshalb sie alleine leben, und ob sie nicht Angst hätten, alleine zu bleiben und alleine alt zu werden … Männer hegen diesen Frauen gegenüber oftmals eine schmutzige Fantasie. Eine andere partnerlose Frau bekam z. B. von ihrem Nachbarn über den Gartenzaun eine riesengroße Karotte aus dem Garten geschenkt, mit der Bemerkung, das solle ein Phallus sein. Diesen Frauen wird von diesen Männern immer ein Mangel angedichtet …

Dem Autor ist es als Mann sehr gut gelungen, sich in die Nöte einer Frau hineinzuversetzen und über sie zu schreiben. Der Roman ist in eine wunderbare, fantasievolle Sprache gepackt, ohne dass sie schnulzig wirkt, mit so vielen interessanten, kritischen und reflektierenden Ideen und Gedanken, die das Leben einer Frau wie Aaliya auf den Kopf stellt.

Zu den Kriegsqualen habe ich wenig geschrieben und verweise auf das Buch ...

Ich stellte mir oft die Frage, wie viel Gesellschaft braucht ein Mensch, um in sich ein gesundes Selbstwertgefühl entwickeln zu können? Wie viel davon benötigt eine Frau? Aaliyas Selbstbewusstsein hat aus meiner Sicht durch die Isolation und den Rückzug mit ihren Büchern aber auch einen Riss in ihrer Persönlichkeit, in ihrer Identität …

Aber man nimmt nicht nur an dem Leben von Aaliya teil, nein, auch an dem Leben mit ihren Büchern, über die sie viele Gedanken austauscht, dazu noch viele Gedanken zu den Biografien ihrer bevorzugten AutorInnen. Jede Menge SchriftstellerInnen, die aus einer modernen Gesellschaft kommen, die dennoch in der Einsamkeit versackt sind und das Leben als unerträglich empfanden.

Es ist also nicht nur ein libanesischer, Beiruter Gesellschaftsroman, sondern auch ein Buch über Bücher.




 
Zuletzt bearbeitet:

parden

Bekanntes Mitglied
13. April 2014
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Niederrhein
www.litterae-artesque.blogspot.de
Und noch so eine begeisterte Rezension zu dem Buch, *seufzt*. Spätestens jetzt kommt es auf meine Wunschliste. Ich habe echt nicht genug Zeit, um alles zu lesen, was ich gerne lesen möchte!

Die Rezension gefällt mir aber auch aufgrund der Fragestellungen, die Du hier aufwirfst. Schön, wenn einem ein Buch solche Gedanken entlocken kann...
 
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Momo

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10. November 2014
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@ Parden, das geht mir ja auch so. So viele Empfehlungen. Wo will man nur die Zeit nehmen ... Aber die Bücher kommen manchmal zu einem. ohne dass man selbst etwas dazu getan hat. Und die, die zu einem kommen, die haben Vorang, gelesen zu werden.

Danke für dein Feedback.
 
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Reaktionen: Tiram