DER BASTARD VON TOLOSA, Abschnitt 1: Seite 1-160

Helmut Pöll

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Ich lese selten historische Romane, manchmal, weil mich der schiere Umfang abschreckt. 1000-Seiten-Bücher sind nicht meins. Außer sie lesen sich so leicht wie beispielsweise Ken Follets "Die Säulen der Erde" oder eben auch "Der Bastard von Tolosa".
Für mich ist es jetzt nach 160 Seiten schon ein Buch, wo ich gar nicht will, dass es irgendwann mal aufhört.
Die Reise des Ritters Jaufre Montalban ins Heilige Land, sein Leben in der Grafschaft Tripolis, das ist für mich eine Mischung aus Abenteuerreise und Geschichtsstunde. Was mir sofort auffiel war die minutiöse Recherche, die bis zu kleinsten Details der Ausrüstung, Waffentechnik, aber auch der damals üblichen Haushaltsausstattung reicht.
Das muss doch unheimlich viel Zeit in Anspruch genommen haben, @Ulf Schiewe , oder hast du beruflich etwas mit Geschichte oder Altertumsforschung zu tun?
 

Ulf Schiewe

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Hallo Helmut,

nein, mit Geschichte oder Altertumsforschung habe ich nichts zu tun. Ich komme aus der Computer- und Softwaremarketing-Ecke. Und mit dem Schreiben habe ich auch spät angefangen. :)

Es ist alles Recherche. Ein Arm voller Bücher und wissenschaftlicher Abhandlungen. Der Mensch will sich ja keine Blöße geben und irgendeinen Quatsch erzählen. Trotzdem ist es aber immer noch ein Roman und Abenteuer und kein Geschichtsbuch. Da muss man die feine Balance finden. Der Leser soll ja nicht einschlafen, sondern vor allem Spaß an der Geschichte haben.

Dieser Roman lebt sehr stark von der Figur des Jaufré Montalban. Wie hast du ihn bisher empfunden?
 

Renie

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Es macht mir sehr viel Spaß dieses Buch zu lesen. Ich habe den ersten Teil fast durch und bin völlig fasziniert von der Geschichte. Was mir auffällt, sind die extremen Stimmungen, die hier vermittelt werden. So spürt man z. B. das Grauen und den Blutrausch einer Schlacht (Ich meine den Hinterhalt, in den die Truppe gerät, auf der Suche nach der Karawane) und wird im nächsten Moment mit Lagerfeuerromantik konfrontiert. Das ist schon heftig, macht den Verlauf der Geschichte aber unheimlich spannend.

Ich habe noch eine Frage zur Sprache. Es tauchen sehr viele Begriffe auf, wie "Mossenher", "Senher", "Mon Gartz", die ich aus dem Französischen und/oder Spanischen ableiten kann. Handelt es sich hierbei um einen Dialekt, der zu der damaligen Zeit in der französisch-spanischen Grenzregion gesprochen wurde? Oder handelt es sich um eine eigene Sprache, die von der Kirche auferlegt wurde(Lenga Romana?)? Wobei bei einer Kirchensprache ja eher Latein Anwendung gefunden hätte?
 

Helmut Pöll

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Es macht mir sehr viel Spaß dieses Buch zu lesen. ... (Ich meine den Hinterhalt, in den die Truppe gerät, auf der Suche nach der Karawane) und wird im nächsten Moment mit Lagerfeuerromantik konfrontiert. Das ist schon heftig, macht den Verlauf der Geschichte aber unheimlich spannend.

Oh ja, der Hinterhalt ist ziemlich drastisch geschildert, da geht es mir wie dir, @Renie .
 

Renie

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Dieser Roman lebt sehr stark von der Figur des Jaufré Montalban. Wie hast du ihn bisher empfunden?

Jaufré ist ein toller Typ, ein echter Held. Er ist ein großer Kämpfer, unnachgiebig gegenüber seinen Feinden, aber niemals grausam. Für seine Freunde und seine Nächsten würde er alles tun, Ehre und Treue bedeuten ihm sehr viel.
Er setzt sich für Schwächere ein, auch wenn es sich hierbei um den Feind handelt. Dadurch hatte ich oft den Eindruck, dass er eigentlich nicht in das Outremer und das Leben dort hineinpasst, und das auch selbst spürt. Er versucht sich mit seinem Leben dort zu arrangieren und schafft sich eine Nische und Rückzugsmöglichkeit: er gründet mit Noura ein Heim und eine Familie.
Umso tragischer ist es, als Noura umgebracht wird.
Anhand der Buchbeschreibung wusste ich natürlich, dass Noura sterben wird. Aber ich habe tatsächlich bis zu dem Moment, wo es passiert, gehofft, dass sie erst später im Buch sterben wird.
Was mich wirklich betroffen gemacht hat, ist folgende Textpassage:
"Von Zeit zu Zeit musste ich eine Anstrengung machen, um Luft zu holen. Konnte man so sterben? Indem man einfach aufhörte zu atmen? Ich war so müde, dass es mir verlockend schien, mich neben Noura zu legen und einfach mit dem Atmen aufzuhören."
An der Stelle hatte ich tatsächlich einen Kloß im Hals. Die Trauer ist für Jaufré so überwältigend, dass er keine Energie und Kraft zum Weiterleben hat. Mann, was habe ich mit Jaufré mitgelitten.:(
 

Ulf Schiewe

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Was den Hinterhalt betrifft, so versuche ich die Dinge so lebensnah wie möglich zu schildern, die Welt um den Leser herum so aufzubauen, dass er alles mitempfindet, sich vorstellt, dabei zu sein. Wenn das gelingt, bin ich natürlich sehr zufrieden.

Was Jaufrés Sprache betrifft, so ist dies mittelalterliches Okzitan. Es ist eine eigene Sprache, die sich zwischen Französisch und Katalanisch ansiedelt und im Süden Frankreichs (praktisch halb Frankreich) gesprochen wurde und noch immer wird. Eleonore von Aquitanien hat so gesprochen und eben auch ein sehr großer Teil der Kreuzritter des Ersten Kreuzzugs. Es ist die Sprache der Troubadoure, also hochliterarisch. Die Lieder, die es hier im Buch gibt, sind echte Troubadourdichtungen aus der Zeit, die ich zum Teil selbst aus französischen Versionen übersetzt habe, manchmal auch direkt nur mit einem Okzitan-Wörterbuch.
 
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Renie

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Ich versuche mir gerade vorzustellen, was ein Soldat des Fußvolkes an Ausrüstung und Gewicht bei einem Einsatz mit sich herumzuschleppen hatte. Da kommen doch bestimmt um die 30kg Gepäck zusammen- schätze ich mal. Wenn man bedenkt, was für Strecken die Soldaten zurücklegen mussten, um dann am Ende noch ums Überleben zu kämpfen? Was für ein Job :mad:
 

Ulf Schiewe

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Das ist richtig. Schild, Helm, Kettenpanzer, Waffen, Brotbeutel, Bettrolle, Zeltplane, Feldflasche ... da kommt einiges zusammen. Aber das war schon immer so. Die römischen Legionäre schleppten auch so etwas wie 35 Kg mit sich. Und den modernen Infanteristen geht es nicht besser. Was die alles dabei haben, ist unglaublich.
 

Ulf Schiewe

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Die Beschreibung des Hinterhalts erinnert mich an High Hearts von Rita Mae Brown. Auch weckt sie Erinnerungen an den Film „Saving Private Ryan“.

Ich mag die realistische Darstellung der Kampfszene sehr, vor allem einschließlich der Klangkulisse. Der satte Laut, mit dem der Pfeil ins Auge dringt, ist in meinem Ohr.

Freut mich, dass es rüberkommt, als wäre man mitten drin.

Als Reiterin stolpere ich zugegebenermaßen ein wenig über die Wiedergabe der Pferdeszenen. Ich weiß nicht, Ulf, ob du selbst reitest.

Nein, ich reite nicht. Musste mir das mühsam zusammenklauben. Allerdings ist meine Lektorin ein passionierte Reiterin und Anhängerin, gewaltfreien Umgangs mit Pferden. Sie hatte zumindest nichts auszusetzen. :)

Vielleicht liegt es unter anderem daran, dass es aus unserer Sicht im 21. Jahrhundert auch für den Autor ein großes Unterfangen ist, die Lebenswelt und Denkweise vor fast eintausend Jahren einzufangen.
Das ist in der Tat schwierig, in gewisser Weise vielleicht sogar unmöglich. Wir können nur versuchen, nachzuempfinden, wie Menschen aus der Zeit gedacht haben. Wobei ich auch glaube, wenn man das tatsächlich könnte, wäre der moderne Leser wohl doch sehr befremdet. Um ihm die Epoche nahezubringen, muss man sprachliche und gedankliche Mittel verwenden, die uns verständlich sind. Ich vermeide, zum Beispiel, ganz bewusst, eine gewollt altertümliche Sprache. Die Menschen damals haben ihre normale Sprache gesprochen und meine Figuren sprechen eben auch ein ganz normales Deutsch. Aber vielleicht meinst du ja auch etwas anderes.

Dabei will ich nicht unerwähnt lassen, dass viele Passagen mein Mitgefühl für Jaufré wecken. Seine Trauer kann ich spüren, ebenso seine Liebe zu seiner Tochter. Und ich meine, eine gewisse Resignation die Kreuzzüge betreffend zu erahnen. Ist Jaufré zu unterstellen, dass er instintkiv weiß, es wird nicht bei dem einen Kreuzzug bleiben und dass die folgenden erfolglos sein werden?
Ich will nicht vorgreifen. Du musst es lesen. Aber Jaufré ist eine widersprüchliche Gestalt. Er ist ein Gotteskrieger mit erheblichen Zweifeln. Er liebt seine Frauen, aber ist ein schlechter Ehemann. Um seine Kinder hat er sich nie gekümmert, bis er entdeckt, was es heißt, Vater zu sein. Er ist ein Heimkehrer und ein Fremder in der eigenen Heimat. Aber das wirst du noch lesen.

Ich möchte ganz klar zum Ausdruck bringen, wie sehr mich deine Rechercheleistung und die Umsetzung derselben in einen Roman beeindruckt, Ulf. Chapeau! Sie zeigt dein sehr strukturiertes Vorgehen, ohne das kein Roman wie dieser gelingen kann.

Die ersten 160 Seiten zeigen unzweideutig, dass du diesen deinen Erstling handwerklich hervorragend konzipierst. Das ist es, was die Freude beim Lesen bereitet und mich die (subjektiven) Störfaktoren immer weniger wahrnehmen lässt.

Seite 160 enthält einen sehr geschickten handwerklichen Griff – nochmals Chapeau:

Diese letzte Szene packt den Leser mit Schwung und Kraft - und lässt ihn frösteln mit ihrer bösen Vorahnung. Wie könnte man da aufhören zu lesen? Richtig – man kann es nicht ;)

Danke! :)