Fazit

Sebastian

Aktives Mitglied
18. April 2014
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Ostharingen, Niedersachsen, Germany
Ich war sehr skeptisch, als ich das Buch begonnen habe, wusste nicht, ob ich mich dauerhaft mit dem extrem bildhaften und von Metaphern gespickten Text anfreunden könnte. Streckenweise hat man fast schon den Eindruck, es mit einem lyrischen Text zu tun zu haben.

Ich konnte mich damit anfreunden. Je weiter es voranging, desto leichter fiel das Verstehen und das "sich auf das Buch einlassen". Insgesamt bin ich zwar immer noch wesentlich glücklicher damit, einen vergleichsweise einfachen, modernen Thriller oder Horror-Roman zu lesen (ja ja, ich weiß, ich bin eher anspruchslos), finde es aber gut, die Erfahrung gemacht zu haben.

"Das Böse kommt auf leisen Sohlen" baut durch diese Art, in der es geschrieben ist, eine besondere Atmosphäre auf, die man in vielen aktuellen Genreromanen vergeblich sucht. Dicht und spannungsgeladen und trotz insgesamt sehr gehobenen und mitunter fast schon etwas gestelzten Sprache (nach der Gewöhnungsphase) zumeist sehr gut verständlich.

Bradbury wird von vielen Autoren gerne als Einfluss erwähnt und ja, zu einem Teil kann ich das jetzt nachvollziehen. Ein Händchen für Geschichten hatte er auf jeden Fall und auch das Talent, sie zu erzählen, kann man ihm keinesfalls absprechen.
 
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Reaktionen: anne_weiss

anne_weiss

Mitglied
29. Juni 2016
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Berlin
www.bonnerweiss.de
Also. Wie ihr schon gemerkt habt, bin ich kein großer Fan des Buches geworden. Ich hatte vorher Fahrenheit 451 gelesen (vor Urzeiten), und ich erinnere mich daran als sehr beeindruckend. Leider hat der zweite Roman, den ich von Bradbury gelesen habe, nicht meine Erwartungen erfüllt.

Die Geschichte an sich ist phantasievoll, und mir gefällt Bradburys Idee eines Karussells, das die Zeit für den, der sich darauf befindet, zurückdreht oder vorwärtslauten lässt. Das kann sehr gruselig sein, und auch ein Zirkus ist ein tolles Setting für einen Horrorroman, wie andere Autoren, unter anderem Stephen King am Beispiel von Elementen aus dieser Welt (Clown) bewiesen haben.

Dennoch finde ich aus mehreren Gründen, dass "Das Böse kommt auf leisen Sohlen" kein guter Roman ist. (Ich weiß, dass wahrscheinlich tausende von Fans jetzt gerne kübelweise Unmut über mir ausgießen würden, aber da bin ich, um im Bild des Horrorromans zu bleiben, eher von der furchtlosen Sorte.)

Zum einen war die Sprache durchmixt mit einem Wust von Bildern, die meines Erachtens weder zur Handlung noch zueinander passten. Es kam mir bisweilen vor, als hätte der Autor einfach alles aufgeschrieben, was ihm so durch den Sinn geschossen ist, egal, ob die Bilder stimmig sind. Wo war der Lektor? Hat es mit der Übersetzung zu tun? Es wirkte gestopft, und vieles davon war mir der Horror ;) Die Überfrachtung mit bildhafter Sprache sorgte bei mir ganz schnell für Überdruss, ich habe nicht gerne weitergelesen.

Zum anderen fehlt das, was wir sonst sehr oft im Horror (und in der Spannungsliteratur, in der Genreliteratur allgemein) finden: Cliffhanger, Spannungsaufbau in den Szenen. Bradbury ist zwar bisweilen sehr poetisch, aber das kostet ihn vielfach Tempo, die philosophischen Betrachtungen unterbrechen den Fluss der Handlung. Und da, wo es in der Szenengestaltung meist heißt: "Spät kommen, früh gehen", erzählt er alles aus.

Außerdem hat mir tatsächlich die Auflösung nicht gefallen. Den ganzen Roman über werden Jim und Will als Helden aufgebaut. Zwischendurch kommt mal der Mr Halloway vor, Wills Vater. Dass er dann noch eine wichtige Rolle spielen wird, ist klar - aber dass er den beiden die Auflösung ihres Abenteuers fast komplett aus der Hand nimmt, ist enttäuschend. Der Showdown findet immer zwischen Protagonist und Antagonist statt. Die Jungen hätten meiner Ansicht nach das Böse selbst bekämpfen sollen. Und dass es am Ende so einfach ist, den Oberbösen Mr. Dark zu killen, fand ich überdies nicht besonders clever gemacht.

Fazit: Nur für diejenigen, denen Stephen Kings Frühwerke zu spannend sind und die sich bei Serien wie "The Walking Dead" die Hände vor die Augen halten. Für mich bitte das nächste Mal wieder richtigen Horror. Oder Romane, die wirklich poetisch, phantasievoll und philosophisch sind - zum Beispiel von Neil Gaiman oder, wenn's um Klassiker der phantastischen Literatur geht: Philip K Dick, Douglas Adams, Roald Dahl oder Aldous Huxley, der ein so schönes Quote für die U4 bei Bradbury gespendet hat...