Rezension (4,5/5*) zu Slow – Family Sieben Zutaten für ein einfaches Leben mit Kindern von Julia D..

24. September 2016
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„Lasst uns langsam, achtsam, echt sein!“ (S. 63)
Regelrecht überflutet wird man mit Erziehungsratgebern oder Tipps von selbsternannten Mustereltern, die einen in eine bestimmte Richtung drängen möchten. Du arbeitest nicht, sondern nimmst dir Zeit für dein Kind? Kein Wunder, dass das Kind immer träger wird – bei dem Vorbild. Du gehst arbeiten? Was für Rabeneltern, die sich nicht um ihr Kind kümmern. So wird das Leben mit Kindern, wie auch so viele andere (Lebens-)Bereiche immer schneller und komplizierter. Doch geht es bei Erziehung, bei dem Umgang mit seinen Kindern keinesfalls wie bei anderen ökonomischen Systemen um Effiziens, Zeitmanagement und Gewinnmaximierung.
Viel zu sehr gerät man, den heutigen Trends folgend, unter Druck. Zu Beginn des Buches wird dies mit dem Beispiel der am Morgen gestressten Mutter (beliebig auch durch einen Vater zu ersetzen), die, mit Taschen bepackt und dem Kind auf dem Arm, aus dem Haus stürmt, nur schwerlich abschließen kann, zum Auto hetzt, um noch irgendwie pünktlich zu kommen, als das Kind in diesem so stressigen moment bemerkt: „Mama, guck mal, ‚metterling!“ (S.9).
Schnell kommt die Frage auf, weswegen man sich nicht mehr die Zeit nimmt, um mit dem Kind eine Pusteblume zu bestaunen. Sich Zeit zu nehmen ist schließlich so wichtig. In diesem Buch zeigen die Begründerinnen der Artgerecht-Bewegung wie kleine Veränderungen das Familienleben entschleunigen und naturnah machen.

Das Buch ist in die Kapitel „Bullerbü für alle!“, „Apokalypse? Öh, jetzt?!“, „Die Familienbedürfnispyramide“, „Unser Nordstern: langsam, achtsam, echt“ sowie in den Rezeptteil bestehend aus den Kapiteln „Sieben Zutaten“, „Slow Village“, „Slow Nature“, „Slow Family Life“ und „Crazy Happy Planet“ unterteilt.
Im ersten Teil wird zunächst die aktuelle Situation beschrieben und die Fehlerquellen herausgefiltert. Darauf aufbauend wird gezeigt, was man in einer Familie stattdessen braucht und der Leser wird ermutigt, Alternativen auszuprobieren und sich nicht klein kriegen zu lassen.
Teilweise auch in Dialogform beschreiben Julia Dibbern und Nicola Schmidt wie sie verschiedene Ideen ausprobiert und letztendlich ihren Weg gefunden haben. So erfährt man von Erlebnissen – die man manchmal auch selber so oder so ähnlich bereits gemacht hat – oder von den Stützfeilern guten Zusammenlebens. Dabei wird gezeigt, wie viel Vertrauen schon bewirken kann, denn Angst „spüren die Kinder mit Sensoren, die feiner sind als die Sternsensoren des Hubble-Weltraumteleskops.“ (S.74) Warum also den Kindern nicht einmal eine Aufgabe wie Kräuter aus dem Garten zu holen betrauen? Auch das Treffen von Entscheidungen wird thematisiert, da gerade diese immer wieder für Unsicherheit führen. „Gute Entscheidungen erfüllen uns – nicht unsere Schränke.“ (S. 65) Von Bedeutung sei daher die Frage: „Was ist in 10 Jahren noch wichtig?“ (S.72)
In meinen Augen deutlich spannender war dennoch der zweite Teil, der gezielt Antworten gibt. Welche Zutaten sind von nöten, um das Familienleben zu stärken? Nicht nur Liebe, Achtsamkeit, Natur, Wissen und Gemeinschaft – nein, es gehören noch weitere Ingredienzien dazu. Darauf, wie man diese Komponenten Stück für Stück aus- und aufbauen kann, wird sehr verständlich eingegangen. Sehr hilfreich sind vor allem die „slow-down-faster-tipp“-Boxen, welche kleine Handlungsmöglichkeiten oder Übungen aufweisen und erklären. Des Weiteren sehr überzeugend sind in meinen Augen auch die mit „Heute mache ich mit dir…“ eingeleiteten Passagen, da sie Spiel-, Forsch-, Freizeitgestaltungsvorschläge oder Ähnliches beinhalten. An diesen erkennt man die Entschleunigung und die Betonung auf Nähe zur Natur sehr gut.
Das Buch ist sehr schön aufgebaut, besonders der „Rezeptteil“ konnte mich für sich gewinnen. Verständlich und abwechslungsreich geschrieben, stöbert und liest man gerne weiter. Unterschiedliche Farben, eingefügte Dialoge, Darstellungen wie Bedürfnispyramiden und Fotografien tragen zu der ansprechenden Gestaltung dieses Buches bei. Die Autorinnen beschränken sich nicht ausschließlich auf ihre eigenen Erfahrungen und Meinungen, sondern beziehen auch Theorien, Modelle oder Feststellungen anderer ein. So wird beispielsweise der „Effekt des bloßen Kontakts“ (Mere-exposure-effect) von dem Psychologen Robert Zajonc angeführt oder der Politikwissenschaftler und Zukunftsforscher John Naisbitt zitiert: „Wir ertrinken in Informationen, aber was Wissen angeht, sind wir ausgehungert.“
So erhält man ein stimmiges Gesamtbild, auch wenn einige der vorgestellten Erkenntnisse in meinen Augen auch selbstverständlich sind und ich sie für normal und keineswegs alternativ halte. Dies mag aber auch daran liegen, wie ich selber erzogen wurde…

In meinen Augen beinhaltet dieses Buch viele hilfreiche Anregungen, Tipps und Denkanstöße, weswegen sich die Lektüre lohnt.