Tagebuch

Rezensionen zu "Tagebuch"

  1. Schreiben als Überlebensnotwendigkeit

    Das Tagebuch der Anne Frank zählt zur Weltliteratur und wird als eines der eindringlichsten Dokumente über die Judenverfolgung während des 2. Weltkrieges beschrieben. Alleine durch diese Beschreibung wollte ich zu dem Buch greifen und mir selbst ein Bild von den Gedanken eines jungen jüdischen Mädchens über ihr Leben im Amsterdamer Hinterhaus-Versteck machen. Gelesen habe ich das Buch schlussendlich mit zwei Bloggerinnen in einer gemeinsamen Leserunde, denn dass es zu der Thematik viel zu besprechen gibt, davon war auszugehen ...

    ~ Es ist für jemanden wie mich ein eigenartiges Gefühl, Tagebuch zu schreiben. Nicht nur, dass ich noch nie geschrieben habe, sondern ich denke auch, dass sich später keiner, weder ich noch ein anderer, für die Herzensergüsse eines dreizehnjährigen Schulmädchens interessieren wird. ~
    (S. 18)

    Als ich dieses Zitat gelesen habe, habe ich mir gedacht: Anne, wenn du damals nur gewusst hättest, dass dein Tagebuch eines Tages millionenfach verkauft und gelesen wird ...
    Das Schicksal der Anne Frank dürfte vielen wahrscheinlich schon bekannt sein: Sie starb im Frühjahr 1945 im KZ Bergen-Belsen, nachdem das Versteck, in dem sie und die anderen sieben Untergetauchten lebten, im Jahr davor von einem Lagerarbeiter an die Nazis verraten wurde. Diese Tatsache, die mir während dem Lesen natürlich ständig bewusst war, macht es schwer zu lesen, dass sich Anne Gedanken über die Zeit nach dem Krieg macht, Hoffnung hat und versucht, das beste aus der Situation im Hinterhaus zu machen. Wenn man weiß, dass sie nicht überleben wird, hinterlässt das einen trüben und traurigen Beigeschmack ...

    ~ Der Krieg stört sich nicht an unseren Streitereien, an unserer Sehnsucht nach Freiheit und Luft, und darum müssen wir versuchen, das Beste aus unserem Aufenthalt hier zu machen. ~
    (S. 169)

    Jedoch muss man sagen, dass derartige Gedanken nicht vorherrschend sind. Anne schreibt zwar hin und wieder in ihr Tagebuch, dass sie alle Angst haben und besorgt sind wegen dem, was draußen vor sich geht, aber die grundsätzlichen Themen sind eher die alltäglichen Probleme eines 13 bis 15-jährigen Mädchens mit ihrer Mutter, ihrer Schwester Margot oder den anderen im Hinterhaus lebenden Menschen. Anne verwendet auch viel Raum, um den ewig ähnlichen Tagesablauf zu beschreiben, über ihre Helfer zu sprechen, oder dass sie oft still sein mussten, wenig abwechslungsreiches Essen zur Verfügung hatten und dergleichen. Das habe ich so nicht ganz erwartet und fand ich manchmal etwas trocken zu lesen. Generell hätte es mich mehr interessiert, wenn Anne mehr über die derzeitige politische Lage, die derzeitige Kriegssituation bzw. das, was das in ihr ausgelöst hat, geschrieben hätte.

    ~ Aber das Lachen haben wir fast verlernt. Manchmal habe ich Angst, dass ich vor lauter Ernst ein starres Gesicht und Falten um den Mund bekommen werde. ~
    (S. 137)

    Anne ist ein charakterstarkes, lebensmutiges Mädchen mit ausgedehnter Energie. Sie kann ihren Willen durchsetzen und ist unbeeinflussbar, weswegen sie im Hinterhaus auch immer wieder angeeckt hat. Und da genau das das war, was sie am meisten beschäftigt hat, wurde es auch lang und breit thematisiert.
    In meiner Taschenbuchausgabe kam durch die vielen Fotos, die immer wieder zwischendrin abgebildet waren, aber glücklicherweise etwas Abwechslung zustande. Und dann gab es von Zeit zu Zeit auch mal Situationen, in denen es für Anne und ihre Familie brenzlig wurde, weil sie beispielsweise unvorsichtig im Hinblick auf die Lautstärke waren - also, es war auch Spannung und Aufregung beim Lesen vorhanden, keine Frage!

    ~ Dieses Gerede höre ich den ganzen Tag. Invasion vorne, Invasion hinten. Dispute über Hungern, Sterben, Bomben, Feuerspritzen, Schlafsäcke, Judenausweise, Giftgase und so weiter. Alles nicht erheiternd. ~
    (S. 179)

    Es ist am Ende des Buches erschreckend, dass die Tagebucheinträge so plötzlich aufhören, ohne Vorwarnung. Man weiß zwar, dass die acht Hinterhäusler nun gefasst wurden, aber es lässt einen doch irgendwie fassungslos zurück, weil es von Anne ja nun keine Einträge mehr gibt und von ihr nicht mehr erfährt, wie es ihr weiterhin ergangen ist, was sie persönlich noch alles bis zu ihrem Tod durchstehen musste ... Ich war aber trotzdem sehr dankbar für das Nachwort in dieser Ausgabe, das zwei Seiten umfasst und die Schicksale von den acht Untergetauchten thematisiert - die wirklich alles andere als rosig sind! Besonders lesenswert empfand ich im Anschluss darauf dann noch Mirjam Presslers Text über Anne Franks Leben und die Geschichte der Familie von Anne Frank, der insgesamt etwa 24 Seiten lang war. Ein äußerst interessanter Abschluss, wie ich finde!

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