Rezension (4/5*) zu HUMANOID: SF-Geschichten von Gabriele Behrend.

Renie

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19. Mai 2014
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Buchinformationen und Rezensionen zu HUMANOID: SF-Geschichten von Gabriele Behrend
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Menschlichkeit in der Zukunft

Ich lese Science Fiction!
Dieses Genre war für mich bisher gleichbedeutend mit Raumschiff Enterprise, Star Wars und Isaac Asimov. Nicht, dass ich Science Fiction ablehne. Ich habe mich bisher nur noch nicht damit beschäftigt. Bis ich an den interessanten Kurzgeschichten-Band Humanoid von Gabriele Behrend geraten bin. Die Autorin behandelt in ihren Geschichten die Fragen "Wann sind wir menschlich? Wann funktionieren wir wie Maschinen? Und wie beeinflusst uns eine Zukunft, in der alles möglich scheint?". Kurzum, es geht um das philosophische Thema "Menschlichkeit in der Zukunft".

Die Zukunft, die hier skizziert wird, liegt gar nicht so weit weg. Ich habe in den Geschichten erschreckend viele Parallelen zu unserer heutigen Zeit gefunden, die mich sehr nachdenklich gestimmt haben.

Hier ist ein kurzer Abriss über die einzelnen Geschichten:
In "Feierabend" macht es sich die Gesellschaft zur Aufgabe, "Gemeingefährliche" ausfindig zu machen und deren Aggressionspotenzial unter Kontrolle zu bringen, bevor sie Unheil anrichten können.

"'...Psychologie ist gut und schön. Aber sie hat sich nicht als effizient erwiesen. Sie kann Mängel nicht in dem Maße nivellieren, wie sie entstehen. Diese Mängel manifestieren sich jedoch früher oder später - meist in Aggression, Gewalt und Unzufriedenheit. Aggressionen aber passen nicht in unsere heutige Gesellschaft, daürber sind wir uns alle einig. Sie überleben jedoch länger in uns, als alle Sozialdesigner gedacht haben. Also müssen wir sie bekämpfen....'" (aus "Feierabend", S. 21)

In "Puppenspieler" wird das Thema "Häusliche Gewalt in der Zukunft" behandelt.
In Soft Skills, Hard Days wird auf eine besondere Art der Entspannung eingegangen.
Im "Schreizimmer" wird meditiert.
In "Schattenkabinett" geht es um Politik und der Gewährleistung ihrer Stabilität.
"Improvisationen für S." behandelt eine besondere Kunstform.
"Sunny" erinnert an einen Thriller mit einem menschlichen Versuchskaninchen.
In einer weiteren Geschichte geht es um "Gefühlsecht"e Kleidung.
"Lebendfleisch" entführt den Leser in ein Puppenhaus.
"Jiddhais Nachbarn" zeigt auf, wie Nachbarschaft in der nahen Zukunft aussehen könnte.
"Lichtgestalten" hat mich stark an eine Weiterentwicklung von "Germany's Next Topmodell" erinnert.
In "Letzte Tag"e wird sich zu Tode gelangweilt.

"Keine Familie. Nicht, dass ich mich erinnern konnte. Wer hatte auch schon Familie heutzutage? Oder Nahfreunde? In einer Welt, in der alle wie die Fliegen sterben, sind enge Bindungen ein Graus. Die Trauer, so habe ich es selbst irgendwann irgendwo erlebt, schneidet beim ersten Mal noch tief ins Seelengewebe und hinterlässt gezackte Wundränder, aus denen salzige Tränen quellen. Doch schlimmer noch ist der Moment, in dem einen egal wird, wenn der Nächste stirbt, weil es ja nur ein Tod von vielen ist. Ein Ereignis, das die eigene Befindlichkeit nur noch am Rande streift." (aus "Letzte Tage, S. 165)


Die Geschichten sind sehr intensiv geschrieben. Insbesondere diejenigen, die aus der Ich-Perspektive erzählt werden, haben mich förmlich mitgerissen. Die Gefühle und Stimmungen, die hier vermittelt werden, übertragen sich auf den Leser, was teilweise sehr aufwühlend sein kann, aber immer ungeheuer spannend. Dazu trägt auch der metaphorische Sprachstil der Autorin Gabriele Behrend bei. Sie schafft es, Bilder im Kopf zu erwirken, die einen das Buch ungern aus der Hand legen lassen möchten.

Gabriele Behrend ist auch eine sehr talentierte Illustratorin. Sie hat diesen Kurzgeschichtenband mit ihren eigenen Farbzeichnungen versehen. So findet sich zu Beginn jedes Kapitels eine Illustration, die den Leser eindrucksvoll auf den nachfolgenden Text einstimmt.

Fazit:
Ein spannendes und interessantes Buch mit Science Fiction-Geschichten, die eine Zukunft skizzieren, die gar nicht so weit weg erscheint.


 
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