Leserunde zu "Widerfahrnis" von Bodo Kirchhoff - ab 31.10.

Sakuko

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Ich habe gestern Abend schon mal das erste Kapitel angefangen.

Ich kann ja diese Autoren nicht leiden, die meinen in den ersten 10-20 Seiten ihren linguistischen Penis auf die Seiten klatschen zu müssen, damit man sieht wie toll sie sich ausdrücken können. Das sehe ich in letzter Zeit viel zu oft.
Für mich ist Sprache ein Mittel zum Zweck, und wenn ich erstmal ein dutzend Seiten gar nicht verstehe, was das Buch von mir will, weil es nur Sprache ohne Story ist, dann dreht das mein Interesse erstmal auf 0.
 

Sakuko

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Overkill ist das falsche Wort. Unnötig komplex und verwoben, nicht weil es für die Erzählung irgendwie nötig oder sinnig wäre, einfach weil man kann. Finde ich furchtbar.
Bei manchen Sätzen konnte ich auch nach mehrfachem Lesen die Zusammenhängen nicht verstehen, bin gar nicht mal sicher, ob es korrekte deutsche Sätze sind.
 

Renie

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Ich habe gestern Abend schon mal das erste Kapitel angefangen.
Für mich ist Sprache ein Mittel zum Zweck, und wenn ich erstmal ein dutzend Seiten gar nicht verstehe, was das Buch von mir will, weil es nur Sprache ohne Story ist, dann dreht das mein Interesse erstmal auf 0.

Oh je, ich habe gestern auch schon angefangen. Im Gegensatz zu dir @Sakuko ist Sprache für mich auf keinen Fall nur Mittel zum Zweck. Das hieße, die Sprache auf das Wesentliche zu reduzieren, was mir nicht gefallen würde. Denn dazu ist unsere Sprache zu facettenreich. Ich genieße es, wenn ein Autor in der Lage ist, Sprache besonders einzusetzen. Die Sprache ist sein Instrument. Und wie bei jedem (Musik-)Instrument gibt es Virtuosen und solche, die gerade mal die Tonleiter rauf- und runterklimpern können. (Blödes Beispiel?)
Bei Kirchhoff hatte ich auch anfangs meine Schwierigkeiten und brauchte ein paar Seiten, bis ich mich an seine Sprache gewöhnt habe. Mittlerweile genieße ich sie und habe den Eindruck, dass er seine Wörter mit Bedacht wählt und möglichst präzise sein möchte. Mir ist aufgefallen, dass er sich oftmals die tatsächliche Bedeutung eines Ausdruckes in Erinnerung ruft und dies dann mit der jeweiligen Situation abgleicht, als ob er möglichst genau sein möchte.
 

Sakuko

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Oh je, ich habe gestern auch schon angefangen. Im Gegensatz zu dir @Sakuko ist Sprache für mich auf keinen Fall nur Mittel zum Zweck. Das hieße, die Sprache auf das Wesentliche zu reduzieren, was mir nicht gefallen würde.
Warum muss man Sprache auf das wesentliche reduzieren, wenn sie Mittel zum Zweck ist? Überhaupt, wie kann Sprache nicht Mittel zum Zweck sein? Der Sinn der Sprache ist etwas mitzuteilen. Wenn die Sprache zum Eigensinn eingesetzt wird hätten wir Scat. Ganz nett als Musik, in einem Buch eher weniger hilfreich.

Bei Kirchhoff hatte ich auch anfangs meine Schwierigkeiten und brauchte ein paar Seiten, bis ich mich an seine Sprache gewöhnt habe.
Die Sache ist, dass er die sprachlichen Höhenflüge reduziert, sobald tatsächlich die Geschichte anfängt. Das kann man dann auch durchaus verstehen, obwohl ich merke das ich mit der Schreibweise wohl nicht warm werden werde.
 

Renie

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Warum muss man Sprache auf das wesentliche reduzieren, wenn sie Mittel zum Zweck ist? Überhaupt, wie kann Sprache nicht Mittel zum Zweck sein? Der Sinn der Sprache ist etwas mitzuteilen. Wenn die Sprache zum Eigensinn eingesetzt wird hätten wir Scat. Ganz nett als Musik, in einem Buch eher weniger hilfreich.
Die Sache ist, dass er die sprachlichen Höhenflüge reduziert, sobald tatsächlich die Geschichte anfängt. Das kann man dann auch durchaus verstehen, obwohl ich merke das ich mit der Schreibweise wohl nicht warm werden werde.

Was meinst du denn dann mit "auf das Wesentliche reduzieren"? Dass der Sinn der Sprache ist, etwas mitzuteilen, ist schon klar. Aber auch hier gibt es unterschiedliche Varianten, etwas mitzuteilen. Jeder hat einen eigenen Stil. Kirchhoff schreibt anders als Rowling. Wenn man sich anstrengt, kann man Autoren sogar an ihrem Sprachstil erkennen. Dein Sprachstil ist auch anders als meiner. Ich verstehe z. B. deinen Satz nicht "Wenn die Sprache zum Eigensinn eingesetzt wird, hätten wir Scat." Was zum Henker ist Scat?
 

Querleserin

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Was meinst du denn dann mit "auf das Wesentliche reduzieren"? Dass der Sinn der Sprache ist, etwas mitzuteilen, ist schon klar. Aber auch hier gibt es unterschiedliche Varianten, etwas mitzuteilen. Jeder hat einen eigenen Stil. Kirchhoff schreibt anders als Rowling. "Wenn die Sprache zum Eigensinn eingesetzt wird, hätten wir Scat." Was zum Henker ist Scat?

@Sakuko: Das wüsste ich auch gerne, den Begriff "Scat" kenne ich nicht.
Ich kann deine Äußerungen teilweise nachvollziehen. Kirchhoffs Sprache ist geschliffen, wohl gesetzt, wie @Renie sagt präzise. Kein Wort wird dem Zufall überlassen. Hier erzählt jemand, der weiß, was die einzelnen Worte bedeuten und er wählt sie sorgfältig aus. Aber entscheidend ist, dass er trotz allem erzählt. Er teilt uns etwas mit, dass zwar sehr ausführlich und genau - das ist ja fast zeitdeckendes Erzählen, aber er erzählt eine Geschichte - auf seine Art und Weise, in seinem Stil.
Woran ich mich gewöhnen muss (bin beim 4.Kapitel) sind die Reflexionen über das Erzählen selbst:
"Und mit der Zigarette im Mund holte Reither - genau an der Stelle hätte er den Namen eingeführt - eine Flasche von dem apulischen Roten (...)"
Der Erzähler selbst kommentiert seine eigene Erzähltechnik - das mag der "linguistische Penis" sein, ich finde es erzeugt eine Distanz zum Geschehen, die offensichtlich gewollt ist. Hier wird ganz klar der Kopf angesprochen - nicht das Herz! Ob man das mag und ob die Geschichte trotzdem trägt, abwarten.
So werden Formulierungen immer wieder auch überprüft, ob sie in einem Buch vorkommen dürften - das hat schon eine gewisse Komik, da sie ja vorkommen, obwohl Leonie als Name tatsächlich weichen muss. Sie wird fortan fast nur noch die Palm genannt.
Mir ist aufgefallen, dass er sich oftmals die tatsächliche Bedeutung eines Ausdruckes in Erinnerung ruft und dies dann mit der jeweiligen Situation abgleicht, als ob er möglichst genau sein möchte.
Das gefällt mir auch gut, vor allem, weil er Begriffe benutzt, die tatsächlich vom Aussterben bedroht sind, wie Damenbesuch. Das finde ich toll!
 

Sassenach123

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Habe bisher erst ein paar Seiten lesen können, und muss sagen, man muss sich schon auf den Text einlassen. Man kann ihn definitiv nicht mal ebenso überfliegen. Das ein oder andere mal, habe ich einen Satz mehrfach gelesen, bis ich mir dann einen Reim darauf machen konnte. Aber dennoch kann ich nicht sagen, dass es mir gar nicht gefällt. Ich finde Sätze wie: Der Welt des müden Lächelns zu entkommen, machen die Mühe wieder wett. Es berührt mich schon auf die ein oder andere Weise, aber ich habe ja noch ein paar Seiten vor mir. Mal sehen, ob der erste Eindrück der richtige ist.
 

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Was ich eben noch vergessen habe. Das Fehlen der Anführungszeichen bei der wörtlichen Rede hat mich am Anfang irritiert. Durch die fehlende Abgrenzung wird der Text schwerer lesbar. Man muss sich den Text schon erarbeiten ;), aber man gewöhnt sich auch daran.
 
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@Renie @Querleserin
Mit Scat meint @Sakuko denke ich, dass es so nur eine Aneinanderreihung von Silben ergibt.
Es gibt diesen Musiker, der sich Scatman nennt. Vielleicht kennt ihr ihn? Er reiht schnell viele Silben zusammen, was zwar keinen Sinn ergibt, in dem Fall aber unterhaltsam ist.
 

Sakuko

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@Renie @Querleserin
Mit Scat meint @Sakuko denke ich, dass es so nur eine Aneinanderreihung von Silben ergibt.

Scat ist eine Art des Singens im Jazz, bei dem man einfach irgendwelche Laute aneinanderreiht. Scatman John hat das in den 90ern recht bekannt gemacht. Das ist dann Sprache, die nicht ihren grundlegenden Zweck erfüllt, sondern eine andere Aufgabe (die eines Musikinstrumentes).
Und ich habe nicht gesagt das Kirchhoff Scat schreibt, das war bloss ein Beispiel für Sprache, die nicht Mittel zum Zweck ist.

Was meinst du denn dann mit "auf das Wesentliche reduzieren"? Dass der Sinn der Sprache ist, etwas mitzuteilen, ist schon klar. Aber auch hier gibt es unterschiedliche Varianten, etwas mitzuteilen. Jeder hat einen eigenen Stil. Kirchhoff schreibt anders als Rowling.

Du hattest geschrieben das Sprache die nur Mittel zum Zweck ist aufs wesentliche reduziert sein muss, also müsstest du mir das erklären, was dass heißen soll.

Natürlich hat jeder seinen Stil, und das ist auch gut so.
Beim Kirchhoff hatte ich bloss einige Seiten lang nicht das Gefühl, als erzählt er mir eine Geschichte. Ich hatte das Gefühl, er baut einfach möglichst interessante, konzeptionelle Sätze. Das erzählen beginnt, sobald er damit aufhört, experimentelle Sätze zu stapeln.
Und sowas mag ich gar nicht, weil dann die Sprachen nicht Teil der Geschichte ist, sondern sie hindert.
 
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